Ganztag am Heidenberger Teich: Perspektiven für alle : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Mit Kreativität, Freiraum und individueller Förderung bietet die Grundschule am Heidenberger Teich in Kiel ihren 500 Kindern neue Perspektiven: als gebundene Ganztagsgrundschule.

Eingang Schule am Heidenberger Teich
© Schule am Heidenberger Teich

Individuelle Förderung schreiben sich Ganztagsschulen landauf, landab auf ihre Fahnen. Sie fällt indes von Schule zu Schule höchst unterschiedlich aus. Eine Förderung der besonderen Art findet man hoch im Norden – an der Grundschule am Heidenberger Teich in Kiel. Rund 500 Kinder besuchen die fünfzügige Schule, die in einem „Stadtteil mit herausforderndem Potenzial“ liegt, wie die Schulleiterin es später bezeichnen wird. Im Stadtteil Mettenhof liegt die Arbeitslosenquote mit rund 14 Prozent weit über dem Durchschnitt der Stadt Kiel. Viele Familien sind von staatlichen Hilfeleistungen abhängig, darunter viele mit Migrationshintergrund.

Die Grundschule am Heidenberger Teich, die in einem vor rund 50 Jahren von einem skandinavischen Architekten entworfenen Gebäude beheimatet ist, gehört zu den zehn auffälligsten Schulen in Schleswig-Holstein. Sie ist eine der neuen PerspektivSchulen, die nach einem landesweiten Index zur sozialräumlichen Einordnung von Schulen, den das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik entwickelt hat, seit 2019 besonders gefördert werden.

„Schüler haben das Recht auf ihre eigene Sichtweise“

Wer von den Rahmenbedingungen im Stadtteil liest und hört, assoziiert damit reflexartig „schwierigste“ Verhältnisse. Doch wer das gemütliche, von viel Holz, Farbe, Bildern geschmückte Gebäude mit seinen wohltuend großen Außenflächen betritt, wird schnell eines Besseren belehrt. Zumal, wenn er oder sie dann noch einen Blick aufs pädagogische Programm wirft und die Atmosphäre in Kollegium und Schülerschaft auf sich wirken lässt.

Eine Aussage und ein Schülerspruch über einer Tür sprechen Bände. Schulleiterin Ulrike Schmidt-Hansen, im Land zwischen den Meeren gerne auch als Querdenkerin bekannt, als eine, die sagt, was sie denkt, verrät das ungeschriebene Gesetz der Arbeit des Kollegiums: „Wir lassen Ideen zu, schauen links und rechts der Fachanforderungen auf das, was Kinder brauchen.“

Was Kinder brauchen, wird nicht ständig „von oben“ entschieden. Die Schülerinnen und Schüler sprechen und gestalten mit. Getreu dem erwähnten Spruchband haben sie „das Recht auf ihre eigene Sichtweise“. Die können sie einbringen. Beispielsweise in der Intensivarbeitsgruppe von Lehrkräften, die sich mit der Feedbackkultur auseinandergesetzt hat und diese stets weiterentwickelt.

Die Stärken fördern

Schülerinnen, Schüler und eine Lehrerin im Klassenzimmer
© Britta Hüning

Herausgekommen ist ein Portfoliorordner, in dessen Zentrum die Selbsteinschätzung der Jungen und Mädchen steht. Ihre Lehrerinnen und Lehrer besetzen den Part der „Fremdeinschätzung“. Gemeinsam steht jeweils nach den Zeugnissen ohne Noten ein Austausch zwischen Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräften verbindlich an. Die Kinder führen das Gespräch. Möglichst mit einem positiven Blick auf die Entwicklung: „Auf dem Weg zur Spitze des Berges habe ich schon…“

Aus dem Mund der Schulleiterin klingt das so: „Wir schauen auf die Stärken und fördern diese besonders.“ Natürlich wird nicht verschwiegen, wo es Nachholbedarf gibt: „Dein Text ist lebendig, an der wörtlichen Rede kannst Du noch etwas arbeiten.“ Noten vermisst in der Schule am Heidenberger Teich niemand. Auch die meisten weiterführenden Schulen nicht (mehr), Eltern sowieso nicht. Eltern lassen sich gerne auf das Konzept der Schule ein: Nur wenige müssen zum jährlichen Entwicklungsgespräch etwas hartnäckiger gebeten werden.

