Ganztagsgrundschule Barkelsby: „Eine Schule für die Kinder“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Als die Schülerzahlen bedenklich zurückgingen, entschied sich die Grundschule Barkelsby für den Offenen Ganztag, die Schulentwicklung und ein neues pädagogisches Konzept.

Außenansicht der Grundschule Barkelsby
Grundschule Barkelsby © Grundschule Barkelsby

Schon der erste optische Eindruck lässt den Betrachter träumen: „Hier wäre ich als Kind auch gerne zur Schule gegangen.“ Ein Schulhaus wie aus Bullerbü, umgeben von großflächigen Bewegungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Schafherde, nebenan die Streuobstwiese, Zugang zum benachbarten Fußballplatz, ein eigenes Amphitheater. Man wähnt sich auf der Insel der Glückseligen vor der Grundschule Barkelsby, wenige Kilometer entfernt von Eckernförde in Schleswig-Holstein.

Dass die ersten Gedanken nicht täuschen, spürt, wer in das mehr als 100 Jahre alte Schulhaus in typischer norddeutscher Klinkerarchitektur tritt, sich mit Schülerinnen und Schülern oder aber Schulleiter Klaus Düllmann und der Leiterin des Offenen Ganztags Inga Lange unterhält. Sie treffen wir im Besprechungsraum, einem ehemaligen Wohnzimmer der oberen Etage, die bis vor wenigen Jahren noch von einer Familie mit Kind (es besuchte die Grundschule) bewohnt worden war. Erst nach deren Auszug konnte die kleine Schule zweigeschossig werden, fand Raum für Sekretariat und Lehrerzimmer.

Doch die Insel der Glückseligen gäbe es beinahe heute nicht mehr. In den 2000er Jahren sanken die Schülerzahlen. Schließlich wurde sogar die erforderliche Mindestgröße von 80 Kindern nicht mehr erreicht. Der Tiefpunkt war 2011 mit 74 Schülerinnen und Schülern erreicht. Der Grundschule Barkelsby drohte die Schließung.

Kontroverse Diskussionen

Zu diesem Zeitpunkt leitete Klaus Düllmann die kleine Schule gerade zwei Jahre. „Unerfahren im Grundschulwesen“, gesteht der ursprünglich aus der Hauptschularbeit  kommende Pädagoge. Sofort aufgefallen war ihm bei seinem Antritt, dass an der Grundschule keine Betreuungsangebote existierten. Das Ergebnis einer Meinungsumfrage von 2006 im Ort hatte gelautet: „Wir brauchen doch keine Betreuung am Nachmittag.“ Wobei die Betonung auf dem Wörtchen „wir“ lag. Als ihn dann die Aufforderung aus dem politischen Raum erreichte, er möge dafür sorgen, dass die Schule im Ort bestehen bleibe, trieb er trotz des Bürgervotums die Einführung des Offenen Ganztags voran.

Frühstück
Beim gesunden Schulfrühstück © Grundschule Barkelsby

Düllmann etablierte den Arbeitskreis Schulentwicklung mit Vertretern von Schule, Eltern und Gemeinde. Dort wendete sich nach intensiven kontroversen Diskussionen das Blatt. Die Erkenntnis setzte sich durch: Betreuung ist mehr als Service. Sie hat pädagogische Hintergründe und benötigt Qualität. Der Grundstein für den Aufwärtstrend der Schule war gelegt.

2013 konnte die Gemeinde Barkelsby schon „stark ansteigende Anmeldezahlen“ registrieren, was vielen Neuerungen – wie etwa der Anschaffung von Notebooks – Auftrieb gab. „Die Entwicklung der Grundschule Barkelsby hin zur Offenen Ganztagsschule hat in Verbindung mit dem vorbildlichen Engagement der Lehrerschaft zu einer Aufwertung der Schule geführt und damit den Schulstandort auf Jahre gesichert“, hieß es in einem Protokoll der Gemeinde.

