Blücherschule Wiesbaden: Wurzeln und Flügel im Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Für die Schule und den Stadtteil genau das Richtige.“ Die Blücherschule in Wiesbaden ist eine gebundene Ganztagsgrundschule und Europaschule – und mit ihrem pädagogischen Konzept preisverdächtig.

„Zwei Dinge sollen Kinder bekommen: Wurzeln und Flügel“. Mit diesem Motto umschreibt die Blücherschule in Wiesbaden auf ihrer Website ihr pädagogisches Konzept. Die „Wurzeln“ stehen für die gebundene Ganztagsschule am Blücherplatz im Stadtteil Westend als Lebensmittelpunkt der Schülerinnen und Schüler. Ganztagsschule im Profil 3 des Hessischen Ganztagsschulprogramms heißt in diesem Fall: an drei Tagen rhythmisierter Schultag von 8 bis 16 Uhr, an zwei Tagen bis 14 Uhr. Eine Zusatzbetreuung bis 17 Uhr und freitags bis 16 Uhr ist möglich. „Manche Kinder wollen sogar noch länger bleiben und sind traurig, wenn der Schultag endet“, freut sich Schulleiterin Monika Frickhofen über das indirekte Kompliment ihrer Schülerinnen und Schüler.

Journey to the 21st Century

Die „Flügel“ entsprechen der Öffnung der Schule nach außen, dem „Hinaus in die Welt gehen“, wie die Schulleiterin es formuliert. Im täglichen Erleben erreicht das die Ganztagsgrundschule durch außerschulische Lernorte: den Tier- und Pflanzenpark, in dem die Schülerinnen und Schüler Tiere versorgen, oder das Jugendzentrum Georg-Buch-Haus, in dem die Musical-AG probt. Noch weiter hinaus führt das Engagement der Blücherschule seit 2002 als Europaschule.

Apfelsaftpresse
Von der Apfelblüte zum leckeren Saft © Blücherschule

Im Programm „Europa macht Schule“ des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) begeistert die Schule durch Begegnungen mit europäischen Gaststudenten für Europa und versucht, Offenheit und Neugier zu wecken. Ein Austausch besteht zum Beispiel mit der Nikolaischule in Görlitz an der polnischen Grenze. Seit vielen Jahren nimmt die Blücherschule auch am „Erasmus+“-Programm teil.

Im aktuellen Schuljahr 2019/ 2020 beteiligen sich Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern aus Malta, Finnland, Italien und der Türkei am Projekt „Journey to the 21st Century with Stories in My Suitcase“. Jeweils vier Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit, in die Partnerländer zu reisen, um dort zusammen am Projektthema zu arbeiten, die Länder zu erkunden und neue Bekanntschaften zu schließen. Den Auftakt machte ein einwöchiger Besuch auf Malta.

Teamschule: „...für die Kinder da“

Das Wichtigste, das über allen Aktionen und Organisation steht, ist für Schulleiterin Monika Frickhofen, dass „Kollegium, Schulleitung und Eltern unsere Schule so verwandelt haben, dass alle Kinder gerne hierher kommen“. Das sei ein langer Weg gewesen, seitdem das Kollegium vor 16 Jahren beschlossen hat, den Blickwinkel zu verändern: „Jedes Kind hat Talente.“ Und: „Wir sind für die Kinder da, und nicht die Kinder für uns.“

Dieses „da sein“ ist wörtlich zu nehmen. Die Lehrerinnen und Lehrer sind 40 Stunden in der Schule, und „wenn die Schülerinnen und Schüler fertig sind, haben auch die Kolleginnen und Kollegen frei“, beschreibt die Schulleiterin das Präsenzzeitmodell. Die Kinder müssen keine Hausaufgaben mehr mit nach Hause nehmen, wofür Monika Frickhofen zufolge die Eltern „froh und dankbar“ sind. Die Lehrkräfte sitzen nicht mehr daheim am Schreibtisch, um den Unterricht vor- oder nachzubereiten. Das findet nun alles unter dem Dach der Ganztagsschule statt.

