Ganztag in der Oberlausitz: Freie Schule Boxberg : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Eine Elterninitiative gründete 2006 die Freie Schule Boxberg in der Oberlausitz, um einen Oberschulstandort zu erhalten - mit Ganztagsangebot und Berufsvorbereitung.

Schulleiter Ralph Berthold macht seinen nachmittäglichen Rundgang durch das Schulgebäude. Die knapp 80 Schülerinnen und Schüler der Freien Schule Boxberg/O.L. befinden sich gerade in den Arbeitsgemeinschaften. Hinter jeder Tür, an die Berthold klopft, öffnet sich eine andere Lernwelt: In einem Klassenraum gestalten die Jugendlichen in der Kunst-AG Bilder zum Thema „Vier Jahreszeiten“. Es ist Eile angesagt, denn da Ostern in diesem Jahr sehr früh liegt, will man bald mit den kleinen österlichen Kunstwerken beginnen.

Freie Schule Boxberg
Schulleiter Ralph Berthold begrüßt zum Schuljahresbeginn die neuen Schülerinnen und Schüler © Freie Schule Boxberg

Hinter der nächsten Tür löten Schüler im Elektronikkurs, begleitet von einem Mitarbeiter der „Station Junge Techniker“. Eine Tür weiter sitzt der Film-Club, die Jugendlichen schauen einen Spielfilm an und diskutieren ihn anschließend. Nebenan bespricht eine Lehrerin mit einer Schülerin und einem Schüler Lerninhalte. Im nächsten Raum sitzen die Schülerinnen und Schüler an ihren Aufgaben im „Selbstständigen Lernen“, während in der Turnhalle Volleyball gespielt wird und sich im vom CVJM Boxberg/O.L. organisierten Schüler-Club die Gruppe trifft, die jeden Donnerstag die Pausenversorgung organisiert.

Die verschiedenen Tätigkeiten in den Ganztagsangeboten sind Bausteine, die „vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder zu stärken“ und ihnen so die Entwicklung eines „gesundes Selbstbewusstseins“ zu ermöglichen, wie es in der Zielformulierung der Schule heißt.

Verantwortung übernehmen

Träger- und Förderverein dieser Bildungseinrichtung steuern auf ihr zehnjähriges Bestehen zu, das im September 2016, mit einem Gemeindefest verbunden, gefeiert werden soll. Als das Sächsische Kultusministerium 2005 entschieden hatte, aufgrund sinkender Schülerzahlen die Oberschule in der flächengrößten Gemeinde des Freistaats zu schließen, wollten sich viele Eltern damit nicht abfinden. Als die Oberschule im Sommer 2006 schließen musste, ergriffen sie selbst die Initiative.

Eine der Mütter war damals Anne Lustig, die als Vorsitzende des Fördervereins bis heute im Sekretariat der Schule mitarbeitet. Sie ist nicht die Einzige. Bis heute halten viele Eltern der Schule immer noch die Treue. „Wir haben uns damals informiert, was wir tun können, unsere eigene Schule zu gründen, und haben nächtelang bei uns im Keller gesessen“, erinnert sich Anne Lustig. Im Oktober 2006 wurde der Trägerverein der Freien Schule Boxberg/O.L. mit neun Mitgliedern gegründet.

Die Sächsische Bildungsagentur genehmigte 2007 die Freie Schule als sogenannte Ersatzschule, die dann mit 13 Schülerinnen und Schülern startete. Die Gemeinde unterstützte die neue Schule nach Kräften und überließ ihr zur Miete das 1971 errichtete Gebäude der ehemaligen Polytechnischen Oberschule. Von außen sieht man dem Gebäude seine Jahre an. Innen ist es ansprechend gestaltet und sieht aus wie frisch renoviert.

Man merkt, dass hier Menschen Verantwortung übernommen haben und sich auch durch Mittelknappheit nicht beirren lassen. Sie wollen den Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sich bewusst für diese Schule entschieden haben, ein ansprechendes Lernangebot in einer so gut wie eben möglich eingerichteten Lernumgebung machen, zu der ebenfalls das imposante Außengelände zählt. Inzwischen besuchen auch Schülerinnen und Schülern aus weiter entfernten Orten wie Weißwasser und Bad Muskau die Schule.

„Pfiffige Schüler schaffen es ohne Hausaufgaben“

Als Grundlage des Schulkonzepts wählten die damals Verantwortlichen, zu denen auch die von 1992 bis 2005 amtierende Schulleiterin Kristiane Wojcicki gehörte, die heute wieder als Beraterin mitarbeitet, das "Jenaplan"-Konzept. An diesem feilt die Freie Schule seitdem weiter, erst kürzlich besuchte das Kollegium eine Fortbildung zum Thema. „Wir wollen es noch besser schaffen, in Projekten zu lernen, und es ermöglichen, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende des Unterrichts ein fassbares Ergebnis in Händen halten können“, erläutert der Schulleiter.

