„A Day in the Life“: John-Lennon-Ganztagsgymnasium : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte hatte sich lange auf den Ganztag vorbereitet, als es 2012 losging. Die Erwartungen von Schulleiter Dr. Jochen Pfeifer hat er seitdem übertroffen.

Jochen Pfeifer und Margot Friedlander
Schulleiter Dr. Jochen Pfeifer am 12.2. 2015 bei einer Lesung mit Margot Friedlander, Zeitzeugin des Holocaust © John-Lennon-Gymnasium

Auf so ein Zeugnis wäre sicherlich jeder stolz: Der Bericht der Berliner Schulinspektion von 2012 verzeichnet für das John-Lennon-Gymnasium in fast allen Qualitätsbereichen die Bestnote A. Die Schulinspektoren sparen in ihrer Begründung demzufolge nicht mit Lob: Die Schülerschaft beteilige sich „außerordentlich aktiv am Schulleben und der Schulentwicklung“. Offenheit gegenüber Schüler- und Lehrergruppen aus aller Welt sei durch langfristige Partnerschaften fest verankert. Der Schulleiter setze sich mit hohem persönlichem Engagement für die Umsetzung eines hohen Leistungsanspruchs ein.

Dieser Schulleiter ist Dr. Jochen Pfeifer, und wer ihn im Gespräch erlebt, kann auch ermessen, worauf das Lob der Schulinspektion basiert. Pfeifer hat sämtliche Veröffentlichungen über seine Schule gesammelt und in dicken Ordnern griffbereit zur Hand. „You may say I'm a dreamer“ – die Zeile aus dem wohl berühmtesten Song des Namensgebers der Schule, „Imagine“, könnte auf ihn, der sich der Gestaltung seiner Schule sichtlich verschrieben hat und außerdem bekennender John-Lennon-Fan ist, zutreffen.

Derzeit lernen 780 Schülerinnen und Schüler am John-Lennon-Gymnasium. „Wir bekommen Anmeldungen aus 42 Grundschulen und müssen leider auch viele ablehnen“, berichtet der Schulleiter. Das Gymnasium hat sich einen guten Ruf erarbeitet, in einem „Berlin, das sich in den letzten zehn Jahren stark verändert hat, in Mitte, das sich nochmals stärker verändert hat, und in unserer Gegend, die sich wiederum am allerstärksten verändert hat“, sagt Pfeifer. Der Bezirk Mitte hat heute ein ganz anderes Gesicht als noch 1994, als die Schule ihren Namen erhielt.

Lennon Goes Ganztag

Pfeifer kam seinerzeit von der John F. Kennedy School in Berlin-Zehlendorf. Von der deutsch-amerikanischen Schule kannte er das Konzept der Ganztagsschule aus eigener Erfahrung. Als vor sechs Jahren die Berliner Senatsverwaltung auch für Gymnasien die Einführung des Ganztags ermöglichte, „dachte ich, dass das was für uns wäre“, erinnert er sich.

Bekannt wurde das John-Lennon-Gymnasium unter anderem dadurch, dass es schon im Jahr 2000 ein selbst entwickeltes Evaluationssystem nach Vorbild der britischen Partnerschulen eingeführt hat. Ab der 7. Klasse beurteilen die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe von Fragebögen den Unterricht ihrer Lehrkräfte. Sie können Wünsche äußern, was sich im kommenden Schuljahr gegebenenfalls verändern soll. Die Abiturientinnen und Abiturienten werden nach den Abschlussprüfungen ausführlich interviewt.

Das Feedback-System hat sich laut Jochen Pfeifer trotz des Arbeitsaufwands bewährt. Auch in Einzelfragen können die Jugendlichen Einfluss nehmen. So stimmten die Schülerinnen und Schüler beispielsweise 2009, als deutschlandweit über flexiblere Schulanfangszeiten diskutiert wurde, darüber ab, ob der Unterricht in den Wintermonaten erst um neun Uhr beginnen sollte. Sie entschieden sich dagegen.

Wie kam es zum Start als offene Ganztagsschule unter der Überschrift „John Lennon Goes Ganztag“? Für Jochen Pfeifer ist die Ganztagsschule eine „natürliche Entwicklung“: Es gebe gesellschaftliche und soziale Entwicklungen, die man zur Kenntnis nehmen müsse. „Die Schule hat auch über die Bildung hinausgehende Verpflichtungen und einen Erziehungsauftrag“, meint der Schulleiter. Das bedeute nicht, dass sie die Familie ersetze, aber sie sei stärker als in früheren Jahrzehnten ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche sich treffen und mit dem sie sich identifizieren. „Heute sitzen die Schülerinnen und Schüler nach Schulschluss hier auf dem Schulhof zusammen. Das hat es früher nicht gegeben.“

Weniger Hektik

Das John-Lennon-Gymnasium wurde schon 2010 Mitglied im Ganztagsschulnetzwerk Berlin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, also noch bevor die Schule selbst offiziell Ganztagsschule war. Man nahm an Netzwerktreffen und Hospitationen teil. Im Sommer 2011 gründeten die beteiligten Gymnasien eine „Untergruppe“ im Netzwerk und tauschten sich über das Thema Ganztagsgymnasium aus. „Am Anfang habe ich immer selbst diese ganzen Treffen wahrgenommen. Aber dann habe ich gemerkt, dass es sinnvoller ist, wenn sich Kolleginnen und Kollegen selbst ein Bild machen können“, berichtet Pfeifer.

