Ganztags glücklich in Glücksburg : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Raus in die Natur und an außerschulische Lernorte – so lautet das Motto der Grundschule Glücksburg im Kreis Schleswig-Flensburg. Die zertifizierte Kulturschule legt besonderen Wert auf handlungsorientiertes Lernen.

Nördlichste Grundschule Deutschlands: Strandmosaik
Nördlichste Grundschule Deutschlands: Strandmosaik © Grundschule Glücksburg

Glücksburg im Kreis Schleswig-Flensburg ist die nördlichste Stadt Deutschlands. Weil hier auch die dänische Minderheit zu Hause ist, hat die Stadt zusätzlich einen dänischen Namen: Lyksborg und eine sechsklassige dänische Schule, die Lyksborg-Skoleforeningen. Der Name Glücksburg kann treffender nicht sein. Nicht nur wegen der Nähe zur Ostsee kann die Grundschule Glücksburg sich über ihre Lage freuen: Unweit der Schule befinden sich ein großes Waldgelände und das Wasserschloss. Und auch in die Universitätsstadt Flensburg mit ihren vielen außerschulischen Lernorten ist es nicht weit.

Meike Thiermann leitet die Grundschule Glücksburg mit dem multiprofessionell aufgestellten Kollegium und einer Offenen Ganztagsschule, die mit ihrem Konzept des Lernens in diesem Jahr zu den 20 bundesweit für den Deutschen Schulpreis ausgewählten Schulen zählt. Zu diesem Lernkonzept gehören der wöchentliche „Draußentag“, intensive Projektarbeit, umfangreiche Förderangebote, selbstorganisiertes, handlungsorientiertes Lernen und natürlich die Angebote der OGS in Trägerschaft von „inab – Jugend, Bildung, Beruf“. Für ihr Engagement in der kulturellen Bildung erhielt die Grundschule 2017 das Zertifikat "Kulturschule Schleswig-Holstein".

Die Natur bietet alles

Kommt Meike Thiermann, die die Leitung der Schule mit aktuell rund 170 Schülerinnen und Schülern vor mehr als zwei Jahrzehnten übernommen hat, auf den „Draußentag“ zu sprechen, leuchten ihre Augen. Zwei Ereignisse haben die Grundschule nachhaltig geprägt. Zum einen der Besuch einer „Uteskole“, einer „Schule unter freiem Himmel“ in Norwegen, zum anderen zwei Netzwerktreffen zum Thema „Kulturelle Bildung draußen“.

Als Peter Fokuhl, ein ehemaliger Schulleiter und Begründer des Vereins „Naturschule Flensburger Förde“, sie dann fragte, ob sie Interesse habe, mit seiner Unterstützung einen Tag lang den Unterricht in der vielfältigen Natur rund ums das Schulgelände und in der nahen Umgebung einzuführen, war sie sofort begeistert. „Aber es gab auch kritische Stimmen“, erinnert sich die Schulleiterin. Manche fürchteten, wertvolle Zeit für die Vermittlung ihres Fachstoffes zu verlieren. Andere fragten sich, wie das Konzept bei schlechtem Wetter umzusetzen sei.

Das Kollegium einigte sich auf einen Versuch mit einer Klasse. „Draußen findet man einfach alles, was man zum handlungsorientierten Unterricht benötigt“, sagt Thiermann heute. Wald, Seen, die Flensburger Förde – alles liegt sozusagen vor der Haustür und hält „Lehr- und Lernstoff“ parat. Zahlreiche weitere außenschulische Lernorte wie das Landestheater Schleswig, die Stadtbibliothek, die Musikschule, der Segelclub oder die örtliche Feuerwehr runden das Angebot ab.

Draußen wird mehr kommuniziert

„Im Wald Mathe lernen?“, mögen sich Außenstehende denken. Doch Meike Thiermann präsentiert ein ebenso simples wie einleuchtendes Beispiel für das im Lehrplan vorgesehene „Wiegen und Messen“. Im Wald sei es die Aufgabe der Kinder, aus einem Stock und zwei Beuteln eine Waage zu basteln. Anschließend befüllen sie die Beutel mit unterschiedlichen im Wald gefundenen Gegenständen und halten auf dem als Notizblock genutzten Klemmbrett oder in ihrem Forscherheft fest, welcher Gegenstand jeweils schwerer als der andere ist.

„Das Lernergebnis vergessen die Kinder niemals"
„Das Lernergebnis vergessen die Kinder niemals" © Grundschule Glücksburg

Später im Schulgebäude überprüfen sie ihre Ergebnisse mit Hilfe einer echten Waage. „So bleibt doch viel mehr in den Köpfen hängen“, ist Thiermann überzeugt. Beispielsweise, wenn die Kinder einen „Barfußpfad“ anlegen, das Vogelfutter für die Tiere im Winter selbst herstellen, Strandmosaike am Meer legen, zum Thema Himmelsrichtungen kleine Windfahnen bauen oder zum Thema Feuer experimentieren und dabei etwas über Temperatur, Feuchtigkeit und Luft lernen.

