Domschule Schleswig: Traditionsbewusst und modern : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Tradition bedeutet für die 700 Jahre alte Domschule viel. Das schließt Neues im Unterricht wie im offenen Ganztag ein: „Wir haben uns immer weiterentwickelt“, sagt Schulleiter Paul Auls.

Außenansicht der Domschule Schleswig
Domschule Schleswig © Domschule Schleswig

Paul Auls muss uns ein paar Minuten warten lassen. Ein Telefonat mit der Schulaufsicht steht auf dem Plan. „Es geht um einen besonderen Fall.“ Mehr verrät der Schulleiter der Domschule in Schleswig selbstverständlich nicht. Aber die Szene darf als Sinnbild für das Credo des ältesten Gymnasiums Schleswig-Holsteins gewertet werden. Stets und überall richtet sich der Blick auf den Einzelnen. Auch wenn es einmal um weniger Erfreuliches geht.

Auls, 40, war zehn Jahre Lehrer für Latein, Griechisch und Geschichte an der Domschule, bevor er Ende 2017 zum Schulleiter berufen wurde. Er unterstreicht, wenn man ihn darauf anspricht, was diese von knapp 1000 Schülerinnen und Schülern besuchte Schule ausmacht: „Wir waren schon immer in besonderem Maße dem humanistischen Gedanken verpflichtet und sind es bis heute. Es geht um den Menschen und da liegt es auf der Hand, die Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.“

Seine Kollegin Anja Unterhalt, die Koordinatorin des Offenen Ganztags, ergänzt: „Klar, wir haben den Auftrag, die jungen Menschen zur Studierfähigkeit zu bringen. Was aber bedeutet Studierfähigkeit?“ Sie weiß, dass Unternehmen nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern suchen, die sich gut organisieren, selbstständig und verantwortungsvoll handeln können und gut strukturiert sind. Diese Ziele verfolgt die Domschule nicht nur durch die Umsetzung der Lehrpläne im Fachunterricht. Sie fördert sie durch intensive, zum Teil sehr eigenständige Arbeit der Schülerinnen und Schüler im kulturellen und sportlichen Bereich.

Wenn die Schlei ruft…

Raus aufs Wasser heißt es traditionell seit Jahrzehnten. Die Schlei ruft, und eine große Zahl der Schülerinnen und Schüler nutzt das Angebot des Ruderns. Gelegenheit bietet sich dazu in der Schülerruderriege und den Arbeitsgemeinschaften im Offenen Ganztag, der von rund 150 Kindern und Jugendlichen genutzt wird. Dies alles geschieht in enger Abstimmung mit dem Domschulruderclub, der vor über 100 Jahren von Schülern des Gymnasiums gegründet wurde. An seiner Spitze steht auch heute mit Finn Grove ein ehemaliger Domschüler.

Gang im Altbau mit
Neue Wege in alten Gängen: Altbau der Domschule. © Domschule Schleswig

Rudern, das darf festgehalten werden, stellt einen besonderen Schwerpunkt dar. So besonders, dass bei Stellenausschreibungen gegebenenfalls darauf geachtet wird, dass die Bewerberin oder der Bewerber Inhaber einer Ruderlizenz ist. Aktuell agieren zwei Lehrkräfte als Trainer. Unterstützung erhalten sie von Vereinsmitgliedern, vor allem aber von älteren Schülerinnen und Schülern, die in der Ruderriege die Befähigung erworben haben, andere zu trainieren.

Das Prinzip „Ältere für Jüngere“ ist kein Zufall. „Wir möchten, dass bei uns gelernt wird, für andere Verantwortung zu übernehmen, sich um sie zu kümmern. Wir möchten Gemeinschaftssinn entwickeln“, betont Auls. Dies betrifft nicht nur die sportlichen Aktivitäten. Jeder Eingangsklasse stehen vier Zehntklässler als Paten zur Seite. Sie begleiten die Jüngsten auf ihrer Kennenlernfahrt, helfen ihnen beim Eingewöhnen nach dem Wechsel von der eher familiären Grundschule aufs große Gymnasium.

Ältere Schüler unterstützen die Jüngeren

„Und jedes Jahr haben wir mehr Interessenten für die Patenaufgabe als wir eigentlich benötigen“, strahlt Anja Unterhalt. Wer keinen Job als „Pate“ bekommt, muss nicht verzagen. Es gibt genug Aufgaben. Sei es in der Hausaufgabenbetreuung, zu der alle, unabhängig von der Zugehörigkeit zur OGS, kommen können und bei der Ältere jüngeren Schulkameraden mit ihrem Wissen unter die Arme greifen. Oder sei es beim Pfingstzeltlager, das Oberstufenschülerinnen und -schüler ein Jahr lang völlig unabhängig vom Lehrerkollegium organisieren.

Auch in der Junior-Theater-AG gilt dieses Prinzip, indem Fünft- und Sechstklässler durch ältere Schülerinnen und Schüler angeleitet werden. Zwar stehen bei diesem Projekt erfahrene Mitglieder des Landestheaters beratend zur Seite (Anja Unterhalt: „Wenn sie Fragen haben“). Ansonsten aber entwickeln sie eigene Theaterstücke, gestalten die Bühne, sorgen für Musik und übernehmen die gesamte Organisation. Jüngst begeisterten sie ihr Publikum mit dem Stück „Märchen in unserer Zeit“. Darin begeben sich Märchenfiguren auf Zeitreise in die heutige, reale Welt.

