"Teamwork ist unser oberstes Gebot" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Das Beispiel der Hauptschule Unterschleißheim verdeutlicht, dass auch unter schwierigen Bedingungen gute Schule gemacht werden kann. Dafür braucht es ein Topteam und eine Schulleiterin wie Gina Hanke.

Online-Redaktion: Frau Hanke, welchen Stellenwert hat für Sie Bildung?

Gina Hanke: Bildung ist für mich das höchste Ziel, das ich für alle Schülerinnen und Schüler anbieten kann. Als Hauptschullehrerin habe ich es nicht immer mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die besonders gern in die Schule gehen und die den Lernstoff mit Bravour meistern. Viele haben schon in den Jahren davor erfahren, was es bedeutet, den Erwartungen der Eltern und der Lehrer nicht immer gerecht zu werden. Nun sollen sie auch noch in eine Schulart gehen, die häufig negative Schlagzeilen macht. Für mich ist es deshalb wichtig, dass gerade diese Schüler besonders gefördert werden, um den bestmöglichen Bildungsabschluss zu erzielen. Es gibt in Bayern für Hauptschülerinnen und Hauptschüler die Möglichkeit, über viele Wege dies zu erreichen.

Mein Selbstverständnis als Schulleiterin besteht darin, dass jeder Schüler am Ende der 9. oder 10. Klasse die Voraussetzung für den Erhalt einer Lehrstelle erfüllt oder eine weiterführende Schule besuchen kann - kurz, dass er später eine berufliche Tätigkeit ausübt, die er mit seinen individuellen Fähigkeiten gut ausfüllt. Talente müssen entdeckt und gefördert werden, denn jedes Kind kann etwas besonders gut. So stärken wir das Selbstbewusstsein, damit dann individuell an Lerndefiziten gearbeitet werden kann.

Zurzeit arbeiten an unserer Schule vier Jugendsozialarbeiterinnen mit insgesamt 100 Stunden in den verschiedenen Bereichen, die unser spezielles Schulprofil fordert. Eine Kollegin ist komplett für die Schüler der Praxisklasse zuständig, eine andere nur für die Betreuung und für Projekte in den Ganztagesklassen, die beiden anderen teilen sich die Aufgaben in den Regel- und Kooperationsklassen sowie im Mittlere-Reife-Zug. Finanziert werden die diplomierten Sozialarbeiterinnen zu einer Hälfte von der Stadt Unterschleißheim und zur anderen Hälfte von der AWO, die auch der Träger ist.

Neu für uns ist seit kurzem die Hilfe von der Agentur für Arbeit der Stadt München. Eine Berufseinstiegsbegleiterin vom Träger DAA betreut seit Februar 15 Schüler und Schülerinnen von der 8. Jahrgangsstufe bis in die Ausbildungszeit hinein.

Wir sind auch in der glücklichen Lage, auf ehrenamtliche Helfer zurückgreifen zu können. So fanden sich in unserer Stadt Pensionäre, die tatkräftig zupacken und für unsere Schüler etwas tun. Sie beraten in Sachen Beruf, zum Teil auch als Mentoren. Mit einem sehr engagierten Elternbeirat organisieren sie die Voraussetzungen für Lehrstellenbörse. Seit nunmehr drei Jahren beteiligen sich daran 30 verschiedene Firmen der Umgebung und vermitteln an einem Samstag für Schüler und deren Eltern alles zu den jeweiligen Berufen.

Als Schulleiterin trage ich die pädagogische Gesamtverantwortung. Unsere in der Lehrerkonferenz getroffenen Entscheidungen werden im Team umgesetzt und die anstehenden Aufgaben auf breite Schultern verteilt.

Online-Redaktion: Wie sind Sie Schulleiterin geworden?