Schule als ein Zuhause

Mitgestaltet haben die Kinder auch das Außengelände der Schule. Als Ausgangspunkt gilt eine Untersuchung der Europa-Universität Flensburg. In der Studie wurde gefragt: Was bereitet Kindern beim Wechsel von der Kita auf die Grundschule die meiste Sorge? Ergebnis: der Schulhof. Der eigenen Logik folgend wurde in der Schule am Heidenberger Teich gemeinsam ein Konzept für einen attraktiven, einladenden Raum geschaffen.

 

Entstanden sind Flächen ohne dunkle, angsteinflößende Ecken, aber mit viel Grün und mit „Kunstwerken“, darunter farbigen, senkrecht stehenden Bleistiften als Wiedererkennungsmerkmal, die sich etwa auch auf den Portfolioordnern finden. Besonders einladend ist ein riesiger, über das Programm Soziale Stadt entstandener Freizeitpark mit Klettergerüsten und Sportmöglichkeiten. Die Schülerinnen und Schüler nutzen ihn in den Pausen des Ganztags, der täglich bis 16 Uhr, freitags bis 13 Uhr dauert. Darüber hinaus steht er den Kindern im Stadtteil offen.

Ihre Kreativität bringen die Schülerinnen und Schüler auch im Schulgebäude ein. Selbst die Toilettenräume zieren von ihnen gewählte Motive – Fußball bei den Jungs, Prinzessinnen bei den Mädchen. Gewünschter Effekt: Alles sieht tipp topp aus. „Kein Wunder“, sagt Ulrike Schmidt-Hansen: „Wir wollen ja, dass sich die Kinder bei uns wohlfühlen. Hier finden sie ihr Zuhause.“ Deshalb hängen an den Wänden auf den Fluren zahlreiche von den Kindern gestaltete „Bilder des Monats“.

Verschworene Gemeinschaft

Diese Atmosphäre wird vom Kollegium gelebt. „Wir sind ein humorvoller ‚Haufen’. Aus unterschiedlichsten Charakteren, nicht immer geraden Lebenswegen und vielfältigen Lebenserfahrungen“, berichtet die Schulleiterin. Man könnte es auch als verschworene Gemeinschaft bezeichnen. Als im Frühjahr rund 30 Prozent aus Krankheitsgründen ausfallen, springen die anderen ohne Murren ein („Ok, ich nehme drei Klassen mit zu mir…“). Und es bleibt sogar Zeit, in der täglichen Infopause im Lehrerzimmer ein Ständchen für die in Kürze ausscheidende Sekretärin einzustudieren.

Schülerinnen und Schüler in der Aula
© Britta Hüning

Wer zum Team der Schule am Heidenberger Teich gehören möchte, muss sich einem mehrstündigen Vorstellungsgespräch stellen. Dort wird gecheckt, ob die Haltung passt. Matthias Langer hat diese „Prüfung“ vor zwei Jahren bestanden. Als Erfolgsrezept der Schule bezeichnet auch er spontan „die Atmosphäre“. Wer sich für die Schule entscheidet, weiß, es kommt viel Arbeit auf ihn zu, aber auch, dass er Raum für seine Ideen erhält.

