Ganztags mobil an der IGS Flötenteich : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Auf vielfältige Weise setzt die IGS Flötenteich in Oldenburg ihr Konzept „Ganztägige Mobilität“ um. Mobil sein heißt in der fahrradfreundlichsten Schule Deutschlands aber auch, beim Lernen über den Tellerrand zu blicken.

Fahrradschule
Fast alle Schülerinnen und Schüler kommen täglich mit dem Fahrrad. © IGS Flötenteich

Wer es nicht besser wüsste, könnte meinen, er sei auf dem Gelände eines großen Fahrradhauses gelandet. Soweit das Auge reicht: Räder, Räder und nochmals Räder. Doch wir befinden uns nicht an einem Ort des Zweiradhandels. Wir stehen vor dem Schulgebäude der Integrierten Gesamtschule Flötenteich in Oldenburg. Sie weckte jüngst bei der Fachtagung des Bundesnetzwerks Ganztag und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung bundesweit mit ihrem Konzept „Ganztägige Mobilität“ Neugierde. Ganztags mobil – was verbirgt sich dahinter?

Nun, die erwähnten Fahrräder lassen ahnen, dass es zum einen um die körperliche Mobilität geht. Nahezu alle rund 1.250 Schülerinnen und Schüler kommen täglich per Drahtesel zur Schule. Sie werden von früh an daran gewöhnt, sich dieses Bewegungsmittels zu bedienen. Die Schule wird dafür „belohnt“. 2020 wurde sie als fahrradfreundlichste Schule Deutschlands mit dem „Sonderpreis Mobilität“ ausgezeichnet und gewann im selben Jahr Silber beim Mobilitäts- und Sicherheitswettbewerb der Deutschen Verkehrswacht. 

Gute Beziehung – gutes Lernen

Die IGS Flötenteich, eine voll gebundene Ganztagsschule, lebt Rad könnte man sagen. Lehrer Berend Meyer wird schon dafür sorgen. Schließlich ist er einer von fünf Fachberatern Mobilität in Niedersachsen. Doch er weiß auch: „Wenn wir das im gesamten Team nicht so umsetzen wollten, würde es nicht funktionieren.“ Dabei denkt er zum Beispiel an das Konzept: „Mein Stadtteil erkunden“. Vier, manchmal fünf halbe Schultage werden investiert, um mit dem Rad den Wohnort jeder Schülerin und jedes Schülers anzufahren. 

Vordergründig steigert dies die Sicherheit der Kinder im Straßenverkehr und erfüllt damit schon einen Sinn. Doch es geht um viel mehr. „Kinder sollen sich und den anderen annehmen wie sie sind, erfahren, wie schön es ist, nicht zu bewerten“, sagt Schulleiterin Hannelore Lüllwitz. Und die Fachbereichsleiterin Ganztag, Freizeit und Sport, Annegret Meyer, ergänzt: „Beziehungsarbeit hat bei uns einen ganz hohen Stellenwert. Denn eine gute Beziehung zwischen Schülerinnen und Schüler und uns stellt die Grundlage für erfolgreiches Lernen dar.“

Bei der Umsetzung herrscht durchaus nicht immer auf Anhieb Einigkeit. Gut erinnert man sich noch an das Schuljahr 2014/2015. Der Vorschlag, die 90minütigen Doppelstunden um zehn Minuten zu verkürzen, um ein ganz neues Rhythmisierungskonzept einzuführen, stieß nicht bei allen im Kollegium auf Begeisterung. „Ja, Beziehungsarbeit, die im Mittagsband besonders gepflegt wird, ist wichtig. Aber so viele Minuten möchte ich von meinem Unterricht nicht hergeben“, hieß es. Hannelore Lüllwitz kennt das Resultat: „Da hat sich unsere gute Streitkultur bewährt. Wir haben uns auf eine fünfminütige Kürzung verabredet.“ Heute hat die Schule ein verändertes Konzept mit Zeit für rund 50 unterschiedliche Arbeitsgemeinschaften im Mittagsband.