Hanke: Ich unterrichtete von 1980 bis 1990 in Sachsen an der zehnklassigen Oberschule, heute würde man sagen: im Realschulbereich. Im August 1991 folgte ich meinem Mann nach Bayern und absolvierte in kürzester Zeit das erste und zweite Staatsexamen für den Einsatz in der Hauptschule, um wieder unterrichten zu können. Daraufhin arbeitete ich an verschiedenen Hauptschulen der Stadt München. Vor vier Jahren übernahm ich die Konrektorenstelle an einer Brennpunktschule im Norden der Stadt. Nach zwei Jahren bot sich für mich die Gelegenheit, in der gleichen Position an die Hauptschule am Wohnort zu wechseln. Nach dem unerwarteten Tod des von uns allen verehrten Rektors wurde ich mit der Aufgabe der Schulleitung betraut.

Nachdem ich zehn Jahre im Realschulbereich gearbeitet hatte, war ich vor 18 Jahren sehr gespannt auf die Arbeit im Hauptschulbereich. Das Klassenleiterprinzip als Fortführung aus der Grundschule empfand und empfinde ich auch heute noch als sehr fruchtbar für die Arbeit mit unserer Schülerklientel. Als Klassenlehrerin unterrichtet man in allen Hauptfächern. So hat man ganz andere Möglichkeiten, den Schülerinnen und Schülern zu begegnen, da man sie als ganze Persönlichkeiten im Unterricht erlebt. Der Frust über eine nicht bestandene Mathematikprobe kann mit der Freude an einem Lesetext oder einer guten Diktatnote wieder aufgefangen werden. Blockaden durch Teilleistungsstörungen sind nicht gleich vorprogrammiert.

Es gibt häufig die so genannten Spätzünder, also Kinder, die in der 5. und 6. Klasse noch nicht wissen, wie sie lernen sollen. Gründe dafür gibt es viele. Das Problem für diese Kinder in Bayern besteht jedoch in der frühzeitigen Festlegung auf eine höhere Schullaufbahn schon nach der vierten Klasse. Diese frühe Trennung der Kinder bedauere ich, weil nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern deswegen häufig entmutigt werden. Nicht selten wird der Besuch der Hauptschule als Makel des Kindes gesehen.

In vielen Familien spielen sich Dramen ab, die an den Kindern nicht spurlos vorübergehen und zusätzlich die Lernleistung beeinträchtigen. Das finde ich umso unsinniger, als es doch ebenfalls in Bayern jedes Jahr die Möglichkeit gibt, nach gut bestandener Jahrgangsstufe auf die nächsthöhere Schule zu wechseln. So können Grundkompetenzen in der 5. Klasse bei uns gestärkt werden, damit der Übertritt an die Realschule oder das Gymnasium leichter fällt.

Eine andere Möglichkeit stellen die Mittlere-Reife-Klassen bei uns direkt an der Hauptschule dar. Nach gut bestandener 6. Jahrgangsstufe erfolgt der Übergang in die 7M. Damit werden die Schülerinnen und Schüler im so genannten M-Zug auf den Mittleren Bildungsabschluss vorbereitet, der ihnen nach bestandener Prüfung in der 10. Klasse die Zugangsberechtigung zur Fachoberschule bietet. Ehemalige Schüler konnten sich danach noch für ein Hochschulstudium einschreiben und schlugen unter anderem die Lehrerlaufbahn ein.

Online-Redaktion: Wie sieht Ihr normaler Arbeitstag aus?

Hanke: Mein Arbeitstag beginnt um 7.15 Uhr auf dem Weg ins Büro mit einer Begrüßung der Hausmeister, ein paar netten Worten zu frühzeitig erschienenen Schülern, einem guten Morgen an alle Kollegen, die sich auf den Unterricht vorbereiten. Das Telefon läutet, und ich nehme die Krankmeldungen von Schülern entgegen, bis unsere Sekretärin mich ab 7.30 Uhr in diesem Job ablöst. Eine kurze Besprechung mit ihr und dem Konrektor über anfallende Tagesaktionen folgt. Nach dem Unterrichtsbeginn geht es an die Beantwortung von E-Mails - Anfragen von Eltern, dem Elternbeirat, der Stadtverwaltung, der AWO, dem Jugendamt, Bestellung von Unterrichtsmaterial und neuen Möbeln für die Mensa, Reklamationen von Geräten, Anforderung von notwendigen Baumaßnahmen und vieles mehr. Natürlich werden Konferenzen geplant, Elternbriefe für unterschiedlichste Anlässe verfasst, Beiräte einberufen, Gespräche mit Kollegen und Schülern vorbereitet und geführt. Das für mich zu absolvierende Unterrichtsstundendeputat von 14 Stunden ist breit auf die Woche verteilt.

