Privatgymnasium Pindl Regensburg in Bayern. Interview mit Barbara Neumann-Grziwok und Margarete Hiebsch : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Online-Redaktion: Frau Neumann-Grziwok, wie kam es dazu, dass Ihr Gymnasium Ganztagsschule geworden ist?

Barbara Neumann-Grziwok: Wir machen uns immer Gedanken, wie wir uns unterrichtlich verbessern können. Als die Landesregierung 2003 die Umstellung der Gymnasien auf die achtjährige Schulzeit ankündigte, entschieden wir uns, mit dem Schuljahr 2004/2005 für die gebundene Ganztagsschule in rhythmisierter Form. Bei uns wechseln also Unterricht, die Erledigung von Arbeitsaufträgen - von Hausaufgaben kann man ja eigentlich nicht mehr sprechen -, Wahlfächer, Neigungskurse und Freizeitangebote, die von Lehrern gemeinsam mit Sozialpädagogen angeboten werden, einander ab. Insgesamt können sich die Schülerinnen und Schüler bis 17 Uhr in der Schule aufhalten.

Online-Redaktion: Warum haben Sie sich für die gebundene Form entschieden?

Neumann-Grziwok: Wir wollten die Schule so gestalten, dass sie dem Biorhythmus und den Bedürfnissen der Kinder entgegenkommt. Die rhythmisierte Form ist dafür am besten geeignet. Wir können ja den direkten Vergleich an unserer Schule ziehen. Unsere Schule ist vierzügig, je zwei Klassen lernen im rhythmisierten Ganztag, die beiden anderen erhalten den Unterricht kompakt am Vormittag und können am Nachmittag noch ihre Hausaufgaben in der Schule erledigen. Diese Schülerinnen und Schüler sind am Nachmittag im Vergleich zu jenen, die am ganztägig rhythmisierten Unterricht teilnehmen, erschöpfter - obwohl sie letztlich nicht mehr Unterricht und Schulaufgaben haben. Gerade die sechste Unterrichtsstunde schlaucht die Kinder. Die rhythmisierte Form, bei der die sechste Stunde durch das Mittagessen ersetzt wird, kommt den Schülerinnen und Schüler viel mehr entgegen. Sie verlassen die Klassenzimmer am Nachmittag immer noch heiter und entspannt.

Online-Redaktion: Sind Sie auch vom 45-Minuten-Takt abgegangen?

Neumann-Grziwok: Nicht generell. Die Lehrerinnen und Lehrer haben aber die Möglichkeit, ihren Unterricht in Doppelstunden differenziert zu gestalten. Wenn zwei Stunden Englisch auf dem Plan stehen, dann teilt sich der Lehrer die Zeit selbst ein. Nach einem Teil Frontalunterricht kann zum Beispiel eine Übungsphase eingeschoben werden, in der die Schülerinnen und Schüler selbstständig Aufgaben lösen - in Anwesenheit des Lehrers. Dieser kann so sehr schnell erkennen, wo bei den Kindern noch Hilfestellung notwendig ist, wer noch Unterstützung braucht oder es aber ganz alleine schafft. Wer die Aufgaben viel schneller erledigt als der Rest, kann dann eben anspruchsvollere erhalten. Diese Binnendifferenzierung ist sehr hilfreich.

Die Schülerinnen und Schüler lernen mit Wochenarbeitsplänen. Am Ende der Woche müssen alle Schülerinnen und Schüler gleich weit sein. Ihr Arbeitstempo können die Kinder und Jugendlichen dabei selbst bestimmen. Die stärkeren Schülerinnen und Schüler unterstützen als eine Art Lerntutoren auch mal die schwächeren. Das ist eine sehr kommunikative Form des Lernens, die die Klassengemeinschaft enorm stärkt und hilft, selbstständiges Arbeiten zu lernen.

Manche Stunden werden auch in verschiedene Module aufgeteilt: Die Schülerinnen und Schüler können sich in diesen so genannten Neigungsgruppen verschiedene Angebote aussuchen. Sie wählen Sport, Chor, Kunst oder Mikroskopieren. Diejenigen, die mit ihrer Arbeit noch nicht fertig sind, gehen indessen in die Arbeitsstunden. Hier sind wir offen, dies erfordert aber auch von uns eine intensive Organisationsarbeit.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt da überhaupt noch der klassische Frontalunterricht?

Neumann-Grziwok: Der ist weiterhin ein wesentlicher Bestandteil, aber eben nur ein Teil des Schultags. Durch die ganztägige Struktur ist es möglich, darüber hinaus flexiblere Unterrichtsformen wie beispielsweise Gruppenarbeit oder auch absolute Stillarbeit anzubieten.

