Ganztagsgrundschule Bothmer: Neue Freude am Lernen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Aus Signalen ihrer Schülerinnen und Schüler hat die Grundschule Bothmer selbst gelernt. Mit Engagement und Fortbildung ist dem Team eine Transformation gelungen: Im September wurde sie „Zukunftsschule“ in Niedersachsen.

„Wir möchten unsere Schule den Bedürfnissen der Kinder anpassen, nicht umgekehrt“, versichert Christina Feldmann. Sabine Holzhäuser nickt zur Bestätigung. Die Leiterin der Grundschule Bothmer in der Gemeinde Schwarmstedt und die Ganztagskoordinatorin sind sich in ihrer Zielrichtung einig. Sie wissen ihr kleines Team an dieser von 85 Schülerinnen und Schülern besuchten Schule hinter sich.

Seit einigen Jahren befindet sich die Grundschule im Wandel. „Irgendetwas klappt hier nicht mehr“, hatten sie vor rund sechs Jahren erkannt. Die Kinder hatten keine Freude mehr am Lernen. „Sie haben uns das ganz deutlich gezeigt. Darauf mussten wir reagieren“, berichtet die Schulleiterin. Wie haben es die Kinder gezeigt? Christina Feldmann und Sabine Holzhäuser schauen sich an, überlegen. Dann sagt die Schulleiterin: „Sie waren unkonzentrierter, abgelenkter, lustloser.“ Sabine Holzhäuser ergänzt: „Die Raufereien nahmen zu.“ Es herrschte eine angespannte Atmosphäre.

„Einfach machen, es könnte ja gut werden“

Die Möglichkeit, den Arbeitsplatz auszusuchen, erhöht die Motivation.
Die Möglichkeit, den Arbeitsplatz auszusuchen, erhöht die Motivation. © Grundschule Bothmer

Die Schule handelte. Eine Fortbildung des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) lieferte 2018 erste Ansätze. Ihr Titel lautete „Inklusive Grundschule". Das Kollegium bildete sich schließlich über drei Jahre fort, in jedem Jahr wurde an zwei Tagen zu einem bestimmten Thema gearbeitet. 2018 drehte es sich um die „bewegte Schule“. Von den Referentinnen und Referenten hörte man Wertvolles über die Bedeutung von Bewegung im Schulalltag, von den positiven Effekten aufgelockerten Unterrichts.

Getreu dem eigenen Motto „Einfach machen, es könnte ja gut werden“, schaffte die Schule aus dem eigenen Budget preiswerte Kurbeltische und Matten an. Und erlaubt den Schülerinnen und Schülern insbesondere während der Hausaufgabenbetreuung im Offenen Ganztag seitdem, sich auszusuchen, wo sie arbeiten wollen. Wer am Tisch sitzen bleiben, möchte, kann es tun, wer sich auf die Matte legen möchte, ebenso. „Allein die Möglichkeit, sich den Arbeitsplatz auszusuchen, erhöhte die Motivation“, erinnert sich Christina Feldmann.

Sogar ihr Arbeitszimmer hat sie dafür „geopfert“ – hier können Kinder entspannen, mitunter auch Elterngespräche geführt werden. Die Schulleiterin wandert mit ihrem Laptop nun „dorthin, wo gerade Platz ist“, sagt sie schmunzelnd. Ihr Pragmatismus angesichts der Raumnot hat vielleicht mit ihrem Werdegang, der ihr Einblicke in andere Berufsbilder bescherte, zu tun. Die ausgebildete Bauingenieurin war einst eine sogenannte Quereinsteigerin im Lehrberuf.

Erfolgreich die Fühler ausgestreckt

Auch Ganztagskoordinatorin Sabine Holzhäuser hatte schon eine Berufsausbildung als Zahntechnikerin, bevor sie pädagogische Mitarbeiterin wurde. Die Parallele verbindet, man spürt es. Auch wenn sie darüber berichten, was in der jüngsten Vergangenheit geschah. Als da beispielsweise die Ausnahmesituation war, die Corona bescherte. „Wie können wir die Zeit nutzen, sollten die Schulen länger dicht sein?“, lautete die Frage. Die Antwort fiel nicht schwer. „Wir wollten die Fühler ausstrecken, uns ein Bild machen von dem, was möglich ist“, berichtet Sabine Holzhäuser und freut sich immer noch: „Man spürte das Feuer im Team.“

Schaubild
Ideen für eine Schule der Zukunft © Grundschule Bothmer

Anregungen für die „Schultransformation“, wie Schulleiterin Feldmann es nennt, gab das in Niedersachsen aktive Netzwerk der Bildungsinitiative „Schule im Aufbruch“. So stieß die Schule beispielsweise auf den (kostenpflichtigen) Onlinekurs „pioneers of education“ der mit dem Netzwerk verbundenen LernKulturZeit Akademie. „Sofort mitgenommen“ hätten sie Margret Rasfeld, die Gründerin der „Schule im Aufbruch“ und bis 2016 Leiterin einer Berliner Gesamtschule, mit ihren Ideen für eine Schule der Zukunft, oder der Ökonom Otto Scharmer, der sich mit sozialen Veränderungsprozessen befasst.

Heute ist die Schule eine naturnahe, bewegte und gesunde Schule, mit Schulwald und naturnahem Schulhof, mit Bewegung im Unterricht und in den Pausen (u. a. durch Liege- und Steharbeitsplätze), mit Schulgarten, kostenlosem Schulobst, einer Bienen- und Imker-AG. Es gibt Patenklassen für die Erstklässler, Lesepaten und jahrgangsübergreifende Projekte. Die Schulklingel ist abgeschaltet, die 45-Minuten-Stunden sind durch 90-Minuten-Lernblöcke ersetzt. Die Hektik ist aus dem Schulalltag verschwunden.

