Eine Ganztagsschule mit „Traumfabrik“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Gemeinschaftsschule „Albert Schweitzer“ in Aschersleben war seinerzeit eine der ersten Ganztagsschulen in Sachsen-Anhalt. Mit dem Engagement ihrer Schülerinnen und Schüler ist sie landesweit sichtbar.

„Stell dir vor, die Zukunft wird wunderbar – und du bist schuld daran“, heißt es mit einem Zwinker-Smiley auf der Homepage der Gemeinschaftsschule „Albert Schweitzer“ Aschersleben. Sieht man, wie sich die 539 Schülerinnen und Schüler der gebundenen Ganztagsschule im Salzlandkreis mit ihren Ideen, Initiativen und Aktionen in das Schulleben einbringen, dann könnte man meinen, dass es für die Jugendlichen gar keinen solchen Anstubser mehr braucht. Oder dass es der Satz eben schon ins kollektive Bewusstsein geschafft hat.

Schulleiterin Katrin Jelitte ist stolz auf die Initiative, die ihre Schülerinnen und Schüler immer wieder beweisen. „Wenn ich jedes Jahr sehe, mit welchem Herzblut sie den Weihnachtsmarkt vorbereitet haben, dann bin ich sogar richtig gerührt.“ Ein Weihnachtsmarkt, der eine feste Größe in der Stadt geworden ist – schon 15 Mal fand er statt – und mit dem die Schülerinnen und Schüler ein konkretes Ziel verbinden. Vor vier Jahren beschloss der Schülerrat, die Erlöse des schuleigenen Weihnachtsmarktes und auch des Standes auf dem städtischen Weihnachtsmarkt an das Kinderhospiz Mitteldeutschland zu spenden. Im vergangenen Jahr konnten die Schülerinnen und Schüler auf der Weihnachtsgala die stolze Summe von 3.300 Euro überreichen.

Katrin Jelitte
Schulleiterin Katrin Jelitte © Gemeinschaftsschule Aschersleben

Auch an anderer Stelle bringen sich die Schülerinnen und Schüler für das Hospiz ein. Hätte in diesem Jahr nicht Corona den Jugendlichen einen Strich durch die Rechnung gemacht, wäre bereits ein auf dem Gelände des Hospizes stehendes Holzboot, auf dem Kinder sogar übernachten können, renoviert. Die Schülerfirma „Traumfabrik“ beteiligte sich ebenfalls. „Wohl nie habe ich den Satz 'Wir wissen ja gar nicht, wie gut es uns geht!' so oft gehört, wie in der Zusammenarbeit mit dem Hospiz“, berichtet Katrin Jelitte. „Und genau darum geht es: den Horizont zu erweitern über die eigenen Sorgen und Probleme hinaus und andere Menschen wahrzunehmen.“

Frischer durch Rhythmisierung

Die Ganztagsschule erleichtert solche Kooperationen, und nicht nur deshalb ist die Schulleiterin eine ausgesprochen energische Verfechterin des Ganztags: „Das Lernen und die Schülerinnen und Schüler haben sich verändert, das kann man nicht mehr vergleichen mit meiner Schulzeit. Wir brauchen mehr Zeit für sie. Solange ich mich noch nicht mit ihnen auseinandergesetzt habe, nichts über ihre Biografie weiß, muss ich mich nicht wundern, wenn ich nicht verstehe, warum sich ein Schüler verhält, wie er sich verhält, oder warum er sein Leistungsvermögen nicht ausschöpft. An oberster Stelle steht der wertschätzende Umgang miteinander.“

Der Ganztag biete mehr Möglichkeiten, Zeit zu investieren: „Wir merken immer wieder, dass ein ganz anderer Umgang miteinander möglich ist.“ Die damalige Sekundarschule startete bereits 2003 als eine der ersten in Sachsen-Anhalt mit dem offenen Ganztag und führte dann zehn Jahre später das gebundene Modell ein. „Der offene Ganztag war ein guter Einstieg“, so die Schulleiterin. „Aber er ermöglichte noch keine Rhythmisierung und setzte auch methodisch Grenzen. Im gebundenen Ganztag sind wir froh, den ganzen Tag rhythmisieren zu können.“

So liegen an zwei Vormittagen klassenübergreifende Arbeitsgemeinschaften, für die sich die Schülerinnen und Schüler im Schuljahr davor über eine digitale Plattform entschieden haben. Es gibt AGs wie die Schreibwerkstatt, Astronomie, Psychologie, Töpfern, Junge Gärtner, Italienisch, Spanisch, Mathe im Alltag und „Naturwissenschaften spielerisch erlernen“. Eine Fahrschullehrerin kommt in die Schule, um ein erstes Fahrtraining und den Erste-Hilfe-Kurs anzubieten. „Wenn die Schülerinnen und Schüler aus einer Arbeitsgemeinschaft kommen, sind sie frischer und offener für den nächsten Unterrichtsblock“, hat die Schulleiterin beobachtet.

