Ganztagsgrundschule mit Auszeichnung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Wenn wir morgens hören, dass es heiß wird, starten wir mit Wasserspielen“, sagt die Schulleiterin der Gutenberg-Grundschule Dierdorf. Im vorigen Jahr erhielt die Schule den „European Innovative Teaching Award 2021“.

Das Kind im Blick, flexibel und spontan – so könnte der Slogan der Gutenberg-Grundschule im rheinland-pfälzischen Dierdorf lauten. Wer mit Schulleiterin Andrea Theisen-Welsch, ihrer Stellvertreterin Sabine Wolf und der Ganztagsbeauftragten Raffaela Schroeder spricht, spürt schon nach wenigen Minuten, dass die Eigenschaften hier gelebt werden. Und man mag den drei Attributen hinzufügen: Was Eltern hier erwarten können, ist ein Herz für ihre Kinder. Wobei Mütter und Väter mit ihrer Anmeldung bereits eine Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander gelegt haben. „Wir möchten niemanden zu uns locken, Eltern müssen selber kommen, weil sie von unserem Konzept überzeugt sind“, betont Andrea Theisen-Welsch.

Überzeugt hat die Ganztagsgrundschule im Landkreis Neuwied auch die Europäische Union. Als einzige Schule in Rheinland-Pfalz und einzige Grundschule bundesweit wurde sie kürzlich mit dem „European Innovative Teaching Award 2021“ geehrt. Ausgezeichnet wurden Projekte, die sich mit dem Thema Fernunterricht und gemischte Lernformate auseinandergesetzt hatten. In der Gutenberg-Schule lief das unter dem Titel „Komm, ich zeige dir meine Stadt“. Gestaltet wurde ein „Digitaler Stadtführer“ für Kinder.

Neue Räume sprachlich und medial kennenlernen

Die Kinder betrachteten ihre Stadt sozusagen von außen, „mit den Augen“ der Schülerinnen und Schüler ihrer polnischen Partnerschule Krotoszyn, und versuchten, diesen ihre Stadt über verschiedene mediale Wege näherzubringen. Videos wurden ausgetauscht. Die Dierdorfer Schülerinnen und Schüler konnten erfahren, was die Partnerklasse in der eigenen Stadt als wichtig empfindet. Anschließend versuchten sie, das Pendant in Dierdorf zu finden und es attraktiv in Szene zu setzen. „Sie haben dabei gelernt, wie man sich neue Räume sprachlich, räumlich und medial erobert“, berichtet die Schulleiterin.

Der Startschuss für die Idee fiel bereits vor Jahren mit den gestiegenen Anforderungen, Unterricht und Angebote auch digital zu gestalten: in einem über zwei Jahre angelegten Erasmus-Projekt. „Eigentlich hat alles 2010 begonnen“, erinnert sich Sabine Wolf. Damals wurde aus der Grund- und Hauptschule Dierdorf eine reine Grundschule. „Wir haben dann überlegt, wie es mit der Schulpartnerschaft, die zuvor im Wesentlichen von der Hauptschule mit Leben gefüllt worden war, weitergehen könne“, berichtet Andrea Theisen-Welsch.

Die wesentliche Veränderung war, dass fortan Familien und nicht nur Schülerinnen und Schüler in die 60 Kilometer nördlich von Wrocław gelegene Partnerstadt und umgekehrt reisten. Theisen-Welsch: „Das war damals schon ganz wertvoll für alle. Und die Kinder haben auf einmal gespürt, dass auch wir Erwachsenen durchaus schon einmal Schwierigkeiten mit dem ,Fremden` hatten.“ Über Jahre wuchsen echte familiäre Freundschaften, auch bei Lehrkräften. Die Schulleiterin fügt hinzu: „Ich bin überzeugt, dass es heute wichtiger denn je für Europa ist, solche Beziehungen im Kleinen zu pflegen und so Verständnis für andere zu entwickeln.“

Anderen die eigene Stadt und Heimat zu präsentieren, gehört untrennbar dazu. So konnte der Kontakt dank medialer Wege selbst dann weiter gepflegt werden, als an Reisen nicht zu denken war. Auch in der Schulpartnerschaft bleibt das Kind im Blick. Es erfährt, was wir landläufig „andere Länder, andere Sitten“ nennen.

