Bildungswerkstatt Bergatreute: Blühender Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Ausstattung „auf Top-Niveau“ und gleichzeitig persönlich und familiär. Die Gemeinschaftsschule Bergatreute blüht auf wie die Ackerblühstreifen, die die Ganztags-AG „Flowers for Future“ bei Landwirten der Umgebung schafft.

Der 2018 eingeweihte Neubau © Gemeinschaftsschule Bergatreute

Hier geht ohne Schulbus nichts. Die rund 300 Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule Bergatreute  im Landkreis Ravensburg kommen alle aus dem ländlichen Umkreis der 3.100 Einwohner starken Gemeinde. 38 Lehrkräfte, eine Schulsozialarbeiterin und sieben Mitarbeiterinnen der Gemeinde in der Betreuungszeit sind für die Schülerinnen und Schüler da. „Und nicht zuletzt unsere zwei Sekretärinnen, vier Mitarbeiterinnen in der Mensa, zwei Damen, die für Sauberkeit im Schulhaus sorgen und unser wichtigster Mann, Hausmeister Markus Kölbel“, stellt Schulleiter Andreas Reichle sein Team vor.

Reichle wurde 2015 Schulleiter der Gemeinschaftsschule. Zu seiner Amtseinführung hatte ihm Bürgermeister Helmfried Schäfer im Beisein von Gemeinde- und Elternvertretern sowie von Rektoren der Region einen Kompass und ein Fernglas überreicht. Den Kompass, „um die Schule auch in Zukunft auf Kurs halten zu können“, das Fernglas „für den nötigen Weitblick“. Das sagt viel über die Gemeinde Bergatreute, die als Schulträgerin zu der Zeit schon einen Neubau für die Gemeinschaftsschule geplant hatte. 2016 kam Holger Limbächer als Konrektor dazu, mit dem Andreas Reichle seitdem das Schulleitungsteam bildet.

Bildungswerkstatt Bergatreute

2012 wurde aus der Grund-, Haupt- und Werkrealschule, die als „Bildungswerkstatt Bergatreute“ bekannt war, eine der 42 ersten Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. Wie vom Land vorgegeben, ist in dieser Schulform die Sekundarstufe als gebundene Ganztagsschule organisiert: An den drei Tagen Montag, Dienstag und Donnerstag dauert für die Jugendlichen der Schultag von 7.45 bis 15.30 Uhr. Die Busfahrzeiten geben laut Andreas Reichle da den Takt vor. In der Grundschule bietet die Gemeinschaftsschule den offenen Ganztag an. „Wir sind hier auf dem Lande“, meint Reichle, „und da sagen viele Mütter zunächst: Ich will ja mein Kind nicht an die Schule verlieren. Aber spätestens in der zweiten Klasse wissen sie es zu schätzen und nehmen die Betreuung bis 14 Uhr gerne in Anspruch. Da wandelt sich die Denke.“

Das liegt auch daran, dass es den Kindern in der Schule gefällt: „Bei uns ist es sehr heimelig und familiär, die Schülerinnen und Schüler fühlen sich wohl. Sie sind hier mit ihren Freundinnen und Freunden zusammen. In der Betreuungszeit von 12 bis 14 Uhr können sie im Haus, auf dem Hof und in der Turnhalle spielen und sich bewegen. Und ein gescheites, leckeres Mittagessen in unserer Mensa gibt es noch dazu.“ Von Montag bis Mittwoch können die Kinder bei Bedarf auch bis 16.15 Uhr an der Schule bleiben, am Donnerstag bis 15.30 Uhr.

Im gebundenen Ganztag legt die Schule Wert auf einen rhythmisierten Tag mit einem Wechsel von konzentrierter Leistung, AG-Angeboten und Entspannung. In der Sekundarstufe finden an den drei langen Tagen zwischen 12 und 14 Uhr die Arbeitsgemeinschaften statt, bevor es von 14 bis 15.30 Uhr noch einmal Unterricht gibt. Die Lehrerinnen und Lehrer organisieren die AGs selbst: vom Ballspiel über Schulband und Zirkus bis zur AG Computer. „Ich hätte gerne Leute aus Vereinen dabei, aber das ist schwer zu organisieren“, berichtet der Schulleiter. „Zu den Zeiten, in denen wir sie brauchen, arbeiten sie noch. Bisher reicht es nur für einzelne Projekte.“ So bietet der SV Bergatreute eine AG Mädchenfußball oder die TG Bad Waldsee Handball in der Schule an.

