Ganztag in Leuna: „Unsere Schule verändert sich“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Mit einzelnen freiwilligen Arbeitsgemeinschaften fing alles vor vier Jahren an. Ab kommendem Schuljahr führt die August-Bebel-Sekundarschule in Leuna den Ganztag ein. Ein Grund, warum die Schülerzahl in die Höhe schießt.

Baudenkmal im Saalekreis: Schulgebäude von 1918
Baudenkmal im Saalekreis: Schulgebäude von 1918 © August-Bebel-Sekundarschule Leuna

„Unsere Schule verändert sich“, kündigt die August-Bebel-Sekundarschule Leuna auf ihrer Homepage an. Wer ein wenig genauer hinschaut, erlebt, wie sehr sich die Schule im Wandel befindet. Allein die Zahl der Schülerinnen und Schüler ist von 240 im Jahr 2020 auf 350 im kommenden Schuljahr 2024/2025 „explodiert“. Was macht die Sekundarschule so attraktiv? Es gibt viele Gründe.

Ein erster lässt sich beim Betreten des über 100 Jahre alten Schulhauses ahnen: Der Schulkomplex, 1918 als zweigeschossige Siedlungsschule erbaut, nimmt ein ganzes Straßengeviert ein. Mit ihren Türmen, Giebeln, Balkonen, unterschiedlichen Fensterformen, Dachgauben und einem Laubengang ist die Schule als Baudenkmal im Denkmalverzeichnis des Landes Sachsen-Anhalt verzeichnet. Gleich nebenan befindet sich der 1922 mit der Gartenstadt Leuna errichtete „Plastik-Park“, ein Skulpturenpark in der Saaleparkanlage

Leuna im Saalekreis ist eine Stadt, die sich mit der Ansiedlung der Leuna-Werke 1916 zu einem deutschlandweit bekannten modernen Chemiestandort entwickelt hat, von dem 1958 die Losung „Chemie gibt Brot – Wohlstand – Schönheit“ ausging. Schon weniger bekannt ist, das Leuna auch eine idyllische Stadt ist, mit einer von der englischen Gartenstadtbewegung inspirierten Gartenstadt des Architekten Wilhelm Karl Willy August Barth (1877-1951). Das Miteinander von Industrie, Arbeiten, Leben, Wohnen, Natur und Kultur prägt die Stadt.

Prächtig gestaltetes Schulhaus

Ein helles, farbenfroh gestaltetes Gebäude mit dicken Mauern, einer breiten Treppe und einem eindrucksvollen Graffiti im Erdgeschoss verströmt eine familiäre Atmosphäre. „Genau diese Atmosphäre ist die Grundlage unserer Arbeit“, versichert die stellvertretende Schulleiterin Anika Hendrich. Sie hat selbst Hand angelegt, als sie vor vier Jahren hier ihre Arbeit aufnahm. Die einheitlichen tristen, eher dunklen Türfarben drückten aufs Gemüt. Jetzt strahlen sie dank aufgesprühter Farbe in prächtigen bunten Farben.

Die ganze Schule ist künstlerisch gestaltet
Die ganze Schule ist künstlerisch gestaltet © August-Bebel-Sekundarschule Leuna

Die Klassenzimmer und alle Räume der Schule – selbst die Toiletten – sind künstlerisch gestaltet. Oft mit Unterstützung von Sebastian Gabriel. Als sogenannter Seiteneinsteiger kam der Medienpädagoge an die Schule. Jetzt unterrichtet er nicht nur, sondern ist der „Herr der Gestaltung“ – zumeist unter Einbindung der Schülerinnen und Schüler. Für den kommissarischen Schulleiter Jörg Müller ist Sebastian Gabriel der Inbegriff dessen, was die neuen Lehrkräfte leisten: „Sie bringen neue Ideen, in unserem Fall im wahrsten Sinne des Wortes Farbe in die Schule.“

Das schöne Gebäude allein ist nicht der Grund für den rasanten Zulauf. Vielmehr ist es die Haltung des Kollegiums mit 24 Lehrkräften, dem Sozialpädagogen Mario Zimmer und mit Michael Titus jüngst auch einem pädagogischen Mitarbeiter. Das eingespielte Team versteht die Schülerinnen und Schüler, ihre Motivation, ihre Sorgen, ihre persönlichen Umstände. „Wenn sie sich nicht gut fühlen, lernen sie auch nichts“, sagt Mascha Jung, die mit Anika Hendrich das Ganztagsteam bildet.

