„Wie hältst du's mit dem Ganztag?“ Alexander-Hegius-Gymnasium : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Über den Weg zur Ganztagsschule durch Engagement und Partizipation berichtet Schulleiter Michael Hilbk vom Alexander-Hegius-Gymnasium Ahaus (NRW) im Interview.

Online-Redaktion: Herr Hilbk, nach den Sommerferien startet Ihr Gymnasium im 5. Jahrgang als gebundene Ganztagsschule. Was hat Sie seinerzeit bewogen, im Ganztag zu arbeiten?

Porträtfoto Schulleiter Martin Hilbk
Schulleiter Michael Hilbk © Alexander-Hegius-Gymnasium

Michael Hilbk: Die Frage, die wir hier in Ahaus beantworten wollten, lautete: Wie schaffe ich eine Rhythmisierung für die Kinder, die Kolleginnen und Kollegen und die Eltern, mit der wir das Lernen im G8 zu bestmöglichen Bedingungen erreichen und die individuelle Förderung optimieren? Diese Frage ergab sich aus den Erfahrungen mit dem alten System. Und die Antwort unserer Schule vor zwei Jahren war die Ganztagsschule.

Online-Redaktion: Wie haben Sie diese Idee dann konkret umgesetzt?

Hilbk: Ich habe mich mit der Idee an unseren Schulträger gewendet und dann alle Gremien wie die Lehrerkonferenz, die Schulpflegschaft und die Schulkonferenz einbezogen. In allen Gremien haben wir jeweils einstimmig beschlossen, diesen Weg zu gehen. Der Schwerpunkt lag für uns darauf, individuelle Lernwege besser zu ermöglichen, Angebote, die fördern und auch fordern, anzubieten, um besser auf die Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler einzugehen.

Mit all dem soll unser gymnasiales G8-Profil gestärkt und dem Einzelnen in der Gemeinschaft mit Wertschätzung begegnet werden. Achtsamkeit und Wertschätzung und nicht dieses Hasten durch den Tag, wie in der Zeit, in der wir nicht de jure, aber doch de facto schon eine Ganztagsschule gewesen sind, die bis in den Nachmittag hinein Unterricht hatte. Mit der Ganztagsschule möchte ich Ruhe für die Schülerinnen und Schüler, aber genauso für das Kollegium in das System bekommen. Wir wollen mit Zeit ganz anders umgehen können.

Online-Redaktion: Sie haben gemerkt, dass zu viel Stress in der Schule herrschte?

Hilbk: Ich bin seit sechs Jahren an der Schule und habe sehr schnell spitzgekriegt, dass, egal wo ich war, ob im Lehrerzimmer, in der Schulpflegschaft oder in der Schülervertretung, niemand mit dem alten System zufrieden gewesen ist. Und wenn ich um 16.30 Uhr das Gebäude verließ und die abgekämpften Gesichter der Schülerinnen und Schüler gesehen habe, da musste ich mir als Schulleiter auch Sorgen machen. Da habe ich eine Fürsorgepflicht den Familien, den Schülerinnen und Schülern und dem Kollegium gegenüber. Daraufhin habe ich mir vorgenommen, einen Impuls mit der Ganztagsschule zu geben.

Online-Redaktion: Wie verläuft der Schritt von dem Punkt, wo man merkt, Ganztag wäre gut, zur Umsetzung der Idee?

Hilbk: Über Partizipation. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und die Qualitätsanalyse der Bezirksregierung hat uns an dieser Stelle auch attestiert, dass wir Schulentwicklung mit den Schülern, den Eltern, den Lehrkräften und der erweiterten Schulleitung zusammen betreiben. Wir arbeiten alle gemeinsam an der konzeptionellen Weiterentwicklung. Und so ist es in diesem Fall gelungen, in unserer ländlichen Region, nahe der niederländischen Grenze, eine hohe Akzeptanz für die Ganztagsschule in der ländlichen Region zu erreichen. Als ich vor sechs Jahren kam, sah das noch anders aus. Da fragte mich der Schulträger: Wie hältst du’s mit dem Ganztag? Um gleich nachzuschieben, dass die Stimmung vor Ort nicht pro Ganztagsschule wäre.