„Die Jahrgänge machen heute ganz viel miteinander“

Kanu
Jährliche Kanulager gehören zum Schulleben. © Gemeinschaftsschule Aschersleben

Freitags haben alle Klassen vom 5. bis 11. Jahrgang klassenübergreifende künstlerische Arbeitsgemeinschaften wie Band, Chor, Theater und Trommeln – Letzteres zusammen mit Menschen mit Behinderungen, die in der Schloss-Hoym-Stiftung gefördert werden. Ebenfalls im Stundenplan ist immer mehr eigenverantwortliches Arbeiten untergebracht, das sich laut Katrin Jelitte mit „hohem Lernerfolg“ bezahlt macht. Freitags laufen auch die klassenübergreifenden Basis- und Profilkurse in Naturwissenschaften und Sprachen, in denen die Schülerinnen und Schüler langfristig an einem Thema arbeiten.

„Am Anfang war ich skeptisch, ob das läuft“, gibt die Schulleiterin zu, „aber es ist sehr schön zu sehen, wie ideenreich sich die Schülerinnen und Schüler in ein Thema einarbeiten.“ Zehntklässler stehen in diesen Kursen den Fünft- und Sechstklässlern als Ansprechpartner zur Verfügung – eine eigene Idee der Jugendlichen. „Die Jahrgänge machen heute ganz viel miteinander. Das ist inzwischen bei uns eine Selbstverständlichkeit geworden, die ich nicht mehr missen möchte. Ich bin auch stolz, wie sich unser Team methodisch entwickelt hat und mit Veränderungen umgeht, das strahlt auch auf Eltern und Schüler aus. Wenn ich einen Wunsch habe, dann den, dass wir noch mehr fächerübergreifend arbeiten.“

Seit 2013 ist die ehemalige Sekundarschule „Albert Schweitzer“ eine Gemeinschaftsschule, an der alle Schulabschlüsse möglich sind. Ihre Sekundarstufe II baut die Schule gerade auf, im Schuljahr 2019/2020 wurde erstmals eine 11. Klasse eröffnet. Die Gemeinschaftsschule gehört wohl zu den wenigen Schulen in Deutschland, die den Ganztag auch nach der Sekundarstufe I weiterführt. Die Schultage an der Albert-Schweitzer-Schule dauern bis 16 Uhr.

„Bis Klasse 10 gibt es Stundenzuweisungen für den Ganztag vom Land. In der 11. Klasse ermöglichen wir es mit Kooperationspartnern durch eigene Mittel“, erklärt die Schulleiterin. „In der 12. Klasse können wir leider keine zusätzlichen Angebote mehr unterbringen, da ist der Stundenplan der Schülerinnen und Schüler bereits komplett voll.“

Schülerinnen und Schüler mit Initiative und Courage

Motto
Beteiligung wird großgeschrieben ... © Gemeinschaftsschule Aschersleben

Beteiligung wird an der Gemeinschaftsschule „Albert Schweitzer“ großgeschrieben. Die Schülerinnen und Schüler werden regelmäßig zu den Treffen der schulischen Steuergruppe eingeladen. Am Pädagogischen Tag, der einmal im Jahr an einem Samstag im November stattfindet, sind sie ebenso dabei wie die 42 Lehrkräfte und drei pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Eltern und Kooperationspartner. „Wir schreiben an diesem Tag unser Schulprogramm weiter“, berichtet Katrin Jelitte. „Das eigenverantwortliche Arbeiten und unser Umweltkonzept sind dort zum Beispiel entstanden. Und ganz viele der Ideen stammen von Eltern und Schülern.“

Die Studienfahrten nach Krakau mit Besuch der Gedenkstätte Auschwitz, die jeweils intensiv vor- und nachbereitet werden, gehen auf eine Initiative der Schülerinnen und Schüler zurück. Die Schule hat eine AG, die mit dem Arbeitskreis „Geschichte jüdischer Mitbürger in Aschersleben“ kooperiert und die Verlegung von Stolpersteinen unterstützt. Kürzlich hat der Schülerrat beschlossen, dass sich die Schule als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ bewerben wird. Die Schulleiterin freuen diese Initiativen und das Engagement der Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler.