Karl Gustav als treuer Begleiter

Ihre Einstellung erläutert Mascha Jung am Beispiel von Schulhund Karl Gustav, der in Kürze in „Rente“ gehen wird und dann von ihrem eigenen Vierbeiner „Cooper“ abgelöst werden wird. Karl Gustav, erzählt sie, sitzt mitunter ruhig neben einer Schülerin oder einem Schüler: „Dann schreibt die- oder derjenige mit der einen Hand, mit der anderen wird der Hund gekrault. Das beruhigt, hilft Ballast abzuwerfen“, weiß Mascha Jung. Jörg Müller bestätigt das: „Manchmal sind solche emotionalen Dinge, auch wenn der Hund vielleicht einmal vom Unterricht ablenkt, wichtiger als Mathematik.“

Was wahrlich nicht bedeutet, dass Lernen an der August-Bebel-Sekundarschule eine untergeordnete Rolle spielt. Fachwissen und Kompetenzen stehen im Mittelpunkt des Vormittagsbandes. Auch Regeln werden verbindlich verabredet, und es wird darauf geachtet, dass sie eingehalten werden. Michael Titus, der pädagogische Mitarbeiter, fungiert als zweite Kraft im Unterricht. Er betreut auch „Verhaltensoriginelle“, wie Jörg Müller Schülerinnen und Schüler nennt, die es mit dem Lernen nicht ernst genug nehmen. Titus ist so etwas wie die Feuerwehr der Schule und ruft auch schon einmal persönlich bei den Familien an, wenn für Tochter oder Sohn keine Krankmeldung vorliegt.

„Big in Japan“: Ganztag mit vielen positiven Effekten

Im kommenden Schuljahr wird die August-Bebel-Sekundarschule eine „Schule mit außerunterrichtlichen Angeboten“ sein. Ein weiteres das Interesse an der Einrichtung steigerndes Merkmal. An drei Nachmittagen wird die Schule nach Unterrichtsschluss eine Palette von Arbeitsgemeinschaften anbieten. Eine davon muss mindestens besucht werden. Die Palette ist bunt: Die AG Graffiti gehört dazu, ebenso wie die AG Lego, eine Schmuck-AG, Kampfsport oder Rap, eine Schwedisch-AG oder die AG „Programmiere deine Zukunft“.

Das Sommerfest ist das Highlight des Schuljahrs
Das Sommerfest ist das Highlight des Schuljahrs © August-Bebel-Sekundarschule Leuna

Eine besondere AG leitet Mascha Jung selbst: „Big in Japan“. In ihr beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler beispielsweise mit Zen-Gärten, Manga-Lesestunden und japanischen Spezialitäten. Was durchaus auch wörtlich verstanden werden kann – Sushi wird selbst hergestellt. Zu den Highlights dieser AG zählt das Lesen von Naruto, einer Comicserie um den jungen Ninja Naruto Uzumaki. „Der berühmteste Ninja aller Zeiten“ verzückt die junge Leserschar. Mascha Jung: „So wird die AG eigentlich zum Deutschunterricht.“

Jörg Müller sieht die generellen Effekte der jahrgangsübergreifend angebotenen Arbeitsgemeinschaften: „Die Kinder und Jugendlichen lernen sich untereinander kennen. Die Bindung zur Schule steigt. Aggressionen gehen zurück.“ Die Lehrkräfte wiederum lernen die Schülerinnen und Schüler von ganz anderen Seiten kennen, wie Müller aus seiner Stammschule, der Jahn-Sekundarschule in Freyburg, weiß: „Es ist manchmal. als ob ein Schalter umgelegt worden ist.“

Team „August Bebel International“

Über die AGs, die von Lehrkräften und Externen angeboten werden, können sich die Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Schuljahres auf einer „AG-Messe“ informieren. Ohne Ganztagsschule zu sein, hat die August-Bebel-Sekundarschule bereits 2020 erste Arbeitsgemeinschaften auf freiwilliger Basis eingeführt und schrittweise ausgebaut – nicht nur zu kreativen oder sportlichen Betätigungen, sondern auch zur Förderung in Hauptfächern, beispielsweise in Mathematik. In Kooperation mit dem AWO Regionalverband Halle-Merseburg erfolgt das Angebot der Schulsozialarbeit.

Als Ziel „in der Ferne“ strebt die Schule an, den Schulalltag zu rhythmisieren – Unterricht und Arbeitsgemeinschaften zu verknüpfen. Aber das sei erst möglich, „wenn unsere Personallage entsprechend stabil und der Umbau abgeschlossen ist“, meint Anika Hendrich. Der aktuell ungenutzte Trakt des Schulgebäudes wird in den kommenden Jahren durch den Schulträger saniert, dabei leistete auch der Leunaer Bürgermeister Michael Bedla eine große Unterstützung. Übergangsweise wird der Unterricht in sechs Containern stattfinden. Der zusätzliche Raum wird also dringend benötigt.

