Zwischen den Schuljahren: Tullaschule Karlsruhe : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Zwischen den Schuljahren“ bilanzieren Schulleiterinnen und Schulleiter das Schuljahr. Heute: Michael Brischar, Schulleiter der Tullaschule in Karlsruhe (Baden-Württemberg)

Online-Redaktion: Herr Brischar, was hat das vergangene Schuljahr für Sie geprägt?

Michael Brischar: Unser 100-jähriges Jubiläum. Ich kann mein Kollegium nicht genug loben, denn die Feier zum Jubiläum spiegelte wider, dass wir im Team zusammenarbeiten, dass die kognitiven, sozialen und emotionalen Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler gestärkt werden und dass Schule und Freizeit bei uns eng verknüpft sind. Die Arbeitsgemeinschaften, die wir vorstellen konnten, haben darüber hinaus gezeigt, wie sie unser Schulleben bereichern.

Online-Redaktion: Ihre Grundschule arbeitet teilgebunden mit Ganztagsklassen. Wie setzt sich Ihre Schülerschaft zusammen?

Brischar: Unsere Schule liegt in der Oststadt, ein Stadtteil, der einen breiten sozialen Querschnitt bietet. Wir tragen dem Rechnung, indem wir neben Ganztagsklassen auch weiterhin Halbtagsklassen anbieten, um den Eltern die Wahlfreiheit zu ermöglichen. Manche begüterte Elternhäuser können ihren Kindern am Nachmittag Angebote machen, bei denen wir aus finanziellen Gründen nicht mithalten können. Was nicht heißt, dass in den Ganztagsklassen nur Kinder aus sozial schwachen Familien unterrichtet werden. Auch Eltern, die beide berufstätig sind, haben ihre Kinder in der Ganztagsklasse angemeldet. Das ist alles bunt gemischt. Interessant ist, dass wir beim Öffnen der Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag für die Halbtagsschülerinnen und -schülern inzwischen einen guten Zulauf haben.

Online-Redaktion: Was ist in Ihren Augen die Essenz einer guten Ganztagsschule?

Brischar: Der Nachmittag muss auf den Vormittag abgestimmt sein, das ist das Allerwichtigste. Wir rhythmisieren den Tag und berücksichtigen dabei das Lerntempo der Kinder. Phasen der An- und Entspannung wechseln sich ab. Am Vormittag liegt eine Übungszeit, in der Gelerntes vertieft werden kann. Die zusätzlichen Stunden, die wir für die Ganztagsklassen erhalten, investieren wir in diese Lernzeiten, um individuell in der Gemeinschaft zu fördern und die Lernentwicklung der Kinder zu unterstützen. Das ist ein unglaublich weites Entwicklungsfeld, bei dem wir selbst auch noch sehr viel dazulernen müssen.

Im kommenden Jahr möchte ich die Übungszeiten doppelt mit zwei Lehrkräften und einem Erzieher belegen, um hier noch besser zu werden. Während sich der Erzieher den Schülerinnen und Schülern widmen kann, die bereits recht gut sind, können die Lehrkräfte einzeln mit den Kindern üben, die noch Schwierigkeiten haben. Somit kommen wir dem Ziel des individuellen Lernens näher, dass jedes einzelne Kind wirklich ganz gezielt die Unterstützung erhält, die es benötigt.

Online-Redaktion: Gibt es noch Hausaufgaben, wenn die Schülerinnen und Schüler bereits Lernzeiten in der Schule haben?

Brischar: Stichwort Dazulernen. Hausaufgaben sind ein unglaublich sensibler Bereich, den ich im kommenden Schuljahr auch mal evaluieren lassen möchte. Wir mussten feststellen, dass Mama und Papa manchmal gefragtere Lehrer als wir selbst sind. Zuhause klemmen sich manche Kinder eher dahinter, wenn die Eltern mal Druck ausüben. Wichtig ist, dass die Eltern über den Wissensstand ihrer Kinder informiert sind. Das erreichen wir mit den Lernportfolios. Bei Schwierigkeiten sprechen wir uns alle vier Wochen mit den Eltern der entsprechenden Schülerinnen und Schüler über die Lernfortschritte ab.

Online-Redaktion: Was ist Ihnen bei Auswahl und Gestaltung der Nachmittagsangebote wichtig?

