Ganztags den europäischen Gedanken leben : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Europa soweit das Auge reicht. Die Gesamtschule Bad Oeynhausen, die knapp 1.000 Schülerinnen und Schüler besuchen, hat sich dem Gedanken der Toleranz und Vielfalt verschrieben. Das hat sich herumgesprochen.

Gesamtschule mit gebundenem Ganztag
Gesamtschule mit gebundenem Ganztag © Europaschule Bad Oeynhausen

„Hoher“ Besuch fand sich Ende Mai in der Europaschule Bad Oeynhausen ein. Dorothee Feller, Bildungsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, nahm sich Zeit, um sich ein Bild von dieser Schule zu machen. Einen Schwerpunkt ihrer Rundreise durch unterschiedliche Schulen bildete das Thema Europa. Feller diskutierte mit den Schülerinnen und Schülern, hob die Bedeutung Europas hervor, wie etwa das Beispiel des schrecklichen Krieges Russlands gegen die Ukraine vorführe. Sie sprach auch über das Nachbarland Niederlande: „Da kenne ich mich gut aus und schätze das Land sehr“.

In der von etwa 950 Schülerinnen und Schülern besuchten Europaschule Bad Oeynhausen, einer Gesamtschule mit gebundenem Ganztag, fand die Ministerin ausgesprochen kompetente Gesprächspartnerinnen und -partner. Denn hier steckt drin, was der Name verspricht. Europa wird nicht nur durch zahllose Schriftzüge und Plakate im Gebäude, den Klassen- und Fachräumen Gewicht gegeben. Europa kennzeichnet den täglichen Unterricht wie die Angebote im Ganztag.

Impuls vom Schulleiter

Vor knapp einem Jahrzehnt fielen die Würfel für die starke Orientierung am europäischen Gedanken. Die Gesamtschule stand in ihrer Profilbildung aus einem Impuls des Schulleiters Dirk Rahlmeyer vor der Wahl, UNESCO-Schule oder Europaschule werden zu wollen. Saskia Vollmer, die Europakoordinatorin der Schule, macht keinen Hehl aus den damaligen Diskussionen. Rund ein Drittel des Kollegiums plagten Zweifel an dieser Schwerpunktsetzung. Ihre größte Sorge: Entwickeln wir uns zu einer Schule mit einem reinen Sprachenprofil?

Doch das Konzept, dass anschließend gemeinsam „gestrickt“ wurde, zerstreute die Bedenken. Dirk Rahlmeyer betont, dass sich die Europaschule Bad Oeynhausen heute als mehr als nur eine Schule für die Schülerinnen und Schüler der Stadt sieht, sondern durch die regelmäßigen Besuche der internationalen Gäste und zahlreichen Europaaktionen als eine Bereicherung für die ganze Stadtgesellschaft.

Europa zieht sich hier wie ein roter Faden durch den gesamten Schulalltag. Gemeinsam und ständig sucht man Projekte für alle Fächer, die europäische Überlegungen aufgreifen. Der Blick über den Zaun wird den Schülerinnen und Schülern auch dank zahlreicher Auslandspartnerschaften (Dänemark, Niederlande, Spanien, Schweden, Tschechien, Georgien, Italien) ermöglicht. Diese Partnerschaften sind insbesondere durch die Initiative der Schulleitung entstanden, die sich persönlich um die Kontakte bemüht hatte. Es passt ins Konzept, dass frühzeitig in Klasse 5 Englisch auf dem Stundenplan steht und dass sich Schülerinnen und Schüler für den bilingualen Zweig entscheiden können.

