Ganztagsgrundschule der Zukunft: „Wir sind ein Team“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Grundschule „Am Krausen Bäumchen“ in Essen ist eine „Schule der Zukunft“. Das eingespielte Team hat kein „Lehrerzimmer“ mehr, sondern ein „Kollegiumszimmer“ – und ein gemeinsames Verständnis von Bildung und Erziehung.

Schulgebäude Am Krausen Bäumchen
Schulgebäude Am Krausen Bäumchen © Monika Hillebrand

Gegensätze können etwas Wunderbares sein. Die Ganztagsgrundschule „Am Krausen Bäumchen“ in Essen darf als passender Beleg gelten. In einem altehrwürdigen, rund 100 Jahre alten Gebäude verbirgt sich eine moderne Pädagogik, die neuesten pädagogischen Erkenntnissen Rechnung trägt. Die Grundschule „Am Krausen Bäumchen“ ist eine „Schule der Zukunft“.

Es ist ein Titel, der im Kern die Teilnahme am gleichnamigen nordrhein-westfälischen Landesprogramm zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) widerspiegelt, einer Initiative des Schulministeriums und des Umweltministeriums. An der von rund 220 Schülerinnen und Schülern besuchten Grundschule „Am Krausen Bäumchen“ trifft das Siegel „Schule der Zukunft“ aber auch viel übergreifender den Nagel auf den Kopf.

Nein, es gibt keine ausgewiesenen Differenzierungsräume in Nähe des Klassenzimmers wie in manchen neu gebauten Schulen. Auch auf durch Glasscheiben verbundene Räume, die es möglich machen, zwischendurch einen Blick nach nebenan zu werfen, muss hier verzichtet werden. Vom eigenen „Snoezelraum“, der den Kindern Entschleunigung und Entspannung im Schulalltag ermöglicht, träumt die Schule noch. Doch solche noch fehlenden Gestaltungselemente macht das Konzept der Schule locker wett. Nach dem Motto: Wo ein Wille ist, da findet sich eine Lösung, scheitert nicht an der Raumfrage.

Ein eingespieltes Team

An der Spitze eines engagierten Kollegiums stehen Schulleiterin Monika Hillebrand und Ganztagskoordinatorin Natascha Skowronski von der Jugendhilfe Essen als Träger des Ganztags. Wenn sie sprechen, strahlen sie Harmonie und ein gemeinsames Verständnis von Bildung und Erziehung aus. Was nicht heißt, dass sie sich nicht auch kontrovers austauschen, um den gemeinsamen Nenner zu finden.

Regelmäßige Treffen der Lehrkräfte mit den Erzieherinnen und Erziehern erweisen sich als geeignetes Forum zur Fortschreibung und Überprüfung des eigenen Handelns. Und sei es, wenn es um Details geht. Man kann von einem eingespielten Team sprechen. Denn als Monika Hillebrand 2015 die Leitung der Grundschule „Am Krausen Bäumchen“ übernahm, brachte sie einige Kolleginnen aus dem Erzieherinnenteam ihrer früheren Schule mit. Der Wechsel erfolgte mit einem klaren Ziel: eine Schule zu gestalten, die einen Lebensort für die Kinder darstellt.

Über manche Punkte herrscht grundsätzlich Einigkeit. „Wir haben keinen Offenen Ganztag, wir sind eine Offene Ganztagsschule“, lautet ein solches unverrückbares Credo. „Die Kinder sind schließlich nicht zweigeteilt in Vor- und Nachmittag“, betont die Schulleiterin. Natascha Skowronski ergänzt: „Wir erleben die Kinder im Unterricht und in der Zeit davor und danach. So ergibt sich ein Bild, das uns hilft, sie möglichst individuell zu unterstützen.“

Bereit, etwas mehr zu tun

Abschlussveranstaltung vor den Ferien
Abschlussveranstaltung vor den Ferien © Monika Hillebrand

Die Basis dazu ist die Bereitschaft, auch einmal mehr zu machen, als es die jeweilige „Stellenbeschreibung“ vorsieht: Die Erzieherinnen und Erzieher finden sich auch während der Unterrichtszeit ein, bilden, wenn immer es möglich ist, ein Tandem mit einer Lehrkraft. „So kriegen wir einen Einblick in die Klasse, aber auch in Lernabläufe“, begründet das Natascha Skowronski. Für die Lehrkräfte wiederum ist es selbstverständlich, sich auch an Angeboten des Ganztags zu beteiligen oder sich in den dortigen Projekten zu engagieren.

