Ganztagsklassen auf dem Campus: Theo-Koch-Schule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Theo-Koch-Schule Grünberg gehört zu den hessischen Gesamtschulen, die sich seit Jahrzehnten einen Namen gemacht haben. Sie ist MINT-EC-Schule und teilgebundene Ganztagsschule.

Campus
Das Gebäude-Ensemble: „Campusähnliche Atmosphäre“ © Theo-Koch-Schule

Ist das wirklich eine Schule? Nicht eher eine Universität? Oder der Sitz einer Softwarefirma? Wer die Theo-Koch-Schule Grünberg im Landkreis Gießen besucht, staunt über die Ausmaße des Gebäude-Ensembles der Integrierten Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Und man glaubt Schulleiter Jörg Keller gerne, wenn er schwärmt, dass sich auf dem weitläufigen Gelände gerade während des letzten Supersommers 2018 eine campusähnliche Atmosphäre entwickelt hat.

Hier hat eine Schule Platz – und der wird auch gebraucht: für 1.450 Schülerinnen und Schüler sowie 150 Lehrerinnen und Lehrer, ein zehnköpfiges Leitungsteam und das weitere schulisches Personal, von drei Schulsozialarbeitern bis zum Sekretariatsteam und dem Hausmeister. Die teilgebundene Ganztagsschule ist die größte Schule im Landkreis.

Seit 1966, als hier die ersten Gebäude der damaligen Mittelpunktschule entstanden, die ab 1970 zur Gesamtschule wurde, ist die Schule kontinuierlich gewachsen. Zuletzt sind 2017 zwei neue Gebäude eingeweiht worden: eine neue Aula mit modernster Bühnentechnik und „Haus G“, in dem unter anderem die beiden Ganztagsklassen untergebracht sind. Schulleiter Keller meint anerkennend: „Der Landkreis hat viel Geld in die Hand genommen und über sieben Millionen Euro investiert.“

Gesamtschule mit Tradition

Mit dem Neubau feierte die Schule den „Abschied vom wilhelminischen Klassentrakt“, wie es in einer Eröffnungsrede hieß. Hell und transparent mit viel Glas gruppieren sich die Klassenräume um den „Marktplatz“, die große offene Lern- und Begegnungsfläche mit Sitzgelegenheiten. Als die AG Neubau dem Schulträger und den Architekten ihre pädagogischen Ideen für das Gebäude übermittelte, stellte sie zwei Kompetenzen in den Mittelpunkt: Die Gestaltung sollte aus ihrer Sicht Selbstständigkeit und Teamfähigkeit fördern. Nun können die Schülerinnen und Schüler auf großem Raum auch in Stillarbeit oder in Kleingruppen arbeiten.

Marktplatz
Auf dem „Marktplatz“: Jörg Keller, Anja Warneke, Corinna Jacob-Schwalb, Marc Almon und Andreas Jorde (v.l.) © Online-Redaktion

„Wir hoffen, dass das Gebäude und die dort mögliche Arbeitsweise auf unsere ganze Schule ausstrahlen“, so Schulleiter Keller. Den Neubau lernen alle Schülerinnen und Schüler kennen, auch wenn sie nicht in den Ganztagsklassen angemeldet sind. Nach zwei Jahren wechseln alle mit ihrem Jahrgang jeweils das Gebäude und „wandern“ so in ihrer Schullaufbahn einmal über den ganzen Campus. Derzeit lernen die Neunt- und Zehntklässler in dem Neubau.

Der Campus ist erlebte Architekturgeschichte, denn die Bauten repräsentieren ein halbes Jahrhundert Schulbau. Und nicht immer sieht man von außen, was sich an Überraschungen in einem Gebäude verbirgt. „Im Keller des Haus E befindet sich unsere Theaterbühne“, verrät Jörg Keller beim Gang über das Gelände. Dort gibt es neben Schauspielaufführungen auch Maskenspiel, Bewegungs- und Tanztheater und Pantomime zu sehen. Bei schönem Wetter gibt die Theater-AG den „Sommernachtstraum“ auch schon mal auf dem Außengelände.

