Ganztag an der Erft: „Kultur ist normal“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule an der Erft in Neuss lernen an vielen Orten. „Das ist das Gute an Kultur. Man kann sich Inhalten auf verschiedene Weise nähern“, so die didaktische Leiterin Christiane Kötter.

Schüler bei einem Filmprojekt
Drehort Schule: englisches Filmprojekt - LEAP 2018 © Gesamtschule an der Erft

Papier ist geduldig, könnte man sagen und die Ankündigungen der Gesamtschule an der Erft so einordnen. „Wir pflegen ein vielfältiges, interkulturell geprägtes Schulleben und kooperieren intensiv mit unseren außerschulischen Partnern. Wir öffnen unsere Schule für Organisationen und Institutionen und bieten den Schüler/innen Anknüpfungsmöglichkeiten, um frühzeitig den Blick aus dem Mikrokosmos Schule hinaus zu lenken“. Dass die Sätze – entnommen dem Schulprogramm – der Realität entsprechen, wird deutlich, wenn man diese Schule besucht, mit den dortigen Akteuren spricht.

Alexa (14) ist eine solche Akteurin. Wir treffen die Schülerin in der Pause auf dem Schulhof beim Federballspielen. Was ihr an dieser Gesamtschule gefalle, wollen wir erfahren. „Sie ist anders als andere Schulen“, diktiert das Mädchen stolz in unseren Block. „Woran merkst du das? Und wo siehst du Unterschiede?“, haken wir nach. Alexa muss nicht lange nachdenken.

„Schauen Sie sich alleine all unsere kulturellen und sportlichen Aktivitäten an, die wir innerhalb, vor allem aber auch außerhalb der Schule haben. Da ist für jeden etwas dabei. Ich kann das beurteilen. Denn eine Freundin von mir, die in einer anderen Stadt wohnt und dort zur Schule geht, guckt mich jedes Mal groß an, wenn ich zum Beispiel erzähle, dass wir wieder mit Schauspielern im Theater geprobt haben. Rausgehen aus dem Klassenzimmer, das ist toll und man lernt viel lieber“, verrät sie.

„Die Blauen Pferde und mehr“

Skizzenbücher des Kunstprojekts
Skizzenbücher: Blaue Pferde © Gesamtschule an der Erft

Derartige Zeugnisse ihrer Schülerinnen und Schüler überraschen die didaktische Leiterin der Gesamtschule, Christiane Kötter, nicht wirklich. Sie stellen eher eine Bestätigung des im Kollegium verabredeten Konzepts dar. Der Blick richtet sich auf jeden Einzelnen und seine Stärken. Die kulturelle Bildung bietet hierfür nach Ansicht Kötters „perfekte“ Möglichkeiten. Sie könnte viele aufzählen. Wer einen Blick auf die Homepage wirft, muss viel Zeit mitbringen, um alle Aktivitäten zu verinnerlichen. Seien es Schulradiosendungen, Wettbewerbe, Schulbands, Theater- und Musikaufführungen, Kooperationen mit dem Theater am Schlachthof, dem Kulturforum Alte Post oder der Musikschule.

Die Liste der kulturellen Projekte ist lang. Greifen wir einige heraus. In der Arbeitsgemeinschaft „Die Blauen Pferde und mehr“, benannt nach dem Gemälde des expressionistischen Malers Franz Marc aus dem Jahr 1913, setzen sich die Schülerinnen und Schüler des sechsten und siebten Jahrgangs, angeleitet durch die beiden Bildhauerinnen Michaela Masuhr und Gudrun Schuster, mit modernen Kunstwerken und Künstlern auseinander. Sie besuchen Ausstellungen, schauen sich gemeinsam Filme an und setzen anschließend eigene Ideen künstlerisch um.

„Kultur ist normal“

Schulflur der Gesamtschule an der Erft
Schulflur mit dem großen Wandbild ‚Caras de la Muerte‘ © Gesamtschule an der Erft

Präsentiert werden die entstehenden Werke während des Tages der Offenen Tür, auf dem Schulfest oder in der Projektwoche in der Schule, manchmal sogar im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung im Künstlerhaus in Neuss. Christiane Kötter: „Wenn wir die Kinder auf diese Weise an Kultur heranführen, fasziniert sie die Welt der Farben und Bilder sicher mehr, als wenn wir in der Klasse stehen und ihnen von berühmten Malern und ihren 100 Jahre alten Werken erzählen.“

Die didaktische Leiterin ist überzeugt: „Für unsere Schülerinnen und Schüler ist Kultur normal und keine Ausnahme.“ Dies trifft auf die Jüngeren wie die Älteren gleichermaßen zu. Der leuchtende Nachweis ziert einen Schulflur. Aus der Auseinandersetzung mit dem mexikanischen Día de los Muertos, dem Tag der Toten, einem nationalen Volksfest und Unesco-Kulturerbe, entstand ein zwei mal zwanzig Meter großes farbenprächtiges Werk, an dem die Schülerinnen und Schüler des 12. Jahrgangs beteiligt waren.

