Ganztag in Wentorf: Mobil mit Glücksmomenten : Datum: Autor: Autor/in: Stepahn Lüke

Mit dem Ist-Zustand geben sich die Grund- und Gemeinschaftsschule Wentorf in Schleswig-Holstein wahrlich nicht zufrieden. Auch nicht, wenn es um die Verzahnung mit dem gemeinsamen Offenen Ganztag geht.

Ein kurzes Statement, gesprochen während der großen Online-Tagung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung „Ganztag – gemeinsam zukunftsorientiert. Der Kompass aus der Pandemie“ ließ die Zuhörerinnen und Zuhörer aufhorchen. Das Fehlen stabiler Beziehungen war für sie ein Hauptproblem für junge Menschen in der Pandemie, sagte die Leiterin der Offenen Ganztagsschule Wentorf, Sabine Schratzberger-Kock. Die Bedeutung des Ganztags als Ort für stabile Beziehungen wurde deutlicher als jemals zuvor. Und sie wagte einen positiven Blick nach vorne: „Wir als Vor- und Nachmittagsteam sind in dieser Zeit zusammengewachsen.“

Jetzt hat sie in einem Besprechungsraum der Grundschule Wentorf Platz genommen. Ihr gegenüber sitzen die Schulleiterinnen der Grundschule und der Gemeinschaftsschule Sonja Henke und Susanne Wischmeyer. So etwas wie die Rolle des Bindeglieds nimmt Sabine Schratzberger-Kock ein. Sie verantwortet den von der Gemeinde getragenen Ganztag an der Grundschule Wentorf und an der Gemeinschaftsschule Wentorf. Zwei Drittel der 450 Grundschülerinnen und Grundschüler sowie zurzeit 40 bis 50 der rund 500 Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schule sind im Ganztag angemeldet.

Stabile Beziehungen

Tongefäße
© OGS Wentorf

Vielleicht darf man es etwas umformulieren. Die ohnehin gemeinsamen Einstellungen und Haltungen der drei Kolleginnen wurden in der Zeit der Pandemie noch einmal geschärft und noch stärker ins Bewusstsein gerückt. Eine betrifft die Nähe zu den Schülerinnen und Schülern, anders ausgedrückt die Bedeutung stabiler, gewachsener und auf Vertrauen basierender Beziehungen.

Deutlich wird dies beispielsweise am gemeinsam von Schulen und OGS entwickelten Hausaufgabenkonzept. Die Hausaufgabenzeit an beiden Schulen wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Volkshochschule Sachsenwald als Kooperationspartner begleitet. Zwei Dinge sind dabei gesetzt: Wann immer es möglich ist, bleiben die Bezugspersonen, die sich der Schülerinnen und Schüler annehmen, unverändert. „Das Konstante führt zu engem Vertrauen“, weiß das Trio aus Wentorf. Als zweites Credo wurde ausgerufen: Das selbstständige Arbeiten gilt als erklärtes Ziel, nicht, dass alles perfekt und fertig ist.

Noch nicht perfekt und fertig ist nach Ansicht des Teams der eigene Umgang mit den während der Hausaufgabenbetreuung gesammelten Erkenntnissen. Das Feedback an die Schülerinnen und Schüler werde noch zu wenig genutzt. Sabine Schratzberger-Kock, die in der erwähnten Tagung der DKJS, betont hatte, dass das Personal des Vor- und Nachmittags in Zeiten des Distanzunterrichts zusätzliche gemeinsame Gestaltungsmöglichkeiten entdeckt habe, ist sicher: „Wenn wir nicht nur gute Kommunikationsstrukturen zwischen dem Vormittag und dem Nachmittag schaffen, sondern diese im Schulalltag dann auch umfassend nutzen, können wir in Zukunft auch eine inhaltliche Verzahnung ermöglichen.“

Individuelles Lerntraining

Ein Schritt in diese Richtung wird seit wenigen Wochen an der Grundschule gegangen. Eine Kollegin aus dem OGS-Team hat sich als Lerntherapeutin weitergebildet und bietet als bekannte, enge Bezugsperson der Kinder in insgesamt zwölf Stunden pro Woche ein individuelles Lerntraining an. Von den Lehrkräften werden diejenigen ausgewählt, die in den Genuss der Förderung kommen sollen. Vor der Teilnahme am OGS-Lerntraining wird die Lernausgangslage jeder und jedes Einzelnen über eine Lernkartei erhoben.