Starke Verankerung in der Gemeinde

Heute nutzen 80 Prozent der inzwischen wieder auf deutlich mehr als 110 angewachsenen Schülerschar den Ganztag. Besser ausgedrückt: Sie lieben ihn. Und ihre Eltern auch. Organisiert und gestaltet wird er durch die Schule selbst. „Und zwar mit maximaler Flexibilität“, garantiert Klaus Düllmann. Von 7 bis 17 Uhr sind die Pforten der OGTS geöffnet. 60 Euro müssen die Eltern pro Monat zahlen, ein Mittagessen kostet zusätzlich 3,40 Euro. Geschwister erhalten Rabatt. Arbeitslosengeld-Empfänger zahlen keinen Cent.

Die Angebotspalette der OGTS ist reichhaltig und bunt. Hausaufgabenbetreuung und zahlreiche Arbeitsgemeinschaften sind obligatorisch. Welche AGs ins Programm aufgenommen werden, entscheiden die Schülerinnen und Schüler mit. „Ihre Wünsche sind entscheidend. Entsprechend variieren die Angebote auch“, sagt Inga Lange. Die Vernetzung in der Gemeinde und mit der Kirchengemeine Borby-Land hilft. Handball, Reiten, Bogenschießen, Theater und selbst Floorball sind möglich. Reiten für Kinder von Eltern mit Arbeitslosengeldbezug? „Ja“, versichert die Leiterin der OGTS, „das geht, weil die Kosten so kalkuliert sind, dass auch für vermeintlich teure Arbeitsgemeinschaften niemand etwas hinzuzahlen muss. Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft.“

Die kooperierenden Vereine – darunter etwa der Barkelsbyer Sportverein von 1960 e. V. – haben längst einen Mehrwert ihres Engagements erkannt – immer mehr Kinder melden sich nach der Teilnahme an der AG im Verein an. Was wiederum an der Flexibilität liegt. So ist es beispielsweise auch möglich, nach der Schulzeit zu Hause zu essen und dann wieder zu den Klassenkameraden und Freunden zurückzukehren. Manch einer in Barkelsby spricht, wenn er an die Schule denkt, längst von einem Bildungs-, Gemeinde- und Vereinszentrum.

Eine Lesepatin wird Leiterin des Offenen Ganztags

Inga Lange betont: „Ohne mein Team und die enge Zusammenarbeit mit der Schule könnte ich alleine nichts bewegen.“ Ihr Werdegang an der Schule ist spannend.

Die Schulgemeinschaft im Amphitheater
Die Schulgemeinschaft im Amphitheater © Grundschule Barkelsby

Als ausgebildete und selbstständige Buchhändlerin startete sie ihre Karriere in Barkelsby als ehrenamtliche Lesepatin – aus Liebe zu den Kindern und zum Lesen. „Aber wen wir einmal schätzen gelernt haben, den lassen wir nicht mehr los und ziehen ihn immer mehr zu uns“, droht der Schulleiter schmunzelnd.

Inga Lange wurde Begleiterin des pädagogischen Mittagstisches. Der Zusatz „pädagogisch“ ist bewusst gewählt. Denn an den kleinen Sechsertischen geht es um mehr als um Nahrungsaufnahme. Soziale Komponenten und ein enger Bezug zur Bio-Landwirtschaft – ein Schulprojekt der OGTS ist „Vom Feld auf den Teller“ in Kooperation mit dem Bioland Hof Großholz – gelten als ebenso wichtig. Ein Essen liefert die „Natur-KostBar“, ein zertifizierter Bio-Caterer aus der Region, es kommt täglich dampfend auf den Tisch. Wo die Lebensmittel produziert werden, erfahren die Kinder bei regelmäßigen Exkursionen. Ihr Votum übers Essen geben sie täglich im „Schmeckometer“ ab – von „super“ bis „na ja“ reicht die Skala.

