Carl-von-Ossietzky-Schule: Ganztag in neuem Gewand : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Farbe ist getrocknet, der Umzug vollzogen. Nun heißt es für die Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Köln-Longerich, die Vorzüge des neuen Gebäudes zu nutzen. Die „Schule der Vielfalt“ befindet sich im Wandel.

Bei der SCHULBAU-Messe Köln 2022 vorgestellt
Bei der SCHULBAU-Messe Köln 2022 vorgestellt © Leon Michelsmann

„Alles neu macht der Mai“, textete vor mehr als 200 Jahren Hermann Adam von Kamp. Ein Lehrer aus Mülheim. Bis heute beschreibt das Lied den Aufbruch, den Frühling, den Start. Doch was der Natur mitunter in kurzer Zeit gelingt, stellt für eine Schule in rund 50 Kilometer Entfernung von Mülheim eine Herausforderung für Monate, vielleicht Jahre dar: Die Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Köln-Longerich durfte kurz vor Beginn der Corona-Pandemie ihr neues Domizil, das auf manch einer Schulbaumesse und auch von Oberbürgermeisterin Henriette Reker als Paradebeispiel für zeitgenössische moderne und ökologische Schulbauarchitektur gefeiert wird, beziehen.

Der Umzug ist vollzogen, doch die Schule als solche sortiert sich gerade neu. Nicht nur, was das Leben, Lernen und Arbeiten im noch ungewohnten neuen Terrain anbetrifft. Auch die Pädagogik befindet sich, so könnte man sagen, ebenso wie das gebundene Ganztagskonzept in der Orientierungsphase. „Wir überlegen, wie wir den Ganztag optimieren können“, sagt Cornelia Ufer. Sie zeichnet für die Ganztagsgestaltung verantwortlich.

Schulleiterin Bettina Otte nickt nicht nur zustimmend, sondern ergänzt: „Wir evaluieren die bestehenden Konzepte, prüfen die Ergebnisse und schauen dann gemeinsam, ob und welche Anpassungen es geben kann.“ Passt beispielsweise die aktuelle Organisation des Ganztags mit nachmittäglichen Arbeitsgemeinschaften (Jahrgänge 5/6), dem Werkstattunterricht (Jahrgang 7), den Ergänzungsbändern, inklusive Angeboten zu den Wahlpflichtfächern (Jahrgänge 8/9/10) und den Mittagspausenangeboten an den drei langen Tagen? Man wird die Ohren spitzen, Meinungen einholen, möglicherweise neue Konzepte schreiben.

„Frische“ Schritte

Beispiel Kooperationen. Behutsam öffnet sich die Schule in die Region. Eine Partnerschaft entsteht aktuell mit einem benachbarten Pferdeschutzhof. Hierher werden zweimal wöchentlich kleine Gruppen marschieren. Das Interesse der Schülerinnen und Schüler ist groß, „obwohl es sich nicht um Pony-Reiten in kleinen Gruppen handelt, sondern eher ums Putzen der Pferde, das Kümmern um Kleintiere oder das Ausmisten eines Stalles.“

Dass zu der Gruppe ein Kind mit Förderbedarf gehört, wird eher am Rande erwähnt. Inklusion gilt hier als Alltag. Zwei Klassen jedes Jahrgangs sind inklusiv, 12 Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, ein Koordinator für Inklusion und Beratungslehrer ebenso wie ein Schulsozialarbeiter und Schulbegleiterinnen gehören zum Kollegium. „Wir arbeiten in unserem multiprofessionellen Team kooperativ und effektiv zusammen“, sagt die Schulleiterin. Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf sind auch ausdrücklich in dem ausgefeilten Konzept der Berufsorientierung angesprochen, wofür die Schule einen eigenen „Leitfaden Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf“ entwickelt hat.

Kooperativ und effektiv im multiprofessionellen Team
Kooperativ und effektiv im multiprofessionellen Team © Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule Köln-Longerich

Was die Kooperationen insgesamt anbetrifft, kündigt Cornelia Ufer an: „Wir wollen unsere Bausteine erweitern, uns stärker öffnen für die Berufswelt und auch für soziale Bereiche.“ Für letzteres kann sie sich eine Zusammenarbeit mit Seniorenheimen unter dem Arbeitstitel „Jung trifft Alt“ vorstellen. „Und wir wollen die Schülerinnen und Schüler stärker in die Gestaltung des Ganztags einbinden.“ Dafür seien bei diesen Mut und Motivation erforderlich. Geradezu glücklich zeigt sich die Ganztagskoordinatorin von einem ganz „frischen“ Schritt zweier Siebtklässlerinnen. Sie möchten für Jüngere eine Hip-Hop-AG mit bis zu zwölf Teilnehmenden anbieten.

