Ganztagsgymnasium Salzgitter-Bad: Leuchtturm in der Region : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Mit seinen zahlreichen Arbeitsgemeinschaften bereichert das Gymnasium Salzgitter-Bad den Alltag seiner Schülerinnen und Schüler und der Region. Das wusste Schulleiter Hans-Günter Gerhold schon als Schüler zu schätzen.

„Die inneren Werte zählen“
„Die inneren Werte zählen“ © Martin Gosch

Zugegeben: Der Weg zum Büro von Schulleiter Hans-Günter Gerhold gleicht noch nicht dem Gang durch eine bezaubernde Schullandschaft. Das Gymnasium Salzgitter-Bad ist in die Jahre gekommen, das Gebäude ähnelt mitunter einer Baustelle mit offenliegenden Kabeln und dem Charme der frühen 1960er Jahre. Doch ein Blick hinter die Kulissen (ein Schüler: „Die inneren Werte zählen“) bestätigt: Auch in einer rauen Schale gelingen guter Unterricht und moderner Ganztag.

Die Augen von Schulleiter Gerhold, Englisch- und Geschichtslehrer Kevin Chant, der den Ganztag koordiniert, Biologielehrerin und „Imkerin“ Kerstin Bornmann sowie von Schulsozialpädagogin Susanne Wessel offenbaren die Wärme, die hier das tägliche Leben und Lernen prägt. Ein Markenzeichen, das das Gymnasium Salzgitter-Bad offensichtlich bereits früher auszeichnete. Warum sonst wohl hätte sich Hans-Günter Gerhold entschieden, hier sein „ganzes Leben“ zu verbringen. Hier absolvierte er bereits seine Schulzeit. Er kennt die Schule also aus beiden Perspektiven. Und erinnert sich strahlend, dass schon in seiner Jugend die Schule Dinge bot, die es im Ort sonst nicht gab.

„Wir hatten, ohne dass groß über Ganztag gesprochen worden war, bereits zahlreiche Arbeitsgemeinschaften außerhalb des Lehrplans.“ Sport und – für den bis zum heutigen Tag in der Kultur Engagierten besonders wichtig – das Theater waren für ihn schon als junger Mensch eine Bereicherung. Eine, für die es sich lohnte in die Schule zu gehen – so wie andere ins Jugendzentrum der Gemeinde.

„Wir unterrichten Menschen, keine Fächer“

Hans-Günter Gerhold ist Vorsitzender der Theatergruppe Salzgitter-Bad e.V, die 1972 von theaterbegeisterten Lehrern, Schülern und Eltern gegründet wurde und mit mehr als 200 Inszenierungen eine eindrucksvolle und wohl einmalige Geschichte hat. Die erste Aufführung, Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“, war 1972 „ein rauschender Erfolg“ in der mit 900 Zuschauern restlos überfüllten Aula. 1984 wurden „Die neuen Leiden und des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf gespielt. Seit 1987 ist die Theatergruppe Mitglied im Landesverband Niedersächsischer Amateurbühnen. 2000 kam die „Jugendbühne“ hinzu, mit umjubelten Vorstellungen der „Rocky-Horror-Show“, von „Grease“ oder „Hair“, aus denen einige professionelle Musicaldarstellerinnen hervorgingen. Aus der Technik-Crew gründeten 2007 zwei Schüler die Technik-AG, die auch bei den regelmäßigen Konzerten aktiv wird.

Für den Schulleiter, der 2017 die Ehrennadel des Amateurtheaterverbandes Niedersachsen erhielt, ist es selbstverständlich, dass er seine „Märchenbühne“, die er 2001 gegründet hat, als Arbeitsgemeinschaft im Ganztag anbietet. Sie ist die Basisarbeit des Theaters am Gymnasium Salzgitter-Bad. „Wir unterrichten Menschen, keine Fächer“, sagt Gerhold zum einen und fügt seine persönliche Motivation gleich hinzu: „In der AG mache ich als Theatermann etwas mit Spaß – und das mit Leuten, die Spaß daran haben“. Er ist sicher, dass es eine Win-Win-Situation ist, das heißt, für beide Seite etwas „rüberkommt.“

Beliebte AGs: vom Kammerorchester bis zur Rockband.
Beliebte AGs: vom Kammerorchester bis zur Rockband. © Gymnasium Salzgitter-Bad

Den Schülerinnen und Schülern spricht er aus der Seele. Der Wunsch, an seiner AG teilnehmen zu können, ist riesig. 20 Teilnehmende kann er nur dank Kreativität aufnehmen. Doppelbesetzung der Rollen lautet die Lösung. Sie hat sich insbesondere auch bei den acht jährlichen Aufführungen des Weihnachtsmärchens in Grundschulen – 2022 war das „Aschenputtel“ – bewährt. Ausfallen musste so keine, und mehr als 2000 Kinder freuen sich regelmäßig auf die Darbietungen der Gymnasiasten.

