Ganztagsschule „Lichtblick“: Platz für Charaktere : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

In der Schule „Lichtblick“ im sächsischen Riesa können 93 Schülerinnen und Schüler täglich, Selbstbewusstsein tanken und Selbstständigkeit erreichen. Das ist möglich, weil sie Unterstützung, Respekt und Wertschätzung erfahren.

Kunst am Schulgebäude
Kunst am Schulgebäude © Schule "Lichtblick" Riesa

Sebastian Wippich schmunzelt und meint das, was er gerade ein wenig „locker“ formuliert hat, dennoch exakt so: „Wenn wir doof mit den Kindern und Jugendlichen sind, sind diese auch doof mit uns.“ Der Schulleiter der Schule mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt geistige Entwicklung im sächsischen Riesa, die den schönen Namen „Lichtblick“ trägt, weiß wie alle seine Kolleginnen und Kollegen um die Bedeutung der Beziehung zwischen den Lernenden und ihren Lehrkräften. Bezogen auf die Schule „Lichtblick“ kann man es so formulieren: Die Erwachsenen gehen in Vorleistung. Sie bringen ihren Schülerinnen und Schülern Respekt entgegen – und erhalten ihn täglich auch zurück.

Die Wertschätzung äußert sich bereits am frühen Morgen. Dann stehen Sebastian Wippich oder seine Stellvertreterin Kerstin Piontek auf der sogenannten Terrasse, einer kleinen überdachten Fläche gegenüber dem Bolzplatz und sagen „Hallo und guten Morgen“. Zu jeder Schülerin, zu jedem Schüler. 93 sind es insgesamt. Sie freuen sich, hier stets ab 7.30 Uhr zunächst eine Dreiviertelstunde Zeit fürs gemeinsame Frühstück zu finden.

Ein multiprofessionelles Team, das den Namen verdient

Beim Start in den Tag lassen sich die Lernenden nicht nur bedienen. Sie helfen bei Vor- und Nachbereitung. Eine besonders wichtige Einheit. Denn nun wird auch über Alltägliches gesprochen, über Dinge, die Freude bereitet oder Kummer ausgelöst haben. „Hier wachsen Beziehungen“, betont Kerstin Piontek. Sebastian Wippich ergänzt: „Das gilt ebenso für unser Mittagessen und die Vesper. Hier öffnen sich die Schülerinnen und Schüler, die bei uns alles andere als eine Nummer sind, besonders. Das zeichnet im Übrigen unseren gesamten Ganztag aus.“

Wenn Wippich vom Ganztag spricht, denkt er an den Unterricht, der grundsätzlich von mindestens einer Lehrkraft und einer Erzieherin begleitet wird. Er denkt an die Wahlpflichtfächer, aus deren Vielzahl zwei für alle verpflichtend sind. Welche es sind, können die Schülerinnen und Schüler mitentscheiden. Wippich vergisst jede einzelne weitere Beschäftigung nicht. Im „Lichtblick“ ist ein multiprofessionelles Team zusammengewachsen, das diesen Namen verdient. Das Leitungsduo ist ohnehin überzeugt: „Man sollte, unabhängig von der Schulform, Lehrinhalte grundsätzlich zugunsten der Förderung der Persönlichkeit und des Sozialen reduzieren.“

„Hier wachsen Beziehungen“
„Hier wachsen Beziehungen“ © Schule "Lichtblick" Riesa

Beidem, dem Fachwissen wie auch dem Erlernen von Fertigkeiten, die Selbstbewusstsein und ein möglichst hohes Maß an Selbstständigkeit ermöglichen, wird im „Lichtblick“ täglich Rechnung getragen. Über die individuellen Ziele sprechen Lehrerinnen und Lehrer zweimal jährlich mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit ihren Eltern. Nicht nur in diesen Perspektivgesprächen wird extrem hoher Wert darauf gelegt, dass die junge Generation lernt, ihre Bedürfnisse zu äußern. Kerstin Piontek: „Wir versuchen zu vermitteln, dass es um ihr Leben, ihre Zukunft geht.“

Individuelle Ziele im Blick

Dabei dürfen und sollen die Kinder und Jugendlichen auch schon einmal träumen. So wie es ein heute 18-Jähriger tat. Immer wieder machte er deutlich, dass er eine Zukunft als Bühnenbauer anstrebe. Er engagierte sich, steckte andere mit seiner Begeisterung an. Bei einem bekannten Sänger Sachsens unterschreibt er demnächst einen Arbeitsvertrag. Was der junge Mann erreicht hat, gelingt nicht allen. „Unsere Aufgabe ist es, zu einer realistischen Einschätzung beizutragen“, fordert Wippich von sich und seinem Team.