Didaktisches Konzept: Selbstwirksames Lernen weiterentwickeln

Ein weiteres Beispiel, das auf dem Prüfstand steht, sind die regelmäßigen Lernzeiten. Aktuell arbeiten Schülerinnen und Schüler dort an Aufgaben, die ihnen die Fachlehrerinnen und -lehrer mit auf den Weg geben. Für den didaktischen Leiter, Heinz Werner Katernberg, der vor zwei Jahren von einem Gymnasium an die Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule wechselte, stellen die Lernzeiten eine besondere Herausforderung dar. „Nachdem die Corona-Situation lange unsere Kräfte gebunden hat, möchten wir nun Elemente unseres didaktischen Konzeptes, die beispielsweise auch die Lernzeiten betreffen, wieder in den Blick nehmen“, sagt er.

Jetzt stehen sie auf der Liste, aus der eine Steuergruppe, zusammengestellt aus Lehrkräften, Eltern, Schülerinnen und Schülern, die vordringlichen Veränderungsziele definieren wird. Bettina Otte formuliert es mit Blick auf die Lernzeiten, die vom Kollegium betreut werden, so: „Wir möchten unser Konzept in Hinsicht auf das selbstwirksame Lernen noch weiterentwickeln.“ Katernberg ergänzt: „Der Herausforderung stellen wir uns gemeinsam mit Schülerinnen, Schülern und Eltern in den nächsten Jahren.“

Welche Prioritäten gesetzt werden, ob man sich beispielsweise auch der Rhythmisierung annehmen wird, entscheidet die Schulkonferenz. „Denn der Teamgedanke steht bei uns im Vordergrund. Ideen, auch unkonventionelle, sind willkommen und fallen auf fruchtbaren Boden. Was eben aber auch nicht heißt, dass sofort alle umgesetzt werden können“, versichert Cornelia Ufer. Zusätzliche Anregungen gewinnt die Carl-von-Ossietzky-Schule durch den intensiven Austausch mit anderen Schulen und dortigen Hospitationen.

Beziehung auf kurzen Wegen

Dem Teamgedanken tragen auch die Jahrgangsteams Rechnung. Pro Jahrgang existiert ein Flur mit Klassen- und Differenzierungsräumen. Arbeitsplätze und ein Besprechungsraum der Jahrgangsteams wurden bei der Planung des Neubaus berücksichtigt. Das bringt Nähe und Beziehung, ermöglicht kurze Wege, die stärkere Nutzung gemeinsamer Materialien, öffnet aber eben auch direkte und schnelle Kommunikationskanäle. Erfreut stellt die Schulleiterin fest: „Nicht erst seit Corona, aber seitdem noch stärker stehen die Türen auch im Unterricht offen.“

Friedenszeichen
© Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule Köln-Longerich

Es gibt nichts zu verbergen, Anregungen von anderen sind ausdrücklich erwünscht. So wie es zur Tradition gehört, dass sich Lehrertandems etwa nach Elterngesprächen ein Feedback auf die eigene Wirkung geben. „Es trägt mehr, wenn man im Team agiert“, ist der didaktische Leiter überzeugt. Cornelia Ufer fügt hinzu: „… und sich gegenseitig als Tandem in seinen Stärken und Schwächen unterstützt.“

Man kann den Gedanken auf den Neubau übertragen, dessen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. Zu seinen Vorteilen zählen die bereits erwähnten Jahrgangsbereiche. Sie ermöglichen dem Kollegium ein größtmögliches Maß an gemeinsamer Abstimmung und Differenzierung des Unterrichts. Digital ist die Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule ohnehin bestens ausgestattet. Das Außengelände lädt zum Verweilen und Bewegen ein, ebenso wie die riesige Mehrzweckturnhalle, die außerhalb des Schulbetriebes auch von Vereinen des Ortes genutzt wird.