Sie nennt als zweiten Vorteil das soziale Lernen. Draußen, so wissen sie und ihr Team, agieren die Schülerinnen und Schüler viel häufiger miteinander, kommunizieren intensiver mit den Gleichaltrigen oder ihren Lehrkräften. Und wenn der Himmel seine Schleusen zu stark öffnet oder der Wind mit Sturmstärke um die Ecke fegt? „Dann suchen wir nach Alternativen, weichen ins Schloss, zur Feuerwehr, in der sich praktischerweise Hausmeister Dirk Ericksen engagiert, oder wie jüngst in die benachbarte dänische Schule aus, um das dortige Eisenzeitdorf zu besuchen“, sagt Thiermann.

Radtouren und Glücksorte

Anhand der Türme und Fenster im von Touristen gerne besuchten Wasserschloss Glücksburg nähern sich die Kinder dem Thema Symmetrie. Die realen Verkehrszeichen im Ortskern dienen der Verkehrserziehung: „Was bedeutet das Zeichen, wie verhältst du dich hier? Warum ist das Zeichen nötig? Und auch bei der kulturellen Bildung rückte das Schloss in den Mittelpunkt. Wie stellt es sich dar, wie kann es in 100 Jahren aussehen und genutzt werden, lauteten einige Gedanken eines Schülerprojektes, das in einer vielbeachteten Ausstellung mündete.

Begeisterte Resonanz löste das Projekt aus, in dem Viertklässler die schönsten Fahrradtouren in Glücksburg erforschten und ausprobierten. Mit Tipps versehen, konnten sie ihre Erfahrungen in einem 90-seitigen „Fahrradführer für Kinder“ bündeln. Dieser wird nun auch über das Tourismusbüro vertrieben und von Einheimischen wie Auswärtigen gern genutzt. Ein entsprechender Wanderführer „Wo wir glücklich sind“ mit „Glücksorten“ der Kinder soll bald folgen.

Für Meike Thiermann steht fest: „Die Arbeit bereitet Freude, die Kinder erfahren ihre Selbstwirksamkeit, lernen den Umgang mit Stadt- und Landkarten und trainieren automatisch ihre Rechtschreibung.“ Wie stark sich Wissenswertes über die Vielfalt der Natur ins Gedächtnis einbrennt, wenn man es selbst erlebt, schildert sie am Beispiel der Schülerin Frieda.

Lernen in unterschiedlichen Niveaus

Staunend stand die Schülerin im Wald vor einem Pilz, wollte wissen, was das sei. „Zufällig wusste ich, dass es sich um einen Schopf-Tintling handelte, der eine Besonderheit hat“, erzählt die Schulleiterin. Frieda nahm den Pilz mit, legte ihn ins Klassenzimmer und staunte nicht schlecht, als sich der Pilz zu Tinte zersetzte. Mit Vogelfedern schrieben die Kinder am folgenden Tag. „Das Lernergebnis vergessen die Kinder niemals“, bilanziert die Meike Thiermann, zumal der Schopf-Tintling 2024 auch noch „Pilz des Jahres“ wurde.

„Pilz des Jahres" 2024: Schopf-Tintling
„Pilz des Jahres" 2024: Schopf-Tintling © Grundschule Glücksburg

Einen weiteren Vorteil des Draußen-Lernens sieht das Team der Grundschule, zu dem auch Schulsozialarbeiterin Karina Kloppenburg, zwei Sonderpädagoginnen, fünf Schulbegleiterinnen und -begleiter sowie Studierende im Praxissemester gehören, in der Möglichkeit, Aufgaben in unterschiedlichen Niveaus durchführen zu lassen. Als Beispiel nennt die Schulleiterin den Bau einer Brücke. Während Jüngere die für sie passende Aufgabe lösen, Stöcke zu suchen und damit eine „Brücke“ legen, suchen die Älteren nach Materialien für eine stabile Konstruktion.

Folgerichtig entwickelte das Kollegium inzwischen ein eigenes Curriculum. Es hält fest, wie welche Inhalte drinnen oder draußen von den Schülerinnen und Schülern erarbeitet werden können. Für draußen steht der „Thingplatz“ als Versammlungsort mit zu Sitzplätzen umfunktionierten Baumstämmen zu Verfügung. Für ihn wünscht sich die Schule noch eine Überdachung.

„Auf die Mischung kommt es an“

Den Schritt hin zu einer kompletten „Draußenschule“ mag die Grundschule (noch) nicht gehen. „Wir sehen durchaus auch die Pluspunkte für das Lernen drinnen. Die Mischung macht es“, berichtet Thiermann. Und denkt etwa an den von Schülerinnen und Schülern in einer Umfrage benannten Vorteil: „Am Tisch schreibt es sich besser.“ Beispielsweise, wenn es darum geht, ein vorgegebenes Thema des Wochenplans in Deutsch und Mathematik nach dem eigenen Tempo und Niveau zu bearbeiten.