Online-Redaktion: Und wie konnten Sie diese Stimmung drehen?

Hilbk: Dem Feedback der Qualitätsanalyse für mich als Schulleiter und den Anregungen, was Schulleitungshandeln betrifft, konnte ich viel abgewinnen und beides nutzen. Ich habe dann mit den Beteiligten wie Schülern, Lehrkräften und Eltern selbst gesprochen, ein Netzwerk geknüpft, interessierte Lehrkräfte fortbilden lassen und einen Ganztagskoordinator eingesetzt. Bei der Netzwerkbildung hat uns die Bezirksregierung sehr unterstützt. Wir haben regelmäßig Treffen mit Eltern organisiert. Bei denen ging es nicht darum, dass Eltern irgendwelche Festivitäten planen, sondern es ging um die konzeptionelle Gestaltung des Ganztags, die Raumnutzung und -ausstattung, Rhythmisierung und die Organisation. Alle saßen an einem Tisch.

Der Schulschluss um 15.20 Uhr geht zum Beispiel auf den Einwand der Eltern zurück, dass ein Schultag bis 16 Uhr viel zu lang wäre, bis dann der Letzte mit dem Bus zu Hause ist. Zusammen mit dem Schulträger habe ich die Vorschläge meiner Kolleginnen und Kollegen und der Eltern diskutiert, und wir sind dann zu dieser Lösung gekommen. Und diese Akzeptanz, dass Elternwünsche berücksichtigt werden, spricht sich per Mund-zu-Mund-Propaganda im Ort natürlich herum und baut auch Vorurteile gegenüber der Ganztagsschule ab, dass man seine Kinder dort abliefert und nichts zu sagen hat. Und schließlich sorgte der Druck, der auf allen Beteiligten wegen des G8-Gymnasiums lastete, dafür, dass die meisten allgemein empfänglicher für die Idee des Ganztagsgymnasiums wurden.

Online-Redaktion: Gab es in dem zweijährigen Prozess auch Reibungspunkte?

Hilbk: Das war schon ein ständiger Anpassungsprozess. Ich bin zum Beispiel sehr gespannt, wie im Lehrerkollegium weiter am Hausaufgabenkonzept gearbeitet wird. Wir möchten, dass die Kinder, deren Tag bei uns um 7.45 Uhr startet und um 15.20 Uhr endet, keine Aufgaben mehr zu Hause erledigen müssen. Sie sollen am Ende des Schultages auf ihr Rad steigen oder an der Bushaltestelle stehen, und es soll alles erledigt sein, bis auf Vokabeln lernen, Lesen und die Vorbereitung auf Leistungsüberprüfungen. Das schafft auch für die Familien eine ganz andere Qualität, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen, nämlich echte Freizeit.

Es ist bei diesem Punkt aber nicht von vornherein so, dass bei allen Einigkeit besteht und man weiß, wo man da landen wird. In diesem Schuljahr muss gelöst werden, wie Hausaufgaben in Lernzeiten aufgehen. Die Umstellung auf Doppelstunden und der Einsatz digitaler Medien wie Tablets im Unterricht erfordert von den Kolleginnen und Kollegen, ihren Unterricht umzustellen. Das bedeutet erstmal Mehrarbeit, aber auf längere Sicht Entlastung. Da mussten wir uns auch erst langsam vorwärts wagen, das Doppelstundenprinzip ganz konsequent durchzusetzen und das Kollegium mitzunehmen.

Online-Redaktion: Aber Vorbehalte gegen den Ganztag gab es nicht mehr?