Das Fach Darstellendes Spiel hat eine lange Tradition im Oberstufenunterricht der Gesamtschule. Seit 1998 wird es als gleichwertige Alternative zu Kunst und Musik angeboten. Aus dem Unterricht und der Theater-AG haben sich seither über 50 Aufführungen entwickelt, und ihre Bühne haben die Schülerinnen und Schüler auch immer wieder für gesellschaftliches Engagement genutzt. So gewann die Theater-AG 2001 mit ihrem Stück „Fremdsein – eine Definition“ beim Victor-Klemperer-Jugendwettbewerb einen Preis und 2004 mit dem Stück „Kindertransport – Überleben in einer fremden Welt“ einen Preis für Engagement und Zivilcourage. 2017 setzten sich die Schülerinnen und Schüler in dem Stück „Heute du, morgen ich“ mit dem Thema Krieg auseinander.

Ganztagskonzept nach Maß

Ebenfalls eine längere Tradition hat an der Theo-Koch-Schule der Ganztag. Bereits im Schuljahr 1990/1991 startete an zwei Wochentagen ein Ganztagsangebot, ab 2004 arbeitete die Gesamtschule im „Profil 1“ – an drei Tagen bis 14.30 Uhr – und seit dem Schuljahr 2017/2018 im Profil 2 – an fünf Tagen bis 16 Uhr – der hessischen Schulen mit Ganztagsangeboten. Rund 600 Schülerinnen und Schüler nutzen das Ganztagsangebot: die Hausaufgabenbetreuung, das Peer Learning „Schüler helfen Schülern“ der Schülervertretung, die Bibliothek und Mediathek oder das umfangreiche AG-Programm mit rund 40 verschiedenen Arbeitsgemeinschaften vom Blasorchester über Klettern bis zu Lego-Robotik und Altgriechisch.

Kletterwand
© Theo-Koch-Schule

2017 starteten die beiden Ganztagsklassen in Klasse 5. Corinna Jacob-Schwalb, die Stufenleiterin für die 5. und 6. Jahrgangsstufe, und die AG Ganztag hatten das Konzept entwickelt. Sie nahmen auch an einem Schulnetzwerkwerk des Programms „Lernen im Ganztag“ (LiGa) der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Stiftung Mercator teil, um ihre Ideen auszutauschen und noch zu vervollkommnen. Dazu gehörte auch die Idee, dass die Schülerinnen und Schüler im Ganztag an vier Tagen der Woche einen langen Tag haben, während freitags nach der 6. Stunde noch freiwillig eine AG besucht werden kann. Unterricht findet immer auch am Nachmittag statt.

„Hausaufgaben sind bei uns Schulaufgaben“, berichtet Corinna Jacob-Schwalb. „Zu Hause müssen nur noch Vokabeln gelernt oder Klassenarbeiten vorbereitet werden. Das entlastet natürlich auch die Eltern.“ Das Konzept überzeugt sie offensichtlich auch. Beim Tag der offenen Tür meldeten Eltern ihre Kinder nach einer Präsentation spontan für die Ganztagsklassen an, obwohl die Schule die Anmeldungen gar nicht für diesen Tag vorgesehen hatte. „Meine Kollegin musste erstmal die Aufnahmebögen holen“, erzählt Schulleiter Jörg Keller.

Vorzug der Ganztagsklassen: individuelles und soziales Lernen

In die Stundentafel der beiden Ganztagsklassen sind individuelle Lernzeit und Projektunterricht aufgenommen worden. In der Lernzeit arbeiten die Schülerinnen und Schüler in sechs Wochenstunden zusätzlich zum Fachunterricht an Aufgaben und werden dabei nach Bedarf von den Lehrkräften unterstützt. Im Projektunterricht, der vier Wochenstunden umfasst, wird in Kleingruppen an einem fachübergreifenden Projekt mit Präsentation. Letzteres kann ein Plakat oder ein Film sein. So wird zugleich die Medienkompetenz geschult.

