Ganztag im Nordlicht : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Wenn fünf Schulen zu einer verschmelzen, sind Teamarbeit und Schulentwicklung erforderlich. Der „echte Norden“ ist überall in den Lernhäusern und in der OGS der Nordlicht-Schule Süderbrarup zu finden.

Eingangsbereich
Gemeinsam mit dem Architektenbüro wurden Grundriss, Außengebäude ... © Wolfgang Schäfing

Ich stehe vor einer Schule? Oder vielleicht doch vor einer interessant konzipierten Wohnanlage? Zur Sicherheit schaue ich noch einmal auf den Schriftzug oberhalb der großen Glastür: Nordlicht-Schule. Lese ich und weiß, ich bin dort, wo ich hin möchte. In jene Grundschule, die seit vier Jahren die Schulen von Süderbrarup, Norderbrarup, Mohrkirch, Boren und Steinfeld in Süderbrarup nahe Flensburg bündelt. 

Einzeln waren sie zu klein. Gemeinsam sind sie stark, kann ich nach einem Rundgang und einem Gespräch mit Konrektorin Rebecca Sievers, der frischgebackenen Leiterin des Offenen Ganztags Tatjana Krüger und kleinen Wortwechseln mit einer Grundschülerin notieren. Denn es ist schon „stark“, um im Umgangsdeutsch zu bleiben, was hier in kurzer Zeit entstanden ist. 

Schauen wir zunächst auf das – besser: die Gebäude. In die Gestaltung flossen pädagogische Überlegungen ein. Die Behörden verzichteten darauf, Standardmaße und traditionelle Schulbaukonzepte aus der Schublade zu ziehen und in Auftrag zu geben. Der Architekt fragte das gerade zusammengestellte Kollegium nach seinen Vorstellungen. Das formulierte seinen Wunschzettel. 

Flure als Differenzierungsräume

Manchmal waren es vermeintliche Kleinigkeiten, die im Schulalltag aber große Wirkung erzielen. Wie etwa die Verbindungstüren zwischen Klassenräumen. „Sie waren ursprünglich nicht vorgesehen, wurden aber auf unseren Hinweis hin eingebaut“, erzählt die Konrektorin. Und freut sich wie das gesamte Team, dass nun notfalls auch eine Lehrkraft zwei Gruppen im Blick haben kann. Die großen Glasfronten der Lernhäuser, die viel Beton ersetzen, ermöglichen, dass alle Kinder gesehen werden, unabhängig davon, ob sie sich drinnen oder draußen, auf den Terrassen oder dem Spielgelände aufhalten. 

Wichtig war dem Schulteam, dass die Flure kein verschenkter Raum sind. Architekt, Gemeinde und Feuerwehr fanden Wege. Nun dienen die Gänge mit Sitzgelegenheiten, Höhlen und Podesten als Rückzugsmöglichkeit, wenn Kinder einmal zur Ruhe kommen müssen oder lieber außerhalb der Klasse weiterlernen möchten. 

Steine
Landesendrunde des Lesewettbewerbs © Wolfgang Schäfing

„In unserer Schule kommen viele unterschiedliche Charaktere zusammen. Für sie brauchen wir Zeit und Raum für Differenzierung“, erläutern Rebecca Sievers und Tatjana Krüger. Ohne ansatzweise Kinder „klassifizieren“ zu wollen, ist das Motto der Pädagoginnen: „Bei uns ist es normal, anders zu sein.“ Dazu zählt auch, dass jeder Schülerin und jedem Schüler die Zeit zum Lernen zugestanden wird, die sie oder er benötigt. 

„Wir machen das gerne“

Besonders gut gelingt das in der jahrgangsübergreifenden Eingangsphase, die Klasse 1 und 2 umfasst. Ein längeres oder kürzeres Verweilen in den Lerngruppen stellt kein Problem dar. Es treffen sich bekannte Gesichter. Der Individualität und Heterogenität Rechnung zu tragen, hat ihren „Preis“: „Ja, es kann sein, dass ich 20 verschiedene Hausaufgaben entwickle und mehrere Lernmaterialien nutze“, bestätigt Rebecca Sievers und strahlt dabei. „Wir machen das gerne.“

Der Blick auf jedes einzelne Kind war ein zentrales Anliegen aller, als sich die Kollegien aus ehemals fünf Schulen um ein gemeinsames Konzept bemühten. Alle wussten um die Herausforderung. Viele Kinder kommen aus benachbarten Heimen. Auch eine Inklusionsgruppe der Schule Am Markt, eines Förderzentrums mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung, ist integriert. 

Darüber hinaus hat man sich zur Schatzkammer im Kreisgebiet entwickelt. Aufgenommen werden auch Kinder, die eigentlich noch nicht schulfähig sind, aber eingeschult werden müssen. Sie werden an vier – Sievers: „Hoffentlich bald fünf“ – Tagen für zwei Stunden in einem eigenen Raum aufs Schulleben vorbereitet. Mal wird beispielsweise geübt, still zu sitzen, mal wird an der Feinmotorik geschliffen.

Dreieck Kind, Schule und Eltern

Extrem viel Wert legt das Team auf die Kooperation mit den Eltern. „Nur im Dreieck Kind, Schule, Eltern können Bildung und Erziehung gelingen“, betonen Rebecca Sievers und Tatjana Krüger. Und so laden sie immer wieder donnerstags zu „FiSch“ – Familie in Schule. In einer eigenen kleinen Arbeitsgruppe begleitet ein Elternteil das Kind, mal aktiv, mal beobachtet es nur. 