„Spektakuläre Disziplin": Traktorreifen ziehen
„Spektakuläre Disziplin": Traktorreifen ziehen © August-Bebel-Sekundarschule Leuna

Möglicherweise trifft sich dort auch das Team „August Bebel International“. Zu ihm gehören sowohl Schülerinnen und Schüler, die ohne oder mit wenig Deutschkenntnissen in Leuna ankommen, als auch das Lehrkräfteteam, das sie an die deutsche Sprache heranführt. Die Mehrsprachigkeit der Lehrkräfte – wie Haifa Nabi, die auch arabisch und kurdisch spricht, und Karol Trawinski, der polnisch spricht, im Angebot sind außerdem Italienisch, Ukrainisch, italienisch und Schwedisch – erleichtert die Integration. Doch lernen die neuen Schülerinnen und Schüler nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur Deutschlands kennen – etwa wenn Karol Trawinski mit ihnen nach Berlin in die Oper, ins Theater oder ins interkulturelle Frauenzentrum Susi fährt.

Mit Speed-Dating in die Berufswelt

All das trägt zur Stärkung der Gemeinschaft bei. Das Fundament wird dank eines ausgefeilten Übergangskonzeptes gelegt. Die Sekundarschule stellt sich an den benachbarten Grundschulen in Leuna vor, verteilt Informationsmappen in leichter Sprache an Elternabenden und führt die „Neuen“ in deren erster Woche an der weiterführenden Schule behutsam in den Schulalltag ein. Kennenlernspiele und gemeinsame Ausflüge steigern die Bindung unter den Kindern, helfen Vertrauen zu den Lehrkräften zu entwickeln und erleichtern der Schule, die Klassen möglichst „passend für alle“ zusammenzustellen.

Zu diesem Zeitpunkt sind die Schülerinnen und Schüler noch ein paar Jahre von dem entfernt, was ihnen später den Einstieg in die Berufswelt öffnen wird. Seit drei Jahren lädt die August-Bebel-Sekundarschule etliche Betriebe, die Anika Hendrich „gewonnen“ hat, zu einer Berufsmesse mit Speed-Dating ein. Diese stellt den krönenden Abschluss einer komplett im Zeichen der Berufsorientierung stehenden Woche dar. In den Tagen zuvor schnuppern die Achtklässlerinnen und Achtklässler in mittelständische und große Unternehmen hinein.

Ergebnis eines Projekts: Schwarzlichttheater
Ergebnis eines Projekts: Schwarzlichttheater © August-Bebel-Sekundarschule Leuna

Die Jahrgangsstufe 9 und 10 bereitet sich, unterstützt von einem Personalmanager, bereits auf das Speed-Dating und Gespräche während der Messe vor. Auch hier unterstützt ein „Seiteneinsteiger“ – so gut, dass Keven Schmidt die Aufgabe künftig  als Berufskoordinator in die Hand nehmen wird. Jörg Müller ist überzeugt: „Gemeinsam mit den Betrieben und Unternehmen nehmen wir die Schülerinnen und Schüler an die Hand.“ Wie nahezu alles, wird auch hierbei nichts dem Zufall überlassen. Die angestoßenen und eingeführten Veränderungen werden evaluiert. Online und mit Sorgfalt. Hendrich: „Idee umsetzen, evaluieren, transparent nachschärfen.“

Neue Startchancen

Für eines dürfte dies nicht erforderlich sein: das große Sommerfest in der letzten Schulwoche. Da geht es dann um den begehrten „Bebel-Cup“ in so „spektakulären Disziplinen“ wie „Auto schieben“, „Traktorreifen ziehen“ oder „Baumstammwerfen“, an dem sich auch wieder die Lehrkräfte im Wettbewerb um den „Lehrer-Wanderpokal“ mit dem Lehrerteam der Jugendanstalt Raßnitz beteiligen. Die kollegiale Verbindung existiert, seit Lehrkräfte der August-Bebel-Schule dort Jugendlichen im Strafvollzug die schulischen Leistungsnachweise „abnehmen“.

Und natürlich darf die „Oscar-Verleihung“ nicht fehlen. Im großen Saal der Kirchengemeinde werden Schülerinnen und Schüler wieder ihre in Projektarbeit erstellten Videos präsentieren, auf die man schon jetzt gespannt sein darf. 2023 war das unter anderem das Schwarzlichttheater „Robinson Crusoe heute“. In diesem Jahr haben Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse einen umwerfenden „Erlkönig-Rap“ produziert.

Dank außergewöhnlichen Engagements hat sich die August-Bebel-Sekundarschule Leuna in einem relativ kurzen Zeitraum bereits verändert. Den Blick in die Zukunft wagt die Schule gerne: „Wenn der Umbau abgeschlossen ist und wir im kommenden Jahr, wie wir es uns wünschen, am Startchancen-Programm der Bundesregierung beteiligt sind, werden wir unseren Weg der Schulentwicklung konsequent, aber in einem Tempo, dem alle folgen können, fortführen.“

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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