Schulleitung in Zeiten von Bildung 5.0 : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Hochinteressante Schlaglichter auf die Herausforderungen im Bildungssystem der Zukunft warf das internationale Bildungs- und Schulleitungssymposium in Zug.

Flyer
© PH Zug

In diesem Jahr hieß es in Zug erneut: Ausgebucht! Das internationale Bildungs- und Schulleitungssymposium, das seit 2009 im Zweijahresrhythmus an der Pädagogischen Hochschule Zug stattfindet, brachte vom 6. bis 8. September 2017 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schulen, Bildungsverwaltung und Bildungsforschung zusammen. In der bewährten Organisation des Instituts für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie (IBB) und dessen Leiter Prof. Stephan Huber lautete das Thema diesmal „Bildung 5.0? Zukunft des Lernens – Zukunft der Schule“.

Vorträge, Podiumsdiskussionen und Workshops boten Gelegenheit, sich mit grundsätzlichen und praktischen Fragen der Steuerung im Bildungssystem zu beschäftigen. In seinem Eröffnungsvortrag betonte Stephan Huber die Bedeutung von Bildung für das gesellschaftliche Miteinander und für die Bewältigung der anspruchsvollen gesellschaftlichen Aufgaben. Digitalisierung, Umweltfragen und Migration seien drei konkrete Herausforderungen.

Die Schulen von morgen, das Lernen von morgen

Vortrag
Prof. Stephan Huber (l.) © PH Zug

„Wie könnte eine 'neue' Bildung die Ansprüche der lokalen und globalen Gesellschaft erfüllen?“, fragte Huber und leitete damit auch eine kritische Diskussion um „alte pädagogische Prämissen“ wie Persönlichkeitsentwicklung, Mündigkeit und Werteerziehung einerseits und neue Herausforderungen der Informationsgesellschaft von Qualitätskonzepten und Innovationen andererseits ein.

Für die Hauptvorträge konnte eine bemerkenswerte Reihe renommierter internationaler Bildungsforscher aus Europa und Übersee gewonnen werden, die das ganze Spektrum der anstehenden Fragen zur Sprache brachten. Einschließlich eines Bildungsexperten der Weltbank, Juan Moreno, der in seinem Vortrag „Schools of Tomorrow, Learning of Tomorrow“ von einer „Lernkrise“ in Bildungssystemen – in Entwicklungsländern wie Industrienationen – sprach und zuspitzte: „Erwarten wir die erste Generation, die weniger gut (aus)gebildet sein wird als die vorherige?“

Prof. em. Hans-Günter Rolff aus Dortmund widmete sich dem Spannungsverhältnis von „verwertbarem Wissen“ und Werteerziehung. Er regte ein Pflichtfach „Theorie des Wissens“ in der Sekundarstufe II an, wie es heute schon Bestandteil des Internationalen Abiturs (IB) ist. „Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als die Grundlagen der Wissensgesellschaft verstehbar zu machen, falsche Fakten richtig zu stellen, Unterschiede zwischen Informationen, Daten, Weltanschauung, Glaube und Meinung zu verstehen“.

Imperative für die Bildung im 21. Jahrhundert

Ein Höhepunkt war sicherlich der Vortrag „The New Imperatives of Educational Change“ von Prof. Dennis Shirley vom Boston College Massachusetts,

Workshop
© PH Zug

dessen gleichnamiges Buch schon jetzt in Deutschland auf Resonanz stößt, weil immerhin zwei deutsche Schulpreis-Schulen – die Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim und die Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund – darin Erwähnung finden. In Auseinandersetzung mit (weltweiten) bildungspolitischen Entwicklungen, darunter der Orientierung auf Testleistungen, entwickelte Shirley fünf „neue Imperative“ für Schulen im 21. Jahrhundert, die „alte Imperative“ ersetzen müssten.

Der „evidenzorientierte Imperativ“ bedeute heute, ein besseres Verständnis darüber zu gewinnen, welche Strategien das Lernen von Schülerinnen und Schülern verbessern und welche es untergraben. Der „interpretierende Imperativ“ fordere, wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch „neueste Strategien“ nicht einfach in Schulen zu übertragen, ohne zuerst gründlich zu überlegen, was eine Schule oder ein Schulsystem erreichen will. Schulentwicklung dürfe nicht „zerstörerisch“ wirken. Die Professionellen – Lehrkräfte und Schulleitungen –  sollten stattdessen eigene Lösungen aus ihrem kollektiven handwerklichen Wissen entwickeln können.