Die Palette der Ganztagsangebote ist bunt. Hervorzuheben sind beispielweise der von Profis angeleitete und besonders beliebte Zirkus, das jährliche Schulfest, eine Projektwoche mit wechselnden Themen oder ein einwöchiger Trommelzauber. Draußen „auch einmal frei“ spielen und toben gehört ebenso dazu wie die Arbeitsgemeinschaften Fußball und Yoga, die Snack-AG oder die Wald-AG.

Für manche AGs werden außerschulische Partner als Honorarkräfte engagiert, andere bietet das Team in Eigenregie an. Die AG „Benimm ist in“ trägt dazu bei, Werte des Miteinanders und Regeln zu transportieren. Zugleich dient sie dazu, am Nachmittag aufzugreifen, was vormittags im Unterricht „aufgeploppt“ ist und vielleicht nicht ganz so gut klappte.

Team mit Schulhund Holly

Zur selbstverständlichen Routine zählt auch, dass die Schulleiterin immer mittwochs ins OGS-Team zum Austausch kommt. Sie wandert dann nach „oben“, wo sich das Zentrum der OGS befindet. Das obere Stockwerk war einst die Hausmeisterwohnung. Natascha Skowronski: „Wir sind ein Team. Eines in dem die Schülerinnen und Schüler ihre Vertrauenspersonen finden.“

Und eines, das sich auch außerhalb des Schulbetriebs zum „Stammtisch“ trifft. Natürlich freiwillig und ohne Tagesordnung, aber auch ohne Verbot, sich zwischendurch einmal über schulische Dinge zu unterhalten. Die Schulleiterin kennt die Bereitschaft des gesamten Teams, möglichst alles für ihre Schülerinnen und Schüler zu tun. Deshalb sagt sie auch: „Wir achten schon darauf, dass wir uns nicht überfordern.“ Aber sie ist auch überzeugt: „Das, was wir alle zusätzlich geben, erhalten wir doppelt und dreifach zurück.“

Die Betonung möchten Monika Hillebrand und Natascha Skowronski auf „alle“ legen. Denn zum Team gehören alle Mitarbeitenden, neben den Fachlehrkräften auch Schulsekretärin Janine Schnittmann, die nicht nur die Abrechnung des Mittagessens für die OGS übernimmt, Hausmeister Lars Herzog, der bei der Schulhofgestaltung mitwirkt, sozialpädagogische Fachkräfte wie Agnieszka Henningsen, Projektlehrkräfte, Lehramtsanwärterinnen und studentische Hilfskräfte. Sie alle machen die Schulfamilie erst „rund“. Fast zumindest. Denn zur Familie gehören auch die Fische im Aquarium, zahlreiche Meerschweinchen, Schulhund Holly und Betreuungshund Poldi.

Atmosphäre der Ruhe

Tiergestützte Pädagogik – Schulhund Holly
Tiergestützte Pädagogik – Schulhund Holly © Monika Hillebrand

Die aufmerksam ruhigen Hunde spielen eine elementare Rolle. Monika Hillebrand erzählt: „Wenn ein Kind schlecht drauf ist, nehmen wir es schon einmal aus der Gruppe. Wenn es dann beim Hund sitzt, erzählt es ihm von seinen Sorgen, weint mitunter und streichelt ihn dann. Die meisten können sich so wunderbar wieder sammeln.“ Besonders auffällig: Kinder, die nicht gut lesen können und sich scheuen, es vor der Klasse zu tun, lesen ihrem Vierbeiner vor – „der kritisiert und korrigiert nicht“, wie Natascha Skowronski schmunzelnd erläutert. Bemerkenswert fand sie, dass ein Junge nicht mehr stotterte, wenn Holly dabei war.

