Gemeinschaftsschule mit Team Ganztag im Saalekreis : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Aus der Sekundarschule „Würdetal“ in Teutschenthal wurde eine Gemeinschaftsschule mit Ganztag und Förderteam. Sie verbindet längeres gemeinsames Lernen mit individueller Förderung und ruht sich nicht auf Lorbeeren aus.

Von der Sekundarschule zur Gemeinschaftsschule ...
Von der Sekundarschule zur Gemeinschaftsschule ... © Anette Adam

Die Veränderung hat noch nicht alle erreicht. Auf die Frage, wo ich denn die Gemeinschaftsschule „Würdetal“ finde, ernte ich zunächst einen erstaunten Blick: „Gemeinschaftsschule? Sie meinen sicher die Sekundarschule.“ Die kleine Verwirrung lässt sich schnell aufklären. Erst mit Beginn dieses Schuljahres wandelt sich die Schule. Die Klassen der „alten“ Sekundarschule laufen aus, die der Gemeinschaftsschule wachsen Jahr für Jahr.

Annette Adam leitet die neue Gemeinschaftsschule Würdetal in Teutschenthal, einer Gemeinde im Saalekreis. Wer der Schulleiterin gegenübersitzt, spürt die Energie mit der sie den Wandel vorantreibt. Sie wendet ein: „Nicht ich treibe etwas voran. Wir als Team sind das. Alleine könnte ich gar nichts bewirken.“ „Wir“ waren es auch, die sich selbst in der komplizierten Zeit der Pandemie „weiterentwickeln wollten“. Und zwar dem ausdrücklichen Wunsch der Eltern folgend.

Viele wünschten sich eine Schule am Ort, die die Schulformen der weiterführenden Schule vereint. Sie plädierten für eine Schule, die Kinder und Jugendliche möglichst lange je nach eigenen Fähigkeiten fördert und fordert. Und sie wünschten sich eine Schule, die es ermöglicht, die Kinder und Jugendlichen im Ort zu halten. Das fördert den Erhalt von Freundschaften und das Zusammensein außerhalb der Schule. Allen, die das Abitur erwerben möchten, steht der Weg zum Gymnasium offen.

Erfolgreicher Start in den Ganztag

Beispielsweise dem Burgstadtgymnasium in Querfurt. Mit ihm kooperiert die Gemeinschaftsschule, die seit einem Jahr auch den Ganztag eingeführt hat. 100 von insgesamt 256 Schülerinnen und Schüler sind hier angemeldet, nutzen die mehr als zehn Module, die außerhalb des Unterrichts von externen Partnerinnen und Partnern sowie einigen Lehrkräften angeboten werden. „Für die Startphase ist die Zahl der Module eine ordentliche Leistung“, ist Ganztagskoordinatorin Saskia John überzeugt.

Mit Blick in die Zukunft gibt sie sich jedoch mit dem Ist-Zustand durchaus noch nicht zufrieden: „Wir würden gerne noch mehr möglich machen, müssen uns aber an den Fahrzeiten der Schulbusse orientieren. Sie ermöglichen uns im Grunde nur ein Angebot bis inklusive der siebten Unterrichtsstunde.“ Schulleiterin Annette Adam ergänzt: „Wenn das zu ändern wäre, würden wir in der Gestaltung des gesamten Tages flexibler.“

Saskia John gehört zum Team Ganztag. Es wurde etabliert, um die Entscheidungen über alles, was den Ganztag betrifft, auf möglichst breite „Meinungs- und Erfahrungsbeine“ zu stellen. Via Klassenrat fragt das Team nach den Wünschen der Schülerinnen und Schüler. Das ist zugleich ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung eines Demokratieverständnisses und stärkt die Fähigkeit, aber auch Bereitschaft, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Das tun auch jene aus der Schülerschaft, die sich bereit erklären, die Pausenaufsicht der Lehrkräfte zu unterstützen.

Von Geocoaching bis zu Theater und Sport

Drohnen steuern im Modul „Geocoaching“
Drohnen steuern im Modul „Geocoaching“ © Anette Adam

Eine Erkenntnis aus der Einbindung der Schülerinnen und Schüler in die Modulauswahl fasst Annette Adam zusammen: „Sie wollen raus in die Natur.“ Mal möchten sie einfach nur spielen und sich draußen bewegen. Doch wenn dann in einem Modul Geocaching unter Einbezug einer Drohne angeboten wird, recken besonders viele ihren Finger zum Zeichen ihres Teilnahmewunsches in die Höhe. Sport landet auf der Beliebtheitsskale ebenfalls weit vorne – die SG Eisdorf 1918 e.V. macht es beispielsweise möglich.

Großen Zulauf finden das von FSJlerin Annalena Becker organisierte Modul „Spiele“, aber auch die Module „Theater“, das Detektivangebot „Pen and paper“, Tanzen, Musik oder die Ausbildung zum Streitschlichter. Möglich ist die Belegung mehrerer Module. Sie wird sogar gewünscht und „honoriert“. Jährlich winkt eine Auszeichnung für die- oder denjenigen, der die meisten Module nutzt. Zur „Ganztagskönigin“ wurde 2022 Alicia gewählt. Sie besucht die 7. Klasse.

