„God Dag, Europa!“ in Rövershagen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Heute ist EU-Projekttag an deutschen Schulen: Die Europaschule Rövershagen ist eine gebundene Ganztagsschule, in der Europa auch im Unterricht vorkommt.

Europaschule Rövershagen
Besuch aus Stubbekøbing im April 2017 © Europaschule Rövershagen

„God Dag Danmark!“ hallte es vergangenen Monat über den Schulhof der Europaschule Rövershagen im Landkreis Rostock. Schülerinnen und Schüler aus der dänischen Partnerschule, der Stubbekøbing Skole, waren zu Gast. Vier Tage lang bildeten sie mit den Jugendlichen aus drei 8. Klassen der Rövershagener Schule eine neue Klasse von insgesamt 24 Schülerinnen und Schülern. Diese teilten sich in Gruppen mit je zwei dänischen und zwei deutschen Jugendlichen auf und arbeiteten im Projekt „Wir verändern bekannte Märchen und erschaffen ein eigenes Märchenbuch auf Englisch“ zusammen an „Hansel and Gretel“, „Sleeping Beauty“ und „The Unique Dwarf“.

Den Nachmittag verbrachten die Schülerinnen und Schüler unter anderem mit einem Besuch in Rostock samt Nachtwächterführung. Das war indes nur der erste Teil. Mitte Juni werden sich die Rövershagener auf den Weg nach Stubbekøbing machen, wo dann die Arbeit am gemeinsamen Märchenbuch weitergehen wird, mit Illustrationen und Body Painting. Auch ein Film ist geplant.

Wo Europa im Unterricht vorkommt

Seit 1999 trägt die Europaschule, an der 650 Schülerinnen und Schüler lernen, ihren Titel und hat seither die Bande in viele europäische Länder geknüpft: nach Frankreich, Österreich, Spanien und in die Türkei, vor allem aber in die Ostseeanrainer-Staaten – nach Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden. Die Schule hat über die Jahre zahlreiche Projekte durchgeführt, wie das Fremdsprachenprojekt „Sprich mich an – Hör mir zu“, bei dem ein Fremdsprachenbuch zum Erwerb der deutschen, lettischen und polnischen Sprache entstand.

Doch das Thema „Europa“ ist auch im Fachunterricht präsent. „Ich habe die Kolleginnen und Kollegen mal aufschreiben lassen, wo Europa bei ihnen im Unterricht vorkommt. Alle waren erstaunt, wie viel da zusammenkam“, erzählt Schulleiterin Dr. Christine Wolk. Neben den üblichen Fremdsprachen Englisch, Französisch und Spanisch können die Schülerinnen und Schüler in Rövershagen auch Schwedisch lernen, in einer AG im Ganztag.

Aktuell ist die Schule dabei, zwei neue Projekte über das Programm "Erasmus“ anzustoßen. „Eines der Projekte ist 'Inclusion Through a Healthy Mind and Body', das wir im Regionalschulbereich etablieren wollen. Da möchten wir auf jeden Fall dabei sein, und hoffen, dass der Antrag der spanischen Schule in Almeria angenommen wird“, berichtet Christine Wolk. „Dann ist da noch 'Youth for Understanding'', für das die Europaschule in Rövershagen den "Erasmus"-Antrag gestellt hat. Hierbei handelt es sich um ein internationales Filmprojekt. Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Ländern drehen einen gemeinsamen Film über ihre eigene Lebenswelt.“

Erlebte Geschichte

Ein Projekt, das inzwischen ebenfalls Grenzen überwunden hat, ist die AG „Kriegsgräber“. Die 2002 als Projektgruppe gegründete AG beschränkte sich ursprünglich auf das Thema der Kriegsgräber, die man in der Umgebung erkundete, pflegte und zu denen verschiedene Geschichtsprojekte stattfanden. Leiterin Petra Klawitter erhielt für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz von Bundespräsident Joachim Gauck. 2007 gestalteten Schülerinnen und Schüler sogar Teile der Gedenkfeier des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Bundestag.