Zu jeder Schülerin und jedem Schüler „kursiert“ ein Laufzettel, in dem Lehrkräfte und die Lerntherapeutin ihre Einschätzung und daraus folgende sinnvolle Entwicklungsschritte festhalten. „Die klaren Kommunikationsstrukturen erleichtern uns die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler, verzahnen unsere Arbeit“, betont Sonja Henke. Lernen wird im Konzept des OGS-Lerntrainings als selbstverantwortlicher und selbst gesteuerter Prozess begriffen, denn auch die Schülerinnen und Schüler dokumentieren ihren Lernprozess in einem Lerntagebuch. Ein analoges Konzept zur individuellen Förderung existiert auch in der Gemeinschaftsschule. Hier werden Trainingskurse in Deutsch, Mathe, Englisch sowie ein Rechtschreibtraining angeboten.

Zauberwort „Verzahnung“

Mikroskop
© OGS Wentorf

Immer wieder fällt im Gespräch das Stichwort „Verzahnung“. Der Blick auf das „Zauberwort“ guten Ganztags ist durchaus kritisch, aber optimistisch. Wichtig ist allen, dass OGS und Schule gemeinsam dem Auftrag gerecht werden wollen, dass alle Kinder ihr Potenzial ausschöpfen können. Ganztagsschule soll mehr sein als eine Betreuungseinrichtung. Die Schul- und Lernkultur ganzheitlich weiterzuentwickeln – das begreift man vor Ort als gemeinsame Aufgabe und Verantwortung.

Eine der Leitfragen ist deshalb: „Wie können wir mit neuen Ideen und dem Mut, diese auch umzusetzen, Motivation für Veränderungen schaffen und die Potenziale des Ganztags wirklich nutzen?“ Wenn schon die Organisation des Ganztags für zwei Schulen in einer Hand eine ungewöhnliche Konstellation darstellt, so ist es die Ausprägung der Lernorte außerhalb der Klassenzimmer auf jeden Fall auch. „Mobi-Kids Wentorf“ heißt das Projekt, das auch in verschiedenen Schulnetzwerken auf großes Interesse stößt.

Die Idee, die hinter diesem öffentlich geförderten Projekt steckt, wurde geboren, als die Schulen während auch in der Raumnutzung aufgrund der festen Gruppenzuteilung sehr eingeschränkt waren. „Wenn wir nur bedingt flexibel und bedürfnisorientiert in die Räume gehen können, haben wir uns überlegt, ob man den Spieß nicht einfach umdrehen kann und die Räume flexibel an verschiedenen Orten zu uns kommen können“, berichtet Sabine Schratzberger-Kock. Die Grundidee heißt: Schule kann überall stattfinden.

Partizipation und Freiheit

Die Konzeption besteht darin, flexibel und mobil nutzbare „Flightcases“ zu bauen – ein mobiler Multimedia-Raum und vier mobile Freizeitstationen zu Schwerpunkten wie Bewegung und Motorik, Rückzug und Entspannung, Rollenspiele, Gemeinschaft –, die an verschiedenen Orten genutzt werden können. Sabine Schratzberger-Kock erläutert: „Wir arbeiten hier in einem spannenden Prozess mit einem lokalen Partner zusammen und in Kürze werden die ersten mobilen Räume fertig sein. Im Rahmen eines Partizipationsprojektes werden die Kinder mitbauen und mitgestalten.“

Diese Partizipation, Freiheit und Wahlmöglichkeit erleben die Schülerinnen und Schüler besonders intensiv auch zum Ende einer jeden Woche. Mit großer Vorfreude fiebern die Kinder in der OGS der Grundschule dem „Super-Freitag“ entgegen. Der Wandzeitung entnehmen sie, unter welchen Angeboten mit festen Bezugspersonen sie wählen dürfen. Sei es die Bewegungslandschaft in der Turnhalle, das Vulkan-Experiment im Forscherlabor, die Graffitiwerkstatt im Kreativatelier oder der Trommelwirbel in der Musikwerkstatt.

