Gemeinschaftsschule im Ganztag: "Profis sind wichtig!" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die kleine Gemeinschaftsschule Grabfeld in Bibra setzt im südlichen Thüringen als teilgebundene Ganztagsschule mit den Klassen 1 bis 10 große Akzente.

Klein und fein. Wer die Gemeinschaftsschule Grabfeld im Landkreis Schmalkalden-Meiningen (Thüringen) besucht, findet ein rotweißes Fachwerkhaus in malerischer Umgebung direkt neben der denkmalgeschützten Burg Bibra und der St.-Leo-Kirche mit Altären von Tilman Riemenschneider vor. Über die Zahl von 177 Schülerinnen und Schülern der zweizügigen Schule mag mancher Schulleiter aus der Großstadt staunen. Wer durch das dünn besiedelte ehemalige Grenzgebiet zu Bayern fährt und in Bibra ankommt, wird sich nicht mehr wundern.

Schule
© Gemeinschaftsschule Grabfeld

Schulleiterin Kerstin Habel weist gleich auf einen „Eckpfeiler“ ihrer Schule hin: „Wir sind extrem von den Bussen abhängig.“ Es sind Schulbusse, aber teilweise auch der öffentliche Nahverkehr, die einen großen Teil der Schülerinnen und Schüler aus 13 Ortschaften „einsammeln“ und zu dem frisch sanierten Schulgebäude bringen. 3,9 Millionen Euro hatte der Landkreis investiert, als es Anfang 2016 feierlich wiedereröffnet wurde.

Jetzt macht das Gebäude mit seiner Mischung aus Tradition und Moderne, liebevoll ins Dachgebälk integrierten Klassenzimmern und viel verbautem Glas auf sich aufmerksam. „Mit dieser Transparenz der Räume war nicht allen Kolleginnen und Kollegen wohl, aber die Gewöhnungsphase war nur kurz“, erinnert sich die Schulleiterin.

Auch der 2012/13 eingeführte teilgebundene Ganztag war laut Kerstin Habel seinerzeit zunächst auf Skepsis im Kollegium gestoßen. Jetzt „ist er etabliert und alle Kolleginnen und Kollegen machen mit“. Zusammen mit den vernetzten Bildungs- und Freizeitangeboten, dem Projektunterricht und der Binnendifferenzierung gehört der Ganztag zu den Säulen des pädagogischen Konzepts. Seit dem Schuljahr 2014/15 ist die Gemeinschaftsschule auch Kooperationsschule der Universität Erfurt im Bereich Lehrerbildung.

Teilgebundener Ganztag passt am besten

Einen offenen Ganztag gab es an der Schule eigentlich schon immer, „über Jahrzehnte gewachsen“, sagt die Schulleiterin. Nun aber kam verstärkt der Elternwunsch nach einem verbindlichen Ganztag auf. Das Problem für Kerstin Habel und ihr Team: zu verbindlich sollte es auch nicht sein. „Bei uns stimmt das noch mit den weitgehend intakten großfamiliären Bedingungen auf dem Land. Und wir wollen die sozialen Strukturen mit dem Vereinsleben nicht zerstören. Dazu kommt: Je mehr wir reglementieren würden, desto stärker könnte eine Abwehrhaltung bei den Eltern und den Schülern entstehen“, erläutert die Schulleiterin. Und dann sind da ja noch die Busfahrzeiten, auf die sich die Schule einstellen muss.

Gemeinschaftsschule Grabfeld
© Gemeinschaftsschule Grabfeld

Die Lösung ist die teilgebundene Struktur, bei der für den Ganztag angemeldeten Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 und 6 an drei Tagen in der Woche bis 15.20 Uhr verbindlich an den Angeboten teilnehmen. Die Ganztagsangebote fügen sich vorrangig in den dritten Unterrichtsblock ab 12.50 Uhr ein und umfassen auch die Erledigung der schriftlichen Hausaufgaben, die Teilnahme an einer individuellen Lernzeit und an Förderangeboten sowie an Arbeitsgemeinschaften.

Während der Pausenzeiten gibt es Angebote im Rahmen des Konzeptes der „Bewegten Schule“ und im Lernbüro. Nach der 5. Stunde kann – und soll nach Wunsch der Schule – in der Aula zu Mittag gegessen werden. Etwa 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen nehmen daran teil. Lehrerinnen und Lehrer betreuen alle Angebote während des Mittagsbandes und der individuellen Lernzeit. Im Mittagsband können die Schülerinnen und Schüler sich auch einfach nur ausruhen, in die Bibliothek gehen oder den Malraum für sich alleine nutzen.

„Profis sind wichtig!“

Die AGs sind auch für Nicht-Ganztagsschüler aller Jahrgänge geöffnet. Die Schule ermöglicht diese Flexibilität bewusst. Angebote wie Tischtennis, Klettern an der Kletterwand, Malen, Töpfern oder auch Kochen & Backen sollen möglichst vielen zugutekommen, auch wenn die Teilnehmerzahlen so von Tag zu Tag variieren. Sie sind schließlich auch eine Möglichkeit, handfeste Werbung für den Ganztag zu machen. „Ein Schüler hat zum Beispiel seine Eltern überzeugt, ihn für den Ganztag anzumelden“, erinnert sich Kerstin Habel.

Für das Ganztagsmanagement sorgt Lehrerin Heike Brosch. Zu ihren Aufgaben zählen die inhaltliche Schwerpunktsetzung in Absprache mit allen Beteiligten, die Koordination der beteiligten Lehrkräfte, die Abrechnung von Geldern und der Kontakt zu außerschulischen Partnern. Sie ist in diesem Schuljahr auch in der Individuellen Lernzeit im Einsatz. Für diese Aufgaben erhält sie eine Abminderungsstunde.