Ihre DIN A4 großen Skizzen beschäftigen sich mit dem Tod in unterschiedlichen Kulturen und wuchsen zu den Gemälden zusammen. Andere Schüler gestalteten im gleichen Zeitraum Altäre mit Gaben für die Toten, andere komponierten zwei Musikstücke für verschiedene Instrumente, gestalteten Totenköpfe oder drehten einen Spielfilm, der sich mit islamischen Ritualen zum Thema auseinandersetzt. Christiane Kötter: „Das ist das Gute an Kultur. Man kann sich Inhalten auf verschiedene künstlerische Weise nähern.“

Auseinandersetzung mit Sprache

Akrobatik-Aufführung
Akrobatik-Aufführung einer 6. Klasse auf dem Schulfest © Gesamtschule an der Erft

Dass Kultur auch Sprachförderung bedeutet, unterstreicht das Fach „Acting English“. Es ergänzt die vielfältigen kulturellen Facetten der Schule und die Schulfächer „Darstellen und Gestalten“ sowie Literatur und stellt für jeden Jahrgang einen Forderkurs von Klasse 5 bis 10 dar. Christiane Kötter ist überzeugt: „Durch Theaterspiel wird die englische Sprache lebendig und handlungsbezogen: Sprache, Bewegung und Handlung wachsen in fiktiven Situationen zusammen. Das freie Sprechen wird in immer wechselnden Situationen auf der Bühne und mit anderen erprobt. Theaterspiel bietet eine Auseinandersetzung mit der Sprache an, die mit allen Sinnen geschieht und eine Öffnung für kulturelle Eigenarten und Vielfältigkeiten ermöglicht, die im herkömmlichen Unterricht in dieser Intensität selten gelingen kann.“

Zusätzlich trägt „Acting English“ zur Stärkung des Selbstbewusstseins und der sozialen Kompetenz, einer höheren Sprachkompetenz in der mündlichen Kommunikation und zum verbesserten allgemeinen Sprachverständnis in der englischen Sprache bei. Der Kurs beinhaltet einen mehrtägigen Workshop mit englischsprachigen Theaterpädagogen. Gemeinsam mit diesen erarbeiten die Schülerinnen und Schüler ein meist selbstentwickeltes Theaterstück bis hin zur bühnenreifen Aufführung. Diese und die Workshop-Tage finden wieder „draußen“, sprich im Theater am Schlachthof statt.

Förderung der sozialen Kompetenzen

Gruppenfoto Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
v. l. n. r.: Marcel Hamann (Ganztagkoordinator), Elsbeth Faber (Schulleiterin), Ina Purcell (Öffentlichkeitsarbeit), Nena Große-Schönepauck und Sylvia Arifi (Sozialpädagoginnen) © Gesamtschule an der Erft

Die didaktische Leiterin gerät geradezu ins Schwärmen, wenn sie reflektiert, wie vielfältig Kultur an ihrer Schule wirkt. So auch in den beiden Inklusionsklassen im fünften Jahrgang. Alle Schülerinnen wandern für eine Woche ins Kulturforum Alte Post aus. Auch sie entwickeln ein Theaterstück. Eines, zu dem ein jeder je nach eigenen Stärken und Möglichkeiten seinen Beitrag für das Gemeinsame leistet. Einige sind Schauspieler, andere sorgen für die Musik, kümmern sich um die Bühnendekoration oder entwickeln den Inhalt weiter.

Christiane Kötter hat es schon mehr als einmal erlebt: „Während der Kurswoche und auch bei der Aufführung merken sie nicht, welches Kind einen Förderbedarf hat und welches eben nicht. Jeder ist wichtig.“ Genau dieser Aspekt der gegenseitigen Wertschätzung und der damit verbundene Erwerb hoher sozialer Kompetenzen ist dem Kollegium ebenso wichtig wie die Vermittlung von Fachwissen.

Dies spiegelt sich auch im Konzept der siebten Jahrgangsstufe wider. Während in den ersten beiden Jahrgängen die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften Pflicht ist, können die Siebtklässler wählen: AG oder Ehrenamt. 20 Stunden pro Schuljahr müssen diejenigen investieren, die sich gegen eine AG entschieden haben. Die Erfahrung, die einige bei der Tafel in Neuss, im Kindergarten, Seniorenheim oder in einer Kleiderkammer gesammelt haben, stuft Christiane Kötter als „wertvoll für das ganze Leben“ ein.

Aktive Auseinandersetzung mit Inhalten

Schülerinnen und Schüler in Kanus
Kanu-AG auf der nahegelegenen Erft © Gesamtschule an der Erft

Doch nicht nur Kultur führt die Schülerinnen und Schüler nach draußen. Dies gilt für Exkursionen in den Lebensraum an der Erft, für Tages-, Klassen-, Studien- und Gedenkstättenfahrten ebenso wie für das vielfältige Bewegungsangebot. Es umfasst Abenteuer-, Team- und Erlebnissport, Kanutouren, Klettern, Tauchen, Reiten oder Fußball. Das Bewusstsein für Bewegung und Gesundheit wird intensiv geschärft.

„Nicht durch Vorträge, sondern dadurch, dass sich die Kinder und Jugendlichen aktiv selbst damit auseinandersetzen. Entsprechend sieht der Tagesrhythmus einen stetigen Wechsel von Unterricht und Pausen – Frühstücks-, Bewegungs- und Mittagspause – vor. Während der Mittagspause können verschiedenste Spiel- und Bewegungsangebote genutzt werden, um sich auszutoben, frische Kraft und Energie für den Unterricht zu sammeln. Alexa jedenfalls ist begeistert. „Wir halten hier an der Schule super zusammen, können viel spielen, haben noch mehr Abwechslung und wir lernen sogar etwas“, erzählt sie schmunzelnd.

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