Kooperative Gesamtschule Wiesmoor : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Zwischen den Schuljahren“ bilanzieren Schulleitungen das Schuljahr. Heute im: Wilhelm Hinrichs, Didaktischer Leiter der Kooperativen Gesamtschule Wiesmoor (Niedersachsen).

Online-Redaktion: Herr Hinrichs, Ihre Schule widerlegt das Vorurteil, dass Schulen auf dem Land zögerlich mit der Einführung eines Ganztagsbetriebs sind…

Wilhelm Hinrichs: Bereits 2001 hat unsere 1992 gegründete Schule eine Selbsteinschätzung des pädagogischen und didaktischen Ist-Zustandes, unserer Stärken und Schwächen vorgenommen. Als 2003 das Thema Ganztagsschule dann virulent wurde, erstellten wir ein pädagogisches und organisatorisches Konzept zur Errichtung eines Ganztagbetriebes und versammelten die Gemeinde und die politischen Vertreter hinter unserer Idee. Die Gemeinde Wiesmoor stellte dann einen Antrag an das Niedersächsische Kultusministerium auf Umwandlung der KGS Wiesmoor in ein Ganztagszentrum. Zum 1. August 2004 wurde dieser Antrag genehmigt, zugleich liefen Baumaßnahmen für den Ganztagsbetrieb an, die aus dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ gefördert wurden.

Online-Redaktion: Was versprachen Sie sich von der Einführung der Ganztagsschule?

Hinrichs: Wir möchten den Schülerinnen und Schülern ein breites Bildungsangebot machen, eine schulische Alternative zu den audiovisuellen Medien daheim bieten – gerade auch für solche Jugendlichen, die ansonsten keinen Musikunterricht erhalten, keinem Fußballverein beitreten, kein Golf spielen oder keine Kunstschule besuchen können.

Wir fanden und finden es darüber hinaus richtig, alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten. In einer Kooperativen Gesamtschule gibt es zwar einen Hauptschul-, einen Realschul- und einen Gymnasialzweig. Inzwischen haben wir, da auch der Elternwille bei der Übergangsentscheidung nicht mehr verbindlich ist, im abgelaufenen Schuljahr erstmals alle Jugendlichen der Jahrgangsstufen 5 und 6 in der so genannten Basisstufe zusammengefasst. Weitere Vernetzungen der Schularten sind in bestimmten Fächern und eben in den Ganztagsangeboten gegeben. Bei dieser von uns betriebenen Schulentwicklung zu mehr gemeinsamem Unterricht ist der Ganztag ein wesentliches Element.

Online-Redaktion: Wobei Sie da als offene Ganztagsschule nicht alle Schülerinnen und Schüler erreichen…

Hinrichs: Das ist richtig. Wir machen den Jugendlichen ein Angebot, das sie annehmen können oder auch nicht. Diejenigen, die sich zu Halbjahresbeginn für eine AG anmelden, verpflichten sich für ein halbes Jahr Teilnahme. Zu Beginn der Ganztagsschule waren wir mit der Resonanz zufrieden: Da nahmen von unseren insgesamt rund 1.400 Schülerinnen und Schüler etwa 600 teil. In den letzten Jahren ist es schwieriger geworden, auch durch die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren. Im Oberstufenbereich haben die Jugendlichen kaum noch zusätzliche Zeit und dann auch keine große Lust mehr, an zusätzlichen, freiwilligen Angeboten teilzunehmen. Daher ist die Zahl der Ganztagsschülerinnen und schüler auf etwa 400 zurückgegangen. Dieser Zustand ist unbefriedigend, besonders wenn zwischendrin immer wieder Schülerinnen und Schüler abspringen, weil sie die Lust verlieren.

Online-Redaktion: Welche Möglichkeiten gibt es, die Teilnahme wieder anzukurbeln?

