Ganztag in Bio-Qualität : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Die Stadtteilschule Helmuth Hübener in Hamburg hat einen Gemüseacker auf dem Schulhof. Um die Bewirtschaftung kümmern sich die Schülerinnen und Schüler der Ganztagsklasse. Sie sind von ihrem Acker begeistert.

Schüler mit Spaten auf dem Acker
„Kein Garten. Das ist unser Acker“ © Stadtteilschule Helmuth Hübener

„Das war der beste Tag meines Lebens!“ Strahlend erzählt Oskar, wie ein riesiger Lastwagen aufs Schulgelände gefahren ist, vollbeladen mit frischer Erde für den Schulgarten. „Kein Garten. Das ist unser Acker“, korrigiert der Fünftklässler. Der „Acker“, ein etwa zehn mal zehn Meter großes, dicht bepflanztes Stück Natur mitten auf dem Schulhof der Stadtteilschule Helmuth Hübener, ist das Vorzeigeprojekt der Ganztagsklasse – und der ganze Stolz der Schülerinnen und Schüler.

Bis der Acker endlich fertig war, mussten die verantwortlichen Klassenlehrerinnen Renya Brockmann und Swenja Scheel allerdings jede Menge Arbeit und Zeit in ihr Herzensprojekt investieren. Dafür gab es jetzt die verdiente Anerkennung: Zum Dank für ihr Engagement wurden die beiden Lehrerinnen zum Bürgerfest des Bundespräsidenten nach Berlin eingeladen. Gemeinsam mit rund 4.000 Gästen feierten die Hamburgerinnen kürzlich im Schloss Bellevue.

„Ein neuer Blick auf Gemüse“

Der Acker auf dem Gelände der Stadtteilschule Helmuth Hübener im Stadtteil Barmbek ist in Zusammenarbeit mit der GemüseAckerdemie entstanden, einem gemeinnützigen Verein, der seit 2013 deutschlandweit Schulen dabei unterstützt, im Klassenraum oder auf einem Acker ihr eigenes Gemüse anzubauen. Mehr als 300 Schulen nehmen aktuell an dem Programm teil, Beete, Bildungsmaterial für den Sachunterricht, Saat- und Pflanzgut werden gestellt.

Ziel des Projekts ist, das Bewusstsein der Kinder für die Bedeutung der Natur zu stärken und ihnen gleichzeitig Wissen über Lebensmittelproduktion, Landwirtschaft und gesunde Ernährung zu vermitteln. In der Barmbeker Schule, die inmitten eines alten Arbeiterviertels liegt, zeigt das Projekt bereits Wirkung. „Die Kinder haben durch den Acker nicht nur neue Gemüsesorten kennengelernt, sondern auch einen neuen Blick auf Gemüse entwickelt“, so Swenja Scheel. „Und sie wissen jetzt, woher die Möhre im Supermarkt kommt.“

Die Idee zur Zusammenarbeit mit dem Verein entstand fast zeitgleich mit dem Start der ersten Ganztagsklasse an der Schule. Renya Brockmann erzählt: „Unsere Schule ist eine teilgebundene Ganztagsschule. Mit der neuen Ganztagsklasse, die im Schuljahr 2018/2019 gestartet ist, hatten wir plötzlich viel mehr Zeit mit den Kindern. Die wollten wir sinnvoll nutzen.“ Die Entscheidung, einen Gemüseacker anzulegen, sei ein demokratischer Prozess gewesen, die Kinder haben mitentschieden.

Mehr Zeit in der Ganztagsklasse

Schülerinnen im Kürbisfeld
Kürbisernte in der Stadtteilschule © Stadtteilschule Helmuth Hübener

In der Ganztagsklasse sind die Schülerinnen und Schüler von 8 bis 16 Uhr verbindlich in der Schule, die Teilnahme am Nachmittagsangebot ist Pflicht und findet im Klassenverband mit einer der Klassenlehrerinnen statt. Alle anderen Schülerinnen und Schüler können sich für Kurse am Nachmittag anmelden, müssen es aber nicht. Zurzeit sind 60 Prozent der rund 1.100 Schüler für den teilgebundenen Ganztag angemeldet.

Die anfängliche Sorge, die längere gemeinsame Zeit nicht qualitätsvoll füllen zu können, erwies sich bald als unbegründet. Zum Schultag in der Ganztagsklasse gehört obligatorisch das gemeinsame Frühstück. Nach dem Unterricht gibt es eine Mittagspause, an die sich die sogenannte Ich-Zeit anschließt, eine der Besonderheiten der Ganztagsklasse. Brockmann: „Damit sich die Kinder nach der oft aufregenden Mittagspause wieder besser auf den Unterricht konzentrieren können, gönnen wir ihnen 20 Minuten, in denen sie spielen, malen, lesen oder einfach entspannen können. Gespräche sind in dieser Zeit tabu.“

Auch am Nachmittag gibt es noch eine kurze Pause. Die Schüler wissen das offenbar zu schätzen. „Wenn die anderen Kinder schon frei haben, haben wir noch eine Luxuspause“, erzählt Fünftklässlerin Fiona stolz. Neben der Ich-Zeit gibt es eine weitere Besonderheit, sozusagen das Herzstück der Ganztagsklasse: die Klassenzeit. Das sind sechs zusätzliche Stunden im Klassenverband und mit einem Klassenlehrer. Auf dem Plan steht, was die Klasse gerade braucht. Was das ist, wird gemeinsam entschieden – sich auf einen Test vorbereiten, Waffeln backen oder einfach zusammen verstecken spielen. „Auch hier entscheidet die Klasse selbst“, so die Klassenlehrerin.