Fächerverbindender Unterricht

Fußball
„Ganztägig mobil“ bedeutet nicht nur körperliche Aktivität... © Hannelore Lüllwitz

Das Bundesland Niedersachsen hat als einziges ein „Curriculum Mobilität“. Die IGS Flötenteich setzt dieses in vielerlei Hinsicht um. Und es darf als durchaus außergewöhnlich gelten, dass eigens ein Bauwagen gekauft wurde, um eine mobile Werkstatt einzurichten. Schließlich müssen auch die 18 schuleigenen Mountainbikes, je 10 BMX-Räder und herkömmliche Tourenräder, die Hoch-, Ein- und Clownsräder sowie das Lastenrad gepflegt und repariert werden.

Doch „ganztägig mobil“ bedeutet eben nicht nur körperliche Aktivitäten. Es bedeutet auch, stets flexibel im Kopf zu bleiben, zu schauen, wie jede Schülerin und jeder Schüler zum für ihn bestmöglichen Abschluss geführt werden kann. Dabei soll ihnen vermittelt werden, wie Dinge zusammenhängen. Der Unterricht, in dem stets der Bezug zum Alltag hergestellt wird, findet deshalb auch fächerverbindend statt, oft orientiert an den sogenannten und aufeinander aufbauenden vier jährlichen Themenplänen.

Im Pädagogischen Konzept der Schule wird dies so beschrieben: „Der gemeinsame Unterricht von Kindern mit unterschiedlichsten Begabungen und Fähigkeiten muss gemeinsame Lernangebote bieten, die den Schülerinnen und Schülern aller Leistungsniveaus und Interessenlagen Herausforderungen bietet. Bei uns arbeiten alle Fächer themenorientiert und so oft wie möglich fächerverbindend mit Plänen, die den Schülerinnen und Schülern eine Orientierung darüber geben, was verlangt wird und welche Aufgaben für ihren Lernweg geeignet sind.“

Konsumverhalten reflektieren

Ein Blick in einem willkürlich ausgewählten Themenplan der Klasse 5 veranschaulicht die Umsetzung. Überschrift: „Lang lebe mein Tetrapak.“ Das Ziel lautet, Müllvermeidung zu thematisieren und zu vermitteln, dass sie nur funktioniert, wenn man die Sinnhaftigkeit versteht. Es werden Verpackungen untersucht, das eigene Verhalten analysiert und die Materialien, die verwendet werden, in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt. Da das Thema so umfangreich und komplex ist, bearbeiten die einzelnen Schülergruppen unterschiedliche Teilaspekte des Themas und informieren alle in der Klasse über ihre Ergebnisse. 

Gemeinsam wird am Anfang ein Tetrapak untersucht: Was ist drin, woraus besteht die Verpackung, welche Schichten lassen sich erkennen, welche Bedürfnisse oder Wünsche spricht die Verpackungsaufmachung an? Es folgt die Beschäftigung mit Stoffen, mit Wünschen etc. Die Leitfrage lautet: Wie lange lebt mein Tetrapak? Die Schülerinnen und Schüler sollen das eigene Konsumverhalten kritisch reflektieren und sich ihre „Konsumentenmacht“ vor Augen führen können.

Global Goals der Nachhaltigkeit

Das im Schulprogramm verankerte Thema Nachhaltigkeit wird an der IGS Flötenteich in allen Fächern aufgegriffen wird. Beispiel Religion: Hier steht die Frage nach dem Unterschied zwischen Wunsch und Bedürfnis im Zentrum. Offiziell heißt es von der Schule dazu: „Für Schülerinnen und Schüler ist es gewöhnlich eine neue Erkenntnis, die im Laufe der kommenden Jahre immer wieder aufgegriffen wird. Was sind Grundbedürfnisse? Wer ist für deren Befriedigung verantwortlich?“ 

