Golfen in der Ganztagsschule: „Mit Handicap zum Handicap“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Oberschule an der Ronzelenstraße in Bremen fördert ihre Schülerinnen und Schüler vielfältig durch Bewegung. Zum Angebot der teilgebundenen Ganztagsschule und einer Besonderheit gehört auch „Abschlag Schule“.

Golf-AG auf dem Golfplatz Lilienthal
Golfclub Lilienthal e.V.: erster integrativer Golfclub in Deutschland © Redaktion

Es ist ein herrlicher Sommermorgen am Golfclub Lilienthal östlich vor den Toren Bremens. Ein Kleinbus und ein Auto fahren um 8.30 Uhr auf den zu diesem Zeitpunkt noch leeren Parkplatz vor. Heraus steigen sechs Schülerinnen und Schüler der Oberschule Ronzelenstraße und sechs Erwachsene, die gleich etwas tun werden, was vor Jahren undenkbar war: Sie spielen Golf auf der Anlage, ohne die Platzreife zu besitzen. Diese ist nämlich nach der Ausbildung normalerweise die Voraussetzung, auf einem Platz des Deutschen Golf Verbandes (DGV) zu spielen.

Es tut sich was in der Golfszene. „Ich habe vor Jahren mal einen Golfer gefragt, in welchem Verein er spiele“, erinnert sich Sonderpädagogin Ulrike Schneller, die an diesem Tag zur Begleitung der Gruppe Jugendlicher dabei ist. „Da hat er mich kalt gemustert und gemeint: 'Ich spiele in keinem Verein. Ich spiele in einem Club.'“ Diese dem Golfsport mitunter nachgesagte Hochnäsigkeit ist mindestens hier Vergangenheit. Immer mehr Clubs lassen auch Golferinnen und Golfer ohne die formelle Spielzulassung auf die „Grüns“. Der Golfclub Lilienthal hat gar das Motto, das auch auf den Fahnen an der Auffahrt zum Clubhaus geflaggt wird: „Mit Handicap zum Handicap“.

Lilienthal ist ein Vorreiter in Sachen Inklusion. Mit Unterstützung des DGV bietet der Club mit dem Programm „Abschlag Schule“ Schülerinnen und Schülern mit Handicap an, hier zu trainieren und zu spielen. Ziel der Golf-AGs ist es, Kinder und Jugendliche an den Golfsport heranzuführen – und natürlich auch, Nachwuchs zu gewinnen. Dabei trainieren auch Schülerinnen und Schüler mit Golf-Handicap ihre Mitschülerinnen und -schüler.

Tipps vom Profi

Die Schülerinnen und Schüler üben und spielen freitags eigentlich auf ihrem nahegelegenen Stammgolfplatz des Clubs an der Vahr, der sich ebenso für die Inklusion geöffnet hat. Heute ist die Gruppe über die Stadtgrenze gefahren, weil sie den Platz kennenlernen will, auf dem sie übermorgen an einem integrativen Turnier mit insgesamt rund 100 Mitspielern teilnehmen wird. Während sich die Schülerinnen und Schüler erst einmal mit dem mitgebrachten Frühstück stärken, berichtet Harald Wolf, Koordinator Leistungssport an der Ganztagsschule, wie alles begann.

Alexander Groschopp und Harald Wolf
Alexander Groschopp (l.) und Harald Wolf mit dem SNAG-Golfschläger © Redaktion

„Das Golfprojekt ist 2012 durch zwei Oberstufenschülerinnen angestoßen worden, die in einer Projektwoche Golfen angeboten haben. Das kam so gut an, dass sie dann vier Wochen lang im Sportunterricht Golfen gelehrt haben.“ Der entscheidende Schritt, auch Schülerinnen und Schüler mit Handicap am Golfen teilhaben zu lassen, ergab sich durch eine entsprechende Ausstattung, die die Schülerinnen in den USA entdeckt hatten: SNAG – Starting New at Golf. Hier bestehen die Schläger aus Plastik, und die Bälle ähneln zunächst Tennisbällen, wobei ihre Größe mit fortschreitendem Training abnimmt. „Mit den Eisenschlägern können wir die Kinder nicht spielen lassen, das wäre viel zu gefährlich“, erklärt Harald Wolf.

Die SNAG-Ausrüstung ist auch heute mit dabei. Als erstes geht es auf die sogenannte Driving Range. Die Schülerinnen und Schüler stehen in einer Reihe und schlagen die Bälle ab – für diejenigen, die Probleme haben, das Gleichgewicht zu halten, schon eine Herausforderung. Hilfestellung und Tipps gibt es von Golflehrer Alexander Groschopp, der zeigt, wie man am besten steht oder wie man am besten Schwung holt. Die eigens bedruckten Golf-Jacken, die die Schülerinnen und Schüler als Gruppe ausweisen und die die Identität als „die Golfer“ auch daheim an der Schule stärken, sind bei der nun schon satt scheinenden Sonne schnell abgelegt.

Inklusion ist Thema

In jeder Schule gibt es Lehrerinnen und Lehrer oder pädagogische Fachkräfte, die sich kümmern, die immer irgendwo einen kennen, Kontakte herstellen, Projekte anschieben. Dass sich der Golfsport an der Oberschule Ronzelenstraße etabliert hat, ist insbesondere Sportlehrer Dirk Baumgartner – „ein Glücksgriff“, so Harald Wolf – und Physiotherapeutin Sabine Buntebart-Michalke zu verdanken, die vom ersten Tag an dabei sind.

