Ganztagsschule mit KERN in Schwabach : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„We are family“, heißt es in der Johannes-Kern-Mittelschule im bayerischen Schwabach. Das bezieht sich auf ihr umfassendes Demokratieverständnis. Mit den KERN-Stunden praktiziert die Schule erfolgreich neue Lernformen.

Identifikation mit der Schule durch Mitgestaltung schaffen
Identifikation mit der Schule durch Mitgestaltung schaffen © Vera Loitzsch

Es wirkt wie ein Versprechen: „We are family“ steht auf Postern und Logos geschrieben, die denjenigen ins Auge stechen, die die Johannes-Kern-Mittelschule im bayerischen Schwabach betreten. In Ordnung, mag man sich beim Anblick des Satzes denken. Das schreiben sich viele Schulen auf ihre Fahnen. Doch es dauert nur wenige Minuten des Eintauchens in die Atmosphäre dieses Hauses, um zu realisieren, dass hinter der optischen Ankündigung mehr als eine Behauptung steckt.

Im Foyer stehen Schülerinnen und Schüler zusammen. Ein Mädchen hat offensichtlich im Unterricht etwas nicht verstanden. Geduldig erläutern Mitschüler ihr noch einmal das eben Gelernte. Als die Gruppe auseinandergeht, ruft einer ihr zu: „Wenn du noch Fragen hast, kannst du gerne zu mir kommen.“ Ein Stockwerk höher sehen wir eine Lehrerin ins Gespräch mit einem Schüler vertieft. Irgendetwas ist vorgefallen. Die Erwachsene schimpft und droht nicht, sie macht deutlich, dass sie das Verhalten des Schülers nicht akzeptiert. Sie fragt nach seiner Motivation. Sie tauschen sich aus. Überlegen wie es weitergehen kann. Man könnte titeln: Szenen einer Familie, in der füreinander eingestanden wird, die aber auch Konflikte aushält.

Altersgemäßer Ganztag

Martin Krämer und Peter Maier leiten die 1971 gegründete Schule, die heute in den fünften und sechsten Klassen weitgehend im gebundenen Ganztag und für die Älteren im offenen Ganztag organisiert ist. Wer sich für den Ganztag anmeldet, erhält für rund vier Euro ein Mittagessen, kann die von pädagogischem Personal betreute Hausaufgabenzeit nutzen und Arbeitsgemeinschaften besuchen. Träger des Ganztags ist die gfi, die „Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration“, ein bekannter Träger der freien Jugendhilfe und Kooperationspartner vieler Ganztagsschulen.

In den gebundenen Ganztagsklassen ist die Teilnahme über ein Schuljahr für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend. Über den ganzen Tag verteilt wechseln sich bis 16 Uhr Unterricht, Lernzeiten und Angebote ab. Und noch ein wichtiger Punkt: Das Ganztagsangebot ist kostenlos. Die gebundenen Ganztagsklassen organisieren unter anderem auch das Schulcafé und die Umweltarbeit an der Schule. Im offenen Ganztag können die Schülerinnen und Schüler die Angebote am Nachmittag wählen. Neben Fußball und Basketball, Tanz, Theater und Schulband, Kochen oder Basteln gehört dazu auch, einfach „in den Grünanlagen der Schule entspannen“. Das gemeinsame Mittagessen ist als Bestandteil des pädagogischen Konzepts verpflichtend.

Gemeinsame Werte sind das Fundament der Erziehungsarbeit
Gemeinsame Werte sind das Fundament der Erziehungsarbeit © Vera Loitzsch

Das Ganztagsprogramm soll, so ist zu lesen, „Identifikation mit der Schule durch Mitgestaltung schaffen“. Damit kommt Schulleiter Martin Krämer auf die Werteerziehung der Schule, die den Alltag prägen soll, zu sprechen. Er zitiert Religionslehrer Armin Hückl, der als katholischer Schulseelsorger an dieser Mittelschule tätig ist. „Wenn wir gemeinsame Werte als tragfähiges Fundament für unsere Erziehungsarbeit in unserer Schule verankern möchten, dann brauchen wir dafür besonders zwei Dinge: zum einen ganz viel Zeit und zum anderen die gesamte Schulfamilie. Ansonsten läuft die Werteerziehung ins Leere.“

