Schulleitungssymposium 2013: Herausforderungen zu Chancen machen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Verbindlichkeit, Zusammenarbeit und Wettbewerb, Uniformität und Diversität steht das berufliche Handeln von Schulleiterinnen und Schulleitern. Das Schulleitungssymposium 2013 in Zug wollte ergründen, wie Herausforderungen zu Chancen werden.

War früher alles besser? Zumindest war es laut Prof. Carl Bossard, dem Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Zug, deutlich übersichtlicher: „Als ich in die Volksschule ging, waren wir 54 Knaben, alle katholisch, in den Reihen nach Leistung geordnet: Die Dummen saßen in der ersten Reihe, die Schlauen in der letzten.“ Vor allem sei die Schule „ein Schonraum“ gewesen. Nichts sei von außen in ihn eingedrungen. Das habe sich inzwischen gründlich geändert: „Heute drängen Eltern, die Wirtschaft, die Politik und die Verwaltung in die Schule, von den Sozialen Medien noch nicht zu reden.“

Bei diesem Ansturm von Interessen, Wünschen, Vorgaben, Regelungen und Kritik, der tagtäglich auf die Schulen prallt, kommt der Schulleitung zwangsläufig eine Schlüsselposition zu. Denn sie ist es, die letztlich die Arbeit der Schule verantwortet, nach innen wie nach außen. Wem aber ist sie zum Beispiel mehr verantwortlich: dem Kollegium, das wieder eine neue Reform umsetzen soll? („Wir kommen uns vor wie Ärzte, denen Lobbyisten ständig neue Medikamente andrehen wollen“, zitiert Prof. Wilfried Schley, Emeritierter Ordinarius der Universität Zürich, einen Schulleiter.) Oder eher der Politik und Verwaltung, welche die Schulen mit Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten und Evaluationen konfrontieren?

Gleichzeitig viele Interessen unter einen Hut bringen zu müssen – Interessen, die sich teilweise diametral entgegenstehen –, ist charakteristisch für das berufliche Handeln von Schulleiterinnen und Schulleitern und kann diese stark belasten.

Schulleitung: ein Drittel Organisation und Verwaltung

750 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 52 Ländern kamen vom 26. bis 28. September 2013 zum Schulleitungssymposium 2013 zusammen. Veranstaltet wurde es vom Institut für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie (IBB) der PH Zug, das zugleich sein zehnjähriges Bestehen feierte. In vielen Vorträgen und Workshops diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit Pädagoginnen und Pädagogen sowie Vertretern von Schulverwaltungen – insbesondere aus der Schweiz und aus Deutschland – die Frage, wie man aus den bekannten Herausforderungen Chancen generieren kann.

Der Leiter des IBB, Prof. Stephan Gerhard Huber, der zu den Themen Schulleitung, Schulmanagement und Schuleffektivität forscht und die Schulleitungssymposien ins Leben gerufen hat, schreibt der Schulleitung eine „zentrale Bedeutung für die Qualität von Schule“ zu: „Das Schulleitungshandeln nimmt auf alle Organisationsmerkmale wie Ressourcen, Unterricht und Lernleistung Einfluss.“

Huber präsentierte in Zug ausgewählte Ergebnisse einer vom IBB durchgeführten Schulleitungsstudie, bei der in Deutschland, Liechtenstein und Österreich 433 Schulleiterinnen und Schulleiter drei Wochen lang ein Tagebuch geführt haben. Darin notierten sie genau ihre Tätigkeiten, aufgeschlüsselt nach 74 vorgegebenen Kategorien. In einem Mixed-Methods-Ansatz analysierte das IBB die Tagebücher sowie Interviews und Fragebögen.

Den größten Zeitaufwand machen für die Schulleitung den Auswertungen zufolge Organisation und Verwaltung aus (31 %), gefolgt vom eigenen Unterricht (23 %), Personalfragen und Unterrichts- und Erziehungsfragen (je 11 %), Kooperationsfragen (8 %), Qualitätsmanagement (6 %), Repräsentation (6 %) und Fort- und Weiterbildung (4 %). Der eigene Unterricht und die Kommunikation über Unterricht und Erziehung sind für die Schulleitungen besonders wichtig. Die Crux liegt aber darin, dass gerade der größte Posten Organisation und Verwaltung als belastendste Tätigkeit empfunden wird.

„Multifunktionales Wunderwesen“ vs. Kooperative Führung

„Die Belastung hängt aber nicht nur vom Verwaltungsaufwand ab. Diejenigen, die sich als belastet empfanden, waren immer in allen Bereichen überlastet“, stellte Stephan Huber fest. „Das Berufsbild ist in Sachen emotionaler Erschöpfung mit dem des Managers vergleichbar.“ Wichtig sei es, „vom Bild wegzukommen, ein multifunktionales Wunderwesen zu sein, das meint, alles alleine machen zu müssen“: Die Schulleitungen müssten stattdessen eine kooperative Führung aufbauen, ein Gesundheitsmanagement für sich, das Kollegium und die Schülerinnen und Schüler organisieren und sich entsprechend qualifizieren.