Die nächste Stufe folgte 2015: Inga Lange übernahm die Leitung des Ganztags, der eine Frühbetreuung ab 7 Uhr – Unterrichtsbeginn ist 7.30 Uhr – und einen offenen Ausklang bis 17 Uhr beinhaltet. „Aber wir achten auch darauf, dass den Eltern die Folgen eines zehnstündigen Aufenthalts in der Schule, die lange Abwesenheit von der Familie, bewusst ist“, unterstreicht der fünffache Vater Klaus Düllmann. Dies gilt insbesondere nach dem Wechsel von der Kita ins erste Schuljahr. „Nein“, sagt er schließlich, „zehn Stunden in diesem Alter sollten nicht unbedingt sein.“

Flexibel und individuell

Durchaus mit einer Portion Stolz verweist der Schulleiter auf die Bereitschaft der Schule, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglichst viele Fortbildungen und persönliche Qualifikationen zu ermöglichen. Eine nutzte Inga Lange. Sie ist mittlerweile ausgebildete Lerntherapeutin. Das sei heute geradezu ein Markt, doch daraus eine Selbstständigkeit aufzubauen, kommt ihr nicht in den Sinn. Vielmehr will sie ihre Fähigkeiten den Kindern an der Grundschule Barkelsby zugutekommen lassen.

Schulhof
© Grundschule Barkelsby

Sie bietet eine lerntherapeutische Begleitung im Rahmen des Ganztags an, ohne Zusatzkosten für die Eltern. Zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler nutzen die Chance, arbeiten im Projekt „Leselust und Zahlenzauber“ mit Inga Lange an basalen Fähigkeiten. Sei es die Augen-Hand-Koordination, ihre Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit oder der Freude am Lernen, wie es die Lerntherapeutin ausdrückt.
Die größtmögliche Flexibilität ist gepaart mit größtmöglicher Individualisierung. „Nicht die Schüler müssen sich der Schule anpassen, sondern wir müssen schauen, wie ein Kind es aushält, in der Klasse zu sein“, betont Klaus Düllmann. Er denkt an jenen Jungen mit autistischen Zügen. Regelmäßig darf er mit seinem Schulbegleiter den Unterricht verlassen. Wann und welche Bedürfnisse von Kindern besonders zu berücksichtigen sind, erfährt das Kollegium durch die Beratungsstelle inklusive Schule.

„Wir sind jetzt eine Schule für die Kinder“

Was den Schulleiter zu der Bemerkung veranlasst: „Wir sind personell sehr gut aufgestellt, erhalten von vielen Stellen wichtige Unterstützung. Sonst wäre vieles nicht möglich.“ Das weiß auch die Klassenlehrerin der Jahrgangsstufe 4, Britta Flaig. Drei „spezielle“ Kinder, wie sie sie liebevoll nennt, können gut integriert lernen und etwa am gemeinsamen Theaterstück „Husch, da waren sie weg“ mitarbeiten. Warum? Weil die Pädagogin zumeist eine Teamkollegin an ihrer Seite weiß und bereit ist, improvisierend und individuell zu arbeiten.

Klaus Düllmann ist überzeugt, dass die Einführung des Ganztags ein wesentliches Element darstellt, mit dem der nun schon lange zurückliegende Abwärtstrend der Schule ins Gegenteil verkehrt werden konnte. Doch das alleine genügte nicht. „Unsere Denkweise und Pädagogik haben sich verändert. Wir sind jetzt eine Schule für die Kinder, mit einem positiven Blick auf die Schülerinnen und Schüler“, berichtet er. Auch deshalb wurden die Noten abgeschafft. Ausführliche Berichte ersetzen sie. Beispiel: In einem Diktat schreibt ein Kind 25 von 75 Wörtern falsch. Die Bewertung lautet dann: „Prima, du hast schon 50 Wörter richtig geschrieben. Vielleicht schaffst du beim nächsten Mal noch mehr.“

Der Schulleiter ist überzeugt: „Wir betreiben keine Kuschelpädagogik. Positive Rückmeldungen motivieren. In den digitalen Medien ist das normal. Da heißt es auch, man habe bereits den nächsten Level erreicht. Negative Kommentare frustrieren nur.“ Seine Haltung und die des Kollegiums, das durch zwei Bundesfreiwilligendienstleistende ergänzt wird, hat sich in der Gemeinde und weit darüber hinaus herumgesprochen. In schöner Regelmäßigkeit klingelt das Telefon und Eltern möchten einen Platz für ihr Kind „ergattern“. Für Düllmann stellt jeder Anruf ein kleines Fest dar. Derer gibt es in Barkelsby viele. Wieder.

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