Ganztag in den Fußstapfen berühmter Gelehrter : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Hinter traditionsträchtigen historischen Mauern lernen und leben die Schülerinnen und Schüler der Landesschule Pforta. Sie alle einen ihre Wissbegierde und die hohe Lernmotivation, die hier intensiv und gezielt gefördert werden.

Die Atmosphäre ist außergewöhnlich. Sie ergreift und bewegt vermutlich alle, die diesen historischen Ort jemals betreten: Wir erreichen die Landesschule Pforta, die vor knapp 480 Jahren als reine Schule für Buben eröffnet worden war. Seinerzeit hatte Kurfürst Moritz von Sachsen die Gründung dreier neuer Schulen in säkularisiertem Klosterbesitz verfügt, um den Nachwuchs an Geistlichen und Gelehrten in seinem Land zu sichern. Die Landesschule Pforta war eine von ihnen.

Bis heute ist die Landesschule im Naumburger Ortsteil Schulpforte bekannt für ihre Begabungsförderung, in deren Genuss aktuell 290 Jugendliche kommen. Sie wandeln auf den Spuren prominenter Vorgänger: Der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock zählt ebenso dazu wie die Philosophen Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Nietzsche oder der Erfinder des synthetischen Kautschuks, Fritz Hofmann.

Berühmte Vorgänger

Eingangsbereich des Hauptgebäudes der Landesschule Pforta
Berühmtes Zitat des Philosophen Johann Gottlieb Fichte © Landesschule Pforta / Trevor Johnson

Ob sie einen ähnlichen Weg hin zu Berühmtheit und Erfolg gehen werden, wissen Joel (18), Moritz (17) und Erik (16) natürlich noch nicht. Aber die drei, die sich für den naturwissenschaftlichen Zweig der Begabtenförderung entschieden haben, können präzise verraten, warum sie sich für diese Schule entschieden haben. „Hier lebe und arbeite ich mit anderen mit gleichen Interessen zusammen“, versichert Joel. Sie alle haben an ihren vorherigen Schulen, die sie nach der achten Klasse zugunsten des Lebens und Lernens im Internat mit Ganztagsangeboten verlassen haben, erfahren, dass ihre Begeisterung für die Naturwissenschaften dort nicht ausreichend Futter erhielt.

Es ist zu spüren, dass sie die Gemeinschaft genießen – Moritz: „Wie eine neue, zusätzliche Familie“ –, mit der sie gerne auch ihre Freizeit nach einem langen Schultag in den zahllosen Arbeitsgemeinschaften am Abend, beim Austausch über Privates, beim Musizieren, Sporttreiben oder beim gemeinsamen Kochen verbringen. Dabei darf Freizeit auch schon einmal der gehaltvolle Gedankenaustausch über anspruchsvolle Inhalte umfassen.

Und es darf kontrovers werden. Etwa, wenn die kritische Frage diskutiert wird, ob ein Gänseessen zu Sankt Martin wirklich noch zeitgemäß und angebracht ist. Juliane Härtling, die Inhaltliche Koordinatorin, zuständig für die inhaltliche Koordination der Begabtenförderung und die Ganztagsangebote, formuliert das so: „Unsere Schülerinnen und Schüler fangen dort an zu fragen, wo andere aufhören.“ Sie besinnt sich auf ein berühmtes Zitat des Philosophen Johann Gottlieb Fichte: „Groß und glücklich wäre der Meister, der alle seine Schüler größer machen könnte, als er selbst war.“

Identifikation und Diagnosefähigkeit

Die Gedanken der jungen Schüler passen gut in diesen Kontext. „Man findet immer einen, der etwas weiß, was man selbst nicht weiß“, betont Moritz, während Erik den Wettbewerbsgedanken hervorhebt: „Man findet immer einen, der in irgendeinem Fach besser ist als man selbst.“ Den Ansprüchen der Schülerinnen und Schüler stellen sich die 45 Lehrkräfte. „Mit ihrer Identifikation einher gehen ihr Leistungswillen und die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen“, weiß Schulleiterin Kathrin Volkmann.

