Regionale Schule Sprendlingen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Ehrhardt Modjesch, Schulleiter der Regionalen Schule Sprendlingen, über eine Partizipationswoche, Schüler als Aufsichtspersonen und einen Schulweinberg.

Porträtfoto Ehrhard Modjesch
Ehrhard Modjesch

Online-Redaktion: Herr Modjesch, zum Abschluss dieses Schuljahres hat an Ihrer Schule eine Partizipationswoche stattgefunden. Wie ist es dazu gekommen?

Ehrhard Modjesch: Wir haben vom Angebot der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Rheinland-Pfalz erfahren und uns mit Jürgen Tramm, dem Leiter der Serviceagentur, in Verbindung gesetzt. Dieser hat uns auf einer Gesamtkonferenz unserer Schule das Konzept vorgestellt. Die Konferenz war der Meinung, dass so eine Partizipationswoche etwas für unsere Schule sei, Im Anschluss daran fanden etwa fünf vorbereitende Sitzungen statt.

Online-Redaktion: Was hat man sich unter einer Partizipationswoche vorzustellen?

Modjesch: Die Jugendlichen des SV Bildungswerks führten eine Mobile Zukunftswerkstatt durch, in der rund 120 Schülerinnen und Schüler am ersten Tag alles an unserer Schule kritisieren konnten, was sie für kritikwürdig hielten. Am zweiten Tag sind Visionen entwickelt worden: Wie sollte unsere Schule im Idealfall aussehen? Alle Beteiligten versuchten dann am dritten Tag, diese Visionen in konkrete Forderungen und Pläne umzusetzen. Die auf Plakaten festgehaltenen Ergebnisse wurden schließlich am Donnerstag in einer großen Präsentation in der Turnhalle vorgestellt, zu der auch die Öffentlichkeit eingeladen war.

Online-Redaktion: Welche Kritiken und Vorschläge gab es?

Modjesch: Pädagogische Veränderungswünsche gab es bis auf vereinzelte Wünsche nach anderen Arbeitsgemeinschaften relativ wenige. An der Partizipationswoche waren aber auch zwei Architektinnen beteiligt, die parallel zu der Mobilen Zukunftswerkstatt einen Workshop zu "Neuen Räumen" leiteten. Hier haben etwa 40 Schülerinnen und Schüler Modelle von Aufenthaltsräumen, von der Mensa und der Einrichtung unserer Anti-Drogen-Ecke entworfen. Diese Vorschläge, die die Serviceagentur in einem Ergebnisprotokoll festgehalten hat, werden wir mit Sicherheit umsetzen.

Online-Redaktion: Welche partizipativen Elemente sind an Ihrer Schule unabhängig von einer solchen Aktionswoche verankert?

Modjesch: Wir befragen regelmäßig unsere Schüler, welche AG-Angebote sie sich wünschen. Wir versuchen diese Wünsche - wenn es personell machbar ist - umzusetzen. Auch die Eltern haben an unserer Schule ein inhaltliches Mitspracherecht. So arbeiteten zum Beispiel der Schulelternbeirat und die Elternversammlungen der Ganztagsklassen an unserem neuen Ganztagskonzept für das 7. Schuljahr mit: Auf deren Wunsch bieten wir in dieser Jahrgangsstufe im kommenden Schuljahr mehr Unterricht an. Dafür entfällt die Hausaufgabenhilfe.

Online-Redaktion: An Ihrer Schule hat es demnach wie an so vielen Ganztagsschulen Diskussionen um das Thema Hausaufgaben gegeben?

Modjesch: So ist es. Auf der anderen Seite gab es in der Orientierungsstufe bereits ein Konzept, das sich nach unserer Meinung und nach Meinung der Eltern sehr bewährt hat: In den Kernfächern, im Wochenplan und im Sport bieten wir dort mehr Unterricht an, dafür entfielen weitgehend die schriftlichen Hausaufgaben. In Klasse 7 allerdings ist das bei der Vielzahl der Fächer nicht mehr durch vier zusätzliche Unterrichtsstunden aufzufangen, deshalb haben wir dort eine zusätzliche verpflichtende Lernzeit eingeführt. Den Ganztagsschülern stehen damit sechs Unterrichtsstunden mehr zur Verfügung als den Halbtagsschülern. Diese Zeit soll hauptsächlich zur Integration von Übungsaufgaben in den regulären Unterricht genutzt werden.

Online-Redaktion: Wie finanzieren Sie diese zusätzlichen Lehrerarbeitsstunden?

Modjesch: Wir haben ungefähr die Hälfte der uns zur Verfügung stehenden Budgetstunden für Lehrer eingesetzt.

Online-Redaktion: Welche pädagogischen Methoden wenden Sie in den Förderstunden an?