Diese Medienpädagogik ist ebenfalls in den Neubau integriert. In Nischen sind beispielsweise die Laptops untergebracht, mit denen die Schülerinnen und Schüler in Projektgruppen zusammen recherchieren oder digitale Produkte erstellen, wie Andreas Jorde, der stellvertretende Schulleiter und zuständig für das Computernetzwerk der Schule, uns erläutert. „Die Schüler können auch ihre eigenen Endgeräte mitbringen.“

Projektgruppen
... und sich auch mal über Alltagsthemen austauschen © Theo-Koch-Schule

Einen Vorzug der Ganztagsklassen sieht Corinna Jacob-Schwalb im sozialen Lernen: „Durch die längere gemeinsam verbrachte Zeit lernen sich Schüler und Lehrer schneller und intensiver kennen, können sich auch mal über Alltagsthemen oder Probleme austauschen. Die Jugendlichen lernen, miteinander umzugehen, denn sie können sich bei den gemeinsamen Aktivitäten näher kennenlernen.“

„Wenn man erstmal Schulentwicklungsluft geschnuppert hat, dann möchte man viele Ideen verwirklichen. Unser nächstes Ziel ist es, die individuelle Lernzeit in allen Klassen anzubieten“, so Schulleiter Keller. „Wir bewegen uns auf eine gebundene Ganztagsschule zu. Aber die wollen wir nicht im Hauruckverfahren durchsetzen, sondern als Prozess. Wir sind in den vergangenen Jahren schon einen weiten Weg gegangen.“ Demnächst geht die ganze Schule dazu in Klausur.

Naturwissenschaftliches Profil mit Elektroniklabor

So wie sich die Theo-Koch-Schule räumlich erweitert hat, so hat sie parallel ihr pädagogisches Profil entwickelt. Als MINT EC-Schule bietet sie von der 5. bis zur 13. Klasse erweitertes naturwissenschaftlich-technisches Lernen. In den Jahrgangsstufen 5 bis 7 ist der neue Lernbereich Naturwissenschaften eingeführt worden. Zu ihm gehören Biologie, Chemie und Physik. In den Klassen 9 und 10 gibt es NaWi-Profil-Klassen, hier arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Gruppen an Projekten und experimentieren. Ab der 6. Klasse können sie den PC-Führerschein erwerben, später sogar den Europäischen Computerführerschein (European Computer Driving Licence - ECDL).

Eine Besonderheit der MINT-Schule ist das Elektroniklabor. Eine Sicherheitstechnikfirma aus der Region hat es eingerichtet. Schülerinnen und Schüler haben sich hier im letzten Schulhalbjahr nachmittags sogar freiwillig getroffen, um Aufgaben des diesjährigen Physik-Wettbewerbs, den der Verband zur Förderung des MINT-Unterrichts (MNU) ausgeschrieben hatte, zu lösen. Sie untersuchten zum Beispiel, wie sich Glühbirnchen bei unterschiedlichen Spannungen verhalten, was eine Kaustik ist oder was mit einem Wassertropfen an der Scheibe einer anfahrenden S-Bahn passiert.

Auch AGs finden im Elektroniklabor statt. Die Robotik-AG hat beispielsweise einen „Farmbot“ entwickelt, einen Roboter, der selbstständig Gemüse pflanzt. Dieses Projekt ist vom MINT-Lehrkräftenetzwerk „Science on Stage“ als „Projekt des Monats“ gefördert worden. In diesem Netzwerk arbeitet Mathematik- und Physiklehrer Peter Meiss seit 2014 mit. Er schätzt den Austausch mit seinen Kolleginnen und Kollegen. Ob Ideen wie Forensik im Chemieunterricht, Musikinstrumentenbau oder ein Ionen-Lifter, ein Flugobjekt mit Ionenantrieb – solche Ideen bringen sie mit, um sie mit Partnern wie der Justus-Liebig-Universität Gießen, dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) oder mit Firmen umzusetzen.

Elektroniklabor
Elektroniklabor: Wie verhalten sich Glühbirnchen? © Online-Redaktion

Die Theo-Koch-Schule hat übrigens einen prominenten Absolventen, der auch noch immer ein Fan seiner alten Schule ist. Harald Lesch, Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Philosoph, vielen durch das ZDF-Wissenschaftsmagazin „Leschs Kosmos“ bekannt, war 2018 in Grünberg zu Besuch: „Wie sich 'meine' Schule entwickelt hat, das ist wirklich großartig, mit neuen Lernkonzepten und einer prima Mannschaft. Wenn mich jemand fragen würde, wo soll ich mein Abitur machen, dann kenne ich nur eine Antwort: in Grünberg, an der Theo-Koch-Schule.“

 

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