Bildungshaus Langbargheide: "Wir sind Schatzgräber" : Datum: Autor: Autor/in: Martina Kefer

In Deutschland gehen Kinder meist in den Kindergarten und anschließend in die Grundschule. Im Hamburger Stadtteil Lurup haben Kids die Möglichkeit, das Bildungshaus zu besuchen.

"Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge": Diesen Ausspruch des Schweizer Theologen Kurt Marti haben sich die Luruper Pädagoginnen und Pädagogen zu Herzen genommen. Gemeinsam machten sich die Erzieherinnen und Erzieher der Kita Moorwisch in Trägerschaft der evangelischen Stiftung Alsterdorf und die Lehrkräfte der staatlichen Grundschule Langbargheide auf den Weg - und kamen bereits im Jahr 2007 im "Bildungshaus Lurup" an. Anfangs begeisterte das nicht alle Mitarbeiter. Doch die meisten Lehrkräfte und Erzieher waren dafür, den Aufbruch zu wagen.

Schülerinnen und Schüler des Bildungshauses
© Grundschule Langbargheide

Ein Jahr lang besuchten sie Fortbildungen am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung. Hinzu kamen Hospitationen an Hamburger Schulen, die jahrgangsübergreifend unterrichteten. "Man muss den jahrgangsgemischten Unterricht ja auch erst mal sehen und erleben, dass es gar nicht so kompliziert ist. Von dem Tag an waren alle Kollegen überzeugt." 17 Lehrkräfte und Erzieherinnen hospitierten an der "Grundschule Kleine Kielstraße" in Dortmund, die 2006 den Deutschen Schulpreis gewonnen hat. Schulleiterin Annette Berg: "Die gemeinsame Reise schaffte noch einmal ein besonders starkes Zusammengehörigkeitsgefühl."

40 Prozent der Schüler wechseln aufs Gymnasium

Den Übergang vom Kindergarten in die Schule gestalten die beiden Einrichtungen fließend. In jahrgangsübergreifenden Klassen der Stufen 0 bis 2 sowie 3 bis 4 werden mittlerweile 345 Kinder unterrichtet. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund liegt bei über 80 Prozent. Viele Schülerinnen und Schüler haben Förderbedarf. Doch mit dem Bildungshaus werden Höchstleistungen vollbracht: 40 Prozent der Schüler wechselten in den vergangenen drei Jahren von der Grundschule auf das Gymnasium.

Sowohl Kita als auch Grundschule nehmen schon seit vielen Jahren sprach-, lern- und verhaltensauffällige Kinder auf, die Kita auch geistig und körperlich beeinträchtigte Jungen und Mädchen. Seit Gründung des Bildungshauses ist auch für sie der Weg frei in die Schule Langbargheide, die in diesem Jahr mit dem Jakob-Muth-Preis für Inklusion ausgezeichnet wurde. "Wir haben es geschafft", ist Annette Berg stolz. Die Seilschaft zwischen Kita und Grundschule hält und fängt auf. Kinder und Erwachsene.

"Erstklässler sind keine Lernanfänger"

Im Mittelpunkt des Bildungshaus-Konzepts stehen die Kinder. "Gemeinsam sind wir der Auffassung, dass Erstklässler keine Lernanfänger sind und jedes Kind seine eigene Bildungsbiografie hat", betont Kita-Leiterin Ulrike Kloiber. Jedes Kind sei anders und traue sich eher, dies zu zeigen, wenn Heterogenität positiv gesehen wird. So wird Lernen im Bildungshaus als "ein aktiver und individuell unterschiedlicher Vorgang" begriffen, den "Lehrerinnen und Lehrer anregen, unterstützen, begleiten und verstärken können - der aber immer eine Leistung des Lerners selbst bleibt". Annette Berg: "Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind Schatzgräber, keine Fehlersucher."