Säulen Flur
Kunst und Gesellschaft: „Über den Tellerrand schauen“. © Hannelore Lüllwitz

Von dort führt der „rote Faden“ dann auch direkt zum globalen Lernen, wenn es um die Frage geht, wie Menschen an unterschiedlichen Orten in die Lage versetzt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Im Fach Gesellschaftslehre kommt der ökologische Fußabdruck zur Sprache, in Kunst werden aus Müll neue Dinge hergestellt: Collagen, Skulpturen oder Papier für Briefe oder schicke Karten. Und schließlich: Im Fach Arbeit-Wirtschaft-Technik (AWT) kann es auch um Recycling gehen, beispielsweise um die Weiterverwertung alter Jeans oder das Aufpeppen eines T-Shirts. 

Die 17 Global Goals, also die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen gehören durch das auf der Gesamtkonferenz verabschiedete Arbeitsprogramm zum schulischen Alltag Als farbige Boxen und ausgehängte Plakate erinnern sie daran, wie wichtig es ist, diese Ziele auch in der Schule umzusetzen. „Wir möchten, dass sich unsere Schülerinnen und Schüler Gedanken über Umwelt, Natur und ihren Umgang damit machen“, betont die Schulleiterin. Will heißen: Die Thematik wird nicht nur in Projekten angesprochen. Sie ist überall sichtbar – etwa durch die Dachbegrünung oder die Fotovoltaikanlage. 

„Zeit für Vieles“ – „Zeit für mich“

Grundlage ist der niedersächsische Erlass „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an Schulen“. Annegret Meyer ergänzt: „Unsere IGS schaut bei der Umsetzung des BNE-Erlasses über den Tellerrand hinaus.“ So werden gezielt interkulturelle Begegnungen – in der Pandemie digital und in Präsenz – ermöglicht. Seit 2015 arbeitet die Schule mit Projekten der Kinderkulturkarawane wie der Sosolya Undugu Dance Academy aus Uganda und „The Dreamcatchers“ aus Indien zusammen. Der interkulturelle Austausch zu globalen Themen wie dem Klimawandel erfolgt in diesen Projekten über Tanz und Theater. Gemeinsam mit den jugendlichen Gästen aus Ländern des globalen Südens können sich die Oldenburger Schülerinnen und Schüler für die globalen Probleme und Herausforderungen sensibilisieren. 

Eine Schülerin spricht mich an, als ich mir ein Bild vom Gebäude und Gelände mache. „Wie gefällt es Ihnen?“, fragt sie. Meine Antwort: „Ich finde es klasse, dass ihr euch so sehr mit der Natur beschäftigt“, quittiert sie mit einem freundlichen Lächeln. Lange muss sie nicht grübeln, um auf meine Gegenfrage („Was gefällt dir hier gut?“) zu reagieren: „Für meine Freundinnen und mich ist es toll, dass wir nicht alle alles gleichzeitig machen müssen und dass unsere Lehrer auf Aktuelles reagieren. Ich kenne viele, die andere Schulen besuchen und vor der Bundestagswahl keine Junior-Wahl durchführen konnten.“ 

Urkunde
schoolart: Schülerfirma mit Gestaltung, Schülercafé und Veranstaltungstechnik © IGS Flötenteich

Und noch etwas gefällt ihr („und den anderen auch“): „Zeit für mich“ und „Zeit für Vieles“. Mit „Zeit für mich“ starten die Schülerinnen und Schüler der IGS Flötenteich jeden Morgen selbstorganisiert, aber begleitet und unterstützt durch Lehrkräfte, mit der Bearbeitung von individuellen Übungsaufgaben. Sie lernen, ihren Lernstand zu reflektieren und zunehmend selbständiger zu arbeiten. „Zeit für Vieles“ ist das umfangreiche Mittagsband überschrieben, eben das große Angebot aus den Bereichen Bewegung, Kultur, Natur, Gesellschaft und Soziales. Kommentar der Schülerin: „Da findet jeder etwas, das ihn interessiert.“

 

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