Modjesch: Wir legen viel Wert auf Stationen lernen, wobei man hier individuell fördern und unterschiedliche Anforderungen an die einzelnen Schülerinnen und Schüler stellen kann. Ein weiteres wichtiges Element ist das selbstständige soziale Lernen in der Gruppe. Wir setzen hier und in den Arbeitsgemeinschaften also nicht einfach den Unterricht fort, denn das würde die Kinder überfordern.

Online-Redaktion: Sie arbeiten in den Jahrgangsstufen 5 und 6 und demnächst auch in der 7. Klasse mit Ganztagsklassen. Welche Unterschiede konnten Sie in der Atmosphäre, der Leistung und im Sozialen gegenüber den Halbtagsklassen beobachten?

Modjesch: Wir haben erst drei Jahre Erfahrung mit diesem System der Ganztagsklassen, können aber mit gebotener Vorsicht feststellen, dass die Ganztagsklassen in der Orientierungsstufe vom Schulischen her etwas weiter sind als die Halbtagsklassen. Das empfinden auch die Eltern so.

Ein Vorteil ist sicherlich, dass es die Konflikte, die im offenen Angebot besonders in der Sekundarstufe I entstehen, wenn ein Teil der Schülerinnen und Schüler bis 15.30 Uhr in der Schule bleiben muss, während andere schon nach Hause gehen können, in diesem gebundenen System nicht gibt.

Online-Redaktion: Was hat den Ausschlag gegeben, über die offene Ganztagsschule hinaus zur gebundenen Form überzugehen?

Modjesch: Die gesellschaftlichen Veränderungen sind auch an Sprendlingen nicht vorübergegangen. Unsere Gemeinde ist so etwas wie ein sozialer Brennpunkt. Wir waren deshalb der Ansicht, dass es für den Großteil unserer Schüler von Vorteil wäre, wenn sie mehr Zeit in der Schule verbrächten und wenn vor allem die Schule mehr Zeit für sie hätte. Nach kontroversen Diskussionen innerhalb des Kollegiums und mit dem Schulträger waren wir nicht einstimmig, aber mehrheitlich der Meinung, dass die Ganztagsschule dazu eine gute Möglichkeit bietet - besonders um Sozialkompetenzen zu schulen und zu fördern. Gemeinsam mit der Schülervertretung und dem Elternbeirat ist dann der Antrag gestellt worden, Ganztagsschule zu werden.

Was die Ganztagsklassen betrifft, war von Beginn an vorgesehen, die Orientierungsstufe in gebundener und die Klassen 7 bis 9 in offener Form zu führen. Inzwischen wünschen sich die Eltern die Ganztagsklassen auch für die Sekundarstufe I, weshalb wir ja nun auch die 7. Jahrgangsstufe einbeziehen.

Online-Redaktion: Wie ist es im Lehrerkollegium um die Akzeptanz der Ganztagsschule bestellt  - Stichwort "kontroverse Diskussion"?

Modjesch: Nach der Entscheidung für die Ganztagsschule ziehen alle an einem Strang. Durch den vermehrten Unterricht sind jetzt zwei Drittel des Kollegiums bis 14 Uhr in die Ganztagsschule integriert - danach ist sowieso für den Großteil Schluss, da ja fast alle Arbeitsgemeinschaften durch außerschulische Partner angeboten werden.

Es gibt auch keine Diskussionen um Vertretungsunterricht am Nachmittag. Zu Beginn des Schuljahres trägt sich jeder in eine Liste für drei Tage ein, an denen er Vertretung leisten kann, und springt ein, wenn nötig.

Online-Redaktion: Ein Unterrichtstag von 7.30 bis 15.30 Uhr ist für die Kinder ein langer Tag. Haben Sie deshalb die Unterrichtszeit rhythmisiert?

Modjesch: Nach der 5. Stunde gibt es das Mittagessen, gefolgt von 20 Minuten Freizeit. Im Anschluss daran finden zwei weitere Unterrichtsstunden und abschließend die Arbeitsgemeinschaften statt.

Online-Redaktion: Wie organisieren Sie das Mittagessen?

Modjesch: Die Orientierungsstufe und die Sekundarstufe I essen in zwei Schichten. Insgesamt nehmen rund 80 Prozent der Schülerschaft am Essen teil, das von einem Caterer angeliefert wird. Die Schüler können dabei zwischen zwei Essen wählen. Eine Mahlzeit kostet 3,20 Euro, allerdings mit einer sozialen Staffelung, die runter bis auf einen Euro für Arbeitslosengeld II-Empfänger geht. Die Schule hat mit der Bezahlung zunächst nichts zu tun. Die Eltern schließen mit dem Caterer einen Vertrag und zahlen direkt an ihn. Wenn allerdings - was häufig vorkommt - eine Abbuchung nicht vorgenommen werden kann, weil ein Konto leer ist, wendet sich der Caterer an uns. Wir versuchen dann, gemeinsam mit den Eltern eine Lösung zu finden.