Die Türen der Klassenzimmer stehen nicht nur an den heißen Sommertagen offen. Es gibt nichts zu verbergen. Groß geschrieben wird die Kommunikation. „Jedes Ich braucht ein Du“, sagt die Schulleiterin. „So, wie wir die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern verstehen wollen, so möchten wir uns gegenseitig kennen, die Motivation und Haltung des anderen sehen. Das führt zu gegenseitiger Wertschätzung“, erläutert die Ganztagskoordinatorin.

Das Duo macht deutlich, dass es bei allem Bemühen um Verständnis und Gemeinschaft, natürlich unterschiedliche Auffassungen und auch schon einmal Konflikte gibt. Und genau dafür gibt es die Kommunikation. Der Begriff „Lehrerzimmer“ wurde übrigens aus dem Sprachgebrauch gestrichen. Am Krausen Bäumchen trifft man sich im Kollegiumszimmer. Großen Wert legt die Grundschule auf Leben und Lernen in Ruhe. „Hier soll eine familiäre Atmosphäre herrschen“, sagt die Schulleiterin.

Dazu zählt sie das gemeinsame Mittagessen. Es wird in drei Räumen und drei unterschiedlichen Formen eingenommen. In einem Raum geht es praktisch wie zu Hause zu: Schüsseln stehen auf den Tisch, und die Kinder lernen, sich nur so viel aufzugeben, wie sie auch verzehren können. Im zweiten Raum holen sie sich ihre Portion an der Essensausgabe. Variante drei ist ein bunt zusammengestelltes Büfett. Die Klassen rotieren und lernen so alle Formen kennen. Nur eines ist ihnen allen gleich: Es wird in Ruhe und entspannt gegessen. Möglich macht das ein organisatorischer Kniff. Die 45-minütige Lernzeit, vielerorts der erste „Termin“ nach dem Mittagessen, wurde in den täglichen Unterrichtsablauf integriert.

Schule der Zukunft

152 Schülerinnen und Schüler sind in der Offenen Ganztagsschule angemeldet. Nahezu alle übrigen Kinder nutzen die kleinere Variante – eine Betreuung bis 14.30 Uhr in einem dafür gestalteten Klassenraum mit dem schönen Namen „Baumhäuschen“. Der Förderverein ermöglicht die Einstellung der erforderlichen pädagogischen Fachkräfte. Und so garantiert Monika Hillebrand: „Alle, die einen OGS-Platz wünschen, bekommen einen.“

Klettergerüst auf dem Schulhof in der Herbstsonne
Klettergerüst auf dem Schulhof in der Herbstsonne © Monika Hillebrand

Zugleich hat sie einen Wunsch: mehr Zeit. Zeit, um all die wichtigen Dinge und Themen, die den Kindern auf der Seele liegen, zu besprechen, Zeit, um den Schülerinnen und Schülern mit ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Sie plädiert für eine sechsjährige Grundschulzeit: „Denn es gibt so viel, was wir mit den Kindern noch erarbeiten, was wir noch vermitteln wollen würden und müssten.“

Doch jetzt geht das Team der Ganztagsgrundschule „Am Krausen Bäumchen“ zunächst einmal die nahe Zukunft an. An einem pädagogischen Tag soll demnächst ausgelotet werden, wie sämtliche Räume der Schule noch besser multifunktional ausgestattet und genutzt werden können. Nach der Devise: Geht nicht, gibt’s nicht. Möglich macht auch das die Haltung, die einhergeht mit der engen Zusammenarbeit im Team, das die vielfältigen Stärken der Kolleginnen und Kollegen nutzt. Monika Hillebrand: „Alle bringen sich mit ihrer Expertise, ihren besonderen Fähigkeiten und ihrem Wissen ein. Alle brennen für unsere Schule - für ihre Weiterentwicklung, für die Kinder. Wir können auf ein breites Spektrum an unterschiedlichen Experten zurückgreifen und darauf bauen (Medien, tiergestützte Pädagogik, Sport etc.) und dadurch so vielfältig agieren und arbeiten, so viele unterschiedliche Angebote, basierend auf Fachwissen und Können, machen.“

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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