Schulleiterin Anke Bachmann: "Wir sind als Schule keine Insel" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Ihre Freude konnte jeder spüren, der Anke Bachmann Mitte Juni live oder am Fernseher erlebte. Die Leiterin der Evangelischen Schule Neuruppin war einfach nur glücklich und ein wenig sprachlos, dass ihre Schule den Deutschen Schulpreis 2012 erhält.

Online-Redaktion: Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Schulpreis. Haben Sie schon realisiert, was da am 12. Juni passiert ist?

Anke Bachmann: Manchmal muss ich mich fast noch einmal kneifen, um es zu glauben. Aber wir empfinden die Auszeichnung als Anerkennung für unsere stetige Entwicklung. Sie ist eine enorme Motivation für alle hier an der Schule. Ich glaube, uns zeichnet aus, dass wir stets im Gespräch und Kontakt über die Entwicklung unserer Schule bleiben. Der permanente inhaltliche Austausch hat uns vorangebracht. Und wenn ich "wir" sage, dann tue ich das bewusst. Ich denke ans Kollegium, an die Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie die vielen Mitstreiter um uns herum. Wir sind als Schule keine Insel. Wir sind im Ort verankert, arbeiten mit der Stadt, den Kirchengemeinden und Vereinen intensiv zusammen. Eben ein richtiger Lern- und Lebensort für die Schulgemeinde.

Online-Redaktion: Über Ihre Schule sind seit der Schulpreisverleihung viele Portraits geschrieben worden, die das Erfolgsgeheimnis anschaulich wiedergeben. Uns interessiert der "Kopf" der Schule - Anke Bachmann. Wann beginnt Ihr täglicher Arbeitstag?

Bachmann: Ich beginne um 8 Uhr und bin normalerweise bis 18.30 Uhr in Schule, anschließend nehme ich manch einen Abendtermin wahr.

Online-Redaktion: Das klingt anders als an vielen anderen Schulen...

Bachmann: Das mag sein. Und ich weiß, dass viel über eine Präsenzpflicht für Lehrerinnen und Lehrer diskutiert wird. Aber ich kann nur beruhigen, für mich ist das kein Stress. Es macht mir ausgesprochen viel Spaß und Freude, in der Schule zu arbeiten.

Online-Redaktion: Warum ist es für Sie wichtig, als Schulleiterin von morgens bis abends in der Schule anwesend zu sein?

Bachmann: Es ist einfach für den Rhythmus gut. Ich habe Zeit, in den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, mit Eltern, Schülerinnen und Schülern und außerschulischen Partnern zu treten. Wir leben den Ganztag und nutzen fest organisierte Strukturen, um über pädagogische Fragen ins Gespräch zu kommen und Ideen zu entwickeln. Es ist etwas anderes, wenn man sich den ganzen Tag sieht, nicht von einer Unterrichtsstunde zur nächsten hetzt, um dann pünktlich zu einer festen Uhrzeit in einer Konferenz Ideen sprudeln zu lassen. Die Gespräche zwischendurch und das Erleben der Anderen sind wertvoll und anregend.

Schüler beim Unterricht im Klassenzimmer
Lernen in der Evangelischen Schule Neuruppin © Theodor Barth

Dabei sind wir gut organisiert und strukturiert. So legen wir am Anfang des Schuljahres einen Schwerpunkt fest, der uns als Team das komplette Schuljahr über begleitet, zu dem wir Fortbildungen besuchen, Unterrichtskonzepte entwickeln und am Ende Bilanz ziehen. Im kommenden Schuljahr könnte die Teamentwicklung uns begleiten. Dann stehen Fragen an, wie wir unsere Jahrgangsteams noch besser vernetzen und unsere Kommunikationsstruktur optimieren können. Solche Aspekte gehören immer wieder neu auf den Prüfstand.

Online-Redaktion: Wie wirkt sich die "viele Zeit" auf Ihr Verhältnis zu Schülerinnen und Schülern aus?

Bachmann: Ich kann genau beobachten, wie sich die Schülerinnen und Schüler in der Schule fühlen und daher auch erkennen, wo Verbesserungsbedarf besteht. Ich habe Zeit, mit ihnen zu sprechen. Der Ganztag ermöglicht sofortige Reflexion und Reaktion. Man sieht Schülerinnen und Schüler nicht nur im Unterricht, ich erlebe ihre Aktivitäten und Interessen, ihre Stärken und Schwächen. Ich erfahre selbst, wie sie sich entwickeln und was sie brauchen. Dieser direkte und nahe Draht ist von unschätzbarem Wert.

Online-Redaktion: Wie viel Zeit haben Sie als Schulleiterin für Eltern?

Bachmann: Prozentual achte ich darauf, dass ich 30 Prozent meiner Zeit Schülerinnen und Schülern widme. Auf die Eltern entfallen schätzungsweise zehn Prozent. Sie alle wissen: Wenn es Gesprächsbedarf gibt, steht meine Tür offen.

Online-Redaktion: Was ist Ihnen an Schule wichtig?