Online-Redaktion: Können Schülerinnen und Schüler, die mit der einen oder anderen Form des Schultages nicht zurecht kommen, auch noch wechseln?

Neumann-Grziwok: Natürlich. Manchmal raten wir auch dazu, wenn beispielsweise ein Kind von dem langen Schultag überfordert ist. Solche Fälle von Schülerinnen und Schülern, die einfach noch mehr Freiräume brauchen, gibt es. Dies sind aber Einzelfälle.

Online-Redaktion: Nicht nur die Schülerinnen und Schüler sind länger in der Schule, auch die Lehrerinnen und Lehrer. Konnten Sie dem Rechnung tragen, zum Beispiel durch die Einrichtung von Lehrerarbeitsplätzen?

Neumann-Grziwok: Wir sind gerade dabei, das Lehrerzimmer deutlich zu vergrößern, damit für jeden Lehrer genügend Arbeitsbereiche und Computerarbeitsplätze vorhanden sind. Aber ich muss noch mal deutlich sagen, dass sich der Umfang der Lehrerarbeitszeit nicht groß verändert. Statt des Nachmittags ist dann eben der Vormittag unterrichtsfrei und die Vor- und Nachbereitung, die sonst zu Hause geleistet wird, kann jetzt innerhalb des Schultages bewältigt werden. Für diese Arbeit richten wir auch einen reinen Silentium-Raum für Lehrkräfte ein.

Online-Redaktion: Durch die verschiedenen Möglichkeiten, Unterricht zu gestalten, können ja auch neue Methoden und Ideen in die Schule Eingang finden. Gibt es einen Austausch der Lehrerinnen und Lehrer darüber?

Neumann-Grziwok: Diese neuen Unterrichtsformen bedingen geradezu mehr Teamarbeit. Wir veranstalten regelmäßige Sitzungen mit allen Klassenlehrern und Sozialpädagogen, die sich auch darüber austauschen, wie sich die Kinder im Freizeitbereich verhalten. Es finden auch viele von Lehrern und Sozialpädagogen gemeinsam gestaltete Projekte statt. Dies macht den Austausch notwendig, erleichtert aber auch die Arbeit. Es muss ja nicht jeder für sich das Rad neu erfinden.

Nicht allen Kolleginnen und Kollegen liegt diese Arbeitsweise. Niemand wird gezwungen, im Ganztag zu arbeiten. Wir beobachten aber, dass die Kolleginnen und Kollegen im Ganztag mit ihrer Begeisterung andere anstecken und auch auf Lehrerseite der Zuspruch deutlich steigt.

Online-Redaktion: Frau Hiebsch, wie sehen die Teamsitzungen der Lehrer und Sozialpädagogen aus?

Margarete Hiebsch, stellvertretende Schulleiterin: Die Teamsitzungen der einzelnen Klassen sind ein zentrales Element des Ganztags. Hier wird die Verzahnung zwischen den Lehrkräften untereinander und den Sozialpädagogen hergestellt. Wir treffen uns in sechswöchigen Abständen und besprechen pädagogische Grundsätze. Meistens geht es dann um bestimmte Schülerinnen und Schüler, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen.

Der ständige Kontakt zwischen Lehrern und Sozialpädagogen läuft über mich. Einmal in der Woche bitte ich alle Sozialpädagogen zu mir, und sie können mir Besonderheiten schildern. Diese Informationen gebe ich dann an die Lehrkräfte weiter. Zusätzlich gibt es so genannte Kontaktordner, die für jede Klasse geführt werden. Hier legen die Sozialpädagoginnen und -pädagogen eine Art Tagebuch an. Die Klassenlehrer schauen sich das dann am nächsten Morgen an und geben gegebenenfalls relevante Informationen an die Fachlehrerinnen und -lehrer weiter. Bei echten Problemen arrangieren wir Treffen der Sozialpädagogen mit den entsprechenden Klassen- oder Fachlehrerinnen und -lehrern. So ist insgesamt eine dichte Verzahnung und pädagogische Betreuung der Kinder gegeben.

Online-Redaktion: Arbeiten die Sozialpädagoginnen und -pädagogen auch am Vormittag mit?

Hiebsch: Die Arbeitsstunden am Vormittag werden durch die Fachlehrer geleitet. Die Sozialpädagogen kommen erst zum Mittagessen in die Schule und betreuen die Schülerinnen und Schüler dann bei den Arbeitsaufträgen.

Online-Redaktion: Wenn eine Sozialpädagogin beobachtet, dass die Kinder mit den Aufgaben einer bestimmten Lehrkraft nicht zurecht kommen, weil zum Beispiel der Umfang viel zu groß ist, kann sie dann auch Rückmeldung an die Lehrkraft geben?

Hiebsch: Natürlich, genau das ist ja der Punkt.

