Ganztag in Groß-Zimmern: Musik in der Luft : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

An der Musik kommt in der Friedensschule Groß-Zimmern niemand vorbei. Die „Musikalische Grundschule“ integriert die Musik in Unterricht und Ganztag. Und Pippi Langstrumpf dient als Vorlage für die Schulhymne.

Erinnerungen werden wach: So ähnlich wirkte die eigene Grundschule – ein altehrwürdiges Gebäude, große Fenster, eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlend. Doch nun stehen wir vor der Friedensschule in Groß-Zimmern, einer 15.000 Menschen zählenden Gemeinde im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Ein typischer Ort, geprägt von einer Hauptstraße mit anliegendem Einzelhandel, Seitenstraßen, gesäumt mit netten Einfamilienhäusern. Inmitten die Schule, deren Hauptgebäude in Teilen bereits 1902 errichtet und in seiner jetzigen Form 1953 fertig gestellt wurde. Die Homepage der Schule verrät: „Im gleichen Jahr erhielt die Schule auf Beschluss des Gemeinderats ihren heutigen Namen.“ Im Schuljahr 1965/1966 wurde ein erster Pavillon mit zwei Klassenräumen aufgestellt. 1994 folgte ein weiterer Pavillon mit vier Klassenräumen 21 Klassenräume standen nun zur Verfügung.

Was 1994 noch nicht niedergeschrieben ist: Die Friedensschule ist Ganztagsschule im hessischen „Pakt für den Nachmittag“. Sie verfügt inzwischen über ein separates Gebäude für den Ganztag, den 120 von 326 Kindern nutzen. Schulleiterin Claudia Müller ist überzeugt: „Der Weg in den ‚Pakt’, den wir 2020 eingeschlagen haben, war richtig. Besonders die Verzahnung von Unterricht und Ganztag gelingt jetzt deutlich besser.“

„Pakt für den Nachmittag“

"Das Kollegium meistert alles durch Idealismus."
"Das Kollegium meistert alles durch Idealismus." © Friedensschule Groß-Zimmern

Sonja Kuon, die gemeinsam mit Heike Coors den Ganztag im Auftrag des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) als Träger koordiniert, ergänzt: „Vorher haben wir in gutem Einvernehmen kooperiert. Doch jetzt greifen die Rädchen viel besser ineinander.“

Den Pakt für den Nachmittag gibt es in Hessen seit 2015/2016. Das Kultusministerium schreibt: „Grundschulen und Grundstufen von Förderschulen verfügen an fünf Tagen in der Woche von 7:30 Uhr bis 17:00 Uhr und auch in den Schulferien über ein verlässliches und freiwilliges Bildungs- und Betreuungsangebot.“ Je nach Bedarf und den vor Ort vorhandenen Strukturen soll ein für die Kommunen passendes Ganztagsangebot entstehen. Eltern können zwischen mindestens zwei zeitlichen Modulen wählen, einem kürzeren bis 14:30 Uhr und einem längeren bis 17:00 Uhr. Auf Wunsch gibt es eine Ferienbetreuung.

Die Rädchen, die Sonja Kuon erwähnt hat, spürt man. Am Tisch sitzt uns ein Team gegenüber, das die Kinder gemeinsam denkt. Jede Gelegenheit wird genutzt, sich über Einzelne auszutauschen. Mitunter mit erstaunlichen Erkenntnissen. Von einer berichtet die stellvertretende Schulleiterin Christine Rohner: In der Hausaufgabenbetreuung sei ein Kind bei der Aufgabe, Kästchen auszumalen, nicht bereit gewesen, ein bestimmtes Kästchen zweifarbig anzumalen. Christine Rohner: „Ich habe mir über die Aufgabe überhaupt keine Gedanken gemacht. Erst als ich vom GTS-Team davon hörte und mich nach den Gründen erkundigte, erfuhr ich, dass das Kind nicht einsah, warum es das tun sollte. Der Hinweis der pädagogischen Mitarbeiterin öffnete mir sozusagen die Augen dafür, die Aufgabenstellung besser zu erläutern.“