Das beinhaltet auch „Gutes im Unterricht anzubieten“ oder zu wissen, „wann jemand eine noch bessere Förderung, gegebenenfalls durch externe Experten benötigt“, ergänzt Juliane Härtling. Diagnosefähigkeit ist gefragt, wenn es um die Gestaltung des Unterrichts oder etwa die Frage der Lernform geht. Kathrin Volkmann: „Wir müssen erkennen, wer vor uns sitzt und was er benötigt.“

Wichtig sei ihnen allen ein hoher Praxisanteil. „Da sind wir hervorragend aufgestellt“, sagen die Verantwortlichen. Ein Blick in die Klassen- und Fachräume bestätigt die Aussage. Modernste Technik, selbst im wegen Baumaßnahmen erforderlichen, schick in Holz gekleideten Containerbau, steht Historischem (wunderschöne Kronleuchter und reich verzierte Decken) gegenüber. Eindrucksvoll strahlen Kirchengebäude, Gewölbegang sowie die historischen Hauptgebäude weit übers Grundstück in die Natur hinaus.

In den Bann gezogen

Der berühmte Kreuzgang der Landesschule
Der berühmte Kreuzgang der Landesschule © Landesschule Pforta / Trevor Johnson

Die Räumlichkeiten bieten auch bei hohen Temperaturen angenehme Kühle, so wie es auch die imposante Platane im Garten tut. Unter ihrem grünen Dach verabreden sich die Schülerinnen und Schüler gerne zum Talk oder zum Lernen, so wie es hunderte junger Bildungsbegieriger in den Jahrhunderten zuvor getan haben. Die Verbundenheit mit der Schule geht über den Tod hinaus und wird einmal im Jahr feierlich bei der Ecce-Feier, in der Kirche des Zisterzienser-Klosters, deren Grundstein 1137 gelegt worden war, gefeiert. Kathrin Volkmann: „Wer das einmal erlebt hat, kann sich dem Bann dieser Schule kaum noch entziehen.“

Der Kontakt zwischen Lehrkräften und Lernenden ist eng. Nicht zuletzt, weil einige Lehrkräfte ihre Wohnung in den verschiedenen Internatshäusern beziehen und als Hauseltern fungieren, während andere abends als zusätzliche Ansprechpartnerinnen und -partner dienen. „So erleben wir die Jugendlichen auch von anderen Seiten“, berichtet Juliane Härtling und weiß daher: „Sie reden wie alle anderen Jugendlichen auch über Fußball, Germanys Next Topmodel oder Beziehungen.“ Das Kollegium nimmt auf, wie sie ihre „Schützlinge“ erleben, bündelt die Erkenntnisse in pädagogischen Konferenzen und unterstützt sie bei sozialen Themen und natürlich auch, wenn es um die Förderung und Leistung geht.

Leistung wird erwartet und gerne geliefert (Notendurchschnitt des jüngsten Abiturgangs: 1,57). Darum unterziehen sich alle, die hier ihre Schullaufbahn ab der neunten Klasse bis zum Abitur fortsetzen wollen, den intensiven Aufnahmeprüfungen für die drei wählbaren Bildungsschwerpunkte: Naturwissenschaften, Sprachen und Musik. Kurzum: Sie entscheiden sich bewusst für eine Schule mit hohem Niveau, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass nicht die Probleme im Vordergrund stehen, sondern dass nach den Worten der Schulleiterin „alle mit Lösungen kommen.“

Auswahl und Förderung

Den Aufnahmeprüfungen stellen sich jährlich mehr Achtklässlerinnen und Achtklässler, als Plätze zur Verfügung stehen, nicht nur „Landeskinder“, wie die Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt genannt werden. Kognitive Tests zum allgemeinen Denkvermögen, Klausuren, musikalische und musikpraktische Einzelprüfungen in der Musik warten auf sie. Nur die Besten kommen durch. Für alle anderen heißt es hoffen, dass vielleicht jemand absagt oder mit dem Internatsleben nicht klarkommt. Die Chance nachzurücken ist allerdings klein, denn die Landesschule zieht auch die jungen Menschen in den Bann, etwa, jene, die Musik lieben und hier perfekte Möglichkeiten finden, zu „trainieren“. Viele Räume stehen alleine für das Musizieren am Klavier zur Verfügung.