Freie Schule Boxberg
Schülerinnen und Schüler der Freien Schule Boxberg bilden eine überregional erfolgreiche Laufgruppe © Freie Schule Boxberg

2008 startete das Ganztagsangebot (GTA) der Schule. „In Boxberg waren von der Krippe bis zur Berufsschule alle Institutionen ganztägig organisiert“, berichtet Kristiane Wojcicki. „Die Eltern erwarteten das selbstverständlich auch von einer modernen Oberschule.“ Heute arbeitet die Schule de facto als vollgebundene Ganztagsschule, bei der alle Schülerinnen und Schüler an vier Tagen bis 15.10 Uhr anwesend sind, aber auch noch bis 16 Uhr betreut werden können.

Der Schultag ist hauptsächlich im Blockunterricht von 90 Minuten und im fächerübergreifenden Lernen organisiert. Die Schülerinnen und Schüler organisieren ihr Lernen mit Wochenplänen, und „ pfiffige Schülerinnen und Schüler schaffen es, ohne Hausaufgaben nach Hause zu gehen“, wie die ehemalige Schulleiterin erklärt. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler in einem Fach Schwierigkeiten hat, dann besucht sie oder er in Absprache mit Eltern und Lehrkräften statt eines GTA-Angebots die Lernzeit. Die Freiarbeitsstunden werden von den Lehrkräften begleitet.

Überregional anerkannte Berufsorientierung

Dass die Freie Schule Boxberg/O.L. die individuelle Förderung sehr ernst nimmt, ist einer der Gründe für Eltern, diese Schule anzuwählen. Statt Elternsprechtagen organisiert die Schule mindestens einmal im Halbjahr ein Turnusgespräch, an dem der Jugendliche, seine Eltern und seine Lehrkraft teilnehmen. Die Verwurzelung in der Gemeinde, in der „jeder jeden kennt“, ist ein anderer Aktivposten. So gelingt es auch immer wieder, Einzelpersonen für AGs wie Modellbau, Häkeln und Stricken oder Schach zu gewinnen.

Unterstützung bietet die Schule den Schülerinnen und Schülern auch mit einer durchgehenden, ab der 7. Klasse einsetzenden Berufsorientierung, bei der die Fortbildungsakademie Wirtschaft als starker Partner agiert und die Schülerinnen und Schüler dadurch Betriebe kennenlernen. „Die kleinen und mittleren Betriebe erkennen das Potenzial dieser Zusammenarbeit, und wenn ich unsere Berufsabgänger sehe, dann haben wir bisher eine Menge richtig gemacht“, freut sich Berthold. „Das fängt mit Tugenden wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Teamfähigkeit an.“ Die Berufsvorbereitung der Schule sei überregional anerkannt.

Schulleiter Berthold formuliert einen weiteren Vorzug der Schule: „Die Schülerinnen und Schüler erleben Verantwortung und erhalten Chancen. Wir haben manche Kinder, die bisher in ihrer früheren Schullaufbahn nicht beachtet worden sind. Sie erfahren hier, wie es ist, gefragt zu werden und ein Lob zu bekommen. Und sie merken, wie sehr der Einzelne zum Gelingen des Ganzen beiträgt. Dafür nehmen wir uns mehr Zeit.“

Vorbereitung zum Jubiläumsfest

Diese Zeit verschafft auch die Ganztagsschule. Und das Engagement der elf Lehrkräfte, inklusive des Schulleiters, der seit sieben Jahren der Oberschule vorsteht und bei Problemen auch die Elternhäuser aufsucht, hat bisher dazu beigetragen, dass alle Schülerinnen und Schüler einen Abschluss erreicht haben und der Notenschnitt im Landesvergleich sehr gut ausfällt. Auch der minimale Unterrichtsausfall, der auf der Website der Schule aktuell angegeben wird („0,45 Prozent“), ist ein Gradmesser dieses Engagements.

Bei allen organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten, die ein ständiger Begleiter der Schulgeschichte sind, gibt es immer wieder Beispiele, die dem Team um Ralph Berthold neuen Mut machen und allen zeigen, dass sie auf dem richtigen Weg sind. „Wir haben einen Schüler mit Lernförderschwerpunkt, der seinen guten Hauptschulabschluss gemacht hat und in Klasse 10 sitzt. Wir hoffen, dass er auch seinen Realabschluss schafft“, berichtet der Schulleiter.

Freie Schule Boxberg
Theateraufführung auf dem Schulfest © Freie Schule Boxberg

Der Schultag an der Freien Schule Boxberg/O.L. neigt sich dem Ende entgegen. Anne Lustig ist noch am Telefon. Nachdem sie aufgelegt hat, strahlt sie: „Es sieht so aus, dass wir unser Jubiläumsfest groß feiern können“, freut sie sich über die Zusage weiterer Unterstützung aus der Gemeinde. Nebenan sitzt Ralph Berthold an seinem Schreibtisch. Während nach und nach die Anwesenheitslisten aus den einzelnen AGs reingereicht werden und die Schülerinnen und Schüler das Gebäude verlassen, ist sein Schultag noch längst nicht beendet.

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