Mit Musik und Tanz Sprachbarrieren überwinden

Die Europaschule erhält bald das Erasmus-Qualitätssiegel
Die Europaschule erhält bald das Erasmus-Qualitätssiegel © Simon Bäumer

Der Austausch hat einen besonderen Stellenwert. Das betont die didaktische Leiterin Brigitte Oswald. „Dabei lernen unsere Schülerinnen und Schüler, aber eben auch wir Erwachsenen, auf andere zuzugehen, Kulturen und Sprachen zu respektieren, ja die eigene Scheu zu überwinden, eine Fremdsprache zu sprechen“, berichtet sie. Dabei kam ihre Kollegin Daniela Geene auf eine geniale Idee.

In Kooperation mit einer andalusischen Schule entwickelten ältere Schülerinnen und Schüler Musikstücke, die zum Tanzen einladen. Ein eigenes Musikalbum entstand im Rahmen dieses Projekts unter dem Titel „Respect! – sing and dance for tolerance“. Saskia Vollmer ist überzeugt: „Das gemeinsame Singen und Tanzen hilft, das Hemmnis Sprache zu überwinden.“ Das sehen andere wohl ähnlich. In Kürze wird die Schule hierfür mit dem Erasmus-Qualitätssiegel ausgezeichnet.

Das Qualitätssiegel erhält die Europaschule zudem im Projekt „Teaching 4.0.“. Es ist der Lohn für die Bereitschaft, sich als Kollegium in Europa umzuschauen. Die didaktische Leiterin erläutert: „Wir wollten sehen, wie andere unterrichten, welche Konzepte jenseits unserer Grenzen existieren und wie sie erfolgreich umgesetzt werden.“ Kolleginnen und Kollegen ließen sich auf Malta, Teneriffa und in Florenz fortbilden. Andere schauten in schwedischen und dänischen Schulen den Lehrkräften beim Einsatz neuer Medien über die Schulter und probierten diese selbst im Unterricht aus. Daraus resultierte unter anderem eine digitale Plattform mit im Unterricht nutzbaren Apps.

„Und das haben wir gemacht, als von Corona noch gar keine Rede war“, strahlt Brigitte Oswald. So profitieren auch jene Kolleginnen und Kollegen, die nicht mit in die jeweiligen Länder gereist waren. Als seinerzeit das Virus den üblichen Schulalltag lahmlegte, konnte die Schule ihren Unterricht weitgehend ungestört und „ferngesteuert“, sprich im Homeoffice durchführen.

„Europabär auf Frühlingsreise“

Als kreativ erweist sich die Europaschule auch, wenn es darum geht, auf sich aufmerksam zu machen und gleichzeitig den Europagedanken schon frühzeitig in den Köpfen von Kindern reifen zu lassen. Jährlich sind die Drittklässlerinnen und Drittklässler aller Grundschulen der Stadt zum Malwettbewerb der Europaschule eingeladen. Ein Thema wird vorgegeben. Welches das jeweils ist, wird mit den Grundschulen abgesprochen, damit es zum Kunstunterricht passt. Die jüngste Wahl fiel auf „Der Europabär auf Frühlingsreise“.

Das bedeutet Europa ist für mich …
Das bedeutet Europa ist für mich … © Simon Bäumer

Aus der Vielzahl der Einsendungen werden die besten Arbeiten ausgezeichnet. Eltern und ihre Kinder, die sich, vielleicht auch durch den Wettbewerb motiviert, für die Europaschule entscheiden, wissen so frühzeitig, was sie dort erwartet. Etwa, dass jeder Jahrgang einem europäischen Land zugeordnet wird. Die Klassen erhalten dann Städtenamen des jeweiligen Landes, eine den einer dortigen Partnerschule.

