In der Gemeinschaftsschule im Ganztag wachsen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Mit Freude lernen – Erfolge erleben“ ist Leitbild der Gemeinschaftsschule Quierschied, einer gebundenen Ganztagsschule im Regionalverband Saarbrücken. Gute Teamstrukturen, die alle mitnehmen, sind dabei das A und O.

Gemeinschaftsschule Quierschied-Friedrichsthal
Gemeinschaftsschule Quierschied-Friedrichsthal © Andreas Hartmann

Man darf durchaus von einem Kraftakt sprechen, den die Gemeinschaftsschule Quierschied mit ihren rund 450 Schülerinnen und Schülern erfolgreich gemeistert hat. Aus der Gemeinschaftsschule Quierschied mit Freiwilligem Ganztag (FGTS) und der Gemeinschaftsschule in Friedrichsthal, der Edith-Stein-Schule mit einzelnen Ganztagsklassen, wurde durch Zusammenlegung im Jahr 2016 die Gemeinschaftsschule Quierschied-Friedrichsthal am Standort in Quierschied. Zwei Jahre später startete die neue Gemeinschaftsschule als gebundene Ganztagsschule. Es galt zwei Systeme und zwei Kollegien zusammenzuführen.

Den Auftrag dazu erhielt Schulleiterin Martina Thielmann, die zuvor bereits als Konrektorin erfolgreich den Ganztag an der Gemeinschaftsschule Ludwigspark in Saarbrücken mit aufgebaut hatte. Schnell war der Schulleiterin klar: „Um diese Aufgabe zu meistern, benötige ich Unterstützung.“ Die fand sie in Petra Diehl, ihrer Stellvertreterin und Ganztagskoordinatorin, die zuvor die Grundschule Quierschied kommissarisch geleitet hatte und diese Aufgabe gern übernahm – wissend, dass Martina Thielmann viele Erfahrungen im gebundenen Ganztag gesammelt hatte.

Argumente der Skeptiker ernst nehmen

Im Kollegium gab es naturgemäß auch Vorbehalte gegenüber der Zusammenlegung. Nur eine knappe Mehrheit konnte sich für den gebundenen Ganztag erwärmen. Es waren wohl mehrere Gründe, die die Lehrkräfte dann Schritt für Schritt überzeugten. „Wir wissen, dass Veränderungen nur gelingen, wenn wir alle mitnehmen“, nennt Thielmann einen wesentlichen Erfolgsgaranten. Das heißt für sie auch, Skeptiker nicht zu „verteufeln“, sondern deren Argumente ernst zu nehmen und aufzugreifen.

Petra Diehl fügt hinzu: „Wir stülpen niemandem etwas über und gehen schrittweise vor.“ Sie erinnert sich gut an die Antrittsrede der Schulleiterin, in der sie das behutsame Vorgehen ankündigte und drei Dinge benannte, an denen zuerst gearbeitet werden sollte: die Rhythmisierung des Schultags, die Gestaltung der Mittagsfreizeit und die Teamstruktur. Sie versprach: „Mit diesen Schritten können wir die kommenden fünf Jahre arbeiten und den Weg zu einem guten gebundenen Ganztag beschreiten.“

Nach Ablauf der von ihr genannten Frist, so Petra Diehl, hätten bereits alle Kolleginnen und Kollegen selbst festgestellt: „Wir denken nicht mehr in den Kategorien Quierschied und Friedrichsthal. Die Zusammenarbeit funktioniert ebenso wie der Ganztag – auch wenn bei allem, was wir tun, immer noch Luft nach oben ist.“

Seit Herbst 2022 steht fest, dass die Gemeinschaftsschule als „Großprojekt“, in das auch die Klimaschutzziele des Regionalverbandes einbezogen wurden, für 26 Millionen Euro umgebaut werden wird. Mit dem Ausbau zur gebundenen Ganztagsschule, der immer noch im Gang ist, entsteht in Quierschied ein modernes Schulzentrum, wie Regionalverbandsdirektor Peter Gillo 2021 ankündigte – mit Sport-, Verpflegungs- und Freizeitmöglichkeiten. Und Bürgermeister Lutz Maurer hatte betont: „Die Zukunftsfähigkeit der Schule ist der Gemeinde ein großes Anliegen.