Dazu dienen die intensiven Gespräche mit den Eltern. Um möglichst viele zu erreichen und eine vertrauensvolle Gesprächsebene aufzubauen, wird die Schule kreativ. Etwa, wenn die Kontakte im Rahmen eines Elternsportfestes geknüpft und gepflegt werden, einer Veranstaltung, die das Miteinander an spaßigen Sportstationen und durch gute Laune fördert. Zugleich wissen die Eltern zu schätzen, dass die Schule sie vielfältig unterstützt, etwa bei Behördengängen, und dass sie die am Nachmittag angebotenen logopädischen und ergotherapeutischen Angebote nutzen können. Das spart Zeit und Wege.

Die Selbsteinschätzung wird mit den Schülerinnen und Schülern geübt. Wenn eben möglich, werden sie immer auch am Ende eines jeden Unterrichts gefragt: „Wie war es für dich, was ist dir gelungen, woran möchtest du noch arbeiten?“ Fragen, die selbstverständlich erscheinen und es allzu häufig doch nicht sind. Besonders, wenn angesichts der Aufgabenfülle, den Lehrenden wieder einmal die Zeit wegzulaufen droht.

Berufsvorbereitung mit Praxistagen

Praxismodul „Holz- und Metallarbeiten“
Praxismodul „Holz- und Metallarbeiten“ © Schule "Lichtblick" Riesa

Einen „dicken“ Pluspunkt verdient sich die Schule, die über ein eigenes Schwimmbad mit Sauna verfügt, durch die ausgeprägte Berufsvorbereitung, die für die Schülerinnen und Schüler der Werkstufe nach dem neunten Schuljahr drei Jahre lang direkt in der Schule stattfindet. Zu dieser gehört das „Lernen in Praxismodulen“, das in Kleingruppen jeweils sechs bis neun Monate umfasst und mit einem Zertifikat abschließt.

Insgesamt gibt es vier Module: „Holz- und Metallarbeiten“, „Arbeiten mit textilen Werkstoffen“, „Hausmeisterservice/ Landschaftspflege/ Schulgelände“ und „Einkaufsservice/ Kochen/ Backen“. Bei Bedarf wird noch ein halbjährliches Vertiefungs- und Wiederholungsmodul angeboten. Eine Vielzahl von Partnern ermöglicht begleitete Betriebspraktika und Praxistage.

Sebastian Wippich, der 2017 Arndt Frommhold als Schulleiter ablöste, hat selbst die „Holz- und Metallarbeiten“ angeleitet, wie eine sehenswerte Schülerreportage von 2016 verrät. Der gemeinsam mit der Medienwerkstatt des Sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanals (SAEK) erstellte Einblick in das Engagement des Kollegiums, die Vielfalt der Angebote und die selbstbewussten Schülerinnen und Schüler beeindruckten, wie die YouTube-Kommentare zeigen, auch Zuschauerinnen und Zuschauer.

Platz für Charaktere

Wer weiß, vielleicht findet mancher eine Zukunft in Bereichen, die sie an der Schule kennenlernen. Etwa in der Fahrradwerkstatt oder wenn im Rahmen des Ganztags gärtnerische Arbeiten anstehen oder wenn, wie aktuell, alle anpacken, um die Klassenräume umzugestalten. Zum Ganztagsangebot „Haus, Hof und Garten“ zählt die Anlage von Wegen ebenso wie die Grünflächengestaltung. Apropos Grün. Platz gibt es rund um die Schule ausreichend, inklusive Rückzugs- und Sportmöglichkeiten. „Wir hängen nicht aufeinander. So haben wir Platz für Charaktere“, beschreibt Wippich die Situation.

Das aktive Schulleben bietet alle Möglichkeiten, individuelle Talente zu entfalten, bis hin zu den zahlreichen Sportangeboten, die von der „Bewegten Hofpause“ über Floorball und Reiten bis zum Fußball reichen, und den Wettbewerben, in denen Teams der Schule erfolgreich sind. Im Herbst warten wieder der Orientierungslauf Radebeul, das Schwimmfest der Unter-und Mittelstufen, das Hallenfußballturnier in der soccerarena Dresden oder „Sport und Spiel in Skäßchen“ im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Jugend trainiert für Paralympics“.