Im Gespräch über alle

Das Erlebnis mag ein auf den ersten Blick kleines Puzzleteil der täglichen Arbeit darstellen. Doch das Team der Friedensschule wertet es als Hinweis darauf, wie wichtig die Kommunikation ist. Wie wichtig es ist, Kinder aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und ihnen auch die Freiräume für ihnen wichtige Dinge zu geben. So wie es am Nachmittag nach dem Mittagessen und der obligatorischen Zeit für die Hausaufgaben der Fall ist: Die Kinder verteilen sich frei auf die bestens ausgestatteten Räume.

Fantasie- und kunstvoll geschmückt: Fasching 2022
Fantasie- und kunstvoll geschmückt: Fasching 2022 © Friedensschule Groß-Zimmern

Manche der Ganztagsschülerinnen und -schüler ziehen sich während ihrer „Freiheit“ zurück, andere entdecken die Welt der Legosteine für sich, wieder andere freuen sich auf den Kreativraum oder die Mediathek. Und natürlich ist der stabile Kicker stets umlagert. Die Wände der Räume sind zum Teil mit fantasie- und kunstvoll gestalteten Zeichnungen geschmückt, Kunstwerken der Schülerinnen und Schüler.

Feilen am Lernzeit- und Hausaufgabenkonzept

Zur Verzahnung von Unterricht und Ganztag gehören die Lernzeiten in der fünften und sechsten Stunde ebenso wie die Hausaufgaben nach dem Mittagessen in der geräumigen und gut ausgestatteten Mensa. Am Konzept der Lernzeiten feilt das Team der Friedensschule noch. Als hilfreich hat sich erwiesen, dass jeweils eine Lehrkraft und eine pädagogische Fachkraft die Lernzeiten begleiten. Vier Augen sehen und hören mehr, vier Hände können leichter und intensiver unterstützend eingreifen.

Doch Claudia Müller und ihr Team streben zum einen an, dass künftig Wochenpläne die traditionellen Hausaufgaben ablösen. Die Schülerinnen und Schüler sollen mehr Freiheit für den Umgang mit ihren individuellen Stärken und Schwächen haben. Plan zwei formuliert die Rektorin: „Wir freuen uns, wenn wir einen Weg gefunden haben, dass alle Kinder an unseren Lernzeiten teilnehmen, unabhängig davon, ob sie für den Ganztag angemeldet sind oder nicht.

Das stellt für sie und ihre überwiegend weiblichen Kolleginnen in Schule und Ganztag einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit dar. Denn ihnen ist bewusst, dass sich nach wie vor nicht alle Eltern leisten können, ihrem Kind den Aufenthalt im Ganztag zu ermöglichen.

Musikalische Grundschule mit vielen Elementen

Einen nicht zu unterschätzenden Pluspunkt sammelt die Friedensschule als Musikschule. Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten darf sie sich wie sechs andere Grundschulen im Landkreis Darmstadt-Dieburg „Musikalische Grundschule“ nennen. Als solche wurde sie vom Land zertifiziert. Das Kollegium weiß um die positiven Auswirkungen des gemeinsamen Musizierens auf die individuelle Entwicklung der Kinder, ihre Kreativität und Lernmotivation.

"Bücherfestchen" während Corona
"Bücherfestchen" während Corona © Friedensschule Groß-Zimmern

Der Titel ist entsprechend mehr als eine Inschrift an der Schulhauswand. Auch das Kollegium wird nicht ausgenommen, sondern darf zu Beginn der gemeinsamen Konferenzen das Monatslied der Schule, sichtbar auf Plakaten angebracht, singen. Darüber hinaus werden alle gesungenen Lieder gesammelt, sodass die Kinder ihren Liederschatz am Ende der Grundschulzeit mit nach Hause nehmen können. Darunter befindet sich auch eine von den Kindern umgeschriebene Version von „Hey, Pippi Langstrumpf.“ Sie ist seit 2008 das Schullied und wird bei offiziellen Anlässen gesungen.