Hinrichs: Wir gehen immer mehr dazu über, dass Angebote auch mit einem Zertifikat abgeschlossen werden. Zum Beispiel gibt einer unser Kooperationspartner, eine Bank, ein Zertifikat heraus, aus dem ersichtlich wird, dass die Schülerinnen und Schüler an einer Fortbildung mit bestimmten Modulen erfolgreich teilgenommen haben. Dieses Schriftstück können die Jugendlichen ihrem Sek I-Abschluss oder ihrem Abitur beilegen, was die Türen zu einem Bewerbungsgespräch ein wenig mehr öffnet, weil hier das Interesse und das Engagement der Schülerinnen und Schüler sichtbar werden. Dass die potentiellen Ausbildungsbetriebe oder Arbeitgeber darauf aufmerksam werden, merke ich bereits, denn es mehren sich die Rückfragen bezüglich unserer Zertifikate, was es damit auf sich habe.

Online-Redaktion: In ländlichen Regionen ist es schwieriger, Kooperationspartner für die Arbeitsgemeinschaften zu gewinnen als in Städten. Wie ist es Ihnen gelungen, so viele außerschulische Mitstreiter zu finden?

Hinrichs: Förderangebote im so genannten Hochbegabtenverbund, Förderangebote für alle Schülerinnen und Schüler sowie die Hausaufgabenhilfe liegen in der Hand der Lehrerinnen und Lehrer – das können außerschulische Kräfte nicht leisten. Aber ich pflege zu sagen: Die Schule ist kein Elfenbeinturm. Deshalb haben wir die Ganztagsschule schon von Beginn an für Angebote von außerhalb geöffnet, um Kompetenzen und Anregungen hineinzuholen. Wir haben viel Pressearbeit betrieben, Informationsbroschüren herausgebracht und auch alle Eltern angesprochen, ob sie nicht interessante Hobbys oder Fähigkeiten hätten, die sie in die Schule einbringen könnten. Dadurch kommen solch breitgefächerte Angebote wie Plattdeutsch, Zirkus, Zumba, Dart, Schiffsmodelle bauen, Tanzen oder Kreatives Kochen zustande.

Daneben haben wir auch die Banken gefragt, ob Interesse bestehe, mit Abschlussschülern zusammenzukommen. Die Banken sind auf der Suche nach geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern für eine Banklehre und führen die Jugendlichen in AGs in die Welt der Bank ein. Die Kirche wiederum stellte uns eine Theaterpädagogin zur Verfügung, die supertolle Arbeit geleistet hat. Unsere Theater- und Musical-Aufführungen sind sowieso immer sehr nachgefragt und beachtlich und wären ohne den Ganztagsbereich in der Güte sicherlich nicht möglich.

So kommt jedes Jahr eins zum anderen. Aber es wäre gelogen zu sagen, dass das immer einfach ist. Nein, man muss ständig am Ball bleiben, um im folgenden Schuljahr wieder ein gutes Angebot machen zu können.

Online-Redaktion: Wie organisieren sie den Kontakt zwischen den Lehrkräften am Vormittag und den außerschulischen Partnern am Nachmittag?

Hinrichs: Zum Jahresanfang laden wir für die Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern alle außerschulischen Partner – ich spreche immer von unserem „zweiten Kollegium“ – zu einer Informationsveranstaltung ein. Der Schulleiter ist dabei, ich bin da. Die Koch-AG sorgt für das Catering. Dabei tauschen wir uns aus, was gut läuft und wo es Probleme gibt.

Im Alltag erhalten die außerschulischen Partner ein Klassenbuch, in das sie die Anwesenheit eintragen und in dem sie vermerken, was sie inhaltlich in der Stunde gemacht haben. Gibt es außerordentliche Vorfälle, zum Beispiel Disziplinschwierigkeiten, kann ich das den Büchern entnehmen und das Gespräch mit den Jugendlichen und ihren Klassenlehrern suchen.

Online-Redaktion: Nehmen die außerschulischen Kräfte auch an Konferenzen teil? Sind sie institutionell, zum Beispiel in Schulgremien, eingebunden?

Hinrichs: Nein, das nicht. Der Kontakt läuft immer über meine Person, das ist eine meiner Aufgaben als Didaktischer Leiter. Ich fungiere hier sozusagen als Gelenkstelle zwischen Schule und der Außenwelt. Nach so vielen Jahren habe ich ein gutes Netzwerk und viele Kontakte aufbauen können. Und zweimal im Jahr berichte ich in der Gesamtkonferenz über die Entwicklungen im Ganztagsbereich und bitte die Kolleginnen und Kollegen, Werbung für unsere Angebote zu machen.