Bei aller Freude über die gelungene Startphase in den Ganztag hegt das Kollegium, das von der Schulsozialarbeiterin Susanne Feige vom Internationalen Bund tatkräftig unterstützt wird, noch einen Wunsch: „Für uns wäre ein Traum, dass sich Eltern und Großeltern noch stärker als bisher einbringen. Dann könnte die Vielfalt unserer Module noch größer werden.“

Förderteam und Schulsozialarbeit

Susanne Feige ist als Vertrauens- und Bezugsperson im Team unverzichtbar. Schülerinnen und Schüler suchen bei ihr das Gespräch, schütten ihr Herz aus, erhalten Rat in Schul- und Lebensfragen. Ihre Rolle gewinnt angesichts der Tatsache, dass die Schule auf Förderlehrkräfte verzichten muss, zusätzlich an Bedeutung. Darüber ließe sich vortrefflich klagen, doch die Schule ergreift stattdessen lieber die Eigeninitiative. Zwei Kolleginnen ließen sich ein Jahr lang zusätzlich zu ihrer normalen Arbeitszeit fortbilden und erwarben den Abschluss für den „Gemeinsamen Unterricht“, also eine Qualifikation für inklusives Arbeiten.

Franziska Kuban, Anja Apel und Martin Franzke gehören wie Susanne Feige dem eigens eingerichteten Förderteam an. Das trifft sich regelmäßig, um gemeinsam Strategien der Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler zu entwickeln. Besonders intensiv geschieht dies in der letzten Woche der Sommerferien. Dann werden Erkenntnisse zusammengetragen, die bis zu konkreten Empfehlungen im Umgang mit einem Kind oder Jugendlichen reichen: „Was tun wir, damit X in der Klasse bestmöglich gefördert wird?“  oder „Welche ist die beste Ansprache an X?“ Während des Schuljahres trifft sich das Förderteam seit nunmehr drei Jahren alle zwei Wochen, erörtert Entwicklungen in den einzelnen Klassen und auch Schwierigkeiten einzelner Schülerinnen und Schüler.

Auf der Beliebtheitsskala ganz oben: Sport...
Auf der Beliebtheitsskala ganz oben: Sport... © Anette Adam

„Wir hoffen, so den Bedürfnissen aller unserer Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, versuchen, Unterrichtskonzepte zu konzipieren und gegebenenfalls anzupassen, um alle entsprechend ihren Möglichkeiten zu fördern“, erläutert Schulleiterin Adam. Sie fügt noch bescheiden hinzu: „Wohlgemerkt, wir versuchen…“ Vielleicht ist es diese Nachdenklichkeit und Fähigkeit, das eigene Handeln ständig unter die Lupe zu nehmen, was diese Schule ausmacht. Ein Zurücklehnen und Selbstzufriedenheit ist dem Kollegium fremd.

Eigenständiges Lernen

Jenseits der Module, die andernorts Arbeitsgemeinschaften genannt werden, liegen die Vorzüge der Gemeinschaftsschule auf der Hand. „Das längere gemeinsame Lernen ist das eine. Das andere ist die Möglichkeit, wöchentlich vier Stunden das Freie Lernen im Stundenplan zu verankern“, berichtet Annette Adam. In enger Abstimmung mit den Fachlehrerinnen und Fachlehrern können die Schülerinnen und Schüler in dieser Zeit noch stärker das eigenständige Arbeiten erproben.

In den Jahrgangsteams wird verabredet, welche Inhalte im Freie Lernen aufgegriffen werden sollen. Wie das funktionieren kann, hat sich das Kollegium in der Freien Schule Kassel „abgeschaut“. Ziel der vier Stunden ist es, die Kinder und Jugendlichen durch entsprechende Lernmethoden zu befähigen, sich selbst einschätzen, ihre Zeit richtig einzuteilen und ihre Ergebnisse ihre Arbeit der Klasse zu präsentieren. Dies geschieht übrigens in 90-minütigen Einheiten. Auf einen Gong oder ein Klingeln verzichtet die Schule. „Es ist erstaunlich, welchen Effekt das hatte. Erst als es nicht mehr existierte, haben wir richtig gespürt, wie sehr bisher alle schon kurz vorm Klingeln auf dem Sprung waren“, berichtet Annette Adam.

Annette Adam mit Bürgermeister Tilo Eigendorf (1. Reihe v.r.)
Annette Adam mit Bürgermeister Tilo Eigendorf (1. Reihe v.r.) © Serviceagentur Ganztag Sachsen-Anhalt, Michael Stage

Vom 45-Minuten-Unterricht hat man sich verabschiedet. Die Doppelstunden ermöglichen ruhigeres Arbeiten und flexibleres Reagieren. Die traditionelle fünfminütige Pause wird eingelegt, wenn es sinnvoll erscheint, wenn beispielsweise die Konzentration signifikant sinkt. Die Abkehr von der Einzelstunde war im Kollegium durchaus umstritten. Manche fürchteten, die lange Zeit können Schülerinnen und Schüler überfordern. Aber auch hier gilt: Nichts ist in Stein gemeißelt. Alles kommt regelmäßig auf den Prüfstand.

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