Ein Ganztagsgymnasium in Essen: Die Bessermacher : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das Gymnasium Essen Nord-Ost führte als eines der ersten Gymnasien in Nordrhein-Westfalen den gebundenen Ganztag ein, um Schülerinnen und Schüler bestmöglich individuell zu fördern.

Gruppenfoto der Schuldelegation mit Manuel Neuer
Gruppenfoto mit Manuel Neuer beim Deutschen Schulpreis 2017 © Tobias Bohm

Es war ein Tag für die Schulhistorie, der 29. Mai 2017. Zu zehnt war das Team des Gymnasiums Essen Nord-Ost nach Berlin gereist, wo im ewerk der Deutsche Schulpreis verliehen wurde. „Für die Schüler war der Vorabend mit Bayern-Torhüter Manuel Neuer wohl noch aufregender“, schmunzelt Schulleiter Udo Brennholt.

Seit 2007 leitet Brennholt das Ganztagsgymnasium, das nahe der Essener Innenstadt liegt. Als ehemaligem Lehrer an einem Evangelischen Gymnasium mit Internat in Rheinland-Pfalz war ihm die Ganztagsidee auch zuvor schon vertraut. 2012 spielte Brennholt dann erstmals mit dem Gedanken, sein Gymnasium ins Rennen um den Deutschen Schulpreis zu schicken. „Aber das wäre zu früh gewesen“, räumt er ein. Als das Gymnasium Essen Nord-Ost 2016 bei der Qualitätsanalyse der Schulaufsichtsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen „bombastisch gut“ abschnitt, wagte das Kollegium den Schritt. Als erste Essener Schule gehörte es zu den Nominierten.

Mit einem Hauptpreis wurde es noch nichts, aber das trat in den Hintergrund, als die Delegation nach ihrer Rückkehr in die Ruhrgebietsstadt erfuhr, wie dieser Tag in Essen verlaufen war: Die gesamte Schulgemeinschaft mit den über 800 Schülerinnen und Schülern war am Morgen die zwei Kilometer zur Essener „Lichtburg“, dem größten Kino Deutschlands, gewandert. Das Gymnasium hatte den Kinosaal angemietet, um die Fernsehübertragung der Preisverleihung mitzuerleben. Jubel brandete auf, wann immer das GENO Erwähnung fand oder einer „der Ihren“ ins Bild kam. Stöhnen, wenn die Preise an andere Schulen gingen. Udo Brennholt meint: „Dieser Tag hat die Schule richtig zusammengeschweißt. Das trägt unsere Schulgemeinschaft bis heute.“

Sprachförderung mit „BiSS“

Schülerinnen und Schüler im Unterricht
© Gymnasium Essen Nord-Ost

Das Ganztagsgymnasium ist nicht zuletzt deshalb in den Fokus gerückt, weil es „hervorragende Arbeit“ leistet, wie der Schulleiter selbstbewusst feststellt. Die meisten Schülerinnen und Schüler – selbst Seiteneinsteiger, die in Klasse 5 kaum Deutsch sprechen – erreichen das Abitur, manche sogar mit der Traumnote 1,0. Das ist auch der Lohn für die Arbeit der rund 80 Lehrerinnen und Lehrer. Sein Kollegium beschreibt der Schulleiter als „hoch engagiert und interessiert“. Ein großer Schwung von Ideen käme beständig von den Lehrkräften, die zum Beispiel für ein Projekt wie „BiSS – Bildung durch Sprache und Schrift“ sofort „Feuer und Flamme“ waren. „Man kann leider nicht alle Ideen umsetzen“, meint Brennholt, „und muss ein bisschen auf den roten Faden achten.“

An dem bundesweiten Programm BiSS, das vom BMBF und der Kultusministerkonferenz initiiert worden ist, nimmt das Gymnasium Essen Nord-Ost seit dem Schuljahr 2014/2015 teil. Außerschulische Partner sind das Kommunale Integrationszentrum der Stadt Essen, das Zentrum für Lehrerbildung der Universität Duisburg-Essen sowie das Berufskolleg Mitte der Stadt Essen. Zusammen mit vier weiteren Essener Schulen arbeitet das GENO an der Weiterentwicklung der durchgängigen Sprachbildung mit dem Schwerpunkt gesellschaftswissenschaftlicher Fächer in der Sekundarstufe I.