Als Schulleiterin habe ich viel Management-Arbeit zu leisten. Nehmen wir als Beispiel den gestrigen Tag: Zunächst gab es eine Absprache mit einer Kollegin bezüglich der Überarbeitung der Homepage. Dann folgte eine kurze Besprechung mit der Vertrauenslehrerin über die Valentinsfeier. Das Schulamt wollte mal ganz schnell wissen, wie viele Paten an der Schule die Schülerinnen und Schüler in den Beruf hinein begleiten. Unsere Sekretärin brachte die Postmappe mit allerlei Infobriefen und Rechnungen. Dann verfasste ich eine Einladung für das Schülerforum und versuchte, Termine mit der Stadt Unterschleißheim für die Beiratssitzung zu vereinbaren. Dazwischen kam ein Kollege mit einem schwierigen Schüler zu mir. Darüber hinaus waren noch Formalitäten zur Einweihung unserer neuen Mensa zu klären - einem Bau, der aus den Mitteln des Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" des Bundes mitfinanziert wurde. Schließlich gab es noch ein Gespräch mit der Schulsozialarbeiterin. Gegen 13.00 Uhr machte ich mich auf den Weg zur Fortbildung "Wie motiviere ich Kollegen?".

Online-Redaktion: Und wie motiviert man die Kollegen am besten?

Hanke: Indem man allen ein Ziel setzt und sie für dieses Ziel begeistert. Überzeugte Kollegen ziehen mit und werden die Erfolge ihrer Arbeit genießen können. Wichtig ist ein kollegialer Umgang, bei dem jeder seinen persönlichen Fähigkeiten nach eingesetzt werden kann. In unseren Ganztagesbetrieb bringen sich die Kolleginnen und Kollegen an einem Nachmittag mit ihren ganz speziellen Fähigkeiten ein. So bieten sie nicht nur sportliche Aktivitäten wie Basketball, Fußball, Schwimmen und Geräteturnen an, sondern auch AGs wie Chor, Band, Tanz, Film, Theater, Foto, Malen, Nähen, Kochen und Schulhausgestaltung.

Online-Redaktion: Verbindet Sie auch eine Kooperation mit anderen Schularten?

Hanke: Ja. So hatte ich erst vorgestern ein Gespräch mit dem Sonderschulpädagogen der Nachbarschule über einen Schüler unserer K-Klasse (Kooperationsklasse). Unsere Schule besitzt eine Kooperation mit dem Förderzentrum Ruppert Egenberger. Das ist eine Förderschule für Kinder, die leistungsmäßig durch Dyskalkulie oder Legasthenie eingeschränkt waren oder sind. Sie erhalten dort in ihrer Grundschulzeit intensiv Förderung und werden auf den Unterricht im Regelbereich vorbereitet. Jedes Jahr bekommen wir nach einer kurzen Probezeit bei uns die Schüler dieser Einrichtung fest in die Kooperationsklassen. Hier kann der Unterricht durch den stundenweisen Einsatz eines Sonderschulpädagogen, der vom Förderzentrum gestellt wird, in kleineren Gruppen sehr effektiv erfolgen. Im letzten Jahr hatten wir Schülerinnen und Schüler aus dem Förderzentrum, die den Qualifizierenden Hauptschulabschluss geschafft haben.
 
Online-Redaktion: Welche Vorteile bringt es mit sich, dass Ihre Hauptschule im Kreis und nicht in der Stadt angesiedelt ist?

Hanke: Unterschleißheim ist eine Stadt mit 25.000 Einwohnern im Landkreis München. Die Wege zur Verwaltung sind kurz, die Gespräche intensiv. Wir haben einen tollen Bürgermeister und engagierte Stadträte, die die Hauptschule unterstützen. Für unsere Ganztagsklassen bedeutete das den Bau eines neuen Mensagebäudes mit drei Klassenzimmern und die Möglichkeit eines interaktiven Unterrichts mittels SMART-Boards. Dies ist auch das Erbe meines Vorgängers Peter Thiele, der Anfang letzten Jahres unverhofft verstarb.