Online-Redaktion: Die Lehrer reagieren dann auch nicht allergisch auf diese Kritik?

Hiebsch: Nein, da gibt es überhaupt keine Reibereien. Gerade diese Rückkopplung braucht man für seine Arbeit.

Online-Redaktion: Der Organisations- und Kommunikationsaufwand ist nicht unerheblich. Beeinträchtigt dies die Arbeitszufriedenheit?

Hiebsch: Im Gegenteil. Die Nachfrage nach Ganztagsklassen ist von Lehrerseite her ständig gestiegen. Am Anfang gab es eine gewisse Zurückhaltung, weil die Kolleginnen und Kollegen nicht genau wussten, was auf sie zukommt, dann aber stiegen nach und nach immer mehr ein. Und auch von Elternseite hören wir, wie gut es den Kindern gefällt.

Online-Redaktion: Was bieten Sie im Freizeitbereich und den Neigungsgruppen an?

Hiebsch: In der Mittagsfreizeit sind besonders die Sozialpädagoginnen und -pädagogen eingebunden, die mit den Schülerinnen und Schülern zum Beispiel mal rausgehen. Diesen Bereich hoffen wir demnächst anders strukturieren zu können. Im Herbst wird unser Neubau eingeweiht, den wir über das IZBB-Programm haben erstellen können. Dort gibt es dann neue Aufenthaltsbereiche und einen neuen Schulhof, wo weitere Freizeitangebote gemacht werden und sich die Kinder entscheiden können, was sie wahrnehmen. Es wird sportliche, kreative, kulturelle und wissenschaftliche Angebote geben. Die Fachlehrerinnen und -lehrer können dabei ebenfalls ihre Neigungen einbringen: So veranstalten wir demnächst eine Schach-AG. Und weil wir einen Schüleraustausch mit China beginnen, haben wir bereits Chinesisch im Angebot.

Online-Redaktion: Frau Neumann-Grziwok, welche baulichen Maßnahmen sind an Ihrer Schule durchgeführt worden?

Neumann-Grziwok: Es ist ein komplett neuer, vierstöckiger Ergänzungsbau, der etwa ein Drittel an Fläche des Altbaus umfasst, entstanden. Dieser verfügt über eine große Küche, einen abwechslungsreich gestalteten Essbereich und einen großen Aufenthaltsbereich. Es schließen sich ein Schulgarten und eine Bibliothek sowie ein Computerraum mit 30 Arbeitsplätzen an. Den Schülerinnen und Schülern steht ein Ruheraum mit herrlichem Blick über Regensburg zur Verfügung. Ein ganzer Teil ist dem Künstlerischen und Musischen gewidmet, ein anderer Bereich den Naturwissenschaften mit Arbeitsräumen für Schülerexperimente. Darüber hinaus sind vier Klassenräume entstanden. Jedem dieser Räume ist ein Intensivierungsraum zugeordnet, den man nutzen kann, wenn man die Klassen geteilt hat, um in Kleingruppen weiterzuarbeiten.

Online-Redaktion: Denken Sie, mit der Ganztagsschule auf dem richtigen Weg zu sein?

Neumann-Grziwok: Wir sind voll davon überzeugt. Das ist sicherlich die richtige Form des Unterrichtens für die Zukunft. Besonders in der 5. und 6. Jahrgangsstufe ist das optimal. Die Klassengemeinschaft hat für die jungen Schülerinnen und Schüler einen hohen Stellenwert. Durch den ganztägig rhythmisierten Schultag wächst man gut zusammen und wird hilfsbereit. Wir unterstützen das noch durch soziale Projekte, die im Auge haben, wie man sein Leben generell gestaltet - immer an die jeweilige Altersstufe angepasst. Wir achten auf Tischsitten und eine gesunde Ernährungsweise, besuchen einen Bio-Bauerhof oder einen besonders ausgezeichneten Laden, damit die Kinder sehen, wie man vernünftig und gesundheitsbewusst einkauft.

Ab der 7. Klasse kommen die Jugendlichen in die Pubertät und schätzen dann mehr das Individuelle. Hier müssen wir, was den Freizeitbereich angeht, uns neue Gedanken machen, um den Schülerinnen und Schülern mehr Freiräume zuzugestehen und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung zu bieten. Wir sind selbst Lernende bei diesem Konzept.

Online-Redaktion: Haben Sie noch einen Wunsch für die nähere Zukunft?

Neumann-Grziwok: Nach den vielen Veränderungen in der letzten Zeit, die alle bayerischen Gymnasien betroffen haben, wünsche ich mir zukünftig ruhigere Fahrwasser, um die vielen Neuerungen in Ruhe umsetzen und für die Schülerinnen und Schüler eine gute Zukunft gestalten zu können.

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