Ganztag an der Wiedheckschule: Verbindend und verbindlich : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Auf den ersten Blick wähnt sich der Besucher in einer gewöhnlichen Grundschule. Doch wer hinter die Fassade blickt, erlebt eine innovative, moderne Schule in Saarbrücken.

Ein Hinweis aus dem Saarbrücker Rathaus hat uns  in den Stadtteil Brebach geführt: „Die Wiedheck-Grundschule lohnt sich anzuschauen.“ – neben mehr als 20 weiteren Ganztagsschulen, die sich während des diesjährigen Bundeskongresses des Ganztagsschulverbandes für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer öffneten. Rund ein Dutzend von ihnen hatte sich ebenfalls für die Wiedheck-Schule entschieden. Niemand sollte sein Kommen bereuen. Den Geist der Schule strahlt nicht das Äußere des Gebäudes – ein durchaus typischer Schulbau – aus. Vielmehr sind es die Personen, die Kinder und Erwachsenen in dieser gebundenen Ganztagsgrundschule.

Beim Versuch, uns auf dem Gelände zu orientieren, werden wir von einer Gruppe fröhlicher Schülerinnen unterstützt. „Wo wollen sie denn hin?“ fragen drei Mädchen. Unsere Frage nach der „Schulleitung“ beantworten sie mit dem Hinweis: „Da die Treppe rauf“ und verschwinden zum Toben. Sie drehen sich aber noch einmal zu uns herum: „Und noch einen schönen Tag!“

„Was Besseres hätte uns nicht passieren können“

Klassenraum
© GTGS Wiedheck

Es sind Szenen wie diese, die deutlich machen, dass es dem Team der Wiedheck-Schule nicht nur um die Wissensvermittlung geht. Respekt, Höflichkeit und menschlicher Umgang stehen gleichbedeutend auf der Agenda. Zum Team gehören derzeit 16 Lehrerinnen und Lehrer, eine Referendarin, acht sozialpädagogische Fachkräfte, ein Praktikant, je zwei Integrationslehrer- und -helferinnen, eine Schulsekretärin, ein Hausmeister, zwei Küchenfrauen sowie die „ Reinigungsfeen“. Dazu gehört ebenso eine Lehrerin, die für Kinder vor und nach der Einschulung zwei- bis dreimal wöchentlich Sprachförderung anbietet. Ergänzt wird das Kollegium stundenweise durch Muttersprachlerinnen für Französisch, Türkisch und Italienisch, einen katholischen Gemeindereferenten, einen Lehrer für alevitischen Religionsunterricht sowie eine Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache. Sie alle gestalten den gebundenen Ganztag.

200 Kinder nutzen die Angebote des gebundenen Ganztags, der letzte Halbtagszug läuft mangels Nachfrage aus. Dass die Einstellung zur Schule sich in den vergangenen Jahren verändert hat, weiß Schulleiterin Saskia Schönhöfer nur aus der Erzählung ihrer Kolleginnen und Kollegen. Als sie im August an die Wiedheck-Schule wechselte, war die Stimmung schon eindeutig und positiv. „Nahezu alle Eltern wollen die Ganztagsschule“, kann sie berichten. Das war nicht immer so. Der Beschluss, die Brebacher Grundschule in eine Ganztagsschule umzuwandeln, stieß im Ort durchaus auf Skepsis und Widerstand. Heute sagt eine zufällig auf der Straße angetroffene Mutter: „Was Besseres hätte uns nicht passieren können.“

Individuelle Angebote und ein Blick auf jedes Kind

Was ist es, das diese Schule für Eltern wie Kinder so wertvoll macht? Die Atmosphäre von Achtung und Wertschätzung schließt auch ein, jeden Einzelnen und jede Einzelne mit ihrer Herkunft und Kultur zu respektieren. Muttersprachen gelten hier als Bereicherung. Glaube wird nicht nur akzeptiert, sondern mitgetragen – etwa im Religionsunterricht. Ausgezeichnet als gesunde Schule ist es eine Selbstverständlichkeit, bei den Essensangeboten (2,80 Euro pro Tag) verschiedenen Bedürfnissen gerecht zu werden.

„Unser Ziel ist es, eine Atmosphäre des Wohlfühlens zu entwickeln, die das Lernen erleichtert“, betonen Schulleiterin Saskia Schönhöfer, ihr Stellvertreter Thomas Schulgen und der sozialpädagogische Leiter Ralf Wilhelm. Dazu zählt zum Beispiel, dass den Erstklässlern und Erstklässlerinnen das Eingewöhnen in die Ganztagsschule erleichtert wird. Sie werden am Nachmittag von einem kleinen Team aus Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern in eigenen Räumen, dem „Flohzirkus“ betreut. Ab Klasse zwei wird der Nachmittag jahrgangsübergreifend gestaltet. Dann können die Kinder im Wechsel im ABC-Haus - dem sozialpädagogischen Bereich -, offene Angebote wahrnehmen oder an Neigungsgruppen (z. B. Badminton, Experimentieren, PC-AG, Schulzeitung, Bastelgeister, Taekwondo, Häkeln) teilnehmen. Die Rhythmisierung bedeutet auch: Am Nachmittag findet ebenfalls Unterricht statt.

