Ganztagsgrundschule am Buntentorsteinweg: "Klasse!" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Ein individueller Blick auf das Kind ist das Markenzeichen der gebundenen Ganztagsgrundschule am Buntentorsteinweg in Bremen, die 2015 Platz zwei beim Deutschen Schulpreis erreichte.

Der erste Eindruck entscheidet oft. Das gilt für Menschen wie für Gebäude. Gemessen daran muss die Ganztagsgrundschule am Buntentorsteinweg eine sein, in der sich die Kinder, die Lehrkräfte, das pädagogische Personal, alle übrigen Beschäftigten und Eltern einfach wohl fühlen. Hell, freundlich, fröhlich, bunt, lebendig – jedem, der diese Schule einmal betreten hat, würden noch viele ähnliche Zuschreibungen einfallen. Hier lässt es sich lernen und leben, sagt der erste Eindruck.

Grundschule am Buntentorsteinweg Bremen
Lernen in historischen und neuen Gebäuden: Der Altbau und der 2007 mit IZBB-Mitteln fertiggestellte Neubau, in dem sich unter anderem die Mensa befindet © Grundschule am Buntentorsteinweg Bremen

Und er scheint zuzutreffen. Bestätigung jedenfalls erhalten wir von zwei Neunjährigen. Gerne unterbrechen sie ihr Spiel, um uns den Weg zur Schulleitung zu zeigen. Gerne geben sie –  nach Klärung ihrer Frage: „Warum willst du das wissen?“ – ihr Urteil über ihre Schule ab: „Klasse.“ Was ist denn so klasse? Antwort der beiden: „Unsere Lehrerin ist total nett, wir lernen viel und dürfen auch sagen, was wir wollen.“

Behutsames Heranführen

Dabei sind Disziplin und klare Regeln ein Muss, betont Schulleiterin Meike Baasen. „Nur wenn sich alle an unsere Absprachen halten, kann die große Individualität und Freiheit beim Lernen, die wir unseren Schülerinnen und Schülern zugestehen, zum Erfolg führen“, weiß sie. Dies gilt für die tägliche Arbeit in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, den Verzicht auf jegliche Noten seit zehn Jahren, die Abkehr von Klassenarbeiten und die Einführung individueller Lernzielkontrollen.

Aber es gilt auch für den sogenannten Vorkurs. Bettina Rick leitet ihn. Täglich trifft sie hier auf Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren, deren Deutschkenntnisse noch zu gering sind, um sie schon am „regulären“ Unterricht teilnehmen zu lassen. Bis zu sechs Monaten lernen sie im Kreis von zehn bis elf anderen hier die deutsche Sprache. „Wir wollen sie ganz behutsam an die Arbeit in den Jahrgangsstufen heranführen und schauen deshalb ganz genau, wann ein Kind in der Lage ist, dort hineinzuschnuppern und später auch hineinzuwachsen“, berichtet Bettina Rick.

Die Schulleiterin ergänzt: „Es ist allerdings ein Irrtum zu glauben, dass die Jungen und Mädchen nach dem halben Jahr im Vorkurs keine weitere Sprachförderung benötigen.“ Und mit noch einem Irrtum möchte sie aufräumen. Anders als von außen oft wahrgenommen, besuchen den Vorkurs nicht nur Kinder aus geflüchteten Familien. Deren Anteil beträgt derzeit circa 40 Prozent.

Den Glauben an das eigene Können stärken

Die jungen Menschen im Vorkurs eint der Wunsch, Deutsch zu lernen, Freunde zu finden, gemeinsam mit ihnen zu lachen und zu lernen. Bettina Rick möchte ihnen dazu das notwendige Rüstzeug an die Hand geben. Sie sieht das Potenzial der Kinder: „Es ist vorhanden, doch ohne Deutschkenntnisse kann es im Unterricht noch nicht abgerufen und gezeigt werden. Wir bemühen uns, alle von Anfang an zu stärken, ihnen den Glauben an sich selbst und das eigene Können zu ermöglichen.“

Sie verhehlt nicht, dass die Arbeit in dieser äußerst heterogenen Gruppe nicht immer einfach ist. Sie muss auf jeden einzelnen eingehen und gleichzeitig die anderen im Blick behalten. Auch hier helfen Regeln. Das Schild mit dem Frosch etwa signalisiert: Ruhe. Es wird von Anfang an eingesetzt. Auch weitere Vereinbarungen und Absprachen werden mit Symbolen verdeutlicht und sprachlich angemessen formuliert.

Schulen benötigen mehr Integrationshilfen

Vor Jahren stieß die damalige Vorkursleiterin einmal an ihre Grenzen, als „plötzlich“ acht Kinder in den Vorkurs kamen, die mit hiesigen Kulturtechniken noch wenig vertraut waren. „Einige wussten nicht einmal, wie man einen Wasserhahn aufdreht“, wird berichtet. Die Schulleiterin schlug „Alarm“ in der Stadt, organisierte einen Runden Tisch mit allen Verantwortlichen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Für den Vorkurs konnte vorübergehend zusätzlich eine Erzieherin engagiert werden.

