EU-Projekttag: „An Europa mitarbeiten“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Brüssel ist nicht weit entfernt“, sagt Lehrer Sebastian Klüsener von der Gesamtschule Langerwehe, einer der zehn aktivsten Europaschulen Deutschlands. Der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Thomas Rachel, konnte sich davon überzeugen.

Das Thema Europa nimmt einen großen Raum an der Europaschule Langerwehe ein. Im Sozialwissenschaftsunterricht von Sebastian Klüsener hat es seinen festen Platz. „Wir sprechen in jeder Stunde auch über das aktuelle Tagesgeschehen“, verrät der Lehrer. Und da lasse es Europa an Gesprächsstoff ja nicht mangeln: Schuldenkrise, Brexit, deutsch-französischer Motor. Aber auch die Themen Krim-Krieg, Syrien, Flüchtlinge, Türkei betreffen Europa – die Themen gehen nicht aus.

Am 23. Mai 2017 stehen diese Themen im Grundkurs Sozialwissenschaften der 12. Klassen 90 Minuten lang komprimiert im Mittelpunkt. Jetzt sind es indes 14 Schülerinnen und Schüler, die im Stuhlkreis eines Klassenraums dazu Fragen stellen. Sie zu beantworten, ist ein Gast in die Gesamtschule gekommen: Thomas Rachel MdB, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, ist anlässlich des EU-Projekttags in seine Heimat Düren gereist und an die Schule, der er 2015 persönlich die Urkunde zur Rezertifizierung als „Europaschule“ überreichen durfte.

Schulleiter Heinz Moll und MdB Thomas Rachel auf dem Schulhof der Gesamtschule Langerwehe
Schulleiter Heinz Moll und MdB Thomas Rachel © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Seit 2010 ist die Gesamtschule Langerwehe eine Europaschule, und seit elf Jahren ist der EU-Projekttag in deutschen Schulen gute Tradition. An diesem Tag kommen Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen, Mitglieder der Parlamente und weitere Politikerinnen und Politiker, auch Deutsche, die in Brüssel bei EU-Institutionen arbeiten, in ganz Deutschland mit Schülerinnen und Schülern zum Thema Europa ins Gespräch. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel beispielsweise besucht in diesem Jahr die Berliner Kurt-Tucholsky-Oberschule. BMBF-Staatssekretär Dr. Georg Schütte wird im Amos-Comenius-Gymnasium in Bonn erwartet.

Deutsch-Griechische Beziehungen

Der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel – im benachbarten Düren geboren, aufgewachsen und noch immer wohnhaft, Mitglied des Deutschen Bundestags – bleibt gegenüber den Jugendlichen keine Antwort schuldig, zu manchen Themen würde er wohl gerne noch mehr sagen: „Wie viel Zeit habt ihr?“, fragt er zurück, als ein Schüler nach dem Syrien-Konflikt und der Rolle der EU fragt.

Diskussionskreis mit MdB Thomas Rachel und Schülerinnen und Schülern
"Alle sind gefordert, an Europa mitzuarbeiten" © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Die Schülerinnen und Schüler haben zur Vorbereitung in zwei Schulstunden einige Fragen zusammengetragen, die sie interessieren. Neben viel innenpolitischer Tagespolitik wollen die Jugendlichen etwas zu Griechenland erfahren. Rachel berührt dieses Thema auch persönlich, denn er ist mit einer gebürtigen Griechin verheiratet, seine Tochter besitzt die deutsche wie die griechische Staatsbürgerschaft, wie er erzählt.

Auf politischer Ebene stärke das BMBF die Zusammenarbeit mit Griechenland über das Deutsch-Griechische Forschungs- und Innovationsprogramm. „Hier binden wir Nachwuchskräfte frühzeitig in internationale Projekte ein, um den griechischen Wissenschaftsnachwuchs zu fördern. Außerdem haben wir mit MENDI ein gemeinsames Projekt zur dualen Ausbildung im Tourismussektor initiiert, um mit einer praxisorientierten Ausbildung die Beschäftigungschancen junger Menschen in Griechenland zu fördern. Denn die Jugendarbeitslosigkeit ist dort mit 50 Prozent erschreckend hoch, und wir können nicht zusehen, wie eine ganze Generation ohne Perspektiven die Schulen und Universitäten verlässt.“

Schulausflüge zum Europaparlament

Europa sei einer seiner Beweggründe gewesen, sich in der Politik zu engagieren, so der Parlamentarische Staatssekretär. Die räumliche Nähe zum Dreiländerpunkt nahe Aachen lässt das Thema Europa hier in Langerwehe und Düren in der Tat besonders fassbar werden. Die Grenznähe zu Belgien erfreut besonders die Französischlehrkräfte der Gesamtschule. Sie besuchen öfter die Partnerschule in Jupille bei Lüttich, oder die Belgier kommen nach Langerwehe, um gemeinsam Französisch oder Deutsch zu lernen.

„Auch Brüssel ist nicht weit entfernt“, sagt Fachlehrer Sebastian Klüsener. „Von unserer Schule aus gibt es viele Ausflüge dorthin, wo wir uns dann auch das Europaparlament anschauen.“ So auch kürzlich am 10. Mai – in der Europawoche – in einer Kooperationsveranstaltung mit EUROPE DIRECT AACHEN, als sich Schülerinnen und Schüler im Plenarsaal und im Parlamentarium umsahen und natürlich auch die Stadt erkundeten.