„Hier unterscheidet sich der Unterricht von Klasse zu Klasse. Die Kollegen können ihre pädagogischen Ideen und didaktischen Methoden selbst entwickeln“, garantiert Schmidt-Hansen. Alle bekommen den zeitlichen und geistigen Freiraum. Die Schulleiterin betont: „Diese Freiheit bedeutet Wertschätzung.“ Unterstützung wünscht sie sich vom Land: „Ein Arbeitsplatz im Stadtteil mit herausforderndem Potenzial sollte attraktiver gestaltet werden.“ Dafür setzt sich auch die Initiative von Schulleitungen und Lehrkräften „Schulen am Wind“ ein, die dafür viele Ideen hat, von mehr Schulsozialarbeit und Ganztagsangeboten über mehr Zeit für Beratung bis zu finanziellen Anreizen für Lehrkräfte.

PerspektivSchul-Programm

Seinen Freiraum nutzte ein Team, das 2017 mit der Entwicklung eines Medienkonzepts begann. Mittlerweile bildet es das eigene Kollegium weiter, bietet Fortbildungen für andere Schulen an und agiert als Modellschule im bundesweiten Ganztagsnetzwerk. 100 Tablets stehen inzwischen zur Verfügung, finanziert wie so vieles an dieser Schule durch Sponsoren, die der Überzeugungskraft der Schulleiterin nicht widerstehen können, aber auch durch das 2019 aufgelegte PerspektivSchul-Programm Schleswig-Holstein.

Die Tablets können in der mit modernster Technik ausgestatteten digitalen Lernwerkstatt, aber auch in den Klassenräumen, die sich um eine Art Pavillon als Raum für Differenzierung schmiegen, genutzt werden. Ein Blick in einen solchen offenbart: Arbeit mit neuen Medien führt nicht automatisch dazu, dass Kinder nicht mehr miteinander sprechen.

Die 2. Klasse von Junglehrerin Kristin Pirch soll nach der gemeinsamen Lektüre des Buches „Das Zebra unterm Bett“ eigene Geschichten, in denen ein Zebra vorkommt, entwickeln. Manche nutzen gemeinsam das Tablet, diskutieren, schreiben ihre Ideen auf. Andere haben sich für Einzelarbeit entschieden. Und wieder andere nutzen gar kein Tablet, sondern schreiben ihre Geschichte per Hand.

„Je nach den Bedürfnissen, individuell halt“

Ballettgruppe
© Schule am Heidenberger Teich

„Wir wollen ihre Kreativität herauskitzeln. Ich weiß, ich kann die Kinder dabei ´frei` lassen“, berichtet Kristin Pirch. Sie moderiert den Unterricht, so, wie es die Kolleginnen und Kollegen in allen Klassen halten. Man findet Kinder lesend in der Ecke, auch auf gemütlichen Sitzkissen, andere am Tisch, andere im Kreis stehend und sich austauschend. Traditioneller Unterricht gehört selbstverständlich auch zum Angebot. „Je nach den Bedürfnissen, individuell halt“, betont die Schulleiterin.

So wie auch jeder Klassenraum unterschiedlich gestaltet ist. Hier jener mit einer kleinen Bühne, dort der andere mit herkömmlichen Tischen oder kleinen Sitzkreisen aus Holz. Oder dort der Musikraum, reich gefüllt mit Instrumenten und beliebter Unterrichtsort bei Christian „Chrischi“ Warkocz, einem Gitarristen und Rockmusiker, der seine Schülerinnen und Schüler zu begeistern versteht und mit „Chrischi & the Kids“ Furore macht.

So unterschiedlich die Wege und Methoden des Einzelnen an dieser Schule auch sein mögen. Sie eint das Ziel: Kindern die Freude am Lernen zu vermitteln, ihre natürliche Wissbegierde zu stillen, auch Deutsch als Zweitsprache zu vermitteln und in jedem Fall die Tür zu einer erfolgreichen Bildungsbiografie zu öffnen. Und auch wenn nach Ansicht der hier Handelnden, das Gymnasium nicht die einzig anzustrebende Schulform darstellt: Dass 30 Prozent der Kinder den Sprung dorthin schaffen, darf als Beleg für erfolgreiche Arbeit gewertet werden. Weiß Ulrike Schmidt-Hansen und strahlt.

 

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