Vier mobile Instrumentenkisten ermöglichen das Musizieren in den Klassenräumen. So werden im Deutschunterricht beispielweise Klanggeschichten entwickelt oder Gedichte vertont, während Mathestunden durch musikalische Rechenübungen aufgelockert werden. Alle Kinder ab Klasse 3 lernen Blockflöte spielen. In der Streicherklasse haben alle Zweit- und Drittklässler die Möglichkeit, ein Streichinstrument zu erlernen. Dazu kann jedes Kind für einen monatlichen Beitrag in einer Kleingruppe Instrumentalunterricht sowie eine Orchesterstunde erhalten.

Oper in der Schule

Und natürlich bietet auch der mit Mitteln des Projekts „Soziale Stadt“ neu gestaltete Schulhof viele Anlässe, Musik zu machen, etwa sich im Schulgarten am Summstein oder dem Glockenspiel zu probieren. Wem das nicht genügt, kann sich in der kleinen Turnhalle für die „Bewegte Pause mit Musik“ entscheiden. Dass die Schülerinnen und Schüler gesellschaftliche Anlässe in Groß-Zimmern durch ihre musikalischen Auftritte bereichern, wie den jährlichen Seniorennachmittag oder den „Lebendigen Adventskalender“ der Gemeinde Groß-Zimmern, gilt als gelebte und schöne Tradition. Ein Lied liegt hier immer in der Luft.

Eine besondere Tradition ist das Projekt „Oper in der Schule“. Seit 2007 hat die Friedensschule immer wieder Künstlerinnen und Künstler, etwa der Jungen Oper Detmold, der Wiener Kinderoper Papageno oder der Oper des Nationaltheaters Mannheim, zu Aufführungen eingeladen. Gespielt wurden schon „Hänsel und Gretel“, „Die Zauberflöte“ und „Fidelio“. Im Musikunterricht und anderen Fächern werden die Schülerinnen und Schüler gut vorbereitet, bevor sie selbst in die Aufführungen integriert werden, als Chor oder Orchester, auch mit kleinen Textpassagen. So lernen sie, vor Publikum auf der Bühne zu stehen. „Jede Arie wird bei uns live gesungen“, sagt die Ganztagskoordinatorin. „Die Atmosphäre ist wunderbar“.

Idealismus als Motor

Bei aller Begeisterung für diese Möglichkeiten und die Entwicklung der vergangenen Jahre hat das Team der Friedensschule noch einige Wünsche. Die digitale Welt hat hier noch keinen Einzug gehalten, auch wenn der Landkreis Darmstadt-Dieburg als Schulträger bei der sächlichen Ausstattung nach Kräften unterstützt. Auch dass das alte Schulgebäude kaum barrierefrei gestaltet ist, gilt als Schwachpunkt.

Mario Argandoña ist mit der „Argandoña-Trommelwelt“ zu Gast
Mario Argandoña ist mit der „Argandoña-Trommelwelt“ zu Gast © Friedensschule Groß-Zimmern

„Wir wünschen uns auch noch mehr Kolleginnen und Kollegen, die sich auf den Umgang mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf spezialisiert haben“, sagt die Schulleitern. Bisher wird die inklusiv arbeitende Schule von drei Lehrkräften der Anne-Frank-Schule Dieburg unterstützt. „Die Belastung für uns alle ist enorm hoch“, ergänzt ihre Stellvertreterin. Das Kollegium meistert alles durch einen spürbaren Idealismus.

Die beschriebenen Herausforderungen aber stören die Neunjährige nicht, die uns beim Verlassen des Schulgeländes auf die Frage „Wie findest du deine Schule?“ strahlend antwortet: „Toll.“

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