Besuch der Kriegsgräber-AG von Stefanie Drese, Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung
Besuch der Kriegsgräber-AG von Stefanie Drese, Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung © Europaschule Rövershagen

Heute hält Christine Wolk den AG-Namen für irreführend. „Ein besserer Name wäre 'Erlebte Geschichte'“, findet sie. Aber von einem bewährten Namen trennt man sich nicht so einfach. „Durch die AG sind wir wirklich weit über den Landkreis hinaus bekannt geworden, und die Schülerinnen und Schüler erfahren viel Anerkennung von außen.“ Die Jugendlichen arbeiten in ihrer Arbeitsgemeinschaft deutsche Geschichte auf. Sie sind fast jedes Jahr nach Israel gereist, nehmen jeden Sommer an einem Workcamp in Rumänien teil und treffen Zeitzeugen zu Themen wie Flucht und Vertreibung.

Durch ihre unermüdlichen, zweijährigen Recherchen ermöglichten sie, dass Mathilde Böckelmann aus Pustow in Israel den Titel „Gerechte unter den Völkern“ erhalten hat. Mathilde Böckelmann hatte in den letzten Kriegsmonaten das jüdische Mädchen Mirjam auf ihrem Hof versteckt. Ihr Name ist jetzt im "Garten der Gerechten unter den Völkern" von Yad Vashem zu finden. Auf Initiative der AG wurde außerdem ein Baum im Stadtpark von Kfar Saba für sie gepflanzt.

Singklassen stärken das Gemeinschaftsgefühl

An der gebundenen Ganztagsschule gibt es noch weitere etablierte Arbeitsgemeinschaften, die von Lehrkräften aus dem Stundendeputat der Schule geleistet werden, das durch den Ganztagszuschlag erhöht ist: Keramik, Umwelt, Chor, Laufen und Drachenboot. Auch Hausaufgabenbetreuung und Förderstunden werden von Lehrerinnen und Lehrern geleistet.

„Das Geniale an der Ganztagsschule ist, dass hier alle Schülerinnen und Schüler aus der Regionalen Schule und aus dem Gymnasium zusammenkommen. Wir verstehen uns im Kollegium als Team und möchten auch, dass wir als Schulgemeinschaft die Grenzen der beiden Schulformen verwischen.“

Laut Christine Wolk, die seit dem Schuljahr 2015/2016 die Ganztagsschule leitet, bedingen Personen und Rahmenbedingungen einander. „Mein Vorgänger Jan Rädke war Musiklehrer und hat in diesem Bereich viel angestoßen. Ich bin Polytechnikerin und möchte in Zukunft noch mehr bei den mathematisch-naturwissenschaftlichen Projekten und AGs bewegen.“ Ein großes Anliegen von Jan Rädke waren der Instrumentalunterricht für möglichst jede Schülerin und jeden Schüler und die beiden „Singklassen“ in den 5. und 6. Jahrgangsstufen. In diese Klassen werden die Schülerinnen und Schüler nach Interesse und Fähigkeiten aufgenommen. Während einer dafür in den Unterrichtsalltag eingefügten Singstunde wird musikalisches Wissen in Verbindung mit dem Singen vermittelt.

Besuch in Kopenhagen 2015
Besuch in Kopenhagen 2015 © Europaschule Rövershagen

Dabei gilt das Prinzip "Machen vor Reden! Erst Praxis, dann Theorie!" Ab der ersten Stunde wird gesungen. „Wir haben hier tolle Musiklehrer“, freut sich die Schulleiterin. „Das ist bombastisch, was durch die Arbeit der drei Kolleginnen und Kollegen mit den Kindern erreicht wird. Die alljährlichen Weihnachtskonzerte in den umliegenden Gemeinden sind bereits Tradition. Die Schülerinnen und Schüler erhalten viel Anerkennung durch die Menschen in der Region und es stärkt das Gemeinschaftsgefühl.“

Berufsorientierung: Bildungszentrum, BuS und „Headhunter“

Die Schülerinnen und Schüler ab der 6. Klasse nehmen an Projekten der Berufsorientierung statt, sowohl in der Regionalen Schule, wie die weiterführende Schule der Sekundarstufe I in Mecklenburg-Vorpommern heißt, als auch im Gymnasium. In der Regionalen Schule lösen die Schülerinnen und Schüler der 7. Klassen an zwei Tagen Aufgaben in Kleinstgruppen. Die Auswertung und das Zertifikat erhalten sie später in der Schule.