„Für uns haben sich durch die Teilnahme viele sinnvolle Ideen für einen sprachsensiblen Unterricht ergeben“, berichtet Lehrerin Monika Baron. „Es ist ein Pool an Unterrichtsmaterialien entstanden, und wir haben die Steuergruppe 'Sprachförderung am GENO' gebildet, die seitdem die Sprachförderung koordiniert.“ Selbst im Schwimmunterricht – viele Schülerinnen und Schüler kommen als Nichtschwimmer an die Schule – gibt es Sprachförderung, wie Schulsozialarbeiter Arnd Michel berichtet. „Wir holen die Kinder da ab, wo sie stehen. Und ist die Angst erstmal überwunden, dann kommt das Vertrauen.“

Ganztag: „Treibstoff und Klebstoff“

Vertrauen ist Udo Brennholt wichtig, und Arnd Michel ist für ihn ein „absoluter Gewinn für unsere Schule“. Die Schulsozialarbeit ist für das Gymnasium so wesentlich gewesen, dass es für diese Position sogar auf eine Lehrerstelle verzichtet hat. Arnd Michel wurde der erste Schulsozialarbeiter an einem Essener Gymnasium. Er kann die Schülerinnen und Schüler anders ansprechen als die Lehrkräfte. Bei Konflikten – zum Beispiel, wenn ein Handy abhandenkommt – kann er vermitteln. Er bietet auch Projekte an wie „Heroes“ in der 9. Klasse über das die Schüler „dauerbeschäftigende“ Thema Ehre.

Gruppenfoto der "Bessermacher"
Die „Bessermacher“ mit Schulsozialarbeiter Arnd Michel (3.v.r.) © Gymnasium Essen Nord-Ost

„Wir wollen den Schülerinnen und Schülern vermitteln, tolerant und respektvoll miteinander umzugehen und nicht konfrontativ“, erläutert der Schulleiter dazu. „Die Schüler kommen mit ihren Problemen auch zu uns, und wir nehmen sie ernst. Das trägt ebenfalls zum Zusammengehörigkeitsgefühl bei.“ Ebenso wie der Ganztag. Welche Wertigkeit er an der Schule besitzt, zeigt bereits das Schild am Eingang: „Ganztag. Leben. Lernen. Gestalten“ ist dort zu lesen.

Schon im Schuljahr 1991/1992 – und damit als eines der ersten Gymnasien in Nordrhein-Westfalen – führte das GENO, mit dem Jahrgang 5 beginnend, den gebundenen Ganztag ein. Für Erprobungsstufenkoordinator Patrick Rodeck hat sich der Ganztag seitdem als „Treibstoff und Klebstoff zugleich“ bewährt. „Treibstoff, weil eine Vielzahl der zusätzlichen Stunden dazu verwendet werden, den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler voranzutreiben, etwa durch die Lernzeiten. Gleichzeitig konnten innovative Konzepte und Ideen über Ganztagsangebote in der Schule etabliert werden. Klebstoff, weil die Angebote unsere Schülerinnen und Schüler klassenübergreifend miteinander verbinden. Ohne das Engagement der Schüler-, Lehrer- und Elternschaft würden viele Neigungsgruppen und Projekte nicht zustande kommen.“

Um 16 Uhr ist alles erledigt

Dem GENO kam bei der Etablierung des Ganztagsangebots entgegen, dass es – was man bei der Lage der Schule erst gar nicht vermuten mag – über ein großes Außengelände mit einer Beachvolleyball-Anlage, einem Klettergerüst, einer Wiese, einem Kleinsportplatz und einem Fußballfeld verfügt. Und Fußball, so Udo Brennholt, „geht hier im Ruhrpott natürlich immer“. Die Einrichtung des Schülercafés „Café Cult“ und des Spielepavillons hat besonders die ungelenkte Freizeitgestaltung nochmals verbessert.

Für den Schulleiter sind „gezielte Betreuung und Förderung im fachlichen Bereich auf der einen und eine sinnvolle, vielseitige Freizeitgestaltung in der Gemeinschaft auf der anderen Seite“ zwei wesentliche Bausteine des Ganztagsbereichs: „Sie verbinden sich zu besserer Qualität des Schulangebots insgesamt.“ Der Ganztag ermögliche mehr eigene Aktivität und Kreativität und mehr Förderung und Betreuung durch andere. Für die Familien ergebe sich eine Entlastung durch die fehlenden Hausaufgaben.

Schülerinnen und Schüler im Kunstunterricht
© Gymnasium Essen Nord-Ost

Geübt und vertieft wird in den eingeführten 90-Minuten-Unterrichtsstunden und in den Lernzeiten. „Und wenn das Kind nach 16 Uhr nach Hause kommt, ist alles erledigt“, sagt Udo Brennholt. Wichtig ist für ihn die jugendgerechte Rhythmisierung des Schultages. Dazu gehören die Frühstückspause mit Brötchen-Service – „manche Schüler kommen ohne Frühstück in die Schule“ –, eine verlängerte Hofpause und die Vorverlegung der Mittagspause in die sechste Stunde. Unterricht findet auch am Nachmittag statt. Allerdings haben die Lehrkräfte die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Fächer sich für den Nachmittag eignen, sodass hier Korrekturen vorgenommen wurden.

