Ganztags in Gerolstein: Die Realschule mit dem PLUS : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

"Wenn schon Ganztagsschule, dann richtig", sagt Günter Mehles, Schulleiter der Realschule plus Gerolstein, die zeigt, dass ein teilgebundener Ganztag auch im ländlichen Raum möglich ist.

Seit 2000 ist Günter Mehles Schulleiter an der Realschule plus Gerolstein. „Damals war noch klar: Nach eins macht jeder seins.“ Doch seitdem hat sich einiges geändert: Auch im ländlichen Raum der Vulkaneifel stieg die Nachfrage der Eltern nach ganztägiger Bildung und Betreuung. Und so ist die ehemalige Hauptschule seit dem Schuljahr 2009/2010 Ganztagsschule.

Eigentlich hätte sie es schon seit dem Schuljahr 2004/2005 sein können, doch damals ermöglichte das rheinland-pfälzische Bildungsministerium lediglich die Variante der Ganztagsschule in Angebotsform, also ein additives Nachmittagsangebot nach dem Vormittagsunterricht. Das war sowohl den Lehrkräften als auch den Eltern damals zu wenig. „Im Wort Ganztagsschule stecken die Wörter ganztags und Schule“, erklärt Günter Mehles. „Wenn schon Ganztagsschule, dann wollten wir sie richtig als ein zusammenhängendes pädagogisches Angebot über den gesamten Tag.“

2009/2010 startete man aufgrund des immer dringlicher werdenden Elternwunsches doch mit der Ganztagsschule in Angebotsform. Die Erfahrung mit Externen war für Ganztagskoordinatorin Joana Kincel aber „nicht ganz so toll“: „Die außerschulischen Partner waren sicherlich gut in ihren unterschiedlichen Feldern, aber eben keine Pädagogen und dann manchmal mit der Situation überfordert. Der gute Wille ersetzt nicht die pädagogische Fachkenntnis.“ Schulleiter Mehles gibt zu bedenken: „Auf dem Land ist es auch schwieriger, geeignetes außerschulisches Personal zu finden.“

Für neue Lehrkräfte ist der Ganztag normal

Die Schulleitung und das Kollegium überlegten, was „im System machbar war“. Eine gänzliche Umstellung auf den gebundenen Ganztag kam wegen der fehlenden Wahlfreiheit nicht in Frage: Die Realschule ist die einzige vor Ort in der rund 8.000 Einwohner zählenden Gemeinde. Also beschloss die Schule, eine Ganztagsklasse einzurichten. Als sichtbaren Mehrwert und Profilgebung richtete man diese als Bläserklasse ein.

Die Schülerinnen und Schüler der Bläserklasse mit Sonnen-Schutzbrillen
Die Bläserklasse verfolgt die Sonnenfinsternis 2015 © Realschule plus Gerolstein

Die Ganztagsklasse wächst nun seit 2013/2014 als Ganztagszug nach oben, im kommenden Schuljahr wird sie in der 9. Klasse angekommen sein. 370 Schülerinnen und Schüler lernen an der Realschule plus, davon 145 in den Ganztagsklassen, mit steigender Tendenz. Bis auf den 7. Jahrgang gibt es jeweils zwei Halbtags- und eine Ganztagsklasse. Damit ist die Hoffnung der Verantwortlichen aufgegangen, „dass sich die Nachfrage erhöhen würde, je mehr die Ganztagsklasse florierte“, wie der Konrektor und Pädagogische Koordinator Till Habel-Thomé meint.

Nicht alle Lehrerinnen und Lehrer waren damals von Anfang an begeistert gewesen. „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, sagt Günter Mehles schmunzelnd, aber heute „kommen neue Kolleginnen und Kollegen, für die der Ganztag normal ist“. Das Berufsbild des Lehrers habe sich gewandelt. Man brauche Lehrerinnen und Lehrer im Ganztag, denn dadurch erhöhe sich die Akzeptanz bei den Schülerinnen und Schülern und dann bei den Eltern.

Hausaufgabenquantum musste sich einpendeln

Montags, dienstags und donnerstags findet im Anschluss an das Mittagessen in der renovierten Mensa für die Ganztagsklasse die Lernzeit statt, die von 14.00 bis 15.30 Uhr von einer Lehrerin oder einem Lehrer begleitet wird. Hier sitzen die Schülerinnen und Schüler an ihren Hausaufgaben oder Übungsaufgaben. „Es ist erstaunlich, wie selbstständig sie ihre Aufgaben schon erledigen“, freut sich der Schulleiter.

In der 7. Klassenstufe gibt es eine freiwillige Hausaufgabenbetreuung, in der eine Lehrkraft, ein FJS-ler oder eine andere pädagogische Fachkraft mitarbeiten. „Hier ist der Aufwand größer, weil hier ganz viele verschiedene Aufgaben aus verschiedenen Klassen zusammenkommen“, erläutert Joana Kincel. „Am Anfang mussten wir das Hausaufgabenquantum doch etwas einpendeln, denn es gab Tage, da brachten die Kinder Berge mit, und dann manchmal Tage, an denen sie gar nichts aufbekommen hatten. Aber seit drei Jahren läuft es richtig gut. Inzwischen gibt es ein Hausaufgabenheft, in das die Kolleginnen und Kollegen eintragen, was gemacht worden ist und wie lange die Schüler dazu benötigt haben.“

Ein Mittagessen gehört zum Ganztag. Drei Essen – ein nach dem Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zertifiziertes, ein vegetarisches und ein Wunschessen – stehen täglich auf dem Speiseplan des Caterers. Eine Salatbar und Wasser sind immer verfügbar. „Für manchen ist es die einzige warme Mahlzeit des Tages“, beobachtet Schulleiter Günter Mehles, weil „nirgendwo mehr alles Idylle ist, auch hier nicht“. Aber mit den Problemen müsse man umgehen, und wenn man die Schülerinnen und Schüler länger in der Schule habe, „etwas Vernünftiges daraus machen“.