„Lernen heißt nicht, dass ich meine acht Stunden im Klassenraum absitze, sondern dazu gehören auch andere Lernorte, die einen großen Effekt bringen“, ist Katrin Jelitte überzeugt. Dies zeigt sich auch in der Berufsorientierung. Die AG „Gesundheit und Pflege im Beruf‟ findet am Ameos-Klinikum Aschersleben, einem Lehrkrankenhaus der Universität Magdeburg, statt. „Es ist toll, dass die Schülerinnen und Schüler vor Ort den Pflegeberuf in seiner Vielseitigkeit kennenlernen können“, freut sich die Schulleiterin.

Produktives Lernen in Schule und Betrieb

Seit 2002 ist die Gemeinschaftsschule bereits Pilotschule für „Produktives Lernen in Schule und Betrieb“. Junge Menschen, „die einen Umweg in ihrer Schulkarriere eingelegt haben“, wie es auf der Schulhomepage heißt, also deren Abschluss gefährdet scheint, können sich in besonderen Klassen gezielt an Praxislernorten auf das Berufsleben vorbereiten. Daran anknüpfend wurde 2009/2010 das „Praxisorientierte Lernen“ von Klasse 7 bis Klasse 10 eingeführt. Den Schulversuch „Schulerfolg durch praxisorientiertes Lernen in der Sekundarschule“ hat Katrin Jelitte für Sachsen-Anhalt sogar koordiniert.

Die Schülerinnen und Schüler lernen teils in der Schule und teils an selbstgewählten Lernorten in Betrieben. In den Jahrgängen 9 und 10 kommt ein Betriebspraktikum dazu. Die Stadtwerke führen ein Bewerbertraining durch, einmal in der Woche ist eine Berufsberaterin der Agentur für Arbeit in der Schule, die stets am Berufsorientierungstag der Stadt Aschersleben teilnimmt. „Wir waren erst ein bisschen skeptisch, schon in Klasse 7 mit dem Praxisorientierten Lernen zu starten“, verrät Katrin Jelitte. „Aber die Schülerinnen und Schüler machen das prima. Wir erleben sie da nochmal von einer ganz anderen Seite.“

Vereint unter neuem Dach

Traumfabrik
© Gemeinschaftsschule Aschersleben

Ebenfalls zur Berufsvorbereitung gehören die beiden Schülerfirmen. Das Schülercafé Reläxxx öffnet in den Hofpausen einen Kiosk und bringt mit einer selbst hergestellten fahrbaren Salattheke Snacks, Brötchen und Salate zu ihren „Kunden“. Die „Traumfabrik“, 2017 von Schülerinnen und Schülern der 7. und 8. Klassen gegründet und von Schulsozialarbeiterin Kerstin Hammer begleitet, hat sich das Motto „Deine Schule – dein Style“ gegeben. Sie gestaltet Schulkleidung – T-Shirts, Hoodies, Taschen – und bedruckt sie mit „Kunstwerken“. Auch Schlüsselbänder und Aufkleber werden produziert.

Zweimal wurde das Engagement der Schülerinnen und Schüler im Wettbewerb „siGn – stark im Ganztag“, der Initiative der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und des Ganztagsschulverbandes Sachsen-Anhalt e.V., mit Preisen gewürdigt. 2018 dafür, dass in der Schule „die Gemeinschaft und Unterstützung der einzelnen Schülerpersönlichkeiten großgeschrieben“ werden, und 2019 für die AG-Angebote von Schülerinnen und Schülern.

Zunächst aber wird ein anderes Ereignis die Schulgemeinschaft beschäftigen: Die mit der neuen Oberstufe steigenden Schülerzahlen haben zu akutem Platzmangel geführt. Dank der Unterstützung des Salzlandkreises als Schulträger kann die Ganztagsschule „Albert Schweitzer“ 2021 in ein anderes Schulgebäude mit Mensa und einer Aula mit Bühne umziehen. Acht Klassen lernen dort bereits. Momentan wird das Gebäude noch saniert und drei weitere Räume werden angebaut. „Bald sind wir wieder alle unter einem Dach vereint“, freut sich Katrin Jelitte.

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