Trotz dieses kurzfristigen Erfolgs mahnt Meike Baasen auch heute noch weitere Unterstützung an. „Gerade vor dem Hintergrund der zu uns kommenden Kinder benötigen die Schulen mehr Integrationshilfen und Erzieherinnen. Das gilt nicht nur für uns und vor allem auch nicht nur für die Vorkurse“, betont sie. Sozusagen als eine hausinterne Lösung sollen künftig ältere Kinder die Neuankömmlinge als Paten begleiten, ihnen die Orientierung im täglichen Schulalltag erleichtern.

Jahrgangsübergreifend bedeutet Inklusion

Leichter könnte Bettina Rick, der ausgebildeten Lehrerin in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Deutsch als Fremdsprache (DaF), die Arbeit im Vorkurs fallen, wenn sich in ihm nur jene träfen, die, abgesehen vom Sprachstand im Deutschen, dem Unterricht in der Regelklasse inhaltlich folgen könnten. Doch häufig sind auch Kinder mit gebrochenen Lernbiografien dabei oder Kinder, die erst elementare Fähigkeiten wie das Halten eines Stiftes lernen müssen. „Diese Bandbreite der Individualität gilt es zu bedienen“, umschreibt die Pädagogin ihren täglichen Arbeitsalltag.

Grundschule am Buntentorsteinweg Bremen
Lernkultur: Kastanien als "Mathehilfe" © Grundschule am Buntentorsteinweg Bremen

Dabei sieht sie sich in dieser Rolle keineswegs als etwas Besonderes gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen im regulären Unterricht. Und stimmt deshalb ihrer Schulleiterin uneingeschränkt zu, wenn diese betont: „Man ist als Schule per se inklusiv, wenn man jahrgangsübergreifend arbeitet. Das erleichtert auch die Integration.“  Ohnehin beträgt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund rund 40 Prozent. Wenn Meike Baasen die Zusammensetzung der Schulkinder beschreiben soll, tut sie das mit den Worten: „Von Kindern aus einem wenig anregenden Familienumfeld bis hin zu Kindern aus sehr bildungsnahen Akademikerfamilien.“

Muttersprache als Kompetenz schätzen

Die Unterschiedlichkeit der Ausbildung, der Herkunft und des Interesse an der Bildung des eigenen Kindes kennzeichnet auch die Eltern. Untrennbar mit dieser Tatsache verbunden ist die Frage, wie die Schule am Buntentorsteinweg, die sich 2015 über Platz zwei beim Deutschen Schulpreis freuen durfte, mit der Muttersprache von Eltern und Kindern umgeht. „Na klar“, sagen Meike Baasen und Bettina Rick, „die Kinder sollen und müssen Deutsch lernen, aber die Muttersprache wird nicht nur nicht ausgegrenzt, sondern bewusst als Kompetenz wertgeschätzt.“

Es gehört zum pädagogischen Konzept, dass die Eltern die Muttersprache zuhause nutzen, damit die Kinder eine stabile Sprache beherrschen. Der Ganztag, der am Buntentorsteinweg vor zehn Jahren eingeführt wurde,  bietet nach Ansicht der beiden Pädagoginnen hervorragende Voraussetzungen für den Erwerb des Deutschen: „Schließlich halten sich die Kinder täglich acht Stunden in einem deutschsprachigen Raum auf.“

Doch neben aller Bedeutung der Muttersprache sei es besonders wichtig, die hiesige Sprache zu beherrschen: „Für einen adäquaten Bildungsabschluss sind gute Sprachkenntnis die notwendige Voraussetzung“, betont die Schulleiterin. „Kinder, die nicht so gut Deutsch sprechen, aber hochintelligent sind, haben nach der Grundschule wenig Chancen, einen Platz an den besonders begehrten Schulen zu bekommen.“ Um das zu erreichen, fehlten vielen Kindern mit Deutsch als Zweitsprache nach der Grundschule einfach noch die sprachlichen Fähigkeiten, um fachliche Feinheiten ausdrücken zu können.

„Gut und schlecht gibt es nicht wirklich“

Der individuelle Blick aufs Kind, der sich beim Wechsel zur weiterführenden Schule nach Ansicht der Grundschulpädagoginnen also sicher noch schärfen ließe, ist nicht nur den Lehrkräften selbstverständlich. Auch die Eltern und die Kinder selbst begrüßen ihn. Etwa, weil die Einschulung in diesem System der jahrgangsübergreifenden Lerngruppen zweimal im Jahr (August und Februar) möglich ist. Oder weil die altersgemischten Gruppen zu großer Toleranz führen und überraschende Konstellationen ermöglichen.

„Auf einmal spürt der Elfjährige, dass er auch von einem viel jüngeren Schulkameraden etwas lernen kann und umgekehrt. Gut und schlecht gibt es nicht wirklich, was übrigens auch für Sprachen gilt: Keine ist besser als die andere“, sagt Bettina Rick beim Abschied. Auf dem Hof treffen wir die beiden freundlich-fröhlichen Neunjährigen wieder. Diesmal fragen sie: „Na, wie war’s?“. Antwort: Klasse.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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