Online-Redaktion: Wer bietet Arbeitsgemeinschaften an?

Modjesch: Die laufen zu 95 Prozent über außerschulische Partner wie Vereine und die Volkshochschule. Viele dieser Kooperationen sind durch persönliche Kontakte von Kolleginnen und Kollegen entstanden. In einem Fall haben wir auch eine Anzeige geschaltet.

Eine besondere AG ist unsere Weinberg-AG. Wir besitzen zwei Schulweinberge von insgesamt 2.500 Quadratmetern in einem zwei Kilometer entfernten Nachbarort. Diese werden von den Schülerinnen und Schülern ganz allein bearbeitet. Eine weitere bemerkenswerte Arbeitsgemeinschaft ist unser Schulwald. Auf circa 10.000 Quadratmetern haben die Schüler mit rund 5.000 Laubbäumen ein grünes Klassenzimmer gestaltet, das sie jetzt im Rahmen der AG pflegen.

Online-Redaktion: Nutzen Sie die Arbeitsgemeinschaften auch zur Berufsvorbereitung?

Modjesch: Eine Schulsozialarbeiterin und ein Sozialarbeiter der Verbandsgemeinde bieten insgesamt drei AGs zu diesem Themenbereich. Eine davon ist für die Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse verpflichtend.

Online-Redaktion: Was geschieht, wenn eine AG überhaupt nicht läuft?

Modjesch: Zunächst mal muss ich sagen, dass die außerschulischen Partner den Lehrern in der Zuverlässigkeit überhaupt nicht nachstehen, im Gegenteil: Wenn ich Fehlzeiten vergleiche, schneiden die außerschulischen Partner sogar besser ab. In den Honorarverträgen ist festgeschrieben, dass die Kooperationspartner sich im Krankheitsfall um eine Vertretung bemühen müssen. Das funktioniert fast zu 100 Prozent.

Bei den Sport-AGs stellen wir manchmal fest, dass die Erwartungen der außerschulischen Trainer zu hoch sind. Von der Vereinsarbeit sind solche Übungsleiter gewöhnt, es nur mit motivierten Kindern zu tun zu haben. Die Schülerinnen und Schüler wählen manche AG aber auch als Weg des geringesten Widerstandes - und wenn die Trainer dann Leistung fordern, kann es ab und zu etwas schwierig werden.

Online-Redaktion: Führen solche Schwierigkeiten dann auch zu einer sinkenden Beteiligung an den Arbeitsgemeinschaften  - besonders in der von Ihnen vorhin erwähnten Sekundarstufe I?

Modjesch: Nein, dieses Problem haben wir nicht - es beschränkt sich auf die erwähnte mangelnde Motivation. Um das in den Griff zu bekommen, haben wir bei manchen Sport-AGs versucht, diese inhaltlich weiter zu fassen. Aus einer Tennis-AG wurde zum Beispiel eine AG Rückschlagspiele, in die nun neben Tennis auch Tischtennis und Badminton integriert sind. Das macht das Ganze abwechslungsreicher und hat schon geholfen, die Zufriedenheit zu erhöhen.

Online-Redaktion: Für welchen Zeitraum wählen die Schülerinnen und Schüler ihre AGs?

Modjesch: Für ein halbes Jahr. Wenn ihnen eine AG gefallen hat, können Sie diese nach dem halben Jahr auch erneut anwählen. Am Anfang des Schuljahrs bieten wir bei neuen Arbeitsgemeinschaften Schnupperphasen an, in denen die Kinder und Jugendlichen das neue Angebot ausprobieren können.

Online-Redaktion: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Einsatz von Schülerinnen und Schülern als Aufsicht in den Arbeitsgemeinschaften, beim Mittagessen und in der Freizeitphase gemacht?

Modjesch: In der Sekundarstufe I setzen wir Schülerinnen und Schüler aus der 10. Klasse ein. Bisher qualifizierten sie sich für diese Aufgabe durch Gespräche mit der Schulleitung. Jetzt konnten wir die Partizipationswoche nutzen, um rund 15 Jugendliche im Rahmen des Programms "Schüler arbeiten mit Schülern" (SAMS) auszubilden, die im kommenden Schuljahr zum Einsatz kommen. Ich verspreche mir von der Ausbildung eine Verbesserung der Qualifikation dieser Schüler.

Hinsichtlich der Akzeptanz der Schülerinnen und Schüler untereinander hat es bisher noch keine Schwierigkeiten gegeben. Wir konnten die Schüler deshalb auch einmal täglich in der AG "Kreatives Spiel" einsetzen, in der sie Aufsicht über das Internetcafé und den Spieleraum führen. Auch das hat sich bewährt. Man muss aber immer sicherstellen, dass für Konfliktsituationen eine Lehrperson in greifbarer Nähe ist.

Regionale Schule Sprendlingen
 400 Schülerinnen und Schüler
 30 Lehrerinnen und Lehrer

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