Das Wort der Lernenden zählt

Mit vielen Projekten und Veranstaltungen tragen die evangelische Schulseelsorge und die katholische Schulpastoral zur Wertebildung bei: Kennenlerntage für Fünftklässler, „Coffee to stay“ für Eltern am ersten Schultag, Angebote für Lehrkräfte, eine „Lichtfeier“ für Prüflinge, schließlich der von Schulpastoral und Schulseelsorge ins Leben gerufene „Friedenspreis der Johannes-Kern-Schule“ , den beispielsweise Mitglieder des Schulsanitätsdienstes oder Hausmeister Helmut Billmeier für seine Fürsorge für die Schule erhalten haben. Regelmäßige Andachten und Gottesdienste zählen an der Schule nicht nur zur Tradition, sondern sind wichtiger Bestandteil der Wertebildung.

Untrennbar damit ist das Demokratieverständnis verbunden. Schülerinnen und Schüler nehmen hier maßgeblich Einfluss auf den Schulalltag, erleben konkret und persönlich, wie Demokratie funktioniert. Neben dem verpflichtenden Klassenrat in allen Klassen und einer ausgeprägten Klassensprecherwahl gibt es an der Schule auch ein „Schüler*innenparlament“. Man nimmt sich Zeit dafür. Die Schülerinnen und Schüler wählen ihre Klassensprecherinnen und -sprecher und das Schüler*innenparlament mit allem, was auch zur Wahl etwa eines Stadtrates führt, inklusive Bildung eines Wahlausschusses, Vorschlaglisten („Minderheiten sollen gehört werden“), Vorstellungsrunden live und virtuell und regelmäßigen Sitzungen.

Das Parlament, das über einen eigenen Etat verfügt, spricht Empfehlungen für das Zusammenleben der Schulfamilie, aber auch für die Unterrichtsgestaltung oder die Auswahl des Werte-Themas für die jährliche Projektwoche aus. Schulleiter Martin Krämer garantiert: „Bei uns werden alle Ideen und Anregungen des Parlaments aufgegriffen und diskutiert.“ Sprechen nicht schulrechtliche Gründe dagegen, wird die Entscheidung der Schülerschaft umgesetzt. Beispielsweise auch, wenn es darum geht, was in den rund 60 zumeist im Unterricht verankerten Veranstaltungen aufgegriffen wird, die „der Pflege unserer Schulfamilie dienen“.

„Ohne Demokratie funktioniert Schule nicht“

Kompetenzen des 21. Jahrhunderts im Fokus
Kompetenzen des 21. Jahrhunderts im Fokus © Vera Loitzsch

Mal sind es die „goldWERTE“, hinter denen sich – von Schülern, Eltern und Lehrkräften gemeinsam aufgestellte – Werte des Miteinanders verbergen, mal sind es Themen wie „Love and Peace“ oder Gerechtigkeit, die unter dem Stichwort „nachged8“ ihren Platz finden. Kein Wunder, dass die Johannes-Kern-Schule 2022 und 2023 als Bundessieger aus dem Wettbewerb „Demokratisch handeln“ hervorgegangen ist.

Weitere klingende Titel fügen sich hinzu: „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und „Umweltschule“ . Die Schule ist Mitglied des Verbunds „StarS“ (Starke-Schulen – starker Verbund) der Stiftung Bildungspakt Bayern und gehörte 2023 zu den Top 20 beim Deutschen Schulpreis. Der Schulleiter bringt kurz und bündig auf den Punkt, was er für entscheidend für alle diese Auszeichnungen hält: „Ohne Demokratie funktioniert Schule nicht. Die Kinder und Jugendlichen müssen in die Gesellschaft integriert sein.“

Wenn er von Schülerinnen und Schülern spricht, denkt Martin Krämer automatisch auch an die Elternschaft, die wichtige Gesprächspartner, Impulsgeber und Unterstützer für eine Schule sind und sich an der Johannes-Kern-Schule als Teil einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft versteht.