Zur Koordinierung bildete sich eine Arbeitsgruppe „Ganztag“, der Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern angehörten. Als der Zuschlag des Senats zunächst auf sich warten ließ, weil Gymnasien in schwierigeren Berliner Stadtvierteln den Vorrang hatten, finanzierte das John-Lennon-Gymnasium das erste Jahr Ganztag „aus Bordmitteln“. Die Ganztagsschule, so bilanziert der Schulleiter, habe mehrere Effekte gehabt beziehungsweise verstärkt: Es gibt keine Probleme mehr mit nicht gemachten Hausaufgaben, was besonders die Lehrerinnen und Lehrer als Entlastung und Entspannung empfinden.

„Alle merken: Mein Alltag wird leichter. Und meine Beobachtung aus den Unterrichtsbesuchen ist: Alles ist viel ruhiger, es gibt weniger Hektik, auch aufgrund unseres Doppelstundenprinzips.“ Die Schülerinnen und Schüler erledigen die Aufgaben in den Lernzeiten. Die AG-Angebote tragen laut Pfeifer „enorm zur Identifikation mit der Schule“ bei. Neben vielen anderen gibt es eine Ruder-AG, eine Kammermusik-AG und die Big Band, den John-Lennon-Chor, die Film-AG mit einem jährlichen Filmfest, die Jugend forscht-AG, den Debattierclub und schließlich die Schülerzeitung „Penny Lane“, die gerade einen Preis beim Berliner Schülerzeitungs-Wettbewerb gewann.

Auch Unterricht muss sich verändern

Eine große Veränderung durch den Ganztag habe er unterschätzt, gibt Jochen Pfeifer zu: Auch der Unterricht müsse sich verändern. „Als wir am Ratsgymnasium in Minden hospitierten, da dämmerte es schon, dass der Ganztag keine reine Strukturveränderung ist, sondern andere Lernformen und Rhythmisierung erfordert. Allein schon diese neue Unterrichtsgestaltung ist eine große Herausforderung.“ In den Lernzeiten müssten ganz andere Aufgaben gestellt werden, die das selbstorganisierte Lernen stärken.

Von den Schülerinnen und Schülern wird es gut angenommen, dass der Unterricht sich mehr an ihren Lerninteressen ausrichtet. Stark verbessert haben sich dem Schulleiter zufolge die Teamstrukturen: Die Klassenleitungen sind doppelt besetzt, und es gibt eine Funktionsstelle zur Koordination. „Man spricht mehr miteinander über die Schülerinnen und Schüler und über den Unterricht.“

Leistung und Corporate Identity

Preisverleihung
2013 wurde das John-Lennon-Gymnasium als "Umweltschule 2013" geehrt © John-Lennon-Gymnasium

Das Schulprofil des John-Lennon-Gymnasiums wird durch drei Aspekte bestimmt: Leistung, Weltoffenheit und freundliches Lernklima. Dass der Leistungsaspekt im Vordergrund steht, ist für den Schulleiter unbestritten. Der Ganztag soll das Miteinander und die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verbessern, er soll die „Corporate Identity“ der Schule stärken. Doch zuvörderst soll er ein Umfeld schaffen, das den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihre Kompetenzen zu steigern und bestmögliche Schulleistungen zu erreichen.

Seit einigen Jahren begeht die Schule einen „Tag der Mathematik“: Dann fahren die zehnten Klassen für einen Tag an das Mathematikinstitut der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof zu Schülervorlesungen, Übungen und Vorträgen. Mathematik-, Deutsch-, Englisch- und Spanisch-Förderstation bieten aber auch Lernhilfen und Hausaufgabenbetreuung. Eine Lehrkraft und ein Student der Humboldt-Universität unterstützen die Schülerinnen und Schüler an zwei Nachmittagsterminen bei Fragen und zur Prüfungsvorbereitung.

„Durch den Ganztag erschließen wir uns auch neue Felder. Zum Beispiel Ferienangebote“, berichtet Jochen Pfeifer. Organisiert werden sie von der Sozialpädagogin und dem Sozialpädagogen, die in diesem Jahr ein Sommercamp mit 90 Schülerinnen und Schülern am Südatlantik durchgeführt haben. „Das ist ein Riesenerfolg und hat den Zusammenhalt nochmal gestärkt. Aber die Entwicklung ist bei uns nicht unumstritten. Manche fragen, warum die Schule sich jetzt auch in die Ferien ausweitet oder warum sie neben dem Sommercamp auch Betriebspraktika in den Ferien organisiert.“

„Der Ganztag bringt unsere Stärken zur Geltung“

Neben der Leistungsorientierung ist Jochen Pfeifer ein weiterer Punkt wichtig: „Persönlichkeitsbildung in der Schule gab es immer, informell, was man den heimlichen Lehrplan nennt. Mit der Ganztagsschule haben wir nun die Möglichkeit, die Persönlichkeitsbildung auch formal und ganz offen zu fördern.“

Seit dem Sommer 2011 gibt es das Projekt Soziale Verantwortung, das von den beiden Sozialpädagogen begleitet wird. Alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 10 sind verpflichtet, sich außerhalb der Schule in einer sozialen Einrichtung zu engagieren. Oder sie übernehmen Aufgaben, die der Schulgemeinschaft zugute kommen. Sie kümmern sich um das Klassenbuch, geben Jüngeren Nachhilfe, organisieren das Schülercafé oder Schulveranstaltungen wie das Filmfest.

„Man muss die Chancen beim Schopfe packen, wenn sie sich bieten. Der Ganztag war so eine Chance“, findet Pfeifer. „Es braucht das Gemeinsame, an dem alle mitarbeiten und für das alle stehen. An unserer Schule ist das so, und der Ganztag hat trotz mancher Herausforderungen, die noch bleiben, meine Erwartungen übertroffen. Er bringt unsere Stärken noch besser zur Geltung.“

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