Preisgekrönte „Flowers for Future“

Durch das Engagement der Lehrkräfte lassen sich die AGs wiederum mit dem Unterricht verknüpfen. Biologie- und Englischlehrerin Katrin Messinesis hat aus dem Unterricht heraus mit ihrer 5. Klasse das Acker-Projekt „Flowers for Future“ zu einer eigenen Ganztags-AG entwickelt. „Eine Kollegin mit dem sprichwörtlichen grünen Daumen. Ein Schulleiter, dem sie das verklickert. Ein Landwirt, der ein Äckerle hergibt – und es läuft“, beschreibt Andreas Reichle das Zusammentreffen glücklicher Umstände.

„Ein Landwirt, der ein Äckerle hergibt – und es läuft!“ © Gemeinschaftsschule Bergatreute

Und wie es läuft! „Flowers for Future“ hat letztes Jahr einen ersten Platz im bundesweiten Wettbewerb „Echt Kuh-l“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gewonnen. Die Schülerinnen und Schüler haben im letzten Jahr insgesamt 17 Landwirte der Umgebung beim Anlegen ökologisch wertvoller Ackerblühstreifen unterstützt. Sie überzeugten die Bauern, besorgten das Saatgut, bastelten Hinweisschilder und sammelten auch noch Spenden zum Ausgleich für den Ernteverlust. In diesem Jahr geht es weiter. Zusätzlich setzen sich die Schülerinnen und Schüler jetzt für den Schutz der bedrohten Feldlerchen ein.

Die AG bewirtschaftet auch selbst einen Acker und baut Gemüse und Kartoffeln an. Im letzten Herbst haben die Schülerinnen und Schüler mit Eselsmist, Stroh und Gesteinsmehl – allesamt gespendet von Familien und Bauern – gedüngt und einen Zaun um das Stück Land gebaut. Bauer Josef Sonntag, der der AG das „Äckerle“ überlassen hat, wird als Dank die erste Gemüsekiste erhalten.

Die Natur nimmt der stellvertretende Schulleiter Holger Limbächer als Sinnbild für die Schulentwicklung insgesamt. „Wir vergleichen unsere Schule mit einem Olivenbaum, der schon sehr alt ist. Drei dicke Äste symbolisieren unsere Leitbilder: Wir fördern selbstständiges Lernen, zum Beispiel mit offenem Unterricht, Werkstattunterricht und Methodenvielfalt, in einzelnen Fächern auf vier Niveaustufen. Wir streben die Entwicklung von Sozialkompetenz auf Klassen- und Schulebene an, unter anderem mit Patenschaften für Erstklässler oder auch mit der Pausenaufsicht durch Schülerinnen und Schüler. Und wir fördern bewusst die Gemeinschaft nach innen und außen, nach innen durch Austausch, Unterstützung und Beratung im Kollegium, nach außen durch Kooperation, zum Beispiel mit dem Kindergarten und der Förderschule.“

Ein besonderes Projekt mit Außenwirkung ist auch „Mitmachen Ehrensache“. Ab der 7. Klasse können die Schülerinnen und Schüler sich in ehrenamtlichem Engagement üben, in dem sie freiwillig in örtlichen Geschäften und Betrieben mitarbeiten. Das Geld, das sie dafür erhalten, spendet die Schule an soziale Einrichtungen, darunter die Sonja-Reischmann-Stiftung in Ravensburg, die Familien in Not unterstützt.

Kompetenzwerkstatt: Mit Spaß an der Berufsorientierung

Die Berufsorientierung setzt an der Gemeinschaftsschule Bergatreute bereits in Klasse 5 ein. „Da stellen wir den Kindern Berufe vor, und dann kommt zum Beispiel mal ein Papa in die Schule, der erzählt, was er macht“, so Holger Limbächer. Ab der 7. Klasse kommt „Karrierebegleiterin“ Sarah Schuler ins Spiel, die Schulsozialarbeiterin. Zusammen mit Frank Böhler, dem verantwortlichen Lehrer für die Berufsorientierung, organisiert sie eine Kompetenzwerkstatt, die in den Unterricht integriert ist.