Schullounge der Partnerschule in Krotoszyn
Schullounge der Partnerschule in Krotoszyn... © Gutenbergschule Dierdorf

Lernen im eigenen Tempo ...

Im Blick hat die Schule die Mädchen und Jungen indes nicht nur in ausgewählten Projekten. Im Unterricht sollen, so das erklärte Ziel, immer möglichst zwei Erwachsene aktiv werden. Eine Lehrkraft wird wahlweise von einer Förderlehrkraft, Studierenden der Uni Koblenz-Landau, Lehramtsanwärterinnen und jungen Menschen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr ableisten, unterstützt. Das ermöglicht Binnendifferenzierung und Lernen im eigenen Tempo.

Was in der jeweiligen Stunde behandelt wird, liegt in der Entscheidung der Lehrkräfte. Stundenpläne, auf denen fest verankert und unverrückbar „Rechnen, Schreiben, Religion“ stehen, gehören der Vergangenheit an. Andrea Theisen-Welsch drückt es klar aus: „Es ergibt doch keinen Sinn, den ganzen Aufwand vom Drachenbauen wieder zusammenzuräumen, weil der Gong ertönt. Oder weil wir irgendwann zu Schuljahresbeginn beschlossen haben, dass jetzt Mathe dran ist.“ Der Schultag in der Gutenberg-Schule wird von Flexibilität geprägt – den Lehrplan ignoriert natürlich niemand.

... und in festen Verbünden

Kreativität kennzeichnet auch den Tagesablauf jener knapp fünfzig Prozent der 270 Schülerinnen und Schüler – Tendenz ständig steigend –, die von ihren Eltern für den Ganztag angemeldet wurden. Mit einer Ausnahme: Eine Hausaufgabenstunde nach dem Mittagessen ist gesetzt. Die Gruppen, die jeweils von einer Lehrerin und einem Mitarbeiter im Ganztag begleitet werden, sind feste Verbünde, bestehend aus jenen Schülerinnen und Schülern einer Klasse, die den Ganztag nutzen.

Was in der jeweiligen Stunde behandelt wird, liegt in der Entscheidung der Lehrkräfte. Stundenpläne, auf denen fest verankert und unverrückbar „Rechnen, Schreiben, Religion“ stehen, gehören der Vergangenhit an. Andrea Theisen-Welsch drückt es klar aus: „Es ergibt doch keinen Sinn, den ganzen ‚Pröll’ vom Drachenbauen wieder zusammenzuräumen, nur, weil der Gong ertönt. Oder weil wir irgendwann zu Schuljahresbeginn beschlossen haben, dass „jetzt“ Mathe dran ist.“ Der Schultag in der Gutenberg-Schule wird von hoher Flexibilität geprägt – den Lehrplan ignoriert natürlich niemand.

„Wir wollen sicherstellen, dass sich Vertrautheit einstellt und die Kinder möglichst immer mit der ihnen bekannten Bezugsperson zusammen sind. Das ist uns in den ersten zwei Schuljahren wichtiger, als dass immer eine Lehrkraft anwesend ist“, erklärt GTS-Leiterin Raffaela Schroeder. Ab Jahrgangsstufe 3 kommt dienstags eine weitere Hausaufgabenstunde hinzu. An diesem Fördertag wird noch einmal gezielt für Lernzielkontrollen geübt. In ihrem Team kann die Sozialpädagogin auf circa 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauen. Ab Jahrgangsstufe drei soll aus fachlichen Gründen möglichst eine Lehrkraft aus der jeweiligen Stufe anwesend sein.

