Ganztag in Saarlouis „Vogelsang aus Vogelsicht“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Ihr pädagogisches Konzept richtet die Grund- und Ganztagsgrundschule „Im Vogelsang“ Saarlouis am Namen aus: Sie bietet Nestwärme, Vertrauen, geistiges Futter und Geduld beim Ausbrüten von Ideen. So können ihre Schützlinge flügge werden.

„So etwas wie unser Zuhause“
„So etwas wie unser Zuhause“ © Grund- Ganztagsgrundschule Saarlouis Vogelsang

„Wir verbessern die Welt.“ Julien sagt das mit einem Strahlen im Gesicht. Der Zehnjährige präsentiert gerade gemeinsam mit seinem Klassenkameraden Martin die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe. Sie ist im Rahmen des im Vorjahr eingeführten „Freidays“, der an der Grundschule im Vogelsang in Saarlouis, immer mittwochs auf dem Stundenplan steht. Der Freiday bietet Gelegenheit, sich fachübergreifend in Projektarbeit mit Inhalten des Lehrplans zu beschäftigen. Julien und Martin haben sich für das Thema „Lernen, die Welt zu verändern“ entschieden.

Sie haben wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler in anderen Projekten Kreativität und Engagement an den Tag gelegt und sich – beinahe ganz nebenbei – Wissen angeeignet, Kompetenzen entwickelt und gestärkt. Etwa als sie beim Thema „Vögel“ wunderbare Bilder mit Vogelmotiven gezeichnet und gemalt haben, die künftig ihre Schule schöner machen werden. Denn nicht nur Julien und Martin betrachten das Gebäude als so etwas wie „unser Zuhause“. Eines, in dem sie nicht nur lernen, sondern sich gemeinsam mit den vertrauten Gesichtern der Erwachsenen wohlfühlen (möchten).

Unterricht mit Fähigkeit zur Kommunikation

Sie denken beim „schöner und besser machen“ jedoch nicht nur an sich. Erst kürzlich haben sie sich im Unterricht mit dem Thema Armut beschäftigt, haben dabei die Vorzüge eines Sozialkaufhauses kennengelernt und realisiert, wie „schade es ist, dass es so etwas in Deutschland überhaupt geben muss.“ Gemeinsam hat die Gruppe überlegt, was besser laufen könnte. Sie sind auf einiges gestoßen und haben sich an die lokale Politik gewandt.

„Wir haben gehört, dass es in Frankreich durch ein Gesetz verboten ist, dass Supermärkte Lebensmittel wegwerfen. So ein Gesetz wollen wir auch.“ Das sogenannte Anti-Wegwerf-Gesetz „Loi Garot“ und besagt, dass was nicht verkauft wird, gespendet oder recycelt werden muss. Das Gesetz haben Julien und Martin noch nicht bekommen, doch immerhin Antworten der Politiker, die zumindest zusagten, dass dies eine interessante Überlegung sei. Julien ist stolz, dass eine Reaktion erfolgte.

Der stellvertretende Schulleiter Ignazio Coniglio zeigt sich zufrieden über die Arbeit und die Ergebnisse der Freiday-Aktivitäten: „Wenn Kinder sich einsetzen, fördert das schon allein das Demokratieverständnis. Kontakte von Parteien herauszufinden und solch einen Brief zu formulieren, stärkt die Fähigkeit zu Kommunikation.“ Eine von ihm selbst betreute Gruppe nahm sich eines anderen Sozialthemas an. Sie nutzen Kleidungsstücke, die von Schülerinnen und Schülern vergessen und nicht mehr abgeholt wurden, gestalten aus ihnen mit Nadel, Faden und Nähmaschine attraktive „Secondhand“-Ware.

Hinter den Auftrag, Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schärfen, kann die Schule wahrlich ein Häkchen machen. Coniglio: „Der Freiday ist ein anderer Unterricht. Alltags- und berufsbezogene Kompetenzen werden geschult. Die vier „K“ lauten: Kommunikation, Kritikfähigkeit, Kreativität und Kollaboration. Als Beispiel nennt er das Theaterstück, das eine Gruppe geschrieben und aufgeführt hat: „Mehr Deutsch(unterricht) geht nicht.“

Professionen für „ein buntes Publikum“

„Wir treten gemeinsam als Schulleitungsteam auf“
„Wir treten gemeinsam als Schulleitungsteam auf“ © Grund- Ganztagsgrundschule Saarlouis Vogelsang

Kompetenztraining hat sich die Schule mit gebundenem und freiwilligem Ganztag in fachlicher und sozialer Hinsicht auf die Fahnen geschrieben. Getreu der eigenen Devise: Lernen, Leben, Wohlfühlen. Damit dies gelingt, arbeiten Lehrkräfte, das sozialpädagogische Team unter Leitung von Aline Heintz, Schulinklusionspädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher sowie externes Personal eng zusammen.