Markenzeichen „KERN-Stunden“

Ein Markenzeichen des Bildungskonzepts stellen die „KERN-Stunden“ dar. Passend zum Schulnamen steht hier jeder Buchstabe für die vier verpflichtenden Bausteine jener mindestens fünf Unterrichtseinheiten pro Woche, die selbstgesteuertes Lernen fördern: Kompetenz, Eigenverantwortung, Reflexion und Neue Medien. Mit Hilfe von Arbeitsplänen und einer Lernplattform wird analoges mit digitalem Lernen verbunden, erhalten die Schülerinnen und Schüler über die digitale Pinnwand ihre Aufgaben, Informationen, Leitfäden und Impulse für die zu erarbeitenden Lerninhalte, die sie selbst planen, organisieren, erarbeiten und schließlich gemeinsam mit der Lehrkraft reflektieren.

Sie erhalten so die Möglichkeit, in ihrem eigenen Tempo zu arbeiten. Ihnen stehen dafür Tablets und PCs zur Verfügung, die die Grundlage zur Entwicklung digitaler Kompetenzen und von Medienkompetenz darstellen. Eine Vielzahl eingesetzter Medien wie von den Lehrkräften erstellte Lernvideos, digitale Tools, hilfreiche Lern- und Anwendungsprogramme sowie Apps sind inzwischen Grundlage des schulischen Arbeitens und dienen auch zur Sicherung des Gelernten über die Erstellung digitaler Lernprodukte. Martin Krämer macht deutlich: „Wie für jede Veränderung gilt auch für die KERN-Stunden, dass sie gewinnbringend sein müssen.“

Den Eltern wird das Konzept wie folgt nahegebracht: „Mit der schulweiten Einführung in allen Klassen nehmen wir einerseits den Anspruch auf Vermittlung von Lerninhalten gemäß den aktuellen Lehrplänen, andererseits die gezielte Entwicklung von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen des 21. Jahrhunderts in den Fokus: Lernstrategien und problemlösendes Denken, Kreativität und Experimentierfreude, Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen, Selbstreflexion und Umgang mit Fehlern, Teamfähigkeit, Kommunikation und Hilfsbereitschaft, Digitales Arbeiten und Medienkompetenz."

Individuelle und flexible Gestaltung des Lernens
Individuelle und flexible Gestaltung des Lernens © Vera Loitzsch

Dank der Unterstützung der Hermann-Gutmann-Stiftung, die besonders die Mittelschulen der Region fördert, etwa mit dem Programm MAP (Mittelschulen – Arbeitswelt – Partnerschaft) oder mit Lernwerkstätten, konnte die Schule sogar neue Möbel anschaffen. Diese erlauben eine individuelle und flexible Gestaltung des Lernens und sind laut Martin Krämer damit ein wichtiger Baustein für neue Lernformen. Der Traum, zu den vorhandenen Räumen auch „Lernstraßen“ auf den Fluren oder Nischen in Wabenform zu errichten, wird Schritt für Schritt wahr.

Schwerpunkte in der Schulentwicklung setzen

Eines ist dem Schulleiter dennoch wichtig: „Wir dürfen uns nicht verzetteln, sondern müssen einige, aber klare Schwerpunkte bei der Schulentwicklung setzen.“ Um die kümmert sich eine Steuergruppe, die für jede Kollegin und jeden Kollegen offen ist. Idee, Konzeption, Umsetzungsplanung und das Vorgehen zur Implementierung der Steuergruppenarbeit wurden schrittweise gemeinsam mit dem Gesamtkollegium erarbeitet. Schnell war man sich einig: „Wir probieren das aus.“

Lehrerin Christina Roth war eine der Initiatorinnen des KERN-Konzepts zum selbstgesteuerten Lernen und von Beginn an Feuer und Flamme für diesen Schritt der Schulentwicklung. Dem Lehrer und Schulentwicklungsmoderator Joscha Falck hat sie im Juni 2023 in einem Interview ausführlich darüber berichtet und auch bekannt: „Ich musste hier meine Rolle als Lehrerin neu definieren. Ich bin nicht mehr die Wissensvermittlerin, die in erster Linie den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler anleitet, ich werde zur Lernbegleiterin. Ich stehe für Fragen zur Verfügung, gebe Feedback und motiviere.“

Heute strahlt Christina Roth. Denn ihr liegen die Ergebnisse ihrer Schülerinnen und Schüler in Mathematik, Deutsch und Englisch vor. Der Notendurchschnitt hat sich seit Einführung der KERN-Stunden um mehr als ein halbe Note verbessert. „Das ist doch wunderbar“, bilanziert sie.

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