Dazu hat sich die Blücherschule konsequent als Teamschule organisiert. Zum erweiterten Schulleitungsteam gehören noch Konrektorin Corinna Reinhardt, Konrektor Matthias Krebs und die vom Kollegium gewählte Lehrerin Wiete Lehmkühler. In den einzelnen Jahrgängen haben sich Teams gebildet, die sich jeden Mittwoch und mindestens zweimal in der Woche zu fest gelegten Zeiten von 90 Minuten treffen und unter anderem die Wochenpläne entwickeln, mit denen die Schülerinnen und Schüler lernen. Regelmäßig trifft sich auch die Steuergruppe, die aus etwa 15 Personen besteht – dem Schulleitungsteam, Jahrgangssprechern, Eltern, Personalratsvertretung und Europaschulkoordinatoren. In der Steuergruppe wird Grundsätzliches besprochen. Ideen werden anschließend dem Kollegium zur Entscheidung vorgelegt.

„Jetzt können wir uns die Zeit nehmen“

„Ich bin Lehrerin geworden, weil ich etwas verändern wollte“, betont Monika Frickhofen. Als Schulleiterin und zusammen mit dem Kollegium der Blücherschule hat sie genau das geschafft. Gemeinsam hat das Team entwickelt, wie moderner Unterricht aussieht, mit unterschiedlichen Unterrichtsformen und flexiblem Lehrmitteleinsatz. Wesentlich bleibt dennoch, „dass da vorne eine Person steht, von der die Kinder wissen: 'Die sieht mich!'“

Gruß
„Hallo, Blücherschüler!“ © Blücherschule

Die Entscheidung der Blücherschule, gebundene Ganztagsschule zu werden, hing ebenfalls mit dem Willen zur Veränderung zusammen. Monika Frickhofen hält es für schwer, an einer offenen Ganztagsschule den Unterricht zu verändern: „Gerade die Schülerinnen und Schüler, die viel Unterstützung brauchen, fallen durch“, meint sie. Das Zeitkonzept der Schule heißt: „Zeit für mehr“. Unterricht findet – rhythmisiert – vormittags und nachmittags statt, unterrichtsergänzende Angebote sowie gebundene und offene Freizeit ebenfalls. "Jetzt können wir uns vor allem mehr Zeit nehmen. Das sorgt für Entschleunigung. Die Gespräche mit den Kindern machen sehr viel aus. Das ist für diese Schule und für diesen Stadtteil das Richtige.“

Welche Aufgaben die Schülerinnen und Schüler in ihrem Wochenplan in welcher Reihenfolge erledigen, bleibt ihnen überlassen, aber am Ende einer Woche gilt: Der Wochenplan muss erledigt sein. Die Wochenpläne berücksichtigen die Unterschiede im Lernstand und im Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler, also die Heterogenität. Lehrkräfte stellen regelmäßig Übungssequenzen individuell bereit, welche die Schülerinnen und Schüler selbstständig bearbeiten, und erhalten dazu, falls nötig, individuelle Unterstützung. Es gibt kompetenzorientierte Zeugnisse statt Ziffernnoten und Schüler-Lehrer-Eltern-Gespräche statt Halbjahreszeugnissen. Statt „Das kannst du noch nicht“ heißt es: „Du kannst es besser“. Tests heißen „Ich zeige, was ich kann“-Test.

Wir-Miteinander-Tag und Schach-AG

In den täglichen Lernzeiten finden Partner- und Gruppenarbeit, individualisierte Lernformen sowie klassen-, und jahrgangsübergreifendes sowie fächerverbindendes Arbeiten statt. Die Lehrerin oder der Lehrer legt fest, wer was und wie übt. Die Schülerinnen und Schüler können die Arbeiten an einem selbst ausgewählten Ort wie Gruppenraum, Flur oder Nische erledigen. Sie haben hier Zeit zum Üben, zum Trainieren, zum Wiederholen und Festigen des Lernstoffs und zur Vorbereitung auf die Klassenarbeiten.

