Bremen baut Bildung: Grundschule Kirchhuchting : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Mit dem Umzug aus dem historischen Schulgebäude in einen Neubau für moderne Pädagogik kann die Ganztagsgrundschule Kirchhuchting in Bremen den gebundenen Ganztag einführen. Gelernt wird jetzt in Lernfamilien.

Das alte Schulgebäude von 1848
Das alte Schulgebäude von 1848 © Grundschule Kirchhuchting

Architekturliebhabern geht das Herz auf, wenn sie vor dem Gebäude der 1848 – kurz nach der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Bremen – im Dorf Kirchhuchting als sogenannte Kirchspielschule erbauten Grundschule stehen. Doch die Türen des ehrwürdigen Backsteinbaus sind verschlossen. Die Grundschule Kirchhuchting ist umgezogen.

In rund 100 Meter Entfernung ist ein helles, von Licht durchflutetes und nach den pädagogischen Vorstellungen der hier Tätigen Gebäude entstanden. Es stellt viel mehr als einen modernen Neubau dar: Das neue Schulgebäude steht sinnbildlich ebenso für die Schulbauoffensive „Bremen baut Bildung“ wie für die enormen Veränderungen an der Grundschule Kirchhuchting, die in den vergangenen Jahren vonstattengingen, ehe der Umzug zum Beginn des Schuljahres 2023/2024 vollzogen werden konnte.

Großzügigkeit und Transparenz

Die Spuren erinnern an den eigenen privaten Umzug. Manche Kisten sind noch unausgepackt, der künftige Ruheraum der Lehrkräfte dient derzeit als Zwischenlager, die Wände der Flure und Treppenhäuser freuen sich noch auf ihre Gestaltung. Schulleiterin Ruth Rauer und Konrektorin Ganztagskoordinatorin Manuela Frantz atmen einmal tief durch. „Das, was das gesamte Kollegium, alle hier Arbeitenden, aber auch die Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Wochen und Monaten vollbracht haben, ist unglaublich“, sagen sie.

Umzugskartons wurden gepackt und geschleppt. In der Schulzeit und den Ferien. „Manchmal lag ich im Sommer im Liegestuhl und beantwortete am Handy Fragen, wie wo was getan werden sollte. Es hat sich gelohnt“, versichert Rauer. Digitale Tafeln zieren jetzt die Wände der Klassenzimmer, die mit neuem Mobiliar ausgestattet wurden. Kollegium und Verwaltung agieren wieder in einem Haus. Die Platznot des alten Gebäudes hatte eine räumliche Trennung erzwungen. Auch die Möglichkeit, am Mittagstisch der Mensa, in die eine Bühne für Aufführungen harmonisch integriert worden ist, zu sitzen und das frisch zubereitete Essen des engagierten Kochs zu genießen, zählen Rauer und Frantz als Pluspunkte auf.

Bei der Entwicklung der Schule wurde auf Großzügigkeit und Transparenz geachtet: Große Fenster im Innenbereich ermöglichen Sichtbeziehungen innerhalb der Cluster, wie die Lernbereiche heißen. Der Ganztagsbereich öffnet sich mit Verglasungen und niedrigen Fensterbänken zum Schulhof und bietet Platz zum Verweilen im Innen- und Außenbereich an. Die Böden erhielten Industrieparkett. Das warme Holz sorgt für ein angenehmes Raumgefühl. So verspricht es die Hansestadt und trifft den Nagel auf den Kopf.

Lernen in Lernfamilien ...

Der Grundschule wurde kein Konzept übergestülpt. Das Kollegium, zu dem alle Mitarbeitenden gezählt werden, wurde ebenso wie die Schülerinnen und Schüler früh eingebunden. Wünsche wurden geäußert, Akzente gesetzt. Besonders wichtig waren allen die Sporthalle, die Mensa und der Außenbereich mit großer Rutsche, Trampolin und Basketballkorb. Mensa und Turnhalle sollen, so die Planung, auch für andere Bremer Einrichtungen offen sein. „Wir öffnen uns nach außen“, kündigt Ruth Rauer an.

In die Planungen waren alle eingebunden
In die Planungen waren alle eingebunden © Grundschule Kirchhuchting

Vor allem aber kann im neuen Gebäude mit seiner offenen Raumeinteilung und mit den Lernlandschaften die Pädagogik umgesetzt werden, die das Kollegium zur Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler als die beste ausgewählt hat. Zu Beginn des Schuljahres wurde der gebundene Ganztag für die Jahrgangsstufen 1 und 2 eingeführt. In den drei Lernhäusern sind die Klassen aller Jahrgänge jeweils zu einer „Lernfamilie“ zusammengefasst. Für die Jahrgänge 3 und vier gilt noch das Konzept der „Verlässlichen Grundschule“ mit anschließendem Betreuungsangebot.

„Die vielen Neuerungen haben sich auf alle ausgewirkt“, sagt die Schulleiterin. Ganztagskoordinatorin Manuela Frantz ergänzt: „Viele unserer rund 230 Kinder fielen angesichts der Unruhe erst einmal in alte Verhaltensmuster zurück. Wir mussten also gleichzeitig dafür sorgen, dass wir für sie einen verlässlichen Rahmen schafften.“ Schöne Projekte und Ausflüge sowie klare Absprachen und Zeiten gehörten dazu.