Hilbk: Es gab sicherlich Befürchtungen, alles alleine stemmen zu müssen, den Ganztag zu konzipieren neben all dem, was sonst schon zu tun war. Und da war Überzeugungsarbeit notwendig, um auch die Chancen aufzuzeigen. So kann ich die Vielkorrigierer, wie wir das nennen, also die Kolleginnen und Kollegen, die Deutsch, Mathe und Fremdsprachen unterrichten und sehr viele Arbeiten zu korrigieren haben, im Ganztag sehr flexibel einsetzen und Belastungen auf mehr Schultern verlagern. Lehrkräfte können über den 20-prozentigen Stellenzuschlag des Landes im AG-Angebot oder in der Aufsicht im pädagogischen Angebot am Nachmittag mitarbeiten.

Das finde ich klasse, das ist ein Akt der Solidarisierung innerhalb der Schulgemeinschaft. Ich öffne zwar die Tür für Kooperationspartner, aber den Lehrkräften möchte ich deutlich machen, dass ich mit möglichst vielen von ihnen den Ganztag gestalten möchte. Sie sollen nicht nur in der Lehrerkonferenz von der Ganztagsschule hören, sondern in das System hineinschauen und dann mitreden können, weil sie erfahren haben, was es heißt, im Ganztag zu arbeiten.

Online-Redaktion: Wir sprachen über die Zeit. Wie ist die räumliche Situation?

Hilbk: Die Raumfrage haben wir eingehend an unserem Ganztagstisch diskutiert. Wir haben bereits vor Jahren durch Landesförderung einen schönen, hellen Neubau erhalten, den wir jetzt so aufgeteilt haben, dass wir dort Ruhe- und Entspannungsräume haben, Räume für das Spielen und eine Bibliothek. Dazu planen wir noch ein Schülercafé. Von der Stadt haben wir Mittel erhalten, die wir für Mobiliar eingesetzt haben. Um zu sehen, wie es andere machen, sind Schüler, Eltern und Kollegen zu Ganztagsschulen gefahren und haben sich dort Anregungen geholt.

Online-Redaktion: Haben Sie auch externe Partner engagiert?

Hilbk: Wir kooperieren mit Sportvereinen und sind in Gesprächen mit den Kirchengemeinden und mit der Musikschule. Bei uns gibt es viele Kinder, die ein Musikinstrument erlernen oder spielen. Für Eltern ist es da natürlich interessant, wenn wir die Musikschule mit in unser Haus integrieren. Dann sind die Eltern auch eine weitere organisatorische Sorge los. Da stehen wir aber noch ganz am Anfang.

Online-Redaktion: Wie nutzen Sie die Unterstützung vom Land?

Hilbk: Der 20-prozentige Stellenzuschlag entspricht in unserer Schule 1,5 Lehrerstellen. Eine Lehrerstelle konnte auch besetzt werden, was uns in der 5. Jahrgangsstufe mehr Luft in der Unterrichtsverteilung gibt. Und da werden 26 Wochenschulstunden für die Lernzeiten frei, in denen die Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften qualifiziert betreut und beraten werden. Dabei achte ich darauf, dass die entsprechenden Fachlehrer ihre Lernzeiten und Angebote begleiten. Das konnte ich im Halbtagssystem nicht bieten, das ging gar nicht. Die übrig gebliebene halbe Stelle habe ich kapitalisiert. Diese Mittel verteile ich über das Jahr, um Personal von außen mit Honorarverträgen zu gewinnen.

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Chor und Pianist auf der Bühne
Der Chor des Alexander-Hegius-Gymnasiums © Alexander-Hegius-Gymnasium

Hilbk: Momentan stehe ich vor der wichtigen Aufgabe, ein Personaltableau für den Mittagsbereich, für die Mensa, für die pädagogischen Betreuung zusammenzustellen. Da möchte ich außerschulische pädagogische Kräfte gewinnen, die noch mal eine andere Perspektive in die Schule bringen und gleichzeitig den kommunikativen und organisatorischen Anforderungen gewachsen sind. Da sieht es gut aus, weil die Kräfte, die ich über die Jahre punktuell eingestellt habe, bereit sind, auch in der Ganztagsschule mitzuarbeiten. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass wir hier beteiligen, dass sie mitreden, mitgestalten dürfen und ernstgenommen werden. In einem solchen Umfeld arbeiten wir alle gerne.

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