Vorlesen
Seit 2017/2018 beginnen alle 1. Klassen mit dem Plattdeutschunterricht. © Wolfgang Schäfing

Eine Lehrerin und eine der sonderpädagogischen Fachkräfte sind dabei. Gemeinsam werden Ziele („Ich fange direkt mit meiner Arbeit an“) für die kommende Woche verabredet und natürlich gecheckt. Bloßgestellt fühlt sich niemand. Anderssein ist ja normal. „Andere Kinder gehen in die Leseklasse, wieder andere zur Matheförderung. Es ist bei uns nichts Außergewöhnliches, besondere Unterstützung zu erfahren“, sagt die Konrektorin. 

Sie bedauert, dass die vom Land vorgegebenen Bewertungskategorien nicht immer der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler gerecht würden. „Aussagen wie ‚sicher’ oder ,teils sicher’ sagen unserer Meinung nach nicht viel aus“, glaubt sie. Das von der Schule entwickelte Zeugnis darf nicht mehr genutzt werden. In ihm stand bei einem Zweitklässler beispielsweise die Kompetenz: „Liest unbekannte Texte flüssig“ – das wurde dann in einem fünfstufigen Raster bewertet. Die Kompetenzen waren auf die Ziele der jeweiligen Klassenstufe genau abgestimmt. „Also müssen wir viel mit Eltern und Kindern sprechen“, erläutert Sievers die Konsequenzen.

Notwendigkeit von Veränderungen im Blick

Die Kollegien haben viel Zeit investiert, gemeinsame Ziele und Wege zu entwickeln. In vielen Detailfragen einigten sie sich. Etwa auch auf eine Zeitstruktur. 45 Minuten dauert eine Unterrichtsstunde, doch der Kniff, nach der ersten beziehungsweise dritten Stunde keine Pause vorzusehen, führt in der Realität zu 90 Minutenblöcken. Ganz glücklich ist die Konrektorin damit noch nicht. 

„Gerade für die Jüngsten sind diese Zeitblöcke hart“, glaubt sie und möchte noch einmal das Gespräch mit dem Team suchen. Sie plädiert für Bewegungsphasen nach der ersten Stunde. Schülerin Vibke (Name von der Redaktion geändert) beispielsweise würde sich freuen, wenn Rebecca Sievers mit dem Anliegen Erfolg hätte: „Ich find’s zu lange. Ich will nicht solange still sitzen“, verrät sie. Richtig gut findet Vibke die fünf Lernhäuser – orange, blau, pink, grün und gelb. Die Orientierung fällt leicht: Die Garderoben sind entsprechend farblich gestaltet. 

Über die Zusammensetzung der Lernhäuser entscheidet die Schule stets zu Beginn des Schuljahres. Zu den Kriterien zählen, ob Klassen zusammenpassen oder ob eine Lehrerin oder ein Lehrer in zwei Gruppen eines Hauses eingesetzt wird. Und nach Möglichkeit werden befreundete Kinder nicht auseinandergerissen. In einem der Lernhäuser wird jahrgangsübergreifend gearbeitet, hier finden die Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, ihre „Heimat“.

Absprachen mit dem Offenen Ganztag

Sitzkreis
Jeden Dienstag tagt das Schülerparlament © Wolfgang Schäfing

Kommunikation ist das A und O der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und dem Offenen Ganztag, dessen Träger das Amt Süderbrarup ist. Besonders seit dem Führungswechsel. Leiterin Tatjana Krüger will das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Sie betont, dass sie ein paar Veränderungswünsche mit sich herumträgt, aber „Stück für Stück“. Sie weiß, wie sehr OGS-Team und Schule in der Vergangenheit manchmal miteinander „gerungen“ haben. Immer auf der Suche nach Lösungen im Interesse der Kinder. 

Da war etwa das „Rennen“ auf den Fluren. „Geht nicht“, dachte das Kollegium und wünschte sich, dass die Regel auch am Nachmittag gelte. Doch da spielte das OGS-Team nicht mit. Kinder müssen sich nach dem Unterricht frei bewegen können. Rebecca Sievers, die die Verbindung zur OGS hält, überzeugte die Sichtweise der Erzieherinnen und Erzieher. Sie entschied: Morgens kein Rennen, nachmittags auf die Plätze fertig los. 

Ihre überdachte Entscheidung gefällt Tatjana Krüger: „Kinder müssen nach dem Unterricht frei sein. Es darf nicht wieder um Funktionieren, Leistung oder Termine gehen.“ Darum ist das OGS-Team auch noch unschlüssig, ob und wie viele Arbeitsgemeinschaften künftig, nach Corona, angeboten werden sollten. Auch über den Umgang mit den Hausaufgaben, die von den OGS-Kindern nachmittags erledigt werden, möchte sie sprechen. 

Welche Erwartungshaltung haben Lehrkräfte und Eltern? Wie gelingt die Abstimmung zu diesem Thema zwischen Schule und OGS-Team? Wieviel Unterstützung darf sein, wo ist sie kontraproduktiv? Man wird diskutieren. Eine Frage ist dann auch, wie die Kommunikation insgesamt intensiviert werden kann. „Wir dürfen nicht die Notfallpolizei sein, die nur miteinander redet, wenn’s schwierig wird“, wünscht sich Tatjana Krüger. Ihr ist wichtig, das Verhältnis der Erzieherinnen zu den Kindern zu stärken: „Wir brauchen personenbezogene Beziehungen.“

An dieser auf Mitbestimmung basierenden Schule wird es dafür ganz sicher Lösungen geben. Zur Mitbestimmung gehörte, dass selbst der Schulname von beiden Teams, die sich längst als ein Kollegium verstehen, gemeinsam ausgesucht wurde. Die Auswahl war groß. Und jetzt leuchtet im echten Norden die Nordlicht-Schule.

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