... mit klaren Strukturen

Präzise Planung ist das aus 40 Mitarbeitenden bestehende Team gewohnt. Die Vielzahl der Ganztagsangebote erfordert dies. Und so „stricken“ alle am Stundenplan mit. Dabei hocken sie sich im wahrsten Sinne des Wortes auf den Boden, schieben Zettel mit Namen, Fächerkombinationen und außerunterrichtlichen Angeboten in Ganztag und Betreuung, Essen- und Lernzeiten hin und her, um einen für alle stimmigen Tagesablauf zu kreieren. Ein Puzzle mit 2.000 Teilen wirkt da wie eine Lachtablette.

Die Kinder benötigen klare Strukturen. Nicht wenige neue Schülerinnen und Schüler sprechen wenig bis gar nicht Deutsch. Manchmal muss auf Übersetzungs-Apps zurückgegriffen werden, um Inhalte, Aufgaben oder Regeln zu verdeutlichen. Das Kollegium weiß auch, dass daheim oft nicht mit den Kindern gelesen wird. Halbjährige Vorkurse, Lese-Intensivkurse, die Einführung des „Lesebands“ – täglich mindestens 25 Minuten Lesen während der Unterrichtszeit – und die Verwendung einer möglichst einfachen Sprache sollen ihnen gutes Lernen im Unterricht ermöglichen.

Hilfreich ist da die Sprachvielfalt im Team: Mehr als zehn Sprachen, von Englisch bis Indonesisch, sind unter den Mitarbeitenden vertreten. Die Schule überlässt nichts dem Zufall. Im Raum „Rosalinde“ werden am Beginn des Schuljahres alle Erstklässlerinnen und Erstklässler 60 bis 90 Minuten lang „beobachtet“. Motorische Fähigkeiten werden ebenso unter die Lupe genommen wie Sprachverständnis oder Sprechaktivität.

„So ergibt sich ein Bild von allen und wir können besser verstehen, wie wir die Kinder fördern und fordern können“, schildert Ruth Rauer. Neben den Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern wirken in der Grundschule fünf Inklusionspädagoginnen und -pädagogen, Lesehelferinnen und -helfer, schließlich sogenannte Doppeldenker – Ehrenamtliche, die Lesen und Mathematik fördern, darunter neuestens aus dem Verein Seniorpartner in School.

Austausch im Team

Für Konrektorin und Ganztagskoordinatorin Manuela Frantz ist wichtig: „Zu unser aller Arbeit gehört, dass wir uns regelmäßig über die Kinder austauschen.“ Die neuen Teamräume in den Lernhäusern erleichtern das, erfordern aber auch die Bereitschaft, die Aufgaben umfassender zu sehen, als nur Unterricht zu erteilen. Wöchentlich setzen sich die Lernhausteams zusammen, wägen ab, was gut und was verbesserungswürdig erscheint.

Neues Lernen in Lernlandschaften
Neues Lernen in Lernlandschaften © Grundschule Kirchhuchting

Ein Thema kommt dabei häufiger auf den Tisch. Erfüllt die tägliche 45-minütige Lernzeit für alle ihren Zweck? Ist sie richtig strukturiert? Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler immer besser in der Lage sind, in dieser Zeit ihre Lernaufgaben auch selbst zu bewältigen. Erzieherinnen und Erzieher begleiten sie dabei. Wenn erforderlich kommt eine Lehrkraft hinzu.

Die gesamte Schule atmet aktuell erst einmal durch. Doch ihre Ziele verliert die Grundschule Kirchhuchting nicht aus den Augen. Einiges hat das Team bei einem Besuch der Grundschule am Dichterviertel in Mülheim erlebt und für gut befunden: Eine stärkere Rhythmisierung, 60-minütige Unterrichtseinheiten und besonders Projektunterricht zählen dazu.

Kinder fördern und fordern

Einen Vorteil des projektorientierten Unterrichts sieht Manuela Frantz für das Kollegium. „Wir alle können Inhalte des Lehrplans in von uns selbst kreierten Projekten aufgreifen. So können wir uns spezialisieren und ein Stück weit als Fachkräfte ausleben“, meint sie. Bei allem orientieren sich die Entscheidungen daran, ob die Maßnahmen dazu beitragen, die Kinder zu fördern und fordern.

So wie es die Bauecken in den Lernhäusern tun. Ruth Rauer: „Viele unserer Kinder müssen den Umgang mit Bausteinen erst lernen.“ Die sie begleitenden Erwachsenen an der Grundschule geben ihnen geduldig Zeit. Die wird auch der temporären, von einer Schulsozialarbeiterin und einer Sonderpädagogin geführten Lerngruppe eingeräumt. Sie umfasst für ein halbes Jahr jeweils vier Schülerinnen und Schüler „mit besonderen Bedürfnissen“, wie das Einüben von Regeln und den Umgang mit Aggressionen.

Wäre jetzt schon Weihnachten und Ruth Rauer und Manuela Frantz dürften einen Wunschzettel schreiben, wüssten sie, was sie notieren: „Unsere gebundene Ganztagsschule soll ein Zuhause für alle sein.“ Und mit Blick auf die Arbeit im Team hat die Grundschule Kirchhuchting besonders ein Ziel: „Wenn ein Fremder kommt und uns bei der Arbeit sieht, soll er nicht sofort wissen, ob eine Lehrkraft oder eine Erzieherin die Lerngruppe begleitet.“

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