Eine wertvolle „Schatzmappe“

Individualisierung und selbstständiges Lernen wurden zu zwei wesentlichen Merkmalen des Unterrichts und der Ganztagsangebote in der Grundschule Bothmer. Zu den neuen Elementen zählt unter anderem die MeiLe-Zeit, ausgeschrieben „Meine Lernzeit“. Zwanzig Minuten täglich arbeiten die Schülerinnen und Schüler nach Absprache mit ihrer Klassenlehrerin über eine sinnvolle Schwerpunktsetzung an einem konkreten Thema, wechselnd zu allen Fachbereichen. Wie weit sie ihre Wochenziele erreicht haben, dokumentieren sie in ihrer „Schatzmappe“. Den Titel haben sich die Schülerinnen und Schüler selbst ausgesucht.

„MeiLe“ ist nicht verpflichtend. Wer lieber zu Hause an dem arbeitet, was früher Hausaufgaben genannt wurde, kann dies tun, wie die rund 25 Kinder, die den Ganztag nicht nutzen und ihre Aufgaben daheim erledigen. „’MeiLe’ hat dazu geführt, dass der Satz ‚Wir haben nichts auf’ nicht mehr fällt. Es gibt immer und für jeden etwas zu tun“, schildert Sabine Holzhäuser. Doch der „Zwang“ soll auch im Ganztag, den die Schule eigenständig überwiegend mit „Bordmitteln“ organisiert, geringgehalten werden. So können die Kinder in der „Lust & Laune“-AG selbst entscheiden, was sie tun. Holzhäuser: „Was auch einen kleinen Beitrag zur Partizipation und zum Demokratieverständnis leistet.“

Ganztagsschule mit „Freiday“

Luftballons
Ganztag mit „Lust & Laune“-AG ... © Grundschule Bothmer

Am „Freiday“ gibt es gar keine Unterrichtsfächer. Vier Stunden lang widmen sich die Grundschülerinnen und Grundschüler an jedem Freitag eigenständig gewählten Themen rund um die „Global Goals“, die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Dabei fragen sie sich selbst, was ihnen wichtig ist, wofür sie sich einsetzen möchten. Und lernen dabei auch zu scheitern, erfahren etwa im Gespräch mit der Politik, dass nicht alles, was sie sich als Veränderungen und Verbesserungen wünschen, auf die Schnelle umzusetzen ist. Sie gehen nach draußen, treffen den Bürgermeister zum Interview, telefonieren mit der Tageszeitung, beteiligen sich am öffentlichen Erntedankfest im Ort oder präsentieren ein selbst entwickeltes Theaterstück am Demokratietag. Kürzlich beteiligten sie sich am Friedensmarsch der St. Laurentiusgemeinde Schwarmstedt.

Ein wenig Überzeugungsarbeit muss noch geleistet werden. Während die Kinder dem „Freiday“ entgegenfiebern, kommt von Eltern schon einmal die Frage: „Und wann macht ihr Mathe?“ Dass dies wie viele andere Kompetenzen am „Freiday“ mittrainiert wird, bedarf mitunter der Erläuterung. So wie es auch der Erklärung bedarf, dass Noten durch Kompetenzberichte ersetzt werden und nicht alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt zur Leistungsüberprüfung gebeten werden. Wer sich auf dem Weg durch die Lehrpläne in einem Bereich sicher fühlt, meldet sich zum „Check“ an. Christina Feldmann begründet das so: „Wir sagen im Schwimmunterricht nach einigen Übungseinheiten ja auch nicht, dass nun alle Kinder ins Wasser springen sollen, egal, ob sie schwimmen können oder untergehen.“

AckerSchule – Zukunftsschule

„Anders lernen am Lern- und Lebensort“ Grundschule Bothmer hat sich das Team zum Ziel gesetzt, getreu dem eigenen Anspruch, „wir versuchen es immer noch besser zu machen“. Dazu zählt auch die schuleigene Landwirtschaft, die mit der „GemüseAckerdemie“ entwickelt wurde. Seit 2022 ist die Grundschule Bothmer eine „AckerSchule“.

Gemüseackerdemie
Seit 2022 ist die Grundschule Bothmer eine „AckerSchule“. © Grundschule Bothmer

Auf einem vom benachbarten Sportverein Bothmer/Norddrebber abgetretenen Grundstück pflanzen die Schülerinnen und Schüler Mais, Gurken, Zucchini, Kartoffeln, Tomaten und Spinat an, lernen den Wert der Nahrungsmittel kennen und spüren beim Umgraben des Feldes, wie anspruchsvoll die Arbeit in der Landwirtschaft ist. Mit Blick nach vorne träumt die Schule von einer engagierten Person, die die selbstgezogenen Lebensmittel zur Herstellung der Schulspeisen nutzt. Aktuell werden sie mit nach Hause genommen und unter anderem zum Nachkochen von Rezepten der Koch-AG verwertet.

Christina Feldmann und Sabine Holzhäuser machen keinen Hehl daraus, dass „es noch viel zu tun gibt“ an ihrer Schule. Etwa, wenn es darum geht, die Fächergrenzen von Mathematik, Deutsch und Englisch durchlässiger werden zu lassen und Inhalte in Projekten zu erarbeiten. Aber sie beobachten, dass die Freude am Lernen zurückgekehrt ist. Das spricht sich auch herum. Das Land Niedersachsen ernannte die Grundschule Bothmer im September 2022 für „besonders innovative Ansätze in ihrer pädagogischen und schulorganisatorischen Entwicklung“ zur „Zukunftsschule“. Und die beiden Lehrerinnen versprechen: „Wir machen das schon.“ 

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