Uhren in der Mensa
© GTGS Wiedheck

Beliebt sind die Räume des ABC-Hauses bei den Kindern aus vielerlei Hinsicht. Jeder ist anders gestaltet, bietet mal Raum zum Toben, mal zum Klettern, mal zum Spielen, mal zum Ausruhen. Die Räume sind „lehrerfrei“, stattdessen sind eine Erzieherin oder ein Erzieher anwesend. Eine von ihnen ist Doris Schmidt, die stellvertretende sozialpädagogische Leiterin. Sie gibt die Devise aus: „Bei uns dürfen sich Kinder auch mal ausruhen oder langweilen.“ Eher außergewöhnlich der Hinweis an die Eltern bei der Einschulung: „Die Kinder sollten keine allzu neue Kleidung tragen. Bei uns dürfen und sollen sie sich schmutzig machen.“ Die Aufforderung versteht, wer das 22 Hektar große Außengelände der Schule sieht: Naturbelassen laden ein kleines Wäldchen, ein steiler Hang, Klettergeräte aller Art, Rutschen, Basketballkorb und Fußballtore zum Toben ein. Die Stimmung ist ausgelassen. Regeln werden aber eingehalten, etwa die, das Schulgelände nicht zu verlassen. „Die Freiheit wird nicht ausgenutzt. Jedes Kind weiß, dass wir hier nur so leben können, wenn man sich aufeinander verlassen kann“, sagt Ralf Wilhelm.

Übungsstunden ersetzen die Hausaufgaben

Ohne Erzieherinnen und Erzieher geht es hingegen am Vormittag zu. Das zu ändern ist ein Ziel. „Die Verzahnung der Angebote und das Miteinander der Professionen versuchen wir noch zu verbessern“, so Saskia Schönhöfer und Ralf Wilhelm. Ein erster Schritt ist getan: Den Nachmittag gestalten zu einem Drittel die Lehrkräfte mit. Was aus Sicht der Verantwortlichen auch so sein muss. Denn nach dem gemeinsamen Mittagessen und der „Erholung in der ungebundenen Freizeit“, stehen je nach Klassenstufe auch Unterrichts- oder Übungsstunden auf dem Tagesplan. Vier Übungsstunden sind insgesamt vorgesehen. Sie ersetzen die Hausaufgaben und werden in einen individuellen „Arbeitsplan“ integriert. Der sieht morgens ab 8 Uhr einen 135minütigen sowie einen 90minütigen Unterrichtsblock, unterbrochen von einer 35-minütigen Pause, vor.

Fest gelegt ist ebenso Folgendes: Begonnen wird in der ersten Klasse mit Tagesplänen und geendet wird in der vierten Klassen mit Wochenplänen. „Die eigene Verantwortlichkeit und Selbstständigkeit der Kinder wird Stück für Stück gesteigert“, erläutert Thomas Schulgen das Konzept. Zum zählen die gezielte Förderung der Sprachkompetenz, aber auch die Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Zahlreiche Projekte, von der Gesundheitserziehung über SINUS und Arcobaleno bis zum Umgang mit neuen Medien im eigenen PC-Raum, runden das pädagogische Profil ab. Ein Profil, das immer mehr Eltern im Ort fasziniert. Eltern werden in der Wiedheck-Grundschule als „Experten“ in schulischen Gremien geschätzt. Sie können nach Absprache mit den Klassenlehrkräften auch einmal am Unterricht teilnehmen. Individuelle Elterngespräche haben den Elternsprechtag abgelöst. In diesen Gesprächen erfährt die Schule immer wieder, wie sehr die Grundschüler, die Möglichkeit schätzen, sich auch während des Unterrichts einmal zurückziehen zu können. Zwischen den auf einem Gang liegenden Klassen existieren Differenzierungsräume. Hierhin können Kinder ausweichen, „wenn es ihnen einmal zu laut und zuviel in der Gruppe wird“, schildert Saskia Schönhöfer. In erster Linie aber werden diese Räume gezielt zur Differenzierung genutzt.

„Wir müssen uns ständig weiterentwickeln“

In der Gestaltung des Unterrichts sind die Lehrkräfte autonom. „Wir erleben in dieser Schule höchst unterschiedliche Unterrichtsstile. Denn wir wollen jedem Pädagogen seine Freiheit, seinen Stil und seine Identität lassen“, erklärt die Schulleiterin. Dennoch gibt es verbindende Elemente bei der Rhythmisierung und Rituale. Außerdem beraten sich die Kolleginnen und Kollegen einer Jahrgangsstufe einmal wöchentlich in einer „Teamstunde“.

Die Schulleiterin und ihr Team wollen sich nach eigenem Bekunden vor einem Fehler hüten: „Zu schnell zufrieden zu sein. Wir müssen uns ständig weiterentwickeln.“ Sie benennen ihre „Baustellen“ offen. Noch, so sagt Saskia Schönhöfer, gelinge die Rhythmisierung nicht wie erhofft, da wirke sich die räumliche Trennung zwischen Schule und Ganztagsgebäuden noch negativ aus. Lehrkräfte und Erzieher/innen sollten nach Möglichkeit beide ganztags anwesend sein. Während der Wunsch, die Lautstärke beim Mittagessen herunterzufahren, an der Akustik der Räume scheitert, wird ein anderer Wunsch fest ins Auge gefasst: „Es sollte uns gelingen, Zeiten für den Austausch zwischen den Professionen fest zu verankern“, betont Ralf Wilhelm. Darin gelte es auch zu definieren, welche Rolle und Aufgabe Erzieherinnen und Erzieher im Ganztag spielen sollten. Eines weiß Ralf Wilhelm: „Erzieher dürfen nicht zur Hilfskraft der Lehrkräfte werden“. Aber da ist er sich mit der Schulleiterin einig.

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