Außerdem stehen der Ganztagsklasse zusätzlich zwei Stunden zur Verfügung, um in Kleingruppen gezielt Deutsch, Mathe und Englisch zu üben. Und das Beste: Nach Schulschluss sind keine Hausaufgaben mehr zu erledigen. Die können in der zusätzlichen Lernzeit gemacht werden, einem festen Angebot, das allen Schülern im Rahmen des Ganztags zur Verfügung steht.

Vom ganztägigen Lernen überzeugt

Fünftklässler mit einem Radieschen
Die Ernte soll künftig in einem Kochkurs verarbeitet werden © Stadtteilschule Helmuth Hübener

Anna Bady, Ganztagskoordinatorin der Schule, kümmert sich um die Bibliothek, in der die zusätzliche Lernzeit stattfindet, und ist außerdem für den „Spieleraum“ nebenan zuständig. Nach dem Unterricht ist hier „the place to be“: Hier finden sich die Soccer-Kings, die Dancing-Queens und die besten Pokemon-Trainer der Schule. „Der Spieleraum ist die Anlaufstelle für alle, die noch nicht nach Hause gehen“, erklärt Bady. Es gibt ein festes Angebot pro Tag, ansonsten ist freies Spiel angesagt.

Eine verbindliche Anmeldung zu festen Zeiten ist für alle Kinder möglich, doch der Spieleraum kann auch ohne Anmeldung genutzt werden. Die Anmeldungen zu den Kursen dagegen, für die Ganztagskoordinator Thorsten Brinkmann zuständig ist, sind immer verbindlich für ein Schulhalbjahr zu buchen. Bevor sich die Schülerinnen und Schüler festlegen, können sie in einer zweiwöchigen Schnupperphase ausprobieren, ob der gewählte Kurs wirklich ihren Neigungen entspricht.

Seitens der Schulleitung bekommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ganztag für ihre Ideen volle Rückendeckung. Barbara Kreuzer, seit zwölf Jahren Leiterin der Stadtteilschule Helmuth Hübener, ist vom ganztägigen Lernen überzeugt. Bevor sie ihre Stelle an der Hamburger Schule antrat, hatte sie als didaktische Leiterin an einer Schule in Niedersachsen den Ganztag aufgebaut – gegen den Willen ihres damaligen Schulleiters.

Barbara Kreuzer lacht: „Damals haben wir den Ganztag mit Hilfe der älteren Schülerinnen und Schüler, die kurz in Pädagogik unterrichtet wurden, auf die Beine gestellt.“ Von der Schule habe es kein Geld gegeben, stattdessen hätten die Stadtwerke den Aufbau des Ganztags gesponsert. „Das waren noch Zeiten!“, erinnert sich Kreuzer.

„Hier wurde noch mit keinem Kohlkopf Fußball gespielt“

An der Stadtteilschule Helmuth Hübener hatte die Pädagogin dann leichteres Spiel: Als sie 2007 nach Hamburg kam, war die frühere Kooperative Gesamtschule (KGS) bereits eine teilgebundene Ganztagsschule. Kreuzer: „Ich hätte gerne eine gebundene Ganztagsschule gehabt, aber da wollten das Kollegium und auch die Eltern noch nicht mit.“ Seit einem Jahr gibt es erst einmal die gebundene Ganztagsklasse, die nun aufwachsen wird. Für den zweiten Jahrgang im gerade gestarteten Schuljahr 2019/1920 haben sich sogar mehr Kinder angemeldet als im letzten Jahr, 24 Schülerinnen und Schüler gehen aktuell in die Ganztagsklasse, im Vorjahr sind es 21 gewesen.

Lehrerin und Schülerinnen auf dem Gemüseacker
Salat vom schuleigenen Acker – natürlich in Bio-Qualität © Stadtteilschule Helmuth Hübener

„Die Kinder der Ganztagsklasse haben zwar später Schulschluss als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, aber sie sind stolz darauf. Sie sagen, sie hätten 'mehr' als die anderen.“ Lehrerin Renya Brockmann stimmt zu: „Die Schülerinnen und Schüler identifizieren sich mit ihrer Ganztagsklasse.“ Für ihr Herzensprojekt, den Acker, sind einige sogar in den Sommerferien vorbeigekommen, um das angebaute Gemüse zu gießen – und natürlich zu ernten.

Überhaupt stößt der Acker in der ganzen Schule auf hohe Akzeptanz. Das zeigt sich nicht zuletzt am guten Zustand der Grünfläche, alles ist ordentlich und gepflegt. Oder, wie es Renya Brockmann lakonisch ausdrückt: „Hier wurde noch mit keinem Kohlkopf Fußball gespielt.“

Für das laufende Schuljahr gibt es bereits neue Pläne rund um den Acker: Ein Lehrer der Schule war früher einmal Koch, er will nun mit einsteigen und das Gemüse künftig in seinem Kochkurs verarbeiten. Auch die Schulkantine hat Interesse am Grünzeug bekundet. Auf jeden Fall wird der Herbst in der Ganztagsklasse theorielastiger.

„Die GemüseAckerdemie bietet Unterrichtsmaterialien an, die werden wir ausprobieren“, verrät Klassenlehrerin Swenja Scheel. Den Kindern wird's davon nicht bange. „Ich finde es toll, dass wir mehr lernen können als die anderen“, betont Ephraim. „Wir haben alle vorher noch nie Mangold gegessen, jetzt aber schon!“, so der Zehnjährige stolz. „Und du?“

 

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