Sonja Henke: „Hier werden kleine, schöne Ideen umgesetzt, ohne dass wir direkt eine Projektwoche auf die Beine stellen müssen.“ Susanne Wischmeyer ergänzt für die Gemeinschaftsschule: „Unsere Ganztagsschülerinnen und -schüler nutzen den Freitag für soziale Verantwortungsprojekte wie beispielsweise die aktive Nachbarschaftshilfe in der Seniorenwohnanlage in unmittelbarer Nähe zu unserer Schule.“

OGS-Kompetenz-Kompass

Eieruhr
© OGS Wentorf

Doch wie wirkt sich aus, was Schule und OGS durchdenken, entwickeln, ausprobieren und gegebenenfalls optimieren? Welche Kompetenzen werden gefördert? Die Antwort soll nicht dem Gefühl überlassen bleiben. Schratzberger-Kock: „Gerade jetzt im Zuge der Bewältigung der Folgen der Schulschließungen besteht eine vielleicht historische Chance für den Ganztag, sein Profil zu schärfen, seine Möglichkeiten und Stärken deutlich zu machen und sein Potenzial zu nutzen.“ Aus dieser Motivation heraus entsteht in Wentorf aktuell ein OGS-Kompetenz-Kompass.

Verschiedene Arbeitsgruppen entwickelten ein allgemeines Kompetenzraster für alle Angebote in der OGS. „Mit seiner Hilfe identifizieren und dokumentieren wir die in den jeweiligen Angeboten vorrangig geförderten Kompetenzen. Die Ergebnisse dienen als kleine Entscheidungshilfe für die Eltern, liefern aber auch Hinweise für die Lehrkräfte, welches Angebot eine Schülerin oder ein Schüler vielleicht gerade benötigt“, sagt die OGS-Leiterin.

Mehr Miteinander – weniger Nacheinander

Als Beispiel sei die Lupe über die „AG Genusskochen“ gehalten. Unter den Obertiteln „Hier lerne ich; Hier trainiere ich; Hier erfahre ich; Hier erlebe ich“ finden sich Kompetenzen wie „Neugierde auf unbekanntes Essen“, „etwas über gesunde Ernährung“, „in welcher Reihenfolge ich vorgehen muss“, „dass auch einmal etwas schiefgehen kann“, „woher Obst und Gemüse kommen“ oder „wie wir in der Küche zusammenarbeiten“. Man könnte festhalten: An dieser Offenen Ganztagsschule ist man dem Ziel „mehr Miteinander und weniger Nacheinander“ unter dem Leitstern „mit Optimismus, neuen Ideen, Mut und Spaß gemeinsam gestalten“ auf der Spur.

Das gilt auch für das Aufspüren von Glücksmomenten. „Gerade nach der langen Zeit der Schulschließungen war es wunderbar zu erleben, wie sehr sich die kleinen und großen Menschen in der OGS wieder aufeinander gefreut haben. Uns allen haben die positiven Gefühle gefehlt, die immer dann entstehen, wenn wir etwas gemeinsam anpacken, meistern und erleben oder wenn wir andere an etwas teilhaben lassen“, weiß die OGS-Leiterin. 

Und so haben die Schülerinnen und Schüler ihre persönlichen Glücksmomente nach der Wiedereröffnung der Schule in der Aktion „Mein Glücksmoment“ festgehalten, sei es der Besuch im Kletterpark, das Pflücken von Erdbeeren, die selbst gebastelte Vogeltränke oder die gemeinsame Radtour. Gebündelt hängen die Erfahrungen auf Plakaten in den Fenstern. Sie halten die Gefühle fest und locken andere, Dinge einmal selbst auszuprobieren, getreu der Devise: „Denn manchmal sagt das Glück ganz leise: Du bist dran!“

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