In allen Klassen arbeiten außer den Klassenlehrerinnen auch Sonderpädagoginnen und in einigen Klassen zusätzlich Heilpflegeerzieherinnen im Team mit. Individualisierte Lernformen wie Werkstatt- und Stationenlernen, Projektunterricht und Wochenplanarbeit sowie Gesprächskreis, Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit sind verbindliche Bestandteile des Unterrichts. "Wir verstehen Vielfalt als Bereicherung", so Berg. Aus Kindermund hört sich das so an: "Du bist so schön anders", sagte ein Schüler zu seinem Sitznachbar. Dieser kontert: "Du auch." - Der kurze Dialog spielte sich in der "Positivrunde" ab, in der sich die Schüler gegenseitig Komplimente machen sollen.

Schüler mit Hunden
Schüler mit Hunden © Grundschule Langbargheide

Die "Positivrunde" zählt ebenso zu den Ritualen der Schule wie der "stille Anfang" am Morgen. Eine halbe Stunde wird den Schülerinnen und Schülern Zeit gelassen, zur Ruhe zu kommen und mit Hilfe der Stimmungsampel ihre Gefühlslage zu signalisieren. "Unsere Kinder sind in vielerlei Hinsicht familiär belastet", erklärt Berg. "Wenn die Ampel rot zeigt, kann entsprechend  einfühlsam auf die schlechte Stimmung  eingegangen werden." Als "Stimmungsaufheller" haben sich dabei die "Kollegen" Ida und Mimo besonders bewährt. Aus Spanien eingeflogen und in Deutschland für die Arbeit mit Kindern ausgebildet, leisten die beiden Hunde heute täglich gute Dienste an allen Schülern, stärken deren sozial-emotionale Kompetenz, liefern motivierende Schreib- und Sprechanlässe und vieles mehr. HuPäSch, hundgestützte Pädagogik in der Schule, nennt sich das.

Individuelle Entwicklungspläne

Beobachten, reflektieren und dokumentieren: Auf dieser Basis werden individuelle Entwicklungspläne für alle Kinder mit und ohne Behinderung erarbeitet. Dafür treffen sich einmal in der Woche Sozialpädagoginnen, Erzieherinnen, Grundschulkolleginnen und Sonderpädagoginnen. Unterstützt wird das Team durch eine Beratungslehrerin. Alle Professionen zusammen reflektieren ihre eigene Arbeit und entwickeln neue Unterrichtsvorhaben. Eine Aufgabe, die Teamarbeit und verbindliche Absprachen ebenso voraussetzt wie die Teilnahme an gemeinsamen Fortbildungen. "Wenn man seine Ressourcen bündelt, kann man viel mehr leisten", sagt Kita-Leiterin Ulrike Kloiber. Das zahlt sich auch in der Hortarbeit aus: Jedem Kind wird eine ganztägige Bildung und Betreuung möglich - auch nachmittags in den Räumen der Schule und mit den Erziehern der Kita, die die Kinder schon kennen.

Eingebunden in die Bildungshausarbeit sind auch die Eltern, beispielsweise in den Family-Literacy-Stunden, in denen der Spracherwerb von Kindern unter ihrer Mitwirkung verbessert wird. Fest installiert ist ebenfalls der regelmäßige Austausch mit den Eltern über die individuelle Entwicklung ihres Kindes. Ein weiterer Vorteil des Bildungshauses: Kita, Hort und Schule sind eng verzahnt.

"Inklusion ist eine Herkulesaufgabe, bietet aber Chancen, die wir kreativ genutzt haben", macht Schulleiterin Annette Berg Mut. Dem Ziel "Das ganze Orchester zum Klingen bringen - nicht nur die ersten Stimmen" hat sich die Schule verschrieben - und dann auch noch gleich Tanzen als Unterrichtsfach eingeführt. Berg: "Im Gegensatz zum normalen Sportunterricht können auch stark übergewichtige Schüler entspannt der Tanzstunde folgen und erhalten dort die Anerkennung ihrer Mitschüler." Bei so viel Kreativität kommen alle an die Spitze.

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