Demokratische Strukturen

Teamstrukturen kennzeichnen die Jahrgangsteams
Teamstrukturen kennzeichnen die Jahrgangsteams © Andreas Hartmann

Die Teamstrukturen der Gemeinschaftsschule kennzeichnen jetzt Jahrgangsteams mit Doppeltutorenschaften für jede Klasse. Sie tagen freitags. Jeweils eine gewählte Lehrkraft fungiert als Sprachrohr des Jahrgangsteams. Sie nimmt an der montäglichen einstündigen Koordinierungskonferenz mit Schulleitung, Schulsozialarbeit und Förderschulkräften teil. Zur guten Tradition zählt inzwischen die „Ist-was?“-Runde, in der alle die für sie wichtigen Anliegen, Erkenntnisse und Erfahrungen kundtun – ehe die Schulleitung alle auf den Stand des Wissenswerten bringt.

„Die „Ist-was?“-Runde dient auch dazu, dass jeder weiß, was in anderen Jahrgangsstufen läuft – beispielsweise die besonderen Förderpläne für einzelne Schülerinnen und Schüler. Manchmal sind es auch nur Banalitäten, die den Alltag stören, über die wir uns verständigen müssen“, berichtet die Schulleiterin. Dankbar ist sie, dass im Team Absprachen demokratisch getroffen werden und dann „unantastbar“ sind. Als Beispiel nennt sie den Umgang mit Ergebnissen der Steuergruppen, die häufig bei unterschiedlichen Themen eingesetzt werden: „Meistens entwickeln sie zwei Modelle – wie etwa zur Rhythmisierung. Die werden vorgestellt, es wird darüber gesprochen und abgestimmt. Fertig. Danach gibt es in der Regel keine Diskussionen mehr.“

Es zeichnet die Schule aus, dass sie davon auch eine Ausnahme macht, wenn sich ein Weg als untauglich erweist. „Dann überdenken wir unsere Entscheidung und ändern sie gegebenenfalls. Denn wir empfinden uns als lernende Institution“, ergänzt Petra Diehl. Regelmäßige externe Fortbildungen gelten in der Gemeinschaftsschule Quierschied folgerichtig als „normal“. Das dort gewonnene Wissen tragen die Teilnehmenden in die internen Schulungen mit dem Kollegium.

Multiprofessionell und unterschiedliche Sozialformen

Am gemeinsam erarbeiteten Konzept der Rhythmisierung gibt es aktuell nichts zu verändern. Phasen von An- und Entspannung wechseln. Um 7.45 Uhr starten die Tage mit einer Vorbereitungszeit, in der die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit haben, ihre „Sachen für den Tag zu richten“. Nach dieser Phase der Ruhe beginnt die erste Lernzeit. In ihr widmen sich die Lernenden jeweils individuell zusammengestellten Aufgaben aus Mathematik, Deutsch und Französisch.

Unterstützt werden sie dabei von einer Lehrerin oder einem Lehrer, aber auch von den Förderschullehrerinnen Nina Meng und Ann-Catherine Bergner und, wenn möglich, einer Studentischen Hilfskraft. „Dass wir so multiprofessionell aufgestellt sind, alle Gehör finden, sich austauschen und gemeinsam auf die Kinder und Jugendlichen blicken, erweist sich bei diesem Konzept als sehr hilfreich“, berichtet Petra Diehl. In den Tagesablauf sind noch zwei weitere Lernzeiten integriert. Und auch der Regelunterricht ist von unterschiedlichen Sozialformen geprägt – etwa als Projektunterricht oder Freiarbeit.