Online-Redaktion: Wie haben sich die Rahmenbedingungen für die Beschäftigung des außerschulischen Personals in den vergangenen Jahren entwickelt?

Hinrichs: Die Landesregierung möchte gerne, dass mehr Lehrerstunden in den Ganztag einfließen und finanziert hier zusätzlich, was grundsätzlich positiv ist. Alles in allem haben sich meiner Ansicht nach die Bedingungen für niedersächsische Ganztagsschulen dadurch verbessert. Umgekehrt bedeutet das für offene Ganztagsschulen wie die unsere allerdings eine Verschlechterung in der Vergütung außerschulischer Honorarkräfte. Die Verträge, die ich meinen außerschulischen Kräften zuletzt anbieten konnte, waren so niedrig dotiert, dass mir viele Leute abgesprungen sind, weil sie meinten, dass es sich finanziell ja nun wirklich nicht mehr lohne. Das war früher anders. Da besaß ich einen Ermessensspielraum, was ich den einzelnen Partnern zahlen konnte und wollte, und ich hatte auch noch mehr zu verteilen.

Online-Redaktion: Was war außergewöhnlich, wenn Sie an das letzte Schuljahr denken?

Hinrichs: Es gab ungewöhnliche Angebote im Ganztag. Ich habe einen Kfz-Mechaniker gefunden und von FIAT in Frankfurt am Main einen Motor gesponsort bekommen, den wir hier nach Wiesmoor überführt haben. Diesen Motor können Schülerinnen und Schüler, bei denen das Interesse an Spanisch oder Latein weniger ausgeprägt ist, auseinander- und wieder zusammenbauen.

Das Europa-Haus in Aurich ist mit einem Angebot an uns herangetreten: Sie haben mit unseren Schülerinnen und Schülern im Medienprojekt „Land-Checker", das besonders Jugendliche in ländlichen Räumen anspricht, einen Audioguide hergestellt. Den kann man sich im Internet herunterladen und damit eine Tour durch die Stadt Wiesmoor machen.

Online-Redaktion: Man hört heraus, dass Sie die offene Ganztagsschule nicht als Ende der Schulentwicklung betrachten. Gibt es Überlegungen, Ihre Schule zur gebundenen Ganztagsschule weiterzuentwickeln?

Hinrichs: Ich würde es mir wünschen, aber wir müssen auch bedenken, dass wir selbst hier auf dem Land in Konkurrenz zu anderen Schulen in Leer, Westerstede oder Aurich stehen. Wir wissen nicht, ob eine verpflichtende Ganztagsschule auf Eltern abschreckend wirkt, weil sie ihre Kinder am Nachmittag doch lieber zu Hause betreuen wollen, und unsere Anmeldezahlen dann zurückgehen. Das haben wir noch nicht zu Ende diskutiert, aber es wird diskutiert.

Online-Redaktion: Und was erwarten Sie vom kommenden Schuljahr 2014/15?

Hinrichs: Ich sitze derzeit am Ganztagsprogramm mit ungefähr 30 Angeboten. Ein Höhepunkt sind dabei unsere fünf Hochbegabtenförderungs-AGs in den Naturwissenschaften, die von Lehrerinnen und Lehrern durchgeführt werden. Da nehmen die Schülerinnen und Schüler unter anderem an Wettbewerben teil. Und ein Hingucker wird sicherlich auch unsere neue Golf-AG werden, bei der wir mit dem hiesigen Golfclub zusammenarbeiten, der an uns herangetreten ist. Die Finanzierung wird über den Deutschen Golfverband laufen.

Die Kooperative Gesamtschule Wiesmoor wurde im Schuljahr 2004/2005 offene Ganztagsschule. Seit dem Schuljahr 2007/2008 wird in jedem Schulhalbjahr eine Broschüre mit allen Ganztagsangeboten, für die sich die Schülerinnen und Schüler der KGS Wiesmoor anmelden können, veröffentlicht. Berufsvorbereitende Maßnahmen, Angebote zur Erweiterung des Erfahrungsraums für Schülerinnen und Schüler, zur Förderung der individuellen Lernentwicklung, zur Verbesserung der Gesundheit und sportliche Angebote prägen das Ganztagsprogramm.

Weitere Teile unserer Sommerreihe finden Sie hier.

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