Der Dienstag ist AG-Tag. Die Arbeitsgemeinschaften für die 5. und 6. Jahrgangsstufe sind sportliche, künstlerische und musische Angebote, während in den höheren Klassen fachbezogene Angebote, auch zur Berufs- und Studienvorbereitung, dominieren. Für alle Klassen gibt es Fußball, Schwimmen oder Basketball, aber auch „Science und Experimente“, die „Theaterpiraten“, die „Schulsanitäter“, „Digitalfotografie und Trickfilm“, Tanzen und Japanisch. Ebenfalls in allen Klassenstufen gibt es eine Wochenstunde Lernzeit in den Fächern Mathematik, Deutsch, Englisch, Latein und Französisch, die Fachlehrer betreuen. Die Jugendlichen bringen sich im Rahmen von „Schülern helfen Schülern“ auch selbst ein.

Ganz In: Die „Bessermacher“

„Durch unsere langjährige Ganztagserfahrung sind wir von 2009 bis 2015 Referenzgymnasium im im Projekt 'Ganz In' gewesen und dann noch einmal bis 2018 normale Teilnehmerschule“, berichtet Ganztagskoordinator Thomas Eißen. Im Projekt „Ganz In“ der Stiftung Mercator haben 30 Gymnasien in NRW eine wissenschaftliche Begleitung bei ihrer Umstellung auf den Ganztagsbetrieb erhalten. Ziel war, alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich individuell zu fördern. Thomas Eißen hat keine Probleme, genügend Kolleginnen und Kollegen zu finden, die AGs anbieten. „Mikroskopieren, Garten und Science biete ich selber an.“ In der Mittagszeit engagieren sich Schülerinnen und Schüler im Spielepavillon, im Café Kult und in der Turnhalle als Sporthelfer und als „Buddys“. Seit 2012 gibt es an der Schule das buddY-Programm, in dem die Schülerinnen und Schüler selbst Verantwortung für die Schulgemeinschaft übernehmen.

TReffen der „Buddys“ in einem Klassenraum
Die „Buddys“ engagieren sich für die Schulgemeinschaft © Gymnasium Essen Nord-Ost

Seit Oktober 2018 gibt es auch die „Bessermacher“: Zehn Neuntklässlerinnen und Neuntklässler treffen sich unter der Überschrift „Angriff aufs Abi“ zweimal in der Woche mit den Dozenten Niklas Cox und Andreas Liechtenstein. Sie essen gemeinsam Mittag, erledigen Schulaufgaben, büffeln für Klausuren und treiben auch mal gemeinsam Sport. Das Ziel ist eine langfristige Begleitung und Unterstützung, die im Idealfall bis zum Abitur anhält. Betreut wird das Projekt von Lehrerin Bettina Pohlmann und Schulsozialarbeiter Arnd Michel, der dieses zusammen mit den „Essener Chancen“ des Fußballvereins Rotweiß Essen und der Evonik-Stiftung auf den Weg gebracht hat. Rund 30 Prozent des 9. Jahrgangs hatten sich auf die zehn Plätze beworben.

Für den gesamten 5. Jahrgang steht seit dem Schuljahr 2013/2014 das Achtsamkeitstraining auf dem Stundenplan. Forscherinnen und Forscher der Universität Duisburg-Essen hatten herausgefunden, dass Kinder durch Übungen wie das minutenlange Wahrnehmen des Atems im Körper oder das Halten eines Eiswürfels in der Hand befähigt werden, gelassener mit schwierigen Situationen umzugehen, und gestärkt werden, sich über einen längeren Zeitraum einer Sache zu widmen und sich zu fokussieren. Das Projekt wurde wissenschaftlich von einem Psychologenteam der Universität begleitet. Für das Achtsamkeitstraining erhielt das Lehrerteam um Christine Steinert und Patrick Rodeck 2015 den Cornelsen Stiftungspreis "Zukunft Schule".

Noch lernen die Schülerinnen und Schüler in einem typischen 1970er-Jahre-Bau. Doch nicht mehr lange. 2022 soll das Gymnasium Essen Nord-Ost in einen kompletten Neubau umgezogen sein; das jetzige Gebäude wird dann abgerissen. Am 12. April 2019 werden Architekten 15 verschiedene Entwürfe vorstellen, auf die Schulleiter Udo Brennholt schon gespannt ist. In die Planung hat sich die Schule mit ihren Vorstellungen und Wünschen einbringen können. Das Lernschwimmbecken, das der Schulleiter gerne bekommen hätte, wird vermutlich nicht kommen – aber die Küche, in der dann vor Ort gekocht werden kann. So kann das im letzten Jahr mit dem Schulentwicklungspreis „Gute gesunde Schule“ ausgezeichnete Gymnasium sein Profil weiter schärfen. „Wenn wir den Neubau haben, wollen wir einen Campus aufbauen, um die Schüler, die Eltern und den Stadtteil hier noch besser einzubeziehen“, wirft Udo Brennholt einen Blick in die Zukunft.

 

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