Zur Multiprofessionalität des Kollegiums tragen insbesondere auch Schulsozialarbeiterinnen Claudia Kruse und Halima Aoun-Heck, aber auch beispielsweise DaZ- (Deutsch als Zweitsprache) Lehrerin Christine Wanjura oder die regelmäßig anwesende Schulpsychologin bei. Die kontinuierlich ansprechbare Berufsberaterin und Fachkräfte aus dem Team „2. Chance Saarland“, einem Träger der freien Jugend-/Familienhilfe, runden die Berufsorientierungsangebote, die von unterschiedlichen Praktika bis hin zu einer zweitägigen Berufsmesse reichen, ab. Schließlich hat die Schule einen engen Draht zum Jugendamt und zur Integrationsbeauftragten der Gemeinde.

Geben und nehmen im Ganztag

Lehramtsstudierende leiten AGs
Lehramtsstudierende leiten AGs © Andreas Hartmann

Die umfangreichen Ganztagsangebote, die Petra Diehl koordiniert, werden ebenfalls von vielen Schultern gestemmt. Schulleiterin Martina Thielmann: „Sie macht aus Geld Gold.“ Das „Gold“ sind unter anderem Lehramtsstudierende unterschiedlichster Fachrichtungen, die auf Honorarbasis Arbeitsgemeinschaften durchführen, aber auch im Unterricht bei der Pausenaufsicht und der Gestaltung der Mittagsfreizeit aktiv sind. Sie sind wertvolle Ansprechpartnerinnen und -partner für die Kinder und Jugendlichen.

In den Ganztagsklassen haben die Schülerinnen und Schüler an vier Tagen der Woche bis 15.45 Uhr und am Freitag bis 12 Uhr Unterricht. Zwei Stunden sind für die Arbeitsgemeinschaften pro Jahrgang wöchentlich am Nachmittag reserviert. Dabei sind die Schülerinnen und Schüler nicht nur die Empfangenden. Sie bereichern beispielsweise auch den Alltag von älteren Menschen in einer nahegelegenen Seniorenresidenz. Wenn sie dorthin kommen, um mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu lesen, zu spielen oder einfach einmal ein Eis zu essen, unterstützen sie die Initiative des von der Niederländerin Astrid te Koppele geleiteten Seniorenbeirates „Gegen Einsamkeit im Alter“.

Interessegesteuerte Arbeitsgemeinschaften

Gutes für die eigene Lesefertigkeit, aber auch für das Interesse am Lesen bei Jüngeren tun Achtklässlerinnen und -klässler, wenn sie als Lesebuddys in die Kitas des Ortes kommen, um dort vorzulesen. Zu den Highlights der Arbeitsgemeinschaften zählt derzeit die Ausstellung „Tagebuch der Anne Frank – Fenster zur Vergangenheit“. Sie wurde von der Projektgruppe Q-istorie seit Januar 2024 im Rahmen ihrer Erforschung des jüdischen Lebens in Quierschied erarbeitet. Ihre Pforten öffnet die Ausstellung am 12. Juni anlässlich des bundesweiten Anne-Frank-Gedenktages.

An drei Nachmittagen wöchentlich ist verpflichtend ab 14:15 Uhr der AG-Nachmittag. Dienstags für die Jahrgänge 5/6, mittwochs für die Jahrgänge 7/8, am Donnerstag für Jahrgänge 9/10 finden AGs mit alters- und interessengesteuerten Angeboten statt.

Dann kommen Vereine und Honorarkräfte ins Haus. Doch auch Lehrerinnen, Lehrer und Schulsozialarbeiter bieten AGs an, wie Jerome Beck die „Coolness-AG“ oder „Move it“. Die Palette der Angebote reicht von Artistik und Tanz über die Zauber-AG von Magic Pete bis zur Fußball-AG der Sportvereinigung (SpVgg) Quierschied. Die „Fairtrade“-AG unter Leitung von Lehrerin Annabelle Fuchs-Christian hat dazu beigetragen, dass die Gemeinschaftsschule im vorigen Jahr mit dem Fair-Trade-Siegel zertifiziert wurde. Die AG Schülerzeitung gibt den „Griwwelbisser“ heraus und hat (fast) alle AG-Leiterinnen und -leiter schon interviewt.