Andrea Theisen-Welsch hebt hervor, was ihr und ihrem Kollegium neben der Vertiefung des Lehrstoffes an der Hausaufgabenbetreuung so wichtig ist: „Wir erhalten die Rückmeldung, was einzelne Schülerinnen und Schüler schaffen und können. So können wir individuell steuern. Das kriegen wir natürlich nicht mit, wenn die Aufgaben zu Hause erledigt werden. Wir erfahren aber auch, wenn wir etwas Falsches oder zu viel aufgegeben haben.“ Sabine Wolf ergänzt: „Feedback als Selbstkontrolle und Feinjustierung in einem.“

Die Gruppe entscheidet

Sind die Hausaufgaben erledigt, folgen Arbeitsgemeinschaften. Allerdings nicht auf vielfach gewählte und bevorzugte Weise. Die Kinder melden sich nicht für eine AG ihrer Wahl an, sondern entscheiden als Gruppe, manchmal auch spontan, „was wir heute machen.“ Raffaela Schroeder drückt das so aus: „Wir gehen auf die täglichen Bedürfnisse ein. Manchmal wollen die Kinder einfach nur spielen oder auch einmal ,abhängen‘

Mit Förster Gerhard Willms auf Wanderung duch das Arme Heckelchen
Mit Förster Gerhard Willms auf Wanderung duch das Arme Heckelchen © Gutenbergschule Dierdorf

Das große Schulgelände bietet zahlreiche Bewegungsmöglichkeiten und Spiele in der Natur. Und das wieder spontan: „Wenn wir morgens hören, dass es heiß wird, starten wir in einen Planschtag mit Wasserrutsche und Wasserspielen“, verspricht Schroeder. Sie ist vom aktuellen Ganztagskonzept absolut überzeugt und weiß sich doch einig mit der Schulleitung: „Ganztag ist man nicht einfach. Das muss wachsen.“ Einen Wachstumsbedarf formuliert Andrea Theisen-Welsch: „Unser Konfliktmanagement könnte noch optimiert werden. Dafür wünschen wir uns eine zusätzliche Sozialarbeiterin.“

Es ist wohl diese Bereitschaft zur intensiven Arbeit im multiprofessionellen Team und die Bereitschaft zur Kommunikation, dass die inklusive Arbeit dieser „Schwerpunktschule“ für Kinder mit besonderem Förderbedarf gelingt. „Wir sind weggekommen von der Defizitorientierung. Wir gucken, wo wir bei jeder und jedem Einzelnen ansetzen können“, betont Sabine Wolf. Inklusiv wird an der Gutenberg-Schule als Umgang mit dem Anderssein und nicht als Integration von „Kindern mit Beeinträchtigung“ definiert.

Von- und miteinander lernen

Die Lehrkräfte lernen von- und miteinander, jene, die für das Grundschullehramt ausgebildet sind, ebenso wie die ausgebildeten Sonderpädagoginnen. „Es gibt die Förderschullehrerin, die im Regelunterricht aktiv ist, und den Regelschullehrer, der den Förderpart übernimmt“, so die Schulleiterin. Ihre Stellvertreterin fügt hinzu: „Die Inklusion hat unsere Sichtweise auf die Kinder und den Unterricht verändert. Wir haben festgestellt, dass auch der Blick der Kinder untereinander sanfter geworden ist.“ Andrea Theisen-Welsch nickt zustimmend: „Wir sind mutiger geworden. Wir trauen uns jetzt, Förderpläne auch schon aufzustellen, wenn ein sonderpädagogischer Förderbedarf noch nicht amtlich attestiert.“ Weil es so oder so dem Kind zugutekommt.

Dafür, das wissen alle an dieser Medienschule, die über 70 Tablets verfügt, muss ständig das Gespräch gesucht und gefunden werden. Dies gelingt mit Hilfe einer App, die speziell für Schulen entwickelt wurde, inzwischen nahezu perfekt. Über sie läuft die Kommunikation reibungslos. Selbst wenn die Schulleiterin kurzfristig darum bitten möchte, rund ums Sekretariat und ihr Büro möglichst für Ruhe zu sorgen, wenn die Schulneulinge zu Besuch weilen. Per App erreichte die Nachricht das Team noch rechtzeitig.

Auf den herkömmlichen Weg der Kommunikation wird selbstverständlich nicht verzichtet: Benötigen Schülerinnen und Schüler etwa in der Corona-Situation weitere Unterstützung jenseits der zweimal täglichen Videokonferenzen, wird telefoniert. Viel, regelmäßig, individuell und geduldig.

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