Aktion „Mitmachen Ehrensache“ © Gemeinschaftsschule Bergatreute

Über einen Zeitraum von insgesamt 16 Wochen hinweg finden die Siebtklässler in geteilten Klassen mit Sarah Schuler oder Frank Böhler heraus, wo ihre individuelle Stärken und Fähigkeiten liegen. Es werden Werte vermittelt, und die Schülerinnen und Schüler sollen mit viel Freude und Spaß an ihrer beruflichen Orientierung arbeiten. Am Ende der Kompetenzwerkstatt werden alle Jugendlichen ein kleines Projekt erfolgreich und eigenverantwortlich durchführen, das dann in einem Plenum von Eltern und Mitschülern auch präsentiert und gefeiert werden darf.

Sarah Schuler bietet daneben Bewerbungstrainings und Berufsfelderkundungen an, berät in Kooperation mit der Agentur für Arbeit die Schülerinnen und Schüler, führt Eltern-Schüler-Gespräche, vermittelt Praktika und Ausbildungsstellen. Exkursionen zur Handwerkskammer Ulm oder ins Berufsinformationszentrum Ravensburg gehören ebenfalls dazu.

Bergatreuter Karrieretag und „Handwerker Games“

Ein Höhepunkt ist alle zwei Jahre der „Bergatreuter Karrieretag“. Holger Limbächer nennt ihn eine „Bildungsmesse in klein und fein“. Dort stellen sich Betriebe aus der Region mit ihren Berufsfeldern und ihren Ausbildungsangeboten vor – bei der letzten Ausgabe waren es zwölf –, und die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen schauen sich jeweils drei genauer an. „Die Betriebe kommen hier mit den Jugendlichen ins Gespräch. Die Gruppen sind mit etwa fünf Schülern recht klein, und ein Gespräch dauert gut 45 Minuten. Die Rückmeldungen der Betriebe sind sehr positiv.“ Den „Karrieretag“ hat die Schule selbst initiiert, und für Holger Limbächer bringt er „mehr als eine Messe, wo die Jugendlichen nur durchlaufen und Kugelschreiber mitnehmen“.

Für die Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen organisiert die Kreishandwerkerschaft Ravensburg seit Jahren die „Handwerker Games“. 2019 haben zwölf Innungen in der Oberschwabenhalle in Ravensburg je zwei Spiele für zwölf Teams aus fünf Schülerinnen und Schülern vorbereitet. Die Spiele waren jeweils an die entsprechenden Berufsfelder angelehnt. Gefragt waren Augenmaß, Geschwindigkeit und Geschicklichkeit. So ließ beispielsweise die Bäcker-Innung das Gewicht von Marzipan und Teig schätzen. Bei der Bau-Innung war ein Turm aus Ziegeln zu bauen, bei der Schreiner-Innung ein Hocker ohne Schrauben. Die Fachinnung für Glas, Fenster, Fassade lud sogar zum „Einbruchsversuch am Fenster“ ein. Jedes Schulteam gab sich für den Wettbewerb einen Namen: Das Team der Gemeinschaftsschule Bergatreute gingen als „Gurkentruppe“ ins Rennen.

Schulleiter Andreas Reichle (l.) und Bürgermeister Helmfried Schäfer (r.) © Gemeinschaftsschule Bergatreute

„Kein Abschluss ohne Anschluss“ lautet das Motto der Gemeinschaftsschule Bergatreute. „Wir wissen von jedem Schüler, wie es nach dem Schulabschluss weitergeht“, berichtet Holger Limbächer. Im letzten Jahr sind viele Schülerinnen und Schüler mit dem Realschulabschluss auf berufliche Gymnasien, die in Baden-Württemberg sehr verbreitet sind, gewechselt. Andere haben sich nach dem Hauptschulabschluss noch für die Mittlere Reife entschieden. Auch an Handwerksbetriebe würden Schülerinnen und Schüler vermittelt.

Investitionsfreudige Gemeinde

Digitales Lernen ist an der Gemeinschaftsschule seit Jahren selbstverständlich, was sich insbesondere der investitionsfreudigen Gemeinde Bergatreute verdankt. Als 2018 der Schulneubau eingeweiht wurde, wollte die Gemeinde nach eigener Aussage „mit einem architektonisch gelungenen Gebäude in der Ortsmitte ein deutliches Ausrufezeichen“ setzen – für die Zukunft der Schule und die Bildung der Schülerinnen und Schüler. 4,8 Millionen Euro hat sie dafür in die Hand genommen. Das bedeutete auch einen „Quantensprung“ in der Ausstattung,vor allem in die digitale Lernausstattung investierte die Gemeinde kräftig.