Alle Schülerinnen und Schüler erhalten im gewählten Bildungszweig zusätzliche, über den Lehrplan hinausgehende Unterrichtsstunden. Es gibt Kurse für den Weinbau, für Logik, Analytische Chemie  und bilinguale Physik in den Naturwissenschaften oder Sprachreisen für jene, die sich für das Erlernen von mindestens vier Fremdsprachen entscheiden. Die Musiktalente gehören alle dem Chor an, erhalten Instrumentalunterricht und in der Oberstufe sogar die Möglichkeit, an eine Chorleitung herangeführt zu werden.

Silentium und Arbeitsgemeinschaften

Angesichts dieses Anspruchs stellt sich schnell die Frage: Ist die Landesschule heute eine Schule für Wohlhabende? „Nein“, versichert Juliane Härtling. „Entscheidend ist die Haltung zu Bildung.“ Schließlich wurde die Schule seinerzeit schon gegründet, um „würdigen und bedürftigen Knaben“ den Schulbesuch zu ermöglichen – was seit 1949 ebenso für Mädchen gilt. Neben Leistung und bestandener Aufnahmeprüfung werden eine hohe Motivation und soziales Engagement erwartet. Wenn erforderlich, stehen Stipendien („Freistellen“) bereit, so zum Beispiel von der Stiftung Schulpforta und vom Pförtner Bund e.V., dem Verein ehemaliger Schüler und Förderer der Landesschule.

Schülerinnen im Park der Landesschule Pforta unter der Platane
© Landesschule Pforta / Trevor Johnson

Schließlich wacht auch das Land Sachsen-Anhalt darüber, dass begabte Schülerinnen und Schüler ohne Rücksicht auf den sozialen Status der Eltern gefördert werden. Schulgeld wird nicht, erhoben. Lediglich für die Unterbringung und Verpflegung im Internat ist zu zahlen. Für „Landeskinder“ betragen die Kosten 250 Euro monatlich, für Schülerinnen und Schüler aus anderen Bundesländern mehr.

Alle können das breitgefächerte Ganztagsangebot der Landesschule nutzen. Zu ihm zählt im Internat das traditionelle Silentium, die verbindliche Ruhezeit für Hausaufgaben, in der sich die Schülerinnen und Schüler von 16.45 bis 18.15 Uhr in ihre Zimmer begeben. Die Palette der freiwilligen Arbeitsgemeinschaften, von denen es heißt, die meisten befänden sich „fest in Schülerhand“, ist reich bestückt. Sport aller Sportarten, darunter Zumba und Klettern, gehört wie selbstverständlich hinzu, Musik natürlich auch. Doch auch die Umwelt-AG, Programmieren oder spezielle Mathematikkurse erfreuen sich neben vielem anderen großer Beliebtheit.

Nun ist Weihnachtszeit

„24 Tage der offenen Türchen“ bietet der diesjährige digitale Adventskalender der Schule, der die ganze Palette zeigt: von der Theater-AG und der Chinesisch-AG über den „chemischen Garten“ des Biologie-Kurses und ein „Griechisch-Kurs-Casting“ bis zum humorvollen Rundgang durchs Internat. Besinnlich wird es beim vorweihnachtlichen Krippenspiel der Schülerinnen und Schüler, handwerklich und kulinarisch beim Pfortenser Weihnachtsmarkt, stimmungsvoll bei den Adventskonzerten der Schulchöre, darunter einem Auftritt des 1986 gegründeten „Mädchenchors Schulpforta“ in der Erfurter Reglerkirche.

Zu Weihnachten geht es dann wie in allen Ferien nach Hause. Eine schöne Zeit. Der erste Schultag und die Rückkehr in die Schulfamilie im Januar haben jedoch alles andere als „Schreckcharakter“. So wird es auch in wenigen Wochen wieder sein. Für das Kollegium beginnt mehr als das „Standardprogramm“. Gemäß der eigenen Verpflichtung, dass Stillstand eher Rückschritt bedeutet, wollen sie ihre Schule immer weiter optimieren.

„Wir spielen mit Visionen“, nennt es Kathrin Volkmann, die übrigens – aus Magdeburg und in Halberstadt aufgewachsen – die erste Schulleiterin der Landesschule Pforta ist. Eine Vision lautet beispielweise: Wie können Internat, Unterricht und Digitalisierung weiterentwickelt werden? Bei der Umsetzung wird unter anderem die Serviceagentur „Ganztag“ Sachsen-Anhalt unterstützend tätig werden. Die Schulleiterin darf gewiss sein: Es wird Lösungen geben.

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