Zum Bekanntheitsgrad in der Stadt Bad Oeynhausen trug im vergangenen Jahr auch eine Plakataktion der Schule bei. Unter dem Motto „Europa ist für mich …“ war es Aufgabe aller Jahrgänge der Sekundarstufe I, Plakate mit europäischen Gedanken zu entwickeln. Die Palette war bunt: Sie reichte von „Europa bringt uns Wohlstand“ bis zu „Europa bedeutet freies Leben“. Welche Plakate am Ende in der Stadt präsentiert wurden, diskutierte und entschied jeweils die Klassengemeinschaft. Brigitte Oswald betont den Wert der Aktion: „Die Schülerinnen und Schüler haben sich mit Europa auseinandergesetzt und gleichzeitig demokratische Spielregeln bei der Wahl des Klassenplakats eingeübt.“

Unterricht und Ganztag als Einheit

Strukturiert und die Möglichkeiten ausschöpfend, die ein dicht gefüllter Stundenplan hergibt, hat die Schule, die vier Schwerpunkte – MINT, Gesundheit und Bewegung, Sprache sowie Kultur und Musik – anbietet, ihren Ganztag gestaltet. Verantwortlich für ihn zeichnet Mathematik- und Sportlehrer Mohamed Mawassi. Für ihn bilden Unterricht und Ganztag eine Einheit. Der Ganztagskoordinator unterstreicht: „Was wir zusätzlich anbieten, dient nicht dazu, nachzuholen, was möglicherweise im Fachunterricht nicht geschafft wurde“, sondern habe einen eigenen Bildungswert. Das führe auch zu einer stärkeren Identifikation mit dem Schwerpunkt.

Dies gilt auch für jene zwei Stunden pro Woche, die als Ergänzung zum gewählten Schwerpunkt vorgesehen sind und in denen die Schülerinnen und Schüler sich für sie besonders stark interessierende Themen entscheiden. Europakoordinatorin Saskia Vollmer ergänzt: „Das eröffnet den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit spannenden Themen auseinanderzusetzen, im Kreis von Schülerinnen und Schülern mit den gleichen Interessen.

Beschäftigungsmöglichkieten in der Pause
Beschäftigungsmöglichkieten in der Pause © Simon Bäumer

Die beiden Stunden sind verpflichtend, aber frei von Benotung. Was auch für die wöchentliche Lernzeit zutrifft. Hier finden die Kinder und Jugendlichen Zeit, ihr Wissen zu vertiefen, Gelerntes stärker zu verinnerlichen. Die Jüngeren arbeiten dabei von der Lehrkraft „geführt“. Den älteren Schülerinnen und Schülern werden größere Freiheiten bei der Wahl, womit sie sich beschäftigen, eingeräumt.

Toleranz und Vielfalt

Als reines Angebot werden die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Mittagpause verstanden. Sie reichen von sportlichen Aktivitäten, etwa dem Klettern an einer bemerkenswert hohen Kletterwand oder der schweißtreibenden Fitnesseinheit im schuleigenen Fitnessraum, über die Tätigkeit in der eigenen und stets gut ausgelasteten Fahrrad-Werkstatt, bis hin zum Kräftemessen in der Soccerarena oder bei zahlreichen Gesellschaftsspielen. Die Ausgabe der Spiele leiten die Schülerinnen und Schüler in Eigenregie.

Verantwortlich für die Betreuung der Angebote zeichnen die Lehrkräfte. Bald möglicherweise mit einer Ausnahme: Kommt die geplante Boxgruppe zustande, wird bald ein Profi den Schülerinnen und Schülern zeigen, was ein linker Haken ist. Er wird ihnen ebenso nahebringen, dass seine Sportart keinesfalls allein von Härte geprägt ist. Es geht auch um Regeln und Fairness.

Beim Blick in die Zukunft hat sich die Europaschule vorgenommen, noch stärker als bisher den Schwerpunkt „Toleranz und Vielfalt“ zu betonen. Schülerinnen und Schüler werden beispielweise im Rahmen eines Projektes die Paralympics „nachstellen“. Andere greifen das Thema Obdachlosigkeit auf und lassen sich von Obdachlosen durch Prag führen. Es darf als sicher gelten: Nach diesen Projekten sind Europa, Toleranz und Verständnis für die Schülerinnen und Schüler mit Leben gefüllte Begriffe.

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