Brischar: Das Ganztagsangebot muss insgesamt darauf ausgerichtet sein, die emotionalen, kognitiven und sozialen Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler zu erweitern. Wir haben an jedem Tag ein qualifiziertes Sportangebot im Haus, und es gibt musikalische Angebote wie die Streicher-AG. Hier ist es uns möglich, die Instrumente zu einem symbolischen Preis von fünf Euro im Monat auszuleihen. Unser Zirkusangebot stärkt die Schülerinnen und Schüler in ihrer Motorik und macht ihnen unheimlich Spaß. Dazu kommen Angebote wie Kochen oder Tennis. Seit bereits 15 Jahren besteht die Kooperation mit einer Karlsruher Theatergruppe, die vorzügliche Arbeit leistet. Und manche Kinder lernen dabei schneller Deutsch als im Unterricht.

Online-Redaktion: Wie reagiert das Kollegium auf die Ganztagsschule?

Brischar: Das Lernen in Projekten, der Werkstattarbeit, das Lernen mit außerschulischen Partnern oder an außerschulischen Lernorten, wie beim wöchentlichen Ausflug in die städtische Galerie, erfordert eine ganz andere Art von Lehrerin und Lehrer. So eine Umstellung geschieht nicht auf Knopfdruck, und manche Kolleginnen und Kollegen kommen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Auch die veränderte Arbeitszeit erfordert eine Umgewöhnung, denn der Arbeitstag in der Schule kann jetzt schon mal bis 16 Uhr dauern, wobei ja noch viel Arbeit dazu kommt, die man nicht unterschätzen darf.

Online-Redaktion: Verändert die zusätzliche Zeit den Blick auf die Schülerinnen und Schüler?

Brischar: Auf jeden Fall, das ist gar keine Frage. Sie leben ja mit den Kindern, verbringen doppelt so viel Zeit mit ihnen als in der Halbtagsschule. Und in der Ferienbetreuung sind mir einige Schülerinnen und Schüler gerade wieder entgegengerannt.

Online-Redaktion: Sie gehören zu den 162 Schulen, die im kommenden Schuljahr in das neue Ganztagsprogramm aufgenommen worden sind. Was ändert das für Sie?

Brischar: Bisher liefen wir als Ganztagsschule im Schulversuch. Das bedeutet, dass ich zu Beginn des Schuljahrs nie sicher wusste, was ich an Stunden zugewiesen bekomme und wie und ob die Entwicklung überhaupt generell weitergehen würde. Jetzt ist die Ganztagsschule im Schulgesetz verankert, sodass ganz klar feststeht, welche Mittel ich für wie viele Schülerinnen und Schüler erhalte. Und diese Mittel fußen auf einer gesetzlichen Grundlage.

Die zusätzlichen Lehrerwochenstunden sind uns auch eine Aufgabe: Wir müssen schauen, ob wir aufgrund der Lehrerstunden nun mehr Projektarbeit und Werkstattunterricht anbieten können, ob wir unseren Schulgarten häufiger aufsuchen, ob wir noch häufiger an außerschulischen Lernorten arbeiten. Ich selbst möchte den Schwerpunkt, wie gesagt, auf das verbesserte individuelle Lernen legen. Dies würde ich dann auch drei- bis viermal pro Schuljahr evaluieren lassen, um gegebenenfalls zu korrigieren. Das wird viel Arbeit machen, aber unsere Arbeit auch Stück für Stück optimieren.

Die Tullaschule in Karlsruhe ist eine aus einer Grund- und Hauptschule hervorgegangene mehrzügige Grundschule und offene Ganztagsschule. Seit dem Schuljahr 2012/13 wird an vier Tagen in der Woche ein Ganztagsbetrieb durchgeführt. Im Schuljahr 2014/2015 wird es je vier Ganztagsklassen und Halbtagsklassen geben. Der Ganztag erstreckt sich von 7.00 Uhr bis 17.30 Uhr. Die Schule legt Wert darauf, den Schultag und die Woche zu rhythmisieren. Die Tullaschule kooperiert u. a. mit der Städtischen Galerie, der Chorschule Lutherana, dem Jugendbegegnungszentrum Jubez und Kindergärten.

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