„Nichts ist in Stein gemeißelt“

Die Schulhasen haben seit Februar Nachwuchs
Die Schulhasen haben seit Februar Nachwuchs © Schule "Lichtblick" Riesa

Es ist bezeichnend für den „Lichtblick“, dass im Gespräch über das Konzept der Schule viel vom sozialen Lernen und von der Vorbereitung aufs Leben die Rede ist. Kommt man auf den Unterricht zu sprechen, wird schnell klar, dass auch hier der Blick aufs Individuum gerichtet wird. Dabei beschäftigt das Kollegium immer wieder die Frage, was didaktisch den effektivsten Weg darstellt. „Nichts ist in Stein gemeißelt“, versichert der Schulleiter. Ein Kurssystem, ähnlich dem einer Gesamtschule, in Deutsch und Mathematik und mit jährlichen möglichem Wechsel ist ein solcher Weg. „Denn ein differenzierter Unterricht, um auf das Leistungsniveau Einzelner einzugehen, ist doch sehr aufwändig“, gesteht Wippich.

Die Impulse, die im Unterricht gesetzt werden, fallen auf fruchtbaren Boden, weil es der Schule gelingt, den Schülerinnen und Schülern Gelegenheiten zu bieten, in denen sie Selbstbewusstsein tanken können. Als ausgesprochen hilfreich und „belebend“ empfindet das Führungsteam die seit einem Jahr zur Verfügung stehenden Tablets und digitalen Tafeln. „Sie lockern den Unterricht auf und bereiten den Schülerinnen und Schülern Freude“, berichtet der Schulleiter.

Sebastian Wippich und Kerstin Piontek machen keinen Hehl daraus, dass das Engagement des Kollegiums viel Kraft erfordert und es auch Phasen ausbleibenden Erfolgs kennt. Beim Wiedereinstieg nach den Ferien zum Beispiel, „fangen wir mit manchem jedes Mal wieder fast bei Null an“. Mitunter sei für das Kollegium die Grenze des Leistbaren erreicht. Was muntert sie dann immer wieder auf? „Die Kinder“, sagen beide übereinstimmend. Und der Schulleiter fügt hinzu: „Das ist irgendwie unser Berufsethos, manchmal denke ich auch, unser Helfersyndrom.“ Dabei schmunzelt er wieder. „Erziehung und Bildung der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen ist doch unsere Aufgabe, die wir von Herzen gerne tun.“

Eine Schule, die tanzt

Das bleibt vor Ort nicht unbemerkt. Ein wichtiges Stichwort für die Schülerinnen und Schülern ist Mobilität – und der neue Schulbus mit Rollstuhlrampe und Vergurtungssystem ein Beispiel, wie „Riesaer für Riesa“ einstehen. Bei einem lokalen Unternehmer und dem Lions Club fand Schulleiter Sebastian Wippich ein offenes Ohr. Andere Unterstützer folgten, auch die Stadt Riesa. „Allein hätten wir dieses Projekt wohl in zehn Jahren nicht realisieren können“, so der Schulleiter.

„Schule tanzt“: Unterwasserwelt
„Schule tanzt“: Unterwasserwelt © Landesverband Musikunterricht Sachsen

Gemeinsam mit dem Gymnasium Riesa nahm die Schule „Lichtblick“ im April mit seinem etwa 20 Personen starken Team am sächsischen Showtanz-Wettbewerb „Schule tanzt“ im Alten Schlachthof von Dresden teil. Es war wie jedes Jahr der krönende Abschluss einer intensiven Vorbereitung: Nach den Winterferien im Februar startet das Projekt mit einem mehrtägigen Probelager, inklusive Übernachtung in der schuleigenen Turnhalle. Tanzschritte werden einstudiert, Kulissen entworfen und gebaut. In diesem Jahr wurde das Team mit dem Preis für das „beste Zusammenspiel von Kostümierung und Bühnengeschehen“ belohnt.

Den Stolz und das Selbstbewusstsein der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler konnte das Kollegium förmlich spüren. Der Beifall der häufig mehr als 1000 Gäste bei der Dresdener Veranstaltung, darunter selbstverständlich eine Abordnung der Schulgemeinschaft, motiviert die aktuellen Künstlerinnen und Künstler ebenso wie jene, die dieses Mal vielleicht noch nicht dabei sein wollten.

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