Ganztags an Herausforderungen wachsen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Eine Schule wächst: Die 13. Integrierte Sekundarschule hat ihre neue Heimat in Berlin-Lichtenberg bezogen. Sie wächst Stück für Stück, sowohl was die Schülerschaft als auch was die eigenen pädagogischen Konzepte anbetrifft.

Schulleiter Dr. Alexander Westphal
Schulleiter Dr. Alexander Westphal © 13. Integrierte Sekundarschule Berlin

Der Blick zurück führt bei Dr. Alexander Westphal zu einem durchweg positiven Fazit. Eigentlich, so erinnert sich der Schulleiter der 13. Integrierten Sekundarschule im Berliner Stadtteil Lichtenberg, die sich kurz auch „Projektschule in Lichtenberg“ nennt, wurden nach der „Wende“ viele Schulgebäude der früheren DDR dem Erdboden gleichgemacht – auch, weil in den unsicheren Zeiten die Zahl der Schülerinnen und Schüler rapide absank und nun zu viele Schulen existierten. Dem Gebäude an der Storkower Straße, in dem einst die Olof-Palme-Schule ihre Heimat hatte, blieb dieses Schicksal erspart.

„Zum Glück“, sagt Westphal. Heute sitzt er in einem modernen Büro in einem nahezu kompletten Neubau. Denn mit der Entscheidung, an diesem Standort die 13. Integrierte Sekundarschule zu etablieren, begannen spannende Planungsphasen. Dabei kamen Architekten und Stadt überein, die Treppenhäuser von der Abrissbirne zu verschonen. Um diese herum ist eine Schule entstanden, die mit ihrer Helligkeit, ihrer Funktionalität, farbenfrohen Wänden und klug genutzten Flächen überzeugt. Der Bau der Schule war notwendig, weil die Zahl der Schülerinnen und Schüler inzwischen wieder stark zugenommen hat. Dass die Schule nicht ganz pünktlich fertiggestellt werden konnte und ihr erster Jahrgang im Schuljahr 2022/2023 zunächst in einer Schule im Stadtteil Falkenberg untergebracht wurde, nahm man geduldig in Kauf.

Vorteil der zentralen Lage

Beim Betreten des nun fertigen Hauses tritt man nicht in eine Aula vergangener Tage, sondern in einen Ort für Veranstaltungen mit Sitzgelegenheiten auf einer „Tribüne“. Dort treffen wir eine 14-Jährige. Sie ist hier „zu Gast“. Denn die Projektschule befindet sich noch im Aufbau mit aktuell erst einem siebten und achten Jahrgang. Dennoch ist sie „voll“. Zeitweilig ist die Oberstufe der gegenüberliegenden Mildred-Harnack-Schule, die gerade saniert wird, eingezogen. Die junge Schülerin fühlt sich im Ausweichquartier sichtlich wohl und äußert die Hoffnung: „Hoffentlich wird das bei uns auch so schön.“

Dr. Alexander Westphal und Ganztagskoordinatorin Frau Kühner vom Ganztagsträger „Schulpartner“ sind glücklich über den Standort. „Unseren Schülerinnen und Schülern bleiben so weite Wege erspart. Wir liegen wunderbar zentral“, hebt die Ganztagskoordinatorin hervor. Das erleichtert verständlicherweise auch den Kontakt und die Kommunikation mit den Elternhäusern. Man kennt sich, man sieht sich. Ein wesentlicher Pluspunkt dieser Schule, ist der Schulleiter überzeugt. Denn auch daraus resultiert ein wertschätzender Umgang miteinander. „Wir haben klare Regeln. Und wenn dann einmal etwas nicht so wie vereinbart läuft, reden wir miteinander, suchen gemeinsam nach Lösungen“, betont er.

Funken auf einer Wellenlänge

... und Neugestaltung des Typenbaus außen
... und Neugestaltung des Typenbaus außen © 13. Integrierte Sekundarschule Berlin

Überhaupt scheinen sich die beiden gesucht und gefunden zu haben. Man funkt auf einer Wellenlänge, wie auch das Kollegium und sämtliches weiteres Personal. Schulleiter Westphal, der gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Frau Wiedemann die Schule aufgebaut hat, bringt es auf den Punkt: „Bei uns herrscht verständlicherweise eine Aufbruchstimmung, die alle mitzieht. Hier arbeitet ein junges, extrem engagiertes Team, das mehr tut, als es muss, und viele neue Erfahrungen und Trends aus der eigenen Ausbildung einbringt. Bei uns sprießen die Ideen.“ 

Die Ganztagskoordinatorin ergänzt: „Als neue Schule müssen wir Dinge ausprobieren, Erfahrungen sammeln und manches gegebenenfalls ändern.“ Was allerdings nicht auf dem Prüfstand steht, ist die enge Zusammenarbeit. Das „Ganztagspersonal“ ist selbstverständlich in den Dienstbesprechungen und Konferenzen anwesend, übernimmt die gleichen Pflichten und erhält die gleichen Rechte wie Lehrerinnen und Lehrer. „Unsere Meinung und Sichtweise zählt genau so viel wie die der Lehrkräfte. Wir haben in mancher Hinsicht noch eine andere Verbindung zu den Schülerinnen und Schülern. Daraus ergibt sich für uns als Team ein ganzheitlicheres Bild“, freut sich die Ganztagskoordinatorin.