Online-Redaktion: Wie gestalten Sie die Hauptschule als Ganztagsschule?

Hanke: Momentan existiert an unsrer Schule die gebundene Ganztagsbetreuung von der 6. bis zur 9. Jahrgangsstufe. In Klassenstufe 5 läuft in diesem Jahr die offene Form aus, um nächstes Jahr in die gebundene Ganztagsschule übernommen zu werden.  In jeder Ganztagsklasse stehen sechs Wochenstunden für die Sozialarbeiterin zur Verfügung. Zwölf zusätzliche Lehrerstunden ermöglichen eine differenzierte Unterrichtsarbeit und ein Wahlfachangebot für jedes Ganztagsklassenkind an einem speziellen Tag, um sich vielseitig, je nach Neigung auszuprobieren. Der Unterricht findet täglich bis 15.30 Uhr statt.

Das Mittagessen wird bei uns im Ort zubereitet und in der Mensa ausgegeben. Unser Neubau ist kurz vor Schuljahresbeginn 2008/2009 fertiggestellt worden. Das moderne Gebäude beherbergt im Erdgeschoss neben dem Mensasaal eine Küche. Einen Stock darüber befinden sich drei Klassenzimmer, ein Gruppenraum und ein Lehrerzimmer.

Online-Redaktion: Wie sind die Schulen im Landkreis untereinander vernetzt?

Hanke: Die Schulen in Ober- und Unterschleißheim sind mit der Gründung von LoNeS (Lokales Netzwerk Schule) auf Initiative der Schulrätin Frau Lehner seit drei Jahren sehr gut vernetzt. Zum Netzwerk gehören eine Grund- und eine Grund- und Hauptschule in Oberschleißheim sowie drei Grundschulen, eine Hauptschule und die Realschule in Unterschleißheim.

Ziel des Netzwerkes ist es, schulübergreifende Projekte im Lern-und Freizeitbereich für die Schüler zu schaffen sowie Vergleichsarbeiten zu konzipieren, die allen beteiligten Schulen als grundlegende Orientierung helfen.

So war es uns möglich, den bekannten niedersächsischen Kriminologen Prof. Dr. Christian Pfeiffer zum Thema Medienkonsum einzuladen. In drei Vormittagsveranstaltungen mit jeweils 400 Kindern vermittelte er in reger Diskussion den Schülerinnen und Schülern aller drei Schularten, welche Auswirkungen der unkontrollierte Medienkonsum auf Jugendlichen haben kann. Am Nachmittag richtete er sich mit seinem Vortrag an die Lehrkräfte und am Abend an die Eltern. Prof. Dr. Pfeiffer äußerte sich begeistert über die Aufmerksamkeit und die rege Diskussion unserer Hauptschüler.

Online-Redaktion: Ihre Hauptschule ist also keine Problemschule?

Hanke: Wir haben schon Probleme, aber keine größeren als andere Schularten am Ort auch. Wo mit Jugendlichen gearbeitet wird, gibt es Reibung. Wer von den jungen Menschen hält sich schon gern an Regeln, die ihre vermeintliche Freiheit einschränken. In solchen Fällen ist der Pädagoge gefragt, Vorbild zu sein, zu überzeugen, Grenzen zu setzen und konsequent zu sein.

Am Ende gilt es einen Konsens finden. Den Schülerinnen und Schülern helfen, Freude an den Arbeiten zu finden und sich Ziele zu setzen. Mit unseren vielen Helfern ist das möglich, denn nur gemeinsam bekommen wir das hin. Natürlich ist auch mal Frust vorhanden, damit muss man umgehen lernen, ihn in positive Energie umwandeln - darin sehe ich meine Aufgabe. Viele Kollegen ziehen mit, sind mit Leib und Seele Pädagogen, haben neue Ideen und Ansätze, die sie in die tägliche Arbeit einbringen.

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