„Mit dem Club an der Vahr ist es ganz schnell gegangen“, erinnert sie sich. „Die haben sofort gesagt, als wir gefragt haben, ob mal ein Golflehrer zu uns in die Sporthalle kommen kann: 'Quatsch, Sie kommen zu uns!'“ Der Zeitgeist habe sich geändert, Inklusion sei Thema in den Clubs geworden. „Zwar rümpften einige Mitglieder die Nase, wenn wir dort aufliefen, aber die im Club aktiven Eltern haben die Kooperation mit angeschoben. Und heute ist das kein Thema mehr. Wir Erwachsenen mussten die Platzreife machen, aber für die Kinder gibt es eine Ausnahmeregelung. Das ist Inklusion, wie ich sie mir vorstelle“, freut sich Sabine Buntebart-Michalke.

Schüler auf einem Rennrad
Auch Triathlon gehört zum Angebot der „sportbetonten Schule“ © Oberschule Ronzelenstraße

Während die Schülerinnen und Schüler an der Driving Range zusammen mit der Physiotherapeutin und den Lehrkräften üben, gehen Golftrainer Groschopp und Harald Wolf schon auf den Platz, um auf einem Grün eine Übung aufzubauen. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich aus verschiedenen Richtungen in einem Mannschaftsspiel einem Ziel annähern.

Harald Wolf sieht das so: „Es geht ums Bewegen, ums Spaß haben und um Anerkennung. Und darum, dass die Schülerinnen und Schüler sehen, was sie erreichen können.“ Schülerinnen und Schüler aus der 5. bis 10. Jahrgangsstufe nehmen am Inklusionsgolfen teil, und laut dem Leistungssportkoordinator sind „bis jetzt immer alle dabei geblieben“. Eine Schülerin habe es einmal auf den Punkt gebracht: 'Ich musste üben, dann klappte das.'“

„Faszinierend zu sehen, was möglich ist“

Sabine Buntebart-Michalke und Dirk Baumgartner haben schon früh die Teilnahme an Wettbewerben forciert: Bereits 2014 spielten die Schülerinnen und Schüler beim ersten integrativen Golfturnier in Bielefeld mit. „Da standen wir schon sehr im Blickfeld“, erzählt die Physiotherapeutin. „Es war faszinierend zu sehen, was möglich ist, und wie schnell sich etwas entwickelt. Und man erlebt die Kinder ganz anders.“ Seither hat die Oberschule an drei integrativen Turnieren in Lilienthal teilgenommen, und das vierte steht ja nun unmittelbar bevor.

Zum Abschluss des Tages geht die Golfgruppe der Oberschule noch „zwei Löcher über den Platz“. Die Schülerinnen und Schüler schlagen abwechselnd die Bälle so lange, bis sie treffen und Applaus gespendet wird. Harald Wolf meint: „Wir haben festgestellt, dass sich die Kinder in der Konzentrationsfähigkeit, in der Kondition und im Bereich der koordinativen Fähigkeiten, beispielsweise in der Auge-Hand-Koordination, deutlich verbessert haben. Der Sport entschleunigt sie sehr, und nach den zwei Stunden sind sie ganz anders fokussiert. So steigert sich ihr Selbstwertgefühl. Wenn sie an der Schule gefragt werden, wo sie gewesen sind, sagen sie ganz stolz: 'Auf dem Golfplatz.'“

Bewegung fördern

Lauftraining des Triathlon-Teams
© Oberschule Ronzelenstraße

Golfen ist nur eines von vielen Angeboten der sportbetonten Schule, die seit 2006 ein Ganztagsangebot organisiert, das vom Schulverein Ronzelenstraße in Zusammenarbeit mit der Schulleitung getragen wird. In den Sportklassen werden die Schülerinnen und Schüler in der Ganztagsschule ab Klasse 5 bis zur Gymnasialen Oberstufe auch in Sportarten wie der Rhythmischen Sportgymnastik, im Judo, in der Leichtathletik, im Schwimmen, im Volleyball, im Handball, im Mädchenfußball, im Tennis, im Badminton, in der Leichtathletik, im Radsport, im Hockey und sogar im Triathlon gefördert.

Zusätzlich können rund 15 Schülerinnen und Schüler der 5. bis 7. Klassen noch bei der AG „Therapeutisches Reiten“ in den Sattel steigen – wieder von Sabine Buntebart-Michalke und Dirk Baumgartner in Kooperation mit dem Reitclub St. Georg organisiert. „Das Reiten ist ein tolles Körpertraining“, berichtet die Physiotherapeutin.

Nach den Sommerferien wird die Oberschule Ronzelenstraße die Kooperation mit Werder Bremen weiter ausbauen, die laut Harald Wolf „supergute und interessante Projekte haben“. Dabei wolle man auch die Oberstufenschülerinnen und -schüler mehr „in die Pflicht nehmen“. Diese sollen selbst AGs anbieten können, was aus Wolfs Sicht bisher noch etwas zu kurz kommt. Auch die Werder-Ausbildung zum „Young Coach“ gehöre dazu. „Und ich würde gerne unsere Boule-Bahn an der Schule in den Stadtteil öffnen, indem wir zum Beispiel Senioren zum Boule-Spiel zu uns einladen“, verrät der Sportlehrer.

Beim Golfen ist der Sport zumindest schon in den Familien angekommen. „Über meinen Sohn bin ich jetzt auch zum Golfen gekommen, und wir spielen zusammen“, berichtet die Mutter eines Schülers.

 

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