Diese Potentialanalyse ermittelt Stärken und Fähigkeiten der Jugendlichen, um den Eintritt in die Berufswahlphase zu erleichtern. Die 8. Klassen lernen in den Lehrwerkstätten fünf verschiedene Berufsfelder kennen, von denen zwei vertieft werden. Auch hier erhalten sie ein Zertifikat. In der 9. Klasse findet der Praxis-Lern-Tag statt, ein wöchentlicher außerschulischer Unterrichtstag, an dem die Jugendlichen in den Betrieben in der Umgebung praktisch im jeweiligen Berufsfeld arbeiten.

Schüler der Europaschule Rövershagen im Bildungszentrum
Schüler der Europaschule Rövershagen im Bildungszentrum Ribnitz-Damgarten © Europaschule Rövershagen

Im Gymnasium findet jedes Jahr die BuS-Woche, die Woche der Berufs- und Studienorientierung statt Die 9., 10. und 11. Klassen hören Vorträge und können an Workshops teilnehmen. 20 Referentinnen und Referenten aus den Bereichen Studium, Duales Studium, Ausbildung, Berufliche Schulen und Ausland stehen dafür bereit. Diese Jahrgangsstufen absolvieren über die drei Jahre insgesamt 25 Praktikumstage. Die 10. Klassen haben in diesem Jahr die Schülerfirma „Headhunter“ gegründet: Die Jugendlichen helfen Mitschülerinnen und Mitschülern, Betriebe für Praktika und Lehrstellen zu finden, dafür erstellen sie mit ihnen Portfolios. „Das wird von den Firmen begeistert aufgenommen“, erzählt Christine Wolk. „Und die Schülerfirma nimmt ihre Aufgabe sehr ernst und sagt schon mal einem Mitschüler an, dass er einen Zahn zulegen muss, um seinen Ausbildungswunsch auch realisieren zu können.“

Ganztag braucht Zeit und Raum

Räumlich ist es in der Europaschule inzwischen sehr beengt. Die Schulsozialarbeit mit Jens Kalabuchow und Marion Vollmer ist in einem Container auf dem Schulgelände untergebracht. Die Schülerinnen und Schüler finden das gar nicht schlimm – im Gegenteil hat das Ganze die Anmutung einer schuleigenen Jugendfreizeitstätte und gilt als „cool“. Immerhin gibt es mehrere Räume zum Spielen und Ausruhen.

Der Essensraum ist klein, sodass die Schülerinnen und Schüler nur in Schichten essen können. „Wir müssen noch fünf Jahre durchhalten“, meint die Schulleiterin. Denn bis dahin wird neben dem alten Schulgebäude, das abgerissen werden wird, eine ganz neue Schule gebaut, die dann noch bessere Möglichkeiten in der Lehr- und Lernkultur bieten soll. „Der Ganztag braucht Zeit und Raum. Den Raum bekommen wir. Die Zeit ist leider begrenzt“, so Christine Wolk. Wegen der Busfahrpläne. Die Schülerinnen und Schüler sind, wie fast überall in Flächenländern, auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen.

Auf jeden Fall hat die Schulleiterin mit ihrem Kollegium noch viel vor: „Wir müssen so gut sein, dass unsere Schülerinnen und Schüler hierbleiben wollen. Wenn sie ein Angebot nicht annehmen, dann müssen wir es halt besser machen.“ Für viele sei die Schule bereits jetzt der „Höhepunkt des Tages“, denn „hier treffen sie ihre Kumpels und Freundinnen. Es ist ein sozialer Treff, und die Ganztagsschule fängt viel auf.“

Bei den Jugendlichen der Hit: Container mit der Schulsozialarbeit
Baumpflanzung in Kfar Saba für Mathilde Böckelmann © Europaschule Rövershagen

Im kommenden Schuljahr soll die 5. Klasse als „Pilotjahrgang“ starten, mit mehr Selbstverantwortlichem Lernen (SOL) und ohne Hausaufgaben. „Die Kinder sollen lernen lernen, aber auch sie selbst sein dürfen. Auf lange Sicht möchten wir die Ganztagsschule erweitern und noch viel mehr Vereine, Anbieter und Partner in die Schule holen. In der Ganztagsschule sehe ich alles, was mit Bildung zu tun hat. Die Schule soll ein echter Lebenscampus werden.“ Ihr Kollegium sieht Christine Wolk dabei an ihrer Seite: „Das ist ein tolles Kollegium, das die Schule mitgestalten und entwickeln möchte und sich einfach mehr Zeit für die individuellen Belange der Schülerinnen und Schüler wünscht."

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000