Prof. Rolf Dubs, ehemaliger Rektor der Universität St. Gallen, sieht das Problem in der „Verrechtlichung und Verpolitisierung der Schule“: „Sinnlose Berichterstattung“ und „Papierkrieg“, die ein Gefühl des Misstrauens auslösten und zu Demotivation führten, müssten aufhören. Stattdessen brauche es eine definierte Autonomie bei Lehrplan, Budget und Organisation für die Schulleitungen. Bisher gebe es nur „wolkige Ansagen“ der Selbstständigkeit für die Schulen, welche die Arbeit der Schulleitungen eher erschwerten.

Darüber hinaus äußerte Dubs Skepsis gegenüber der Forschung. „Viele der wünschenswerten persönlichen Eigenschaften wie Berechenbarkeit, Respekt, Fairness oder aktives Zuhören sind nicht empirisch messbar. Aber gerade da müssen wir in der Lehrerbildung ran.“ Ein Schulleiter müsse über eine langfristige Orientierung verfügen, kooperativ-situativ führen, die persönliche Entwicklung der Lehrkräfte fördern und bereit sein, sich jederzeit für sein Kollegium zu engagieren.

Schulleitung braucht Leidenschaft

Für Carl Bossard muss ein Schulleiter mit dem Kollegium zuallererst klären, welchem Leitbild sich die Schule verpflichtet fühlen soll: „Sie müssen als Schule wissen, was Ihnen wichtig ist.“ An diesem Leitbild habe sich jegliches Handeln zu orientieren. Die Erziehungsziele müssten dem unterrichtlichen Handeln übergeordnet sein. „Wir reden nur über Kompetenzen, aber wo bleibt die Haltung?“ fragte der PH-Gründer. Die Schulqualität hänge nicht von der Struktur ab, sondern von den Personen. Dem Schulleiter komme eine „Limes-Funktion“ zu, die seine Lehrkräfte vor Einflüssen von außen schütze und sie so stärke, dass sie sich ganz auf ihr „Kerngeschäft“, den Unterricht, konzentrieren können. Ein Schulleiter bestätigte dies, als er sich in Bossards Workshop als „Puffer zwischen meinem Kollegium und der Administration“ bezeichnete.

Einig war sich Bossard mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, das die manchmal in Schulen herrschende Larmoyanz zu nichts führe. Es brauche Leidenschaft. Als Schulleitung müsse man mit dem Kollegium Gemeinsames stärken. „Dies kann geschehen durch den Besuch anderer Schulen, das gemeinsame Planen, Durchführen und Auswerten von Projekten, das gemeinsame Besprechen von Fachbüchern, um Anregungen von außen zu erhalten, und das Analysieren pädagogischer Situationen.“ Mit „Basisdemokratie“ komme man dabei nicht weit, sondern nur mit klaren Vorgaben, die immer im Dienst des Leitbildes stehen müssen, transparent und nachvollziehbar für das Kollegium.

Prof. Marit Aas von der University of Oslo berichtete in ihrem Vortrag über die Situation in Norwegen: „Die Schulleitungen stehen oft zwischen den Lehrkräften, die Loyalität einfordern, um vor Neuerungen geschützt zu werden, und den Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel die Lernmethoden verändern wollen. Wie die Schulleitung mit solchen Konflikten umgeht, ist entscheidend für den Prozess. Sie muss respektvoll alle Meinungen einholen, aber auch fortschreiten, wenn kein Konsens möglich ist.“

„Selbstbewusste Praktiker, denen man Reformen nicht verordnen kann“

Was zeichnet gute Schulleiterinnen und Schulleiter noch aus? Prof. Michael Schratz von der Universität Innsbruck konnte von seinen Erfahrungen aus der Jury des Deutschen Schulpreises berichten. Er resümierte: „Erfolgreiche Schulleitungen nehmen ihr Gegenüber wahr, geben ihm Feedback, trauen ihm mehr zu. Sie geben Richtungen vor, nehmen andere mit und muten auch etwas zu. Sie schaffen Ressourcen und Raum für Reflexion.“ Ähnlich wie Brossard erklärte der Erziehungswissenschaftler, dass sie „für Gemeinsinn sorgen, für eine pädagogische Grundhaltung. Schulleitungen sind nah dran, blicken aber auch über den Tellerrand“.

Wenn eine Struktur verändert oder eine Reform implementiert werden soll, dann ist auch für Prof. Jürgen Oelkers von der Universität Zürich „die Schulleitung gefragt“. Sie müsse neue Ideen sammeln, Problemlösungen suchen, Prioritäten festlegen, für Transparenz sorgen und so den Rahmen für besseren Unterricht schaffen. „Die Schulleitung ermittelt dazu den Bedarf der Weiterbildung und kommuniziert ihn mit dem Kollegium. Dem Erfolg folgt dann die Überzeugung. Skeptiker überzeugt man mit Ergebnissen, nicht mit Rhetorik.“

Für Oelkers hängt die Unterstützung von Reformen aber nicht ausschließlich von den Schulleitungen ab. Alles in allem täte die Bildungspolitik gut daran, „sich die Schulleitungen als selbstbewusste Praktiker vorzustellen, die wissen, was sie wollen, und denen man Reformen nicht einfach verordnen kann.“

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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