„Wir haben ein buntes Publikum, das wir geprägt vom Gedanken der Inklusion unterstützen und begleiten möchten“, betont Schulleiterin Petra Gitzinger. „Es ist für alle sehr hilfreich, dass wir schon morgens im Unterricht dabei sind“, hebt Aline Heintz hervor. Die Schulleiterin ergänzt: „Wir sehen die Kinder anders, sind an den Lehrplan gebunden und müssen darauf achten, dass die Leistungen stimmen. So ist es für uns aber wichtig, zu hören, warum ein Kind gerade seine Leistung nicht erbringen kann.“

Entsprechend wird den Schülerinnen und Schülern differenziertes Lernmaterial für ihre individuellen Wochenpläne zur Verfügung gestellt. Sie erleben Inputphasen, arbeiten alleine oder in Gruppen, häufig projektorientiert. Fühlt sich jemand beim Leistungsnachweis in der großen Gruppe nicht wohl, greift auch schon einmal die „kleine Feuerwehr“ ein. Die oder der Betroffene erhält dann eine 1:1-Betreuung.

So erlebe man die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Inhalte des Unterrichts hautnah mit, freut sich Ignazio Coniglio. Umgekehrt könnten die Kolleginnen und Kollegen in die wöchentliche Teamsitzung einbringen, wie sie die Kinder außerhalb des Unterrichts kennenlernen. „Die Professionen verschmelzen“, sagt Coniglio. „Den Kindern ist die Profession dessen, der vor ihnen steht, egal.“ In den Teamsitzungen kommt alles, was von Bedeutung ist auf den Tisch. Angefangen von Dingen, die aufgefallen sind, über die Frage, wer ein Gespräch mit den Eltern sucht oder die Lernentwicklungsgespräche vorbereitet bis hin zu individueller Förderung.

Offenheit nach allen Seiten

Mit offenem Unterricht in vielfältigen Sozialformen, beispielweise jahrgangsübergreifendem Themenlernen versucht die Schule, den Bedürfnissen aller Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Für das Team betont Aline Heintz: „Auch hierfür gilt, dass wir es versuchen. Wir wissen, dass wir nicht perfekt sind und uns als lernende Institution immer wieder hinterfragen müssen.“ Petra Gitzinger ist wichtig: „Wir treten gemeinsam als Schulleitungsteam auf. Das Gesamtkollegium entscheidet, niemals eine einzelne Profession oder gar Person.“

Große Räume, Helligkeit und Transparenz
Große Räume, Helligkeit und Transparenz © Grund- Ganztagsgrundschule Saarlouis Vogelsang

Für die Konzeption der Lernentwicklungsgespräche suchte die Grundschule „Im Vogelsang“ Anregungen in der Laborschule Bielefeld sowie in der Otfried-Preußler-Schule Hannover. Sie ist jederzeit offen für Impulse von außen. Die Offenheit spiegelt sich auch im aktuellen Umbau des Schulgebäudes wider. Möglichst große Räume, möglichst viel Helligkeit und Transparenz. Große Glasscheiben ermöglichen im wörtlichen und übertragenen Sinne Weitblick. Auch dafür, dass die Kinder Ruhe-, Bewegungs- und Spielmöglichkeiten nutzen können – sie sind in großem Umfang vorhanden.

Ganztagsplanung: Puzzle mit tausend Teilen

Sie werden von jenen 66 Prozent der rund 300 Schülerinnen und Schüler geschätzt, die Ja zum gebundenen Ganztag gesagt haben und auch von den rund 80 Kindern, die die Freiwillige Ganztagsschule (FGTS) in Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes nutzen. Für beide Gruppen gibt es eine einstündige Lernzeit – in der FGTS die freiwillig genutzte Hausaufgabenbetreuung – nach dem Mittagessen.

Im gebundenen Ganztag, der nachmittags auch Zeit für Projekte freihält, endet der rhythmisierte Schulalltag um 16 Uhr. Anschließend können die Schülerinnen und Schüler sogar noch durch das engagierte Team der Mitarbeitenden bis 18 Uhr betreut werden. Ebenfalls für alle gilt: Die Schultüren sind bereits um 7.45 Uhr geöffnet. Um 7.55 Uhr startet die tägliche Lesezeit.

„Die Planung ist ein Studium für sich“, schmunzelt der stellvertretende Schulleiter Ignazio Coniglio. Denn angesichts der beiden Ganztagsmodelle und des zahlreichen zu berücksichtigenden Personals aus unterschiedlichen Professionen gleiche die Gestaltung des Stundenplans und aller anderen Abläufe einem „Puzzle mit tausend Teilen“.

„Vogelsang aus Vogelsicht“

Pädagogische Konzept: „Jeder Vogel ist anders“
Pädagogische Konzept: „Jeder Vogel ist anders“ © Grund- Ganztagsgrundschule Saarlouis Vogelsang

Die Bereitschaft der Grundschule, sich für die Schülerinnen und Schüler zu engagieren, ist geradezu mit den Händen zu greifen. Wie sehr dabei das Kind im Mittelpunkt aller Gedanken steht, belegt das pädagogische Konzept, das eine Grafik auf der Homepage der Schule veranschaulicht: Sie ist überschrieben „Vogelsang aus Vogelsicht“ und offenbart, was der junge Vogel unter der Prämisse „Jeder Vogel ist anders“ benötigt:

Verantwortung für sich und andere, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Verantwortung für das Nest, Geduld beim Ausbrüten von Ideen, „mal mitfliegen und die Führung übernehmen“, aber auch „Solostimmen üben“, „Recht auf Fütterung“ und vor allem „Freiheit“. Für das Team der Grundschule „Im Vogelsang“ heißt das auch, einer Fülle von Kinderrechten gerecht zu werden. Am Ende steht die Überzeugung: „Unsere Schülerinnen und Schüler werden flügge werden.“

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