Zwischen den Schuljahren: Sekundarschule "Albert Schweitzer" Aschersleben : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

In unserer Sommeraktion 2007 schildern Schulleiterinnen und Schulleiter den Stand der Dinge in ihren Ganztagsschulen. Im zweiten Teil sprechen wir mit Katrin Jelitte von der Sekundarschule "Albert Schweitzer" im sachsen-anhaltinischen Aschersleben. Die Schulleiterin berichtet über "Produktives Lernen", eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Eltern und einen niedrigen Krankenstand.

Porträtfoto Katrin Jelitte
Katrin Jelitte

Online-Redaktion: Frau Jelitte, haben Sie wie so viele Schulen - gerade in den östlichen Bundesländern - mit abnehmenden Schülerzahlen zu kämpfen?

Katrin Jelitte: Ich habe die Hoffnung, dass wir die Talsohle durchschritten haben, da unsere Anmeldezahlen gestiegen sind. Derzeit lernen bei uns 309 Schülerinnen und Schüler, im kommenden Schuljahr werden es 320 sein. Dazu passt, dass wir eigentlich zweizügig sind, die fünften Klassen aber demnächst dreizügig sein werden.

Online-Redaktion: Wie lange arbeiten Sie als Ganztagsschule?

Jelitte: Unsere Schule gibt es seit 1992, und wir arbeiten jetzt im vierten Jahr als Ganztagsschule. Bereits vor acht Jahren begannen wir mit der programmatischen Arbeit.

Online-Redaktion: Was war der Anlass, sich schon vor acht Jahren mit dem Thema Ganztagsschule auseinanderzusetzen?

Jelitte: Wir waren unzufrieden mit unseren Möglichkeiten, den Schülerinnen und Schülern den Unterrichtsstoff zu vermitteln. Besonders bei schwächeren Kindern und Jugendlichen wollten wir Wege finden, diese besser zu unterstützen. Es herrschte auch Unzufriedenheit über die Zusammenarbeit der Schule mit den Eltern, die damals keine war. Wir suchten daher nach Mitteln und Wegen, eine wirkliche Schulgemeinschaft zu schaffen, damit uns die Arbeit wieder mehr Freude macht. Über diesen Ansatz sind wir zu verschiedenen Bildungsangeboten gekommen.

Online-Redaktion: Was sind das für Bildungsangebote?

Jelitte: Zum Beispiel gibt es an unserer Schule seit 2003 das Produktive Lernen. Dieses geht von individuellen Interessen aus, verbindet den Unterrichtsstoff mit Praxiserfahrungen und verbindet Allgemeinbildung mit einer individuellen Berufsorientierung. Gemeinsam mit den Jugendlichen erstellen Kolleginnen und Kollegen dazu individuelle Lernpläne. Die Interessen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler werden dabei einbezogen. Diese Möglichkeit gab das herkömmliche Bildungskonzept nicht her. Beim Produktiven Lernen entwickelt sich eine neue Beziehung zwischen den beteiligten Personen. Die äußere Hierarchie zwischen Lehrern und Schülern bleibt erhalten, aber durch die neuen Methoden entsteht eine verbesserte Atmosphäre.

Online-Redaktion: Was haben Sie darüber hinaus verändert?

Jelitte: Wir haben unsere Lehrmethoden geändert, sodass Lehrer, Schüler und Eltern genau wissen, was jeweils in welcher Klassenstufe wichtig ist. Darüber hinaus begannen wir mit der Wochenplan- und der Gruppenarbeit. Insgesamt beobachten wir, dass den Kindern der Unterricht viel mehr Spaß macht. Ich kann Schülerinnen und Schülern zwar viel erzählen, wenn ich sie aber selbst etwas tun lasse, merken sie sich die Lerninhalte besser. In diesem Prozess entstehen dann auch Fragen, die zu weiterer Wissensvermittlung führen.

Online-Redaktion: Haben Sie sich Anregungen von anderen Schulen, auch aus dem Ausland, geholt?

Jelitte: Wir haben mit vielen Schulen Kontakte geknüpft und arbeiten ganz eng mit der Ganztagsgrund- und Sekundarschule "Johannes Gutenberg" in Wolmirstedt zusammen. Das Zentrum für Schulforschung in Halle, das uns viele Anregungen gegeben und in punkto Evaluation auf Vordermann gebracht hat, betreut uns sehr gut. Unsere Lehrkräfte absolvieren viele Fortbildungen, und auch die Wirtschaft ist jetzt zunehmend daran interessiert, mit uns zusammenzuarbeiten.