„Stärkung des Unterrichts als Hauptargument für den Ganztag“

Der Mittwoch ist der AG-Tag: Zu den angebotenen Arbeitsgemeinschaften gehören „Mit Nadel und Faden“, Hörspiel, Fußball, Sport, Jugendorchester und Medien. Letztere Arbeitsgemeinschaft macht sich mit Mikrofon und Kamera in die Umgebung auf, um die Kunden eines neu eröffneten Schnellrestaurants zu befragen. Die Schülerinnen und Schüler lernen den Umgang mit Schnitt und Nachbearbeitung. Der AG-Tag ist inzwischen wegen der steigenden Nachfrage auch für die Halbtagsschülerinnen und -schüler geöffnet. „Am Anfang bestand die Sorge, dass der Ganztag für die Schülerinnen und Schüler wie eine Zumutung wirken könnte, und heute wird er als Bonus wahrgenommen“, bilanziert Günter Mehles.

Fest im Schulprogramm ist die jährliche Skifahrt in die Alpen verankert, bei der auch der Schulleiter dabei ist. „So etwas schweißt zusammen, und es gab schon so manchen Kandidaten, der etwas schwieriger war, der nach der Fahrt wie ausgewechselt gewesen ist“, erzählt Günter Mehles. Wesentlich ist auch die Berufsorientierung mit den regelmäßig stattfindenden Praktikumstagen, den Betriebserkundungen, der Ausbildungsbörse und den mehrwöchigen Praktika in Betrieben. „Wenn ein Jugendlicher sieht, dass ist nichts für mich, oder auf eine Idee kommt, eine berufliche Richtung einzuschlagen, von der er zuvor nichts wusste, ist schon viel gewonnen“, meint der Schulleiter.

An der Inklusions-Ausbildungsschule lernen im aktuellen Schuljahr Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen in den Klassen 5 bis 9. Dabei planen und unterrichten die Regelschullehrkräfte, die Förderschullehrerinnen und -lehrer und eine Pädagogische Fachkraft zusammen im Klassenverband, ergänzt durch Einzel- und Gruppenförderung.

Dem Schulleiter ist es wichtig zu betonen, dass „die Stärkung des Unterrichts“ für ihn „ein Hauptargument für den Ganztag“ ist. Mit dem Ganztag könne man mehr Angebote unterbreiten, die den Unterricht unterstützen und ergänzen. „Zugleich gewinnt die Schule bei den Kindern und Jugendlichen Akzeptanz, wenn sie sehen, dass sie nicht nur eine Anstalt für Wissensvermittlung ist. Es gibt eine Menge mehr an Entwicklungsmöglichkeiten.“

„Welcher andere Arbeitnehmer hat das?“

Inhaltlich und methodisch gebe es keinen Unterschied im Unterricht der Halbtags- und der Ganztagsklassen, er sei nur anders strukturiert. „Er ist nicht so verdichtet“, erläutert Günter Mehles. „Man geht entspannter mit allem um, und die Kolleginnen und Kollegen haben größere Freiräume, situativ zu reagieren. Aber klar ist auch, dass wenn wir einen vollständig gebundenen Ganztag hätten, wir noch ganz anders planen könnten.“

Joana Kincel findet, dass es durch den Ganztag besser möglich ist, die „Schule mit Leben zu füllen“. Mit einem breiteren Angebot könnten die Kolleginnen und Kollegen besser auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler eingehen. Für Till Habel-Thomé ist „Lernen ein spannender Prozess, den die Schüler den ganzen Tag über erleben“. Und dann seien sie froh, wenn um 15.30 Uhr auch wirklich „Schluss“ mit der Schule ist und sie Zeit für eigene Freizeitaktivitäten haben.

Der Konrektor will „nicht behaupten, dass die Ganztagsklasse die Schülerinnen und Schüler per se besser macht, aber es gibt mehr Zeit, Schwierigkeiten zu begegnen“. Er sei dankbar, an einer Schule zu arbeiten, „an der wir alles versuchen und ausprobieren können – welcher andere Arbeitnehmer hat das?“ Durch einen Nachbarschaftskontakt hat Habel-Thomé zum Beispiel die Kooperation mit der Deutschen Bahn „einstielen“ können, die nun ins zweite Jahr geht. „Die Bahn hat 115 verschiedene Ausbildungsberufe“, so Schulleiter Mehles. „Wir haben hier das Stellwerk vor Ort, und für den Azubi-Tag fahren die Jugendlichen nach Trier oder nach Köln.“

Günter Mehles wünscht sich für die Zukunft neben dem musikalischen auch ein sportliches Profil. Mit der Sanierung der Sporthalle und dem möglichen Bau einer zweiten rückt dieses Ziel näher. Ansonsten ist der Schulleiter zufrieden, er geht noch immer „jeden Tag gerne zur Schule“. Und „ich habe ein Kollegium, das sich um die Kinder bemüht, und wir haben hier eine gute Schülerschaft.“ Das ist ein großes Plus.

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