Bachmann: Die Kinder und Jugendlichen müssen sich bei uns so gut fühlen, dass sie Lust am Lernen haben. Dafür müssen wir die Bedingungen schaffen. Dazu zählen auch Zeiten für individuelle, flexible Betreuungs- und Förderzeiten. Bei uns sind zweimal pro Woche 80 Minuten fest im Stundenplan verankert, in denen die Schülerinnen und Schüler fachunabhängig gefördert werden. Und zwar in den Klassen 1 bis 12. Da können wir Begabte fördern, aber auch Schwächen auffangen. Und wir machen viel Projektarbeit mit den unterschiedlichsten  Kooperationspartnern. Sie umfasst Sport und Musik, unter anderem mit der Kreismusikschule. Wir laden auch Künstler zu uns ein. Sie schaffen es besonders, die Motivation hoch zu halten, Talente zu entdecken und zu fördern. Besonders wichtig ist es, dass Jugendliche in der Pubertät am Ball bleiben. Da reicht herkömmlicher Unterricht nicht aus.

Wir gönnen unseren Schülern auch unbeobachteten Freiraum. Etwa in unserer Schülerfirma tasca, die sich komplett eigenständig um die Pausenversorgung kümmert, die kulturelle Veranstaltungen organisiert und ihr selbst gestaltetes Café führt. Und Vertrauen ist mir wichtig. So gibt es bei uns einen Tag, an dem das komplette Kollegium die Schule für eine Fortbildung verlässt. Doch der Unterricht fällt nicht aus. Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 11 übernehmen ihn und evaluieren auch, wie es gelaufen ist.

Online-Redaktion: Für welche Werte stehen Sie?

Bachmann: Für respektvollen Umgang, auf andere Rücksicht nehmen, die eigenen Stärken für die Gemeinschaft einsetzen und Verantwortung übernehmen. Das sind vier entscheidende Werte. Unsere christliche Wertorientierung ermöglicht es, den Schülerinnen und Schülern diese vorzuleben und glaubhaft zu machen. Religion ist bei uns ein Pflichtfach. Und Religion ist gelebter Schulalltag. Wir haben feste Rituale - wie die religionspädagogischen Fortbildungstage für Schüler und Lehrer. Wir regen Schüler an, in Gottesdiensten, Andachten, aber auch auf Klassenfahrten Sinnfragen zu stellen, sich zu hinterfragen und Positionen zu finden. Dabei fühlen wir uns nicht von einem Missionsauftrag angetrieben. Vielmehr glauben wir, dass die Auseinandersetzung mit Sinn- und Wertefragen dazu beiträgt, Stärke zu gewinnen, um wichtige Entscheidungen fürs Leben treffen zu können, sei es bei Berufswahl oder allgemeiner: beim Miteinander in der Gesellschaft.

Online-Redaktion: Was geht mit der Schulleiterin Anke Bachmann gar nicht?

Bachmann: Ausgrenzung von Schülern und Angst auslösende Schule. Das ist meine Vision, die ich auch für meine Kinder wollte. Darum suchen wir stets Personal, das Kindern und Jugendlichen in allen Lebensphasen zugewandt ist.

Online-Redaktion: Apropos Kinder. Ihre Söhne haben das Abitur unter Ihnen als Schulleiterin absolviert. Erinnern diese sich gerne an die Zeit?

Bachmann: Sie gucken zufrieden zurück, kommen wie viele Ehemalige immer wieder gerne zu uns. Wir stellen jetzt sogar zwei ehemalige Schüler als Lehrer ein. Unser jüngster Sohn wird übrigens auch Lehrer, hat Ideen und gibt Tipps, was man machen sollte. So hat er mir nach seinem Praktikum an einer belgischen Schule empfohlen, einen regelmäßigen Infopoint einzurichten, an dem die Kolleginnen und Kollegen zu bestimmten Zeiten ihre Fragen und Anregungen direkt bei der Schulleiterin abladen können.

Vier Schüler an der Bar eines Cafés
Schülerfirma tasca © Theodor Barth

Online-Redaktion: Befolgen Sie seinen Rat?

Bachmann: Als Mutter muss man doch auf seine Kinder hören. Wenigstens manchmal...
 
Online-Redaktion: Was erwarten Sie von Ihrem Kollegium?

Bachmann: Dass wir uns nicht von Rahmendingungen aufhalten lassen, unsere Schule selbst zu gestalten und dass wir uns nicht an Paragrafen entlanghangeln. Die in Schule häufig gestellten Aber-Fragen und Bedenken dürfen nicht die zentrale Haltung im Kollegium einnehmen. Ich möchte ein Kollegium, in dem nicht die "Aber-Frage", sondern die "Wie-Antwort" im Mittelpunkt steht.

Online-Redaktion: Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei. Welcher wäre es?

Bachmann: Ich würde mir wünschen, dass die Schülerinnen und Schüler in großer Zahl zufrieden auf ihre Schulzeit zurückblicken und dass sie hier eine gute Zeit er- und verlebt haben. Für mich selbst wünsche ich mir, dass ich weiter so motiviert für diese Schule aktiv bleibe.

Zur Person:

Anke Bachmann arbeitet seit 1983 als Lehrerin für Mathematik und Physik. Von 1990 bis 1993 war sie Schulleiterin an der Gustav-Kühn-Schule Neuruppin, ehe sie dann als stellvertretende Schulleiterin zur Evangelischen Schule Neuruppin wechselte. Diese Schule leitet sie seit 2001.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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