Online-Redaktion: In welcher Weise haben sich Kinder und Jugendliche verändert, und was ist Ihnen in der Folge pädagogisch wichtig?

Jelitte: Kinder und Jugendliche haben sich meiner Ansicht nach insofern verändert, dass sie viel offener und lockerer durchs Leben gehen. Uns ist es wichtig, dass wir sie fit für das Leben machen. Wenn Sie unsere Schule verlassen, sollen sie mit Wissen und Fähigkeiten gewappnet sein, die ihnen weiterhelfen. Ich habe leider den Eindruck, dass viele Jugendliche bezüglich ihrer Berufsauswahl phlegmatisch sind und glauben, es werde ihnen alles vor die Füße gelegt. Hier setzen wir an: Wir trainieren zum Beispiel mit den Schülerinnen und Schülern Vorstellungsgespräche.

Online-Redaktion: Gibt es in Ihrer Umgebung genügend Ausbildungsbetriebe?

Jelitte: Ja, aber um diese mussten wir lange kämpfen. Anfangs deprimierte uns, dass hauptsächlich an Gymnasien investiert und mit diesen die Zusammenarbeit seitens der Industrie und des Handwerks forciert wurde. Aber langsam realisierten die Handwerksbetriebe in unserer Umgebung dann, dass ihnen der Fachkräftenachwuchs ausgeht.

Online-Redaktion: Sie sagten, dass sich die Zufriedenheit der Kinder und Jugendlichen erhöht hat. Gilt dies auch für Sie und Ihrer Lehrerkollegium?

Jelitte: So kurz vor den Ferien sind meine Kolleginnen und Kollegen am Limit. Das Erstaunliche aber ist: Bei dem Engagement, das sie an den Tag legen, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass ständig jemand krank ist. Stattdessen haben wir einen Krankenstand, der gegen Null tendiert. Ich bin wirklich stolz auf meine Kollegen, dass sie jeden Tag klaglos bis 16 Uhr bleiben, während an anderen Schulen der Arbeitstag schon früher endet.

Online-Redaktion: Wie lange dauern denn Ihre Schultage?

Jelitte: Von montags bis donnerstags finden Unterricht und Betreuung bis 16 Uhr statt. In dieser Zeit ist es immer notwendig, dass Lehrerinnen und Lehrer anwesend sind. Für manche ist das tatsächlich ein langer Tag, zumal wenn dann noch Beratungen folgen, die immer erst nach 16 Uhr stattfinden.

Online-Redaktion: Gibt es in Ihrer Schule Arbeitsplätze für die einzelnen Lehrerinnen und Lehrer, oder müssen sich alle mit einem viertel Tischplatte begnügen?

Jelitte: Wir haben ein normales Lehrerzimmer und daneben Computerarbeitsplätze, die in den Sommerferien noch erweitert werden, sodass den Kolleginnen und Kollegen auch Rückzugsmöglichkeiten offen stehen. Im so genannten Vorbereitungsraum sind ebenfalls Internet-Zugänge geschaffen worden. Jeder, der Ruhe benötigt, kann sich in diesen Raum begeben. Ich halte nichts von einzelnen Arbeitszimmern, weil darunter die Kommunikation im Kollegium leidet. Und an meinen Kolleginnen und Kollegen schätze ich ja gerade deren Kommunikationsfreude, was einschließt, in der Pause auch mal über etwas Anderes als Schule zu reden.

Online-Redaktion: Welche neuen Arbeitsstrukturen haben sich innerhalb des Kollegiums ergeben?

Jelitte: Der Unterricht hinter der verschlossenen Tür ist Vergangenheit. Die Kolleginnen und Kollegen entwickeln eine ungeheure Eigendynamik und fordern sich gegenseitig auf, in ihrem Unterricht zu hospitieren, zu helfen und gemeinsam Lösungen zu finden. Wir haben zusammen an Unterrichtsinhalten gearbeitet, auf die jeder zurückgreifen kann.

Online-Redaktion: Welche zusätzlichen Fördermaßnahmen haben Sie für die Schülerinnen und Schüler geschaffen?