Die Differenzierung ist fester Bestandteil des Unterrichts an der Grundschule Glücksburg. Thiermann: „Die Pflichtaufgaben müssen alle erfüllen, danach gibt es die Möglichkeit, weitere Übungen frei zu wählen.“ Freitags checken die Lehrkräfte die Arbeiten und geben Rückmeldung. Auch die Schülerinnen und Schüler geben regelmäßig ihr Feedback. Auf die Frage, was die Kinder nach eigener Einschätzung am „Draußentag“ lernen, lautet auch schon mal eine Antwort: „Nichts.“ Gemeint war aber, dass die Kinder den Lesespaziergang und das Wiegen und Messen nicht als Unterricht empfanden, sondern als: „Wir spielen.“

OGS mit vielfältigem Angebot

So abwechslungsreich wie die Natur ist das Angebot der Offenen Ganztagsschule. Zahlreiche Arbeitsgemeinschaften, vom Segeln, Golf, Schwimmen über Musik in der AG Geige oder der Orff-Musiktheater-AG bis hin zur japanischen Kampfkunst Aikido, stehen zur Verfügung. Für das Mittagsessen, für dessen Zubereitung die OGS gerade eine neue Köchin oder einen Koch sucht, für die qualifizierte Hausaufgabenbetreuung und für das freie Spielen stehen drei Räume in einem separaten Gebäude zur Verfügung. Dort können die Kinder bereits gut eine Stunde vor Unterrichtsbeginn ankommen, frühstücken, Freunde treffen, von ihren Erlebnissen erzählen oder in Ruhe dem Schulalltag entgegensehen. Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler nutzt den Offenen Ganztag bis 15 oder 16 Uhr, es besteht aber die Möglichkeit der Betreuung bis 17 Uhr. In fast allen Ferien bietet die OGS zudem eine Ferienbetreuung an.

Handball-Landesmeister mit Trainer Klaus Meckes vom TSV Glücksburg
Handball-Landesmeister mit Trainer Klaus Meckes vom TSV Glücksburg © Grundschule Glücksburg

Ganztagskoordinator Andreas Latz versteht sich als Bindeglied zwischen OGS und Schule. Er nimmt an Elterngesprächen und Konferenzen teil. Die räumliche Nähe garantiert darüber hinaus den Austausch wichtiger Informationen und der Sichtweisen der unterschiedlichen Professionen auf die Kinder. Manche Lehramtsanwärterinnen und -anwärter entschließen sich nach ihrem Praxissemester, in der OGS eine AG anzubieten.

Sie bereichern den Alltag der Schülerinnen und Schüler ebenso wie die vielen Ehrenamtlichen, die unter anderem in der Leseförderung engagiert sind. Doch anders als an manchen Schulen sind die Ehrenamtlichen hier nicht Vorlesende, sondern Zuhörende – wenn die Kinder aus ihren Lieblingslektüren vorlesen. Der Bedeutung des Lesen-Könnens trägt die Schule mit Leseecken in jedem Klassenzimmer, einer kleinen Bibliothek und der Teilnahme am Programm „Lesen macht stark“ Rechnung. Eine von sechs Deutschstunden ist regelmäßig dem Lesen gewidmet. „Tolle Geschichten zum gemeinsamen Lesen“ bieten neben Rezepten, Bastelideen und Spielen auch die „Digitale OGS“.

Paten für den Nachwuchs

Fragt man Meike Thiermann resümierend nach wichtigen Eckpfeilern ihrer Schule, hebt sie die soziale Komponente in der Kleinstadt Glücksburg und ihren Bildungseinrichtungen hervor. „Wir kennen uns alle mit Namen, verstehen uns gut, nehmen aufeinander Rücksicht.“ Die Weichen für eine solche funktionierende Gemeinschaft werden früh gestellt.

Schon im letzten Kindergartenjahr des evangelischen Kindergartens Glücksburg, den die meisten besuchen, verbringen die Vorschulkinder als „Wackelzahngruppe“ einen Tag pro Woche in der Schule. Sie lernen den Ort, die Menschen und sogar schon den Unterricht kennen. Die Kinder aus den beiden weiteren Kindergärten kommen zu Schnuppertagen. Ebenso gehen die Viertklässlerinnen und Viertklässler der Grundschule zum Vorlesen in die Kindergärten.

Sind aus den Kita-Kindern dann Schulkinder geworden, übernehmen Drittklässlerinnen und Drittklässler die Patenschaften. Sie helfen, wo immer es erforderlich ist, aber besonders in den zwei wöchentlichen „Patenstunden“, in denen sie gemeinsam den Unterricht bestreiten. Die Kinder finden das „klasse“. Zwei Viertklässlerinnen erinnern sich noch gut: „Durch unsere Paten wurde es uns in der ersten Klasse hier ganz leicht gemacht. Wir haben uns gleich pudelwohl gefühlt.“

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