Bei den AGs setzt die Schulleiterin auf externe Fachkräfte: „Profis sind wichtig! Nur Betreuung durch Nicht-Professionelle macht keinen Sinn. Wir haben das Glück, dass der Landkreis uns jährlich mit 1.500 Euro fördert, sodass wir externe Fachkräfte beschäftigen können. Die Professionellen vermittelt uns unser Partner 'Kulturagenten für kreative Schulen', beispielsweise eine Töpferin, die erstmal mit uns allen getöpfert hat. Ein Maler aus Meiningen leitet die Mal-AG. Und auch unser Musiktheater ist durch Profis entstanden.“ Das bekannte Meininger Staatstheater ist ein Kooperationspartner der Schule.

Identifikation mit der Gemeinschaftsschule

Was der Schule noch fehlt, sei ein Schulsozialarbeiter, meint die Schulleiterin: „Es ist unser dringliches Bedürfnis, für alle Schülerinnen und Schüler da zu sein.“ Alle zwei Wochen trifft sich die Schulleiterin mit der Schülervertretung zum Austausch. Aktuell plant diese die Einführung eines Schul-Oscars, der an Mitschülerinnen und Mitschüler verliehen werden soll, wie sie ihrer Schulleiterin verraten haben. Die genauen Kategorien, der Nominierungsvorgang und die Auszeichnungsfeier müssen nun noch konzipiert werden.

Gemeinschaftsschule Grabfeld
Theaterworkshop: Innerhalb einer Woche enstand ein gelungener Wechsel von Dialogen und Musikstücken © Gemeinschaftsschule Grabfeld

Seit 2013/14 ist die Schule eine Gemeinschaftsschule mit den Klassen 1 bis 10. Der Landkreis hätte damals den „ungeheuren Stress“ registriert, der in den 4. Klassen bei Eltern und Kindern durch den Wunsch entsteht, die Kinder ans Gymnasium zu bringen. „Die Gemeinschaftsschule ermöglicht nun den Übergang nach der 8. Klasse. Die Entscheidung wird also um vier Jahre verzögert. Um das zu ermöglichen, haben wir damals die Lehrpläne des Gymnasiums und unserer Schule übereinandergelegt“, erzählt Kerstin Habel.

Die Gemeinschaftsschule ist also bewusst als „Absprungbrett“ zum Gymnasium konzipiert worden. Doch die Ironie: Nun wollen immer mehr Schülerinnen und Schüler nach der 8. Klasse bleiben, „sie identifizieren sich mit ihrer Schule“, meint die Schulleiterin. „Die Schüler sind hier viel zusammen, das wird positiv wahrgenommen.“

Zu einem guten Teil tragen der Projektunterricht und das „Lernen durch Engagement“ zu diesem Gemeinschaftsgefühl bei. Der Projektunterricht in den Klassen 5 bis 7 umfasst vier Wochenstunden, in Klasse 8 zwei Stunden. Im Juni wird vom Kollegium jeweils der Projektplan für das gesamte nächste Schuljahr aufgestellt. In – auch altersgemischten – Gruppen arbeiten die Schülerinnen und Schüler dann rotierend über das ganze Jahr an fachübergreifenden Themen.

Aktuell stehen zum Beispiel „Knigge“, „Mittelalterliche Stadt“ und „Forschen und experimentieren“ auf dem Programm. Auch ein Projekt „Jüdische Feste“ ist dabei. In Bibra gab es bis 1938 ein Lager der Hachschara, der jüdischen Jugendbewegung, in dem Jugendliche sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Für die Projekte können Lehrplaninhalte aus Geschichte, Kunst, Deutsch, Musik, Englisch, Französisch und Technik verbunden werden. Die Schülerinnen und Schüler lernen hier Selbstorganisation und Selbstverantwortung. Am Ende steht jeweils ein Produkt oder eine Präsentation.

„Lernen durch Engagement“ als Berufsvorbereitung

Auch das „Lernen durch Engagement“ (LdE) zieht sich durch das gesamte Schuljahr. Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse engagieren sich in sozialen, ökologischen oder kulturellen Projekten, wozu sie sich außerschulische Partner wie Kindertagesstätten, Freiwillige Feuerwehr, Seniorenheime, Grundschulen oder Sportvereine suchen. „Es geht hier nicht um ein Praktikum, sondern darum, einen bestimmten Bedarf zu decken. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich ein Ziel, das sie mit den Partnern verwirklichen wollen. Dieses Ziel wird von uns nicht bewertet, wohl aber die Schritte dahin und die Reflexions- und Lernphasen. Die letzte Note gibt es für die Präsentation“, berichtet Kerstin Habel.

Gemeinschaftsschule Grabfeld
© Gemeinschaftsschule Grabfeld

Die LdE-Projekte können auch die ersten Türen zum Beruf aufstoßen. Die eigentliche Berufsorientierung setzt bereits in der 7. und 8. Klasse ein, wenn die Jugendlichen für jeweils eine Woche im Jahr ins Berufsbildungswerk Meiningen schnuppern und dort dann ab der 9. Klasse jeden Montag, begleitet von einer Lehrerin des Fachs Wirtschaft-Arbeit-Technik, unterrichtet werden.

Im besten Fall mündet das LdE-Projekt in ein eigenes ehrenamtliches Engagement. Ein Schüler, der sich zum Ziel gesetzt hatte, eine Leseecke in der örtlichen Bibliothek einzurichten, leitet nun selbst die Bibliothek.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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