Jelitte: In den großen Pausen und in den Arbeits- und Übungsstunden laufen Förderungen im naturwissenschaftlichen Bereich und in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Darüber hinaus werden Schülerinnen und Schüler mit einer Leserechtschreibschwäche individuell gefördert. Wir sind dabei, einen Trainingsraum für Kinder mit Verhaltsauffälligkeiten aufzubauen. Bereits seit drei Jahren unterrichten wir körperlich behinderte Kinder und ab dem kommenden Schuljahr werden zwei geistig behinderte Kinder in die Klasse 5 aufgenommen.

Online-Redaktion: Welche Partizipationsmöglichkeiten bestehen für Schülerinnen und Schüler?

Jelitte: Die Klassensprecher haben ihren Sitz im Schülerrat und nehmen neben den Eltern an der Steuergruppe teil. Es ist uns wichtig, dass alle Gruppen gleichberechtigt die Entwicklung der Schule mitbestimmen können.

Online-Redaktion: Mit der Umstellung auf die Ganztagsschule wollten Sie auch eine verbesserte Kommunikation zum Elternhaus erreichen. Hat das funktioniert?

Jelitte: Ja, unsere Eltern sind - jeder nach seinen Möglichkeiten - engagiert: Sie fragen nach, bringen sich ein, arbeiten in Arbeitsgruppen mit, nehmen auch an Veranstaltungen am Wochenende teil, haben gute Ideen und helfen auch bei deren Umsetzung. Es gibt immer Eltern, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht wollen. Aber der Anteil von Eltern, die mitarbeiten und durch die auch ein guter Umgangston an unserer Schule entstanden ist, ist unwahrscheinlich hoch.

Online-Redaktion: Welche außerschulischen Partner arbeiten an Ihrer Schule mit? Gehen Sie selbst an außerschulische Lernorte?

Jelitte: Die Klassen 8 und 9 besuchen ein Bildungswerk, in dem fächerübergreifende Lernaufträge in handwerklichen und gastronomischen Berufen erteilt werden. Dazu kooperieren wir mit der Krankenpflegeschule Aschersleben, die an unserer Schule Arbeitsgemeinschaften gestaltet. Derzeit bereiten wir gemeinsam die Aktion "Gesunder Lernort" vor. Außerdem gibt es eine Zusammenarbeit mit der Prävention der Kriminalpolizei und mit Fahrschulen. Enge Kontakte bestehen auch zu kulturellen Einrichtungen.

Online-Redaktion: Wann finden diese Angebote statt?

Jelitte: Zurzeit finden sie noch vorrangig nachmittags statt. Wir sind mit der offenen Ganztagsschule gestartet, planen aber für das Schuljahr 2008/2009 den Einstieg in die teilweise gebundene Form.

Online-Redaktion: Wie haben Sie das Mittagessen organisiert?

Jelitte: In der zweiten großen Pause von 12.00 bis 12.45 Uhr bekommen die Kinder in der Mensa ein warmes Essen, das ein Caterer anliefert, was gut angenommen wird. Die Essen vom Caterer kosten 1,80 Euro. Dieses Geld wird von den Eltern vorgestreckt. Andere Möglichkeiten, sich zu versorgen, bestehen im Schülercafé, das von den Schülerinnen und Schülern betrieben wird, oder am Schulkiosk.

Online-Redaktion: Welche Pläne haben Sie für das kommende Schuljahr?

Jelitte: Neben dem Übergang in die gebundene Ganztagsform würden wir gerne noch Lernwerkstätten einrichten. Wir merken auch zunehmend, dass unsere Schülerinnen und Schüler wert darauf legen, ihre Lernergebnisse in einem angemessenen Rahmen zu präsentieren. Dazu bräuchten wir eine Aula. Vielleicht lässt sich ja unsere sanierte Sporthalle so einrichten, dass dort auch Veranstaltungen wie Theatervorführungen stattfinden können. Außerdem wollen wir weiterhin im Zweijahresrhythmus unsere Schüler-, Lehrer- und Elternbefragungen durchführen, um daraus Verbesserungsvorschläge abzuleiten.

Sekundarschule "Albert Schweitzer" Aschersleben
309 Schülerinnen und Schüler
35 Lehrerinnen und Lehrer

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