Talente entdecken und fördern

Dass die Aula nicht nur zu größeren Anlässen geöffnet wird, sondern auch zum Musizieren einzelner Schülerinnen und Schüler, erscheint extrem sinnvoll, zumal das Drehtürmodell vielen den Zugang zur Musik ermöglicht. Seit dem Schuljahr 2014/2015 hat die CvO, wie sie abkürzend genannt wird, einen musikalischen Zweig, das heißt, in jedem 5. Jahrgang gibt es eine Musikklasse in Kooperation mit der Rheinischen Musikschule und der Rochus-Musikschule.

Eine beruhigende und anregende Atmosphäre strahlt die täglich durchgehend geöffnete Schulbibliothek aus, deren Träger die Stadt ist. Sie ist Rückzugs-, Arbeits- und Leseort. Einzeln und in Gruppen füllt sich der großzügige Raum. Man sieht viele in Lektüre und leisen Gedankenaustausch vertiefte Schülerinnen und Schüler. Das Motto der Bibliothek: „An diesem Ort soll alles zusammen kommen: SchülerInnen & KollegInnen, Unterricht & Freizeit, Arbeit & Auszeit, Fantasie & Realität.“

In die Wände eingelassene Sitznischen bereichern die Flure, deren Sichtbetonwände auch nach Einschätzung ihrer täglichen Nutzerinnen und Nutzer noch nach ein wenig Gestaltung „schreien“. Heinz Werner Katernberg weiß bei allen Vorzügen des Neubaus: „Wir arbeiten noch daran, uns das neue Gebäude wieder zu eigen zu machen.“ Wie kann das in dieser „Schule der Vielfalt“ und Toleranz gelingen? Die Antwort liefert der didaktische Leiter ohne Zögern: „Das kann nur dadurch gelingen, dass sich die Schülerinnen und Schüler mit der Schule identifizieren.“

Schule der Vielfalt: „Du bist ok so wie du bist“

Beispielweise durch „Demokratie lernen im Klassenrat“, in dem die Schülerinnen und Schüler demokratische Mitbestimmung lernen und praktisch erfahren. Eine Stunde pro Woche ist für den Klassenrat im Stundenplan verankert. Neue Kolleginnen und Kollegen an der Schule müssen sich von Anfang an über den Ablauf und die Struktur des Klassenrats informieren und fortbilden.

Von der Schülervertretung initiiert: "Schule der Viefalt"
Von der Schülervertretung initiiert: "Schule der Viefalt" © Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule Köln-Longerich

Dass ihre Schule den Namen des Demokraten und Publizisten Carl von Ossietzky trägt, einer „Symbolfigur des Widerstandes gegen die Nazi-Diktatur“, wie es auf der Schulhomepage heißt, sehen die Schülerinnen und Schüler als selbstgewählten „Auftrag“. Erst kürzlich haben sie anlässlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar mit einem szenischen Spiel zum Thema Zivilcourage an ihn erinnert.

Als eine der ersten Kölner Schulen gehört die CvO dem Antidiskriminierungsnetzwerk „Schule der Vielfalt“ an, wofür sich die Schülervertretung (SV) lange eingesetzt und einen Antrag an die Schulkonferenz gestellt hatte. Zur Auftaktveranstaltung 2016 sprach der Song „Neuanfang“ von Clueso für sich. Seitdem initiiert die von Sonderpädagogin Meike Mayer und Sozialpädagoge Marcel Kuhn geleitete Projektgruppe Informationsstände, Mitmachaktionen und Beratungsangebote zum Thema LGBTIQ, etwa mit dem Projekt „Homophobie in den Social-Media-Netzwerken“, der Plakataktion „Du bist ok so wie du bist“ oder 2021 der Regenbogen-Wimpelkette im Innenhof.

Genau dies treibt das gesamte Schulteam um: Sich täglich dem Wohl der Schülerinnen und Schüler anzunehmen, ihre Interessen zu kennen, Talente zu entdecken und zu fördern, stets ein offenes Ohr zu haben und dabei stets selbstkritisch das eigene Handeln zu betrachten. Schulleiterin Bettina Otte fasst es zusammen: „Ich schätze sehr, dass hier nichts in Stein gemeißelt ist. Bei uns allen gibt es die große Bereitschaft, unsere Schule weiterzuentwickeln.“

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000