14 neue Rechner und zwei Laptopwagen mit jeweils 14 Laptops wurden angeschafft. Jedes Klassenzimmer verfügt über mindestens einen PC-Schülerarbeitsplatz mit Internetanschluss, Dokumentenkamera und Beamer, sodass in jeder Unterrichtsstunde die Möglichkeit besteht, mit digitalen Medien zu arbeiten. Den Schülerinnen und Schülern stehen 18 iPads zur Verfügung, die nun auch im Klassenraum für unterschiedlichste Zwecke wie Internetrecherche, Lern-Apps oder das Erstellen von Kurzpräsentationen genutzt werden können. Das Endgerät kommt hier zum Schüler oder der Schülerin statt umgekehrt. 

Im Computerraum lernen die Schülerinnen und Schüler ab Klasse 5 Computerprogramme wie Powerpoint, Word und Excel kennen und anzuwenden. Prunkstück ist das neue Lernatelier mit den beiden Laptopwagen, das sich auch in zwei Klassenzimmer aufteilen lässt und über zwei sogenannte Active-Boards verfügt, in dem es aber auch Rückzugsräume für die Schülerinnen und Schüler gibt.

Ein Kollegium „mit dem Herz am rechten Fleck“

„Es hat eine gewisse Eingewöhnungszeit bei den Kolleginnen und Kollegen gebraucht. Doch inzwischen sind bei uns die Tablets im Dauereinsatz“, berichtet Holger Limbächer. „Sie sind integraler Bestandteil des Unterrichts. Bestimmte Aufgabenstellungen beinhalten den Einsatz des Tablet-Computers, und mit unseren Lernplänen kann der Unterricht sehr individualisiert gestaltet werden.„ Demnächst werden noch digitale Tafeln und weitere Tablets dazukommen, Das Ziel ist, dass alle Schülerinnen und Schüler und ebenso die Lehrerinnen und Lehrer mit einem eigenen Tablet arbeiten können.

Seit 2016 können die Schülerinnen und Schüler in der ebenfalls neu erbauten Mensa essen. Sie liegt wenige Gehminuten von der Schule entfernt und ist aus einem ehemaligen Supermarkt entstanden. Wurden 2006 noch zwölf Essen ausgegeben, sind es inzwischen um die 160. Das Essen zu je 3,50 Euro können die Schülerinnen und Schüler über die App „Mensa Max“ bestellen, von einem Anbieter aus Ulm, der nicht nur Nudeln oder Joghurt selbst herstellt, sondern auch den Apfelsaft von der eigenen Streuobstwiese.

Schulleiter eines „coolen Kollegiums“ © Gemeinschaftsschule Bergatreute

Technische Ausstattung „auf Top-Niveau“ und gleichzeitig persönliche und familiäre Atmosphäre – aus diesem Kontrast bezieht die Gemeinschaftsschule Bergatreute ihr pädagogisches Selbstverständnis. Ihre Motti sind „Miteinander lernen und leben“ und „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Schulleiter Andreas Reichle sieht den Erfolg besonders in seinem „coolen Kollegium“ begründet: weil es „so motiviert arbeitet“, weil es „das Herz am rechten Fleck hat“ und weil ihm „nichts zu viel ist“.

Und auch die Gemeinde engagiert sich weiter. Bürgermeister Schäfer hat schon einmal eine gute Nachricht für die Sommerferien: „Corona hier, Corona dort. Man kann es nicht mehr hören! Umso wichtiger ist jetzt die Nachricht, dass das Ferienprogramm auch in diesem Jahr stattfinden wird.“ Schon seit 1990 stellt Bergatreute ein umfangreiches Programm auf die Beine. Am 22. Juli erfahren die Kinder und Jugendlichen bei der Auslosung vor dem Rathaus, an welchen Aktionen sie diesmal teilnehmen werden – von der Schnitzeljagd des SV Bergatreute über einen Ausflug ins Achtal mit Rudi Küble und seinem Team vom Schwäbischen Alpenverein bis zum Tennisspielen im Tennisclub 99 und vielem mehr dürfte für jeden etwas dabei sein.

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