Gruppenbild mit Schülerinnen und Schülern der irischen Partnerschule
Irische Partnerschule ist die Drogheda Grammar School © Gesamtschule Langerwehe

In seinem Unterricht geht es laut Sebastian Klüsener darum, die Werte Europas zu vermitteln, die für die jetzige Schülergeneration ganz selbstverständlich seien und die man sich immer wieder vor Augen halten müsse. Auch Thomas Rachel tut das, als er vor den Schülerinnen und Schülern an die Gründungsmotivation zur Europäischen Union erinnert: „Es war der Wille, sich nicht mehr wie in der Vergangenheit zu bekriegen, sondern zusammenzuarbeiten. Und dies hat uns nun seit 70 Jahren Frieden in Europa beschert. Wir wären die dümmste Generation, wenn wir Europa kaputt gehen lassen würden. Es sind alle gefordert, das zu verhindern und an Europa mitzuarbeiten – auch ihr.“

„Wir werden unserem Namen gerecht“

Für die rund 1.200 Schülerinnen und Schüler ist Europa an ihrer Ganztagsschule omnipräsent. Die Auszeichnung als Europaschule und als „eine der zehn aktivsten Europaschulen Deutschlands“ im Wettbewerb „Europa macht Schule“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes im vergangenen Jahr sind nicht nur Urkunden an der Wand. „Wir werden unserem Namen gerecht“, findet Sebastian Klüsener. „Hier vergeht keine Woche, in der nicht ein Projekt stattfindet oder ich nicht auf eine Besuchergruppe aus einer unserer Partnerschulen stoße. Vor kurzem waren die Finnen da, letzte Woche die Franzosen.“

Nicht nur in die Grenznähe schweifen die guten Projekte: Achtklässler haben beispielsweise am Schülerwettbewerb „Begegnung mit Osteuropa“ des Landes Nordrhein-Westfalen teilgenommen, den es seit 64 Jahren gibt und bei dem die Kontaktaufnahme, der Gedankenaustausch und künstlerische Projekte mit Schülerinnen und Schülern aus den Nachbarländern im Vordergrund stehen. Die Schülerinnen und Schüler fahren nach England („Keep calm and travel to Oxford“), nach Dänemark, Spanien, Belgien, Irland, Frankreich und in die USA. Ein Schüler absolvierte ein Betriebspraktikum in Italien. Im Rahmen von „Europa macht Schule“ kommen Studierende aus den Niederlanden, China, Frankreich, Finnland, Griechenland und Großbritannien.

Schulleiter Heinz Moll ist stolz auf die vielen Aktivitäten: „Was hier passiert, kann sich wirklich sehen lassen. Der Europa-Gedanke zog und zieht sich wie ein roter Faden durch viele gelungene Veranstaltungen im künstlerischen und musischen Bereich, ist aber auch ein Faktor der Lernkultur, der Schul- und Unterrichtsentwicklung.“

Europa im AG-Angebot

Und noch einer ist stolz: Ganztagskoordinator Harald Herzog. „Wir bieten an vier Tagen in der Woche in unserem Mittagsband rund 50 Arbeitsgemeinschaften an, darunter so manches Schmankerl.“ Die meisten AGs werden von Lehrkräften angeboten und stehen häufig im Zusammenhang mit deren Fach. „Bis auf den Dienstag enden unsere Schultage um 15.25 Uhr. Wer so viel Zeit in der Schule verbringt, braucht neben dem bei uns frisch zubereiteten Mittagessen auch angemessene Erholungsphasen und ein attraktives Freizeit- und AG-Angebot“, meint Herzog.

Im zweistündigen Mittagsband der gebundenen Ganztagsschule können die Schülerinnen und Schüler spielen, sich ausruhen, Lehrergespräche wahrnehmen, in die Hausaufgabenbetreuung gehen, an der Förderung in Kleingruppenarbeit teilnehmen und eben bei einer der zahlreichen AGs mitmachen. Hier spiegelt sich Europa in der Möglichkeit, Niederländisch, Spanisch, Französisch und Englisch mit Zertifikat zu lernen.

Schülerinnen und Schüler experimentieren mit Reagenzgläsern
MINT-Schule: Kooperation mit Schülerlaboren © Gesamtschule Langerwehe

In Klasse 5 und 6 ist die Wahl mindestens einer AG verpflichtend, ab der 7. Klasse entscheiden sich die Schülerinnen und Schüler freiwillig. Wie attraktiv das Angebot ist, zeigt sich im Anwahlverhalten: „Dem Knick in der 8. Klasse können wir auch nicht entgehen, aber danach sind in der 9. und 10. wieder mehr Schülerinnen und Schüler dabei“, freut sich Harald Herzog.

In der Literatur-AG nehmen die Schülerinnen und Schüler am EUREGIO-Literaturpreis teil, das heißt, sie lesen sechs aktuelle Romane und bewerten sie. Bei Treffen mit Jugendlichen aus den Niederlanden und Belgien diskutieren sie über die Bücher. Dass die Europaschule auch MINT-Schule ist, zeigt sich im Ganztagsbereich an gleich zwei Robotics-AGs und an der AG „Freestyle Physics“, die auf den gleichnamigen Wettbewerb im Schülerlabor der Universität Duisburg-Essen vorbereitet.

Das Motto der Gesamtschule Langerwehe ist ein Zitat des Philosophen Karl Jaspers: „Bildung ist eine Lebensform. Sie ist die Kombination von Denkenkönnen und Wissen.“ Schulleiter Hans Moll möchte darin „unser gemeinschaftliches Bemühen von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrern gerne wiedererkennen.“

 

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