410 Schülerinnen und Schüler besuchen die Blücherschule. Sie alle können Gehör finden: Es gibt Klassenräte und Klassensprecher, einen Schülerrat und Schülersprecher. „Meine Tür steht immer offen“, sagt Monika Frickhofen. Drittklässler kümmern sich als Paten um die Erstklässler. Jeweils nach den Ferien findet der „Wir-Miteinander-Tag“ statt. Den Auftakt bildet ein Treffen der ganzen Schulgemeinschaft in der Turnhalle, bevor dann Aktionen mit den Partnerklassen oder in einzelnen Klassen, darunter zum sozialen Lernen, stattfinden. In diesem Jahr war das Motto „Verschiedenheit“.

Oberbürgermeister mit Kindern
Gäste aus Görlitz in Wiesbaden bei Oberbürgermeister Sven Gerich © Blücherschule

Ganztagsangebote starten in der 1. Klasse erst nach den Weihnachtsferien. Nach der „Eingewöhnungszeit‟ wählen die Schülerinnen und Schüler in der Projektzeit AG-Angebote wie „Naturforscher“, Töpfern, Theater, Orchester, Design, Schach, Judo oder Garten – seit einigen Monaten ist die Gemüseackerdemie ein neuer Partner. Die AGs werden – jahrgangsgemischt – auch von außerschulischen Partnern durchgeführt. Die Schach AG hat einst der Vater einer Schülerin gegründet. Inzwischen haben sich Stefan Sitta und Nina Spiegel von den Wiesbadener „Schachfreunden Stiller Zug“ dazu gesellt. Die Blücherschule richtet sogar Schachturniere aus.

Musikalische Grundschule

Seit dem Schuljahr 2015/2016 ist die Blücherschule eine „Musikalische Grundschule“. So kommen drei Lehrer der Wiesbadener Musik- & Kunstschule an zwei Tagen in die Blücherschule, um Instrumentalunterricht – Gitarre, Keyboard, Schlagzeug – anzubieten. Zu den musikalischen Projekten im Ganztagsbereich gehören außerdem Klavier, ein Streichorchester, der Chor und die Schülerband der Dritt- und Viertklässer „Kids of Rock“. Die Streicher haben sich im Februar gerade wieder bei „Hessen musiziert“ beteiligt. Jedes Jahr wird außerdem ein Musical einstudiert und bei den Schultheatertagen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden aufführt.

Mit der Wiesbaden Stiftung kooperiert die Schule in der Leseritter-Ausbildung, unterstützt von der Schule für Schauspiel. Die „Leseritter“ aus zwölf Wiesbadener Schulen werden in den „Grundlagen gekonnten Sprechens und Lesens“ ausgebildet, um anschließend zum Beispiel in einem der umliegenden Kindertagesstätten den Kindern vorzulesen.

Nachdem vor drei Jahren der Einzugsbereich der Schule neu festgelegt wurde, hat sich die Raumsituation für die Blücherschule wesentlich verbessert. Lief die Schule bis dahin noch sechszügig, ist sie nun fast durchgehend vierzügig. Jeder Jahrgang besitzt einen Jahrgangsraum, der auch für den Ganztag genutzt wird zum Basteln, Malen oder auch einfach mal zum Nichtstun. Drei Sozialpädagoginnen – Yvonne Leupold, Denise Seelig und Kerstin Ulm – sind für die Kinder da. In der „Kinderzeit“ über Mittag sind Lego-Raum, Kunstraum, Hof und Spielplatz, Bücherei und die Turnhalle geöffnet. „Die größte Herausforderung in der Grundschule ist die Aufsichtsfrage“, weiß Monika Frickhofen. „Wir haben das gelöst, indem wir unter anderem Ehrenamtliche gesucht und gefunden haben.“

Vorgesehen war eigentlich, dass die Schulgemeinschaft am 20. Mai mitfiebert, wenn der Deutsche Schulpreis verliehen wird, denn die Blücherschule gehört als eine von zwei hessischen Schulen zu den 15 Nominierten, die es in diese Auswahl geschafft haben. Sogar die Hessenschau hat darüber berichtet. Das große Finale musste nun auf September verschoben werden – so lange bleibt Vorfreude die schönste Freude.

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