Neben einem „professionellen Imperativ“ und dem „globalen Imperativ“ qualitativ hochwertiger öffentlicher Bildung von der frühen Kindheit bis zum Ende der Sekundarstufe – er verwies hier auf die Kinderrechtskonvention –, nannte Shirley schließlich den „existentiellen Imperativ“: Schülerinnen und Schüler wollten Sinn und Zweck in ihrem Leben erkennen. Wenn solche Sinnfindung mit den akademischen Dimensionen von Schule verbunden werde, wie die Beispiele „realer Schulen mit realen Schülern“ zeigten, könnten sich Schülerinnen und Schüler weit über das hinaus entwickeln, was ihre Testergebnisse aussagen.

„Wie verändern die Medien die Gesellschaft?“

Bildung 5.0 heißt auch Medienbildung. Dass man darunter Unterschiedliches verstehen kann, verdeutlichte Prof. Roberto Simanowski in seinem Vortrag „Media Literacy. The Muting of Media in Schools and Society“ (Medienbildung. Das Verstummen der Medien in Schule und Gesellschaft): Wenn Schulen und Hochschulen „auf Ausbildung anstatt auf Bildung, auf einsatzfähige Arbeitskräfte statt auf kritische Staatsbürger“ setzten, sei Medienbildung auf die Frage „Wie kann ich effektiv und sicher die neuen Medien nutzen?“ gerichtet – statt auf die Frage „Wie verändern die Medien die Gesellschaft?“

Auch der Schweizer Prof. Dominik Petko thematisierte die digitalen Technologien im Zusammenhang mit der Lern- und Arbeitskultur an Schulen. Anhand von Befunden der Videostudie „Personalisierte Lernkonzepte in heterogenen Lerngruppen“ (perLen) zeigte er, dass solche Konzepte verstärkt Schülerinnen und Schülern ermöglichen, eigene Lerninhalte und Lernwege wählen zu können. Damit eröffneten sich neue Perspektiven zur Förderung von Unterrichtsqualität wie für die Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf die digitale Informationsgesellschaft.

Ganztagsbildung – „...nicht mehr zurückzudrehen“

Team
© PH Zug

Bei einem Thema wie Bildung mit digitalen Medien war es fast schon erfrischend, wie altmodisch das von der PH Zürich entwickelte Selbstevalutionsinstrument „Qualität in Tagesschulen“ (QuinTaS) daherkam, nämlich auf dem guten, alten Papier – weil es sich die Lehrkräfte, das pädagogischen Personal und die Schulleitungen so gewünscht hätten, wie Dr. Luzia Annen, Prof. Frank Brückel und Reto Kuster erzählten. Das Wissenschaftlerteam stellte die zusammen mit Susanne Larcher entwickelten Materialien, mit denen sich Ganztagsschulen in der Schweiz selbst evaluieren können, in einem Workshop vor.

QuinTaS ist kein Qualitätsrahmen im Sinne einer Vorgabe. Vielmehr können Schulen mithilfe der „niederschwelligen und handhabbaren“ Checklisten ihren Status quo erforschen. Indirekt werden so Möglichkeiten aufgezeigt, die der Ganztag eröffnet. Angelehnt an „Qualität für Schulkinder in Tageseinrichtungen“ (QUAST) definieren die Züricher Forscher Qualität als „altersangemessene, anregungsreiche und entwicklungsfördernde Angebote“ mit den Qualitätsbereichen „Orientierungsqualität“, „Leitung“, „Kooperation“, „Partizipation“, „Rhythmisierung“ und „Räume und Ausstattung“, die in sechs einzelnen Bänden publiziert sind.