Schülerinnen und Schüler im Kreis bei einer Theaterprobe
© Britta Hüning

„Das war total gut gemacht, sehr unterhaltsam und extrem witzig“, zeigt sich der Schulleiter voll des Lobes. Ergänzt wird das „Kulturprogramm“ der Jüngsten durch die Musicalcompany. Ganz nach Vorlieben stehen Gesang, Tanz und Schauspiel im Rahmen einer von einer Mutter geleiteten Arbeitsgemeinschaft in der OGS an. Nicht freiwillig ist dagegen die so genannte Bühnenschule. In jeder Stufe, sprich dreimal in der Zeit bis zum Abitur, müssen alle Schülerinnen und Schüler an einem Bühnenprojekt teilnehmen. Sei es ein Theaterstück, eine Videoproduktion, eine naturwissenschaftliche Vorführung oder ein Chorauftritt.

Kompetenzen über das Fachwissen hinaus

Die Palette der Möglichkeiten ist bunt und unbegrenzt. Entscheidend ist, dass jeder am großen Bühnenschultag, an dem sich die gesamte Schule alle zwei Jahre in eine Bühnenlandschaft mit vielen Auftrittsorten verwandelt, einmal auf der Bühne steht. Wann und wo die „Stücke“ kreiert und geprobt werden, entscheiden die Schülerinnen und Schüler in Abstimmung mit den Lehrkräften oder der OGS. Alternative Präsentationstermine bieten die jährlichen Bühnenschulabende.

„Auf diese Art und Weise lernen unsere Kinder und Jugendlichen viel über Kultur, aber eben auch Soziales. Sie erwerben Kompetenzen weit über Fachwissen hinaus, lernen sich zu organisieren und gewinnen an Selbstsicherheit. Und sie entdecken in Klassenkameraden plötzlich ganz neue Seiten“, ergänzt Paul Auls. Einen Vorschlag für ein naturwissenschaftliches Stück hat er auch in petto: „Wie wäre es mit einem Primzahlentanz?“

Womit der Bogen zum „herkömmlichen“ Fachunterricht geschlagen ist. Mathe und Co. werden in 45 Minuten-Stunden (Auls: „Wir planen möglichst viele Doppelstunden ein“) studiert. Schülerinnen und Schüler, die sich den Naturwissenschaften besonders verbunden fühlen, können versuchen, in eine der begehrten MINT-Klassen aufgenommen zu werden, um eine Stunde wöchentlich länger ihrem Interesse nachgehen zu können. Die Domschule trägt das Zertifikat „MINT freundlich“.

Individuelle Lernpläne für „Hungrige“

Das schlägt sich auch in der AG Astronomie, der Junge Forscher AG oder der KNUTI-AG, die sich auch um den Schulgarten und den Schulteich kümmert, nieder. Der Schwerpunkt ist in Schleswig weithin sichtbar. Ziert doch eine Kuppel das knapp 150 Jahre alte Schulgebäude, von wo aus mit Hilfe eines Teleskops die Sterne beobachtet werden können. Die Kosten stemmten der Schulträger und die zwei Fördervereine des Gymnasiums, das zugleich als Kompetenzzentrum für Begabtenförderung fungiert.

Schülerinnen lernen in der Bibliothek
© Britta Hüning

Besonders Begabten kommt – wenn gewünscht – zusätzliche Förderung dank des Drehtürmodells zugute. Auls: „Wenn sich jemand im Unterricht langweilt, kann er in Abstimmung mit den Kollegen die Klasse verlassen, an eigenen Projekten arbeiten oder am Unterricht höherer Klassen teilnehmen.“ Für „Hungrige“ erstellen die Lehrkräfte den sogenannten Lernplan plus. Darin enthalten sind Vorschläge, wo und wie der Betroffene „mehr Futter“ erhält – etwa durch die Zusammenarbeit mit leistungsstarken älteren Schülerinnen und Schülern.

Weniger Leistungsstarke oder Schülerinnen und Schüler, die in einzelnen Bereichen noch Schwächen aufweisen, erhalten ebenfalls einen Lernplan. Dieser regelt schriftlich, wie sie sich verbessern können. Regelmäßig werden die Lernfortschritte überprüft und der Lernplan angepasst. Dabei kann es sich um fachliche Leistungen, aber auch um das Arbeitsverhalten handeln, manchmal ist das schlicht das richtige und sinnvolle Packen der Schultasche.

„Wir haben uns immer weiterentwickelt“

Die Domschule geht in vielen Dingen neue, moderne Wege. „Doch wir fühlen uns auch der Geschichte und Tradition verpflichtet“, sagen Paul Auls und Anja Unterhalt. Das gilt beispielsweise für die Sprachen. Alt-Griechisch, Latein, Französisch und Englisch sind gesetzt. Russisch ebenso.

„Wir sind das älteste Gymnasium im Land. Das hat Auswirkungen auf unser Profil. Und deshalb halten wir an Gewachsenem und Bewährtem fest, ob an den Austauschprogrammen mit Frankreich und Russland oder am Profil für die Oberstufe, das sich zum Beispiel mit Geschichte und Physik durchaus von der Mehrzahl der Gymnasien im Land unterscheidet. Uns gibt es jetzt seit mehr als 700 Jahren. Wir haben uns immer weiterentwickelt und das werden wir auch künftig tun“, verspricht Paul Auls.

Der Schulleiter setzt sich dafür ein, dass die Domschule das Thema Digitalisierung stärker aufgreift. Daher kann er sich mit dem aktuell diskutierten Handyverbot an Schulen nicht anfreunden: „Natürlich gibt es Gefahren. Aber wir sollten Schule nicht zu einer Parallelwelt der Realität aufbauen, sondern die Schülerinnen und Schüler zum intelligenten Umgehen mit den Geräten anleiten.“

 

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