Individualisierung – mehr als ein Schlagwort

Individualisierung steht bei der Gemeinschaftsschule Quierschied nicht nur auf der Verpackung. In enger Abstimmung entwickeln die Lehrkräfte mit den ihnen zugeordneten Förderschullehrkräften individuelle Unterrichtspläne – Förderpläne für alle und auf dem jeweils passenden Niveau. Ziele werden definiert und deren Erreichen überprüft. Die Bedeutung der Sonderpädagoginnen sieht Martina Thielmann in ihrer spezialisierten Expertise. Sie wüssten beispielsweise viel besser, wie man am besten reagiert, wenn sich Lernende nicht konzentrieren könnten.

Förderung nicht nur für Leistungsschwächere
Förderung nicht nur für Leistungsschwächere © Andreas Hartmann

„Dabei verstehen wir Förderung nicht nur als eine auf Leistungsschwächere Bezogene“, bekräftigt Petra Diehl. Das Führungsduo weiß um die Feinheiten zielgleichen und zieldifferenten Unterrichts: „Wir möchten den Einzelnen im Blick haben.“ Auch wenn es um Leistungsnachweise geht. Dass eine der vorgesehenen Leistungsüberprüfungen im alternativen Prüfungsformat, etwa als Facharbeit, Power-Point- oder Video-Präsentation, erfolgen muss, verlangt der saarländische Leistungsbewertungserlass. das saarländische Schulgesetz. Den Freiraum, individuelle Unterstützungsangebote zu machen, schaffen u.a. Nachteilsausgleiche und Absprachen in der Fachschaft. So kann es vorkommen, dass ein Leistungsnachweis nicht von allen am selben Tag geschrieben werden muss. Dann wird ein Zeitraum vorgegeben, innerhalb dessen dieser erbracht werden sein muss.

Die Freiheit wird genutzt. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler beispielsweise aufgrund einer längerfristigen Erkrankung nicht am Unterricht teilnehmen kann, wird eine Vereinbarung zwischen Schule, Eltern und der Betroffenen darüber geschlossen, wie und was zu Hause gelernt und wie es später überprüft werden kann.

Regeln gelten für alle

Was für die Lernenden gilt, soll auch den Lehrkräften zugutekommen: Wie jemand seinen Unterricht gestaltet, wie stark und in welchen Anteilen er oder sie auf lehrerzentrierten Unterricht, Gruppen-, Einzel- oder Freiarbeit setzt, bleibt ihm und ihr überlassen. „Wir akzeptieren, was uns überzeugt“, betont die Schulleiterin und begründet das: „Denn Lehrkräfte müssen sich in ihrem Handeln sicher fühlen, sonst gelingt Unterricht nicht.“

Darüber hinaus betrachtet sich die Gemeinschaftsschule als eine Schule mit Wertekanon. Regeln gelten für alle – selbstverständlich auch für die Lehrkräfte. „Wir erwarten von den Schülerinnen und Schülern beispielsweise Pünktlichkeit. Das bedeutet, dass unser Unterricht wie vorgesehen und nicht fünf Minuten später beginnt“, so Thielmann. Disziplin ist auch gefordert, wenn es um Lesen und Sprachverständnis geht. Im Rahmen ihrer Schulentwicklung einigte sich das Kollegium auf unterschiedliche Basisbausteine für die Entwicklung dieser Kompetenzen.

Zur Förderung der Leseflüssigkeit werden in den Klassenstufen 5 bis 8 beispielsweise sogenannte Lautlesetandems mit „Trainern“ und „Sportlern“gebildet. In der Sprachförderung wird mit sogenannten Operatoren gearbeitet. „Stelle dar – erläutere – beschreibe“ lautet beispielsweise ein solches Trio von Operatoren für den Deutschunterricht. Petra Diehl: „Die Schülerinnen und Schüler lernen diese Operatoren schrittweise kennen, wissen dann, was sie zu tun haben. Aber ich muss zugeben, uns Lehrkräften fällt es mitunter schwer, uns zu begrenzen und auch im Mündlichen jeweils die bekannten Begriffe zu nutzen.“ Aber dafür handelt es sich ja um eine lernende Institution.

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