Was man genau unter einer Tagesschule verstehe, sei bildungspolitisch allerdings noch gar nicht geklärt, auch da stehe man noch am Anfang der Diskussion. Mit den vielen Ansprüchen an die Tagesschule erwarteten Familien, Politik, Medien, Politik und Gesellschaft so etwas wie die „eierlegende Wollmilchsau“, wie es der Schulforscher pointiert ausdrückte. Das Thema als solches sei aber aufgrund der gesellschaftlichen Notwendigkeiten auch in der Schweiz nicht mehr zurückzudrehen. Sein Kollege Reto Kuster ergänzte, der Ganztag sei „von Schule zu Schule komplett verschieden“. Denn jede Schule müsse entscheiden, wie das Mehr an Zeit optimal zu nutzen sei, zu welchen Teilen die formale Bildung, das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler oder andere Aspekte gestärkt werden sollten.

Öffentliche Schulen – Spiegel der Gesellschaft

Schülerinnen, Schüler und eine Lehrerin im Klassenzimmer
© Britta Hüning

Der QuinTas-Workshop war einer von rund 220 Fachvorträgen und Workshops auf dem Symposium, die auf Deutsch, Englisch und erstmals auch unter Federführung des Kooperationspartners Haute école pédagogique du canton de Vaud (HEP Vaud) auch in französischer Sprache gehalten wurden. Themen waren das Personalmanagement, System Leadership in der Bildungslandschaft, die Professionalisierung pädagogischer Führungskräfte und die Steuerung in Bildungssystemen. In verschiedenen Themensträngen hatten Schulleitungen und Lehrkräfte die Gelegenheit, sich vertiefend mit spezifischen Führungsthemen auseinanderzusetzen.

Dass die Schulleitungen ein entscheidender Faktor für die Verbesserung von Schulwirksamkeit, Lehrerqualität und Schülerleistung bleiben, betonte Prof. Stephen Dinham von der University of Melbourne. Den professionellen Standards, Aufgabenprofilen und Rahmenvorgaben für die Führungskräfte müsse daher viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Pädagogische Führungskräfte benötigten vor allem, und damit schloss sich der Kreis zu den Eröffnungsvorträgen, eine solide Wissensbasis, wie Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte lernen.

Prof. Olof Johansson von der Umeå University in Schweden erinnerte in seinem Beitrag „From Wreck to Success through School Improvement“ auch an die Funktion des öffentlichen Schulsystems: Staatliche Schulen seien lebendige Abbilder der Prinzipien, Werte und Überzeugungen ihrer Nationen. Sie bildeten die Grundlage, auf der Schülerinnen und Schüler einen Sinn für Gemeinschaft und geteilte gesellschaftliche Ziele entwickelten. Ihre Erfahrungen in diesen Schulen seien bedeutsam für die Ausprägung ihrer Wahrnehmungsmuster, die sie außerhalb der Schule auf die Gesellschaft übertragen.

Weltumspannende Perspektiven

Bündig fasste schließlich Prof. Allan Walker von der Education University of Hong Kong die Anforderungen der Zukunft zusammen: Angesichts einer hochkarätigen Forschung, breitgefächerter gesellschaftlicher Erwartungen und Initiativen der Bildungspolitik werden diejenigen Schulleiterinnen und Schulleiter erfolgreich sein, „die lernen, ihre alte ‚Haut’ abzuwerfen, während sie gleichzeitig beibehalten, was gut und richtig ist“.

"Ich bin sehr dankbar", resümierte Prof. Stephan Huber am Ende des Symposiums. "Es ist uns gelungen, in einen kreativen Austausch einzusteigen, der sozusagen weltumspannend aus über 60 Ländern die Perspektiven von Bildungswissenschaft, -verwaltung, -praxis und weiterer zentraler Akteure eingefangen hat. Die Atmosphäre und der dialogische Austausch waren grandios - das zeigen auch die Rückmeldungen vieler Teilnehmenden. Das zeichnet uns als Bildungssymposium aus, daran werden wir festhalten und weiter daran arbeiten."

Literatur

Dennis Shirley (2017). The New Imperatives of Educational Change: Achievement with Integrity. New York, Milton Park.
Kurzfassung (PDF, 353kB, nicht barrierefrei).

Roberto Simanowski (2017). Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien. (Reihe: Fröhliche Wissenschaft). Berlin.

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