Sie und ihre Kollegin von „Schulpartner“ sind in die Unterrichtszeit integriert. Umgekehrt bieten alle Lehrkräfte im teilgebundenen Ganztag eine der Arbeitsgemeinschaften an, von denen die Schülerinnen und Schüler mindestens eine belegen müssen. Die Auswahl ist groß. Sie reicht von sportlichen, kreativen und künstlerischen Tätigkeiten bis zur Schulgarten-AG oder der Zirkus-AG, die in der Turnhalle stattfindet. Auch die Arbeit der Klassenräte als ein Element der Demokratiebildung wurde ins Ganztagsprogramm eingebunden. Platz zum Chillen und Spielen, etwa an der Tischtennisplatte oder dem Kicker, finden die Schülerinnen und Schüler in ihrem „Clubraum“ – ein Herzenswunsch der Ganztagskoordinatorin.

Projektlernen mit Differenzierung

Blickt man auf den Unterricht stechen zwei Merkmale besonders hervor: das projektorientierte Lernen und das Fach „Herausforderung“, das im Rahmen des Wahlpflichtunterrichts angeboten wird. In vier Fachbereichen – Gesellschaftswissenschaften, Künste, Naturwissenschaften und Sprache – widmen sich die Schülerinnen und Schüler im Verlauf eines Schuljahres drei Monate lang einem speziellen Thema. Und zwar wöchentlich an einem Tag für fünf Stunden, fachübergreifend.

Projektorientiertes Lernen spricht Schülerinnen und Schüler an
Projektorientiertes Lernen spricht Schülerinnen und Schüler an © 13. Integrierte Sekundarschule Berlin

Als Naturwissenschaftler sprudeln aus Schulleiter Westphal nur so die Ideen, wie man sich einem Inhalt nähern kann. „Wenn wir uns mit Schadstoffen im Wasser beschäftigen, können wir beispielsweise analysieren, wie diese hineinkommen, welche Auswirkungen sie für die Tierwelt und damit auch für die Nahrungskette haben. Wir können erfahren, wie ein Klärwerk funktioniert.“ Die Ganztagskoordinatorin sieht ebenfalls einen Vorteil des Projekttages: „Projektorientiertes Lernen spricht Leistungsschwächere besonders an. Wenn wir das Oceaneum in Stralsund besuchen, ist der Organisations- und Absprachebedarf mit den Lehrkräften anderer Fächer deutlich geringer.“

Der Blick auf den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin begleitet die Lehrenden tagtäglich. Sie tragen der Erkenntnis Rechnung, dass alle mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Lernausgangslagen von den Grundschulen kommen. Mit Hilfe kleiner schriftlicher Tests verschaffen sich die Lehrkräfte einen Überblick. Als Form der äußeren Differenzierung werden Lerngruppen unterschiedlicher Lernniveaus und -tempi in Englisch und Mathematik durch Teilungsunterricht gebildet. In anderen Fächern stellen sich die Lehrkräfte den Herausforderungen der inneren Differenzierung.

Entsprechend fallen auch die Leistungsüberprüfungen dreifach differenziert aus. Rund 26 Prozent der Schülerinnen und Schüler gehen in die gymnasiale Oberstufe an der Mildred-Harnack-Schule über. 60 bis 70 Prozent streben eine Berufsausbildung an. Weitere Schülerinnen und Schüler erhalten mindestens die erweiterte Berufsbildungsreife.

 

Stück für Stück wachsen

Besonderer Beliebtheit erfreut sich das Fach „Herausforderung“. Es ist in den Wahlpflichtunterricht eingebettet. Rund 50 der aktuell 250 Schülerinnen und Schüler belegen es. Für jeweils zwei Stunden wöchentlich wählen sie im Rahmen der angebotenen Projekte die Inhalte und Erwartungen, die sie besonders motivieren. Sie stellen sich Aufgaben und setzen sich Ziele, an denen sie wachsen können, Kompetenzen erwerben und ausbauen, die im regulären Unterricht nicht im Fokus stehen.

Stück für Stück ein wenig wachsen ...
Stück für Stück ein wenig wachsen ... © 13. Integrierte Sekundarschule Berlin

Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine sportliche, künstlerische oder soziale Herausforderung handelt. Dr. Alexander Westphal formuliert es so: „Schülerinnen und Schüler verlassen ihre Komfortzone und überwinden ihre inneren Grenzen. Es ist ein ganz besonderes Schulfach.“ Manche fürchten, sie seien der Herausforderung nicht gewachsen. Das Ziel der „Herausforderung“ ist es, diese Zweifel auszuräumen und das Selbstbewusstsein zu stärken.

So wie es beispielsweise bei neun Schülerinnen und Schülern gelang, die eine 170 Kilometer lange Fahrradtour mit fünf Stationen nach Ueckermünde in Mecklenburg-Vorpommern vorbereiteten und bewältigten. „Das ist durchaus anspruchsvoll. Denn sie müssen wirklich alles selbst klären, inklusive der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten und der Wahl der Strecke“, erläutert die Ganztagskoordinatorin.

Wer den Übertritt aus der Projektphase in die „Herausforderungs“-Phase nicht auf Anhieb schafft, kann sich im Projektunterricht oder als Assistent des Herausforderungsteams nachträglich qualifizieren. Das ähnelt ein wenig der Entwicklung der sich im Aufbau befindlichen Schule: Stück für Stück ein wenig wachsen, sich größere, anspruchsvollere oder entsprechend dem Wahlpflichtfach herausfordernde Ziele setzen. Der Anreiz für 2024 lässt sich sehen: Es winkt die Mitwirkung im Organisationsteam eines Design-Dinners, dessen Erlös der örtlichen Tafel zugutekommen wird. Und auch sportlich geht es attraktiv weiter. Die kommende Radtour soll in Kopenhagen enden.

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