Ganztagsangebot: Mehr als nette Nachmittagsbeschäftigung

Ganztagskoordinator Kevin Chant weiß um die Problematik der großen Beliebtheit von einigen der Arbeitsgemeinschaften, die neben Bühne/Theater von Musik (Kammerorchester, Gitarren-AG und Rockband) über Sport, Naturwissenschaften, Neue Technologien, Fahrrad-Werkstatt, Sprachen/Austausch, „Model United Nations“ bin hin zu „Querbeet/Kreatives“ reichen. Das AG-Heft hat 14 Seiten.

„Manchmal ist die Auswahl schwer. Wir haben uns dann für den Losentscheid entschieden. Er wird wie eine Art höhere Gewalt akzeptiert und erspart uns die Rechtfertigung, warum sie oder er dabei ist, andere aber nicht“, sagt er schmunzelnd. Besonders intensiv könnten sich solcherlei Diskussionen auch um die begehrten Austauschfahrten, etwa in die USA oder nach Frankreich (Pont-à-Mousson), drehen. Doch hier gilt: Nur wer die dazugehörige AG belegt, darf mit auf Tour gehen. Ein neues Ziel ist derzeit das Bjerke-Gymnasium in Oslo.

Auf dem Außengelände des Gymnasiums hat der Schulverein vor sieben Jahren den Schulgarten ins Leben gerufen. Seit 2017 kann sich die Schulgarten-AG jeden Donnerstagnachmittag nun auch im lange vorbreiteten Grünen Klassenzimmer treffen. Arbeitsgemeinschaften am Gymnasium Salzgitter-Bad sind mehr als anderthalb Stunden „nette Nachmittagsbeschäftigung“. Unabhängig davon, ob sie von Lehrkräften oder außerschulischen Partnern, etwa Sportvereinen wie Segelflug-, Tischtennis-, Schach- oder Golfverein oder der Musikschule angeboten werden.

Die Imker-AG produziert den schuleigenen Honig.
Die Imker-AG produziert den schuleigenen Honig. © Kerstin Bornmann

Am Beispiel der Imker-AG wird deutlich, wie Ganztag und Unterricht verzahnt werden. Steht das Thema Bienen, Umwelt etc. an, schlüpfen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft in die Rolle der „Lehrenden“. Sie erzählen davon, wie Bienen leben, wie man mit ihnen umgeht, wie die zwei Völker mit jeweils bis zu 50.000 Tieren so viele leckeren schuleigenen Honig produzieren können. Kerstin Bornmann leitet das Angebot gemeinsam mit ihrem Ehemann und Nicht-Pädagogen Karsten. Sie weiß um die Bedeutung der AG jenseits aller Wissenserweiterung. „Nach fünf Minuten haben die Kinder ihre natürliche Angst vor den Bienen verloren, nicht aber den Respekt. Die Beschäftigung mit Bienen wirkt sich beruhigend, ja fast schon entspannend aus“, weiß Bornmann.

„Ohne Noten und ohne Stress“

Als gewollt und ausgesprochen positiv empfindet das auch Susanne Wessel. Die Schulsozialpädagogin zählt nach eigener Aussage ebenfalls zum „Inventar“ des Gymnasiums. Wessel glaubt, dass sich die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler gar nicht so verändert haben. „Sie wollen ohne Vorbehalte angenommen, gesehen und geschätzt werden“, sagt sie. Der Ganztag biete allen etwas „ohne Noten und ohne Stress“. Susanne Wessel bietet das Schwarzlicht-Theater an. Es ermögliche beispielsweise Kindern, in Rollen zu schlüpfen, die sie sich im Hellen früher eher nicht zugetraut hätten.

Auch sei es immer wieder erstaunlich, wer für die Mediatorenausbildung gewonnen werden könne und wie erfolgreich Kinder und Jugendliche als Zweierteams die fünften Klassen begleiteten. „In der Pandemie ist viel vom sozialen Lernen auf der Strecke geblieben“, findet die Sozialpädagogin, „darauf müssen wir uns als Schule einstellen und unseren Beitrag leisten.“ Der Ganztag biete viele Möglichkeiten, besonders auch der Sport. Beispielsweise, wenn es an der Kletterwand darum gehe, als vertrauensvoller Partner für andere zu agieren.

„Leuchtturmprojekt“ Berufsorientierung

Wie sagte der Schulleiter: „Wir unterrichten Menschen, keine Fächer.“ Apropos Fächer: Das Unterrichtsfach „Darstellendes Spiel“ entstand im Gymnasium Salzgitter-Bad einst aus einer Arbeitsgemeinschaft des Ganztags. Aus Projektwochen zum Thema „Energie“ ging wiederum der Bau einer leistungsfähigen Photovoltaik-Anlage hervor. Als erste Schule in Salzgitter nutzt das Gymnasium seit vielen Jahren Sonnenenergie zur Stromerzeugung. Der Schulleiter selbst kümmert sich um den Klimaschutzfördervereins SOLARIS. Ein Vorteil: Die Einsparungen kommen Umweltprojekten der Schule und der Umweltbildung im Unterricht zugute.

Das lange vorbereitete Grüne Klassenzimmer.
Das lange vorbereitete Grüne Klassenzimmer. © Martin Gosch

Kontinuierlich wird Jahrgangsstufe für Jahrgangsstufe die Berufsorientierung intensiviert. Sie zählt, nicht nur im Eigenverständnis des Gymnasiums, zu den „Leuchtturmprojekten“. Seit über 10 Jahren kooperiert die Schule mit der „Allianz für die Region“ Südostniedersachsen. Sie beteiligt sich an deren Programm „Berufsorientierung und Nachwuchssicherung für gewerblich-technische und naturwissenschaftliche Berufe unter veränderten demographischen Bedingungen“, kurz: BONA SZ. Schnupperkurse in Betrieben, Sozial- und Betriebspraktika sowie Einblicke in die Welt des Studiums weisen vielen in und um Salzgitter den Weg in die Zukunft.

Natürlich richtet sich die Konzentration des Kollegiums in dieser von mehr als 1100 Schülerinnen und Schülern besuchten Schule, von denen immerhin rund 350 (30 Prozent) den Offenen Ganztag nutzen, nicht nur auf die Zeiten nach dem „regulären“ Unterricht. Aktuell feilt die Schulgemeinschaft daher an ihrem Leitbild.

„Es geht um die Kompetenz des Verstehens“

In die Sparte Didaktik fällt die Integration der Hausaufgaben in den Unterricht, weil diese in ihrer herkömmlichen Form laut Kevin Chant „ein Relikt aus früheren Schulzeiten“ seien. Das Kollegium möchte das selbstorganisierte Lernen stärker als nur in einzelnen Projekten verankern. Hans-Günter Gerhold weist in diesem Zusammenhang auf die Zeit der Corona-Schulschließungen hin: „Da haben wir deutlich gesehen, dass wir als Schule, wir Lehrkräfte, aber eben auch die Schülerinnen und Schüler, noch einiges dazulernen müssen.“

Gespannt und keineswegs mit Ablehnung reagieren Gerhold und Chant auf die Entwicklung rund um die Künstliche Intelligenz (KI). „Den Taschenrechner haben wir früher zunächst auch abgelehnt. Heute ist er ebenso selbstverständlich wie die ‚Neuen Medien’, die gar nicht mehr so neu sind“, meint der Schulleiter. Er ist sicher: „Es muss um die Kompetenz des Verstehens und des kritischen Umgangs mit dem, was KI liefert, gehen.“ Kevin Chant ergänzt: „Manchmal wundert man sich schon, welche eindrucksvollen Hausaufgaben manche abgeben und stellt sich Fragen…“ Doch er weiß auch: „KI hilft mir, wenn ich etwas nicht verstanden habe, in einer Leistungsüberprüfung überhaupt nicht.“

Fit für den Schulalltag von morgen
Fit für den Schulalltag von morgen © Martin Gosch

Diesen Blick in die Zukunft ergänzen Schulleiter und Ganztagskoordinator durch weitere Visionen. Als 2019 Oberbürgermeister Frank Klingebiel, den rundum erneuerten „Trakt 3“ der Schule wiedereröffnete, war das für die Schule der erste Schritt zur kompletten Sanierung und Modernisierung. Das Gebäude soll nun fit für den Schulalltag von morgen gemacht werden, beispielsweise auch Rückzugsräume enthalten, so wie das jetzt schon für die kleine, aber